Dürfen die USA die „Mutter aller Bomben“ auf Afghanistan werfen?
Präsident Trump führt einen illegalen Krieg in Afghanistan.
Am 7. Oktober 2001 hat US Präsident George Bush Junior einen illegalen Angriffskrieg gegen Afghanistan begonnen. Präsident Barack Obama führte den Krieg fort. Jetzt ist klar, dass auch der neue Präsident Donald Trump Afghanistan weiter bombardieren wird. Mehr als 200.000 Menschen wurden in Afghanistan in mehr als 15 Kriegsjahren bereits getötet, darunter viele Zivilisten und auch Kinder. Die USA und andere NATO-Staaten haben weiterhin Soldaten auf afghanischem Boden stationiert. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht.
Mutter aller Bomben
Am 13. April 2017 haben die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf Befehl von Präsident Trump ihre stärkste nicht-atomare Bombe abgeworfen und dafür Afghanistan ausgewählt, weil die US-Luftwaffe dort seit langer Zeit den Luftraum kontrolliert. Die Riesenbombe mit der Bezeichnung GBU-43 „Massive Ordnance Air Blast“ (MOAB) wird wegen ihrer Abkürzung und ihrer Schlagkraft auch als „Mutter aller Bomben“ bezeichnet. Sie hat ein ganzes Tal in Schutt und Asche gelegt.
Eine viermotorige Propellermaschine vom Typ MC-130 brachte die mehrere Meter lange Bombe mit einer Sprengkraft von elf Tonnen TNT ins Zielgebiet im Osten von Afghanistan, um dort angeblich einen Tunnel der Terrormiliz Islamischer Staat zu zerstören. „Ich habe den Befehl gegeben. Wir haben die grossartigste Armee der Welt“, verkündete Präsident Trump. Der ehemalige afghanische Präsident Hamid Karsai verurteilte den Luftschlag. Afghanistan sei kein Testgelände für neue US-Waffen. Und der mutige Aufklärer Edward Snowden erklärte über Twitter, die Bombe koste 16 Millionen US-Dollar.
Gewaltverbot der UNO
Die wache Zeitungsleserin fragt sich: Dürfen die USA das eigentlich? Dürfen Sie einfach die Mutter aller Bomben auf Afghanistan abwerfen? Und wie würde das Szenario mit vertauschten Rollen von den Massenmedien beurteilt? Was würden Spiegel und FAZ schreiben, wenn Afghanistan, die militärische Schlagkraft vorausgesetzt, am 13. April 2017 die „Mutter aller Bomben“ auf die USA abgeworfen hätte? Alle Experten weltweit hätten dies scharf verurteilt. Und dies zu recht. Die USA dürfen keine Bomben – gross oder klein – auf Afghanistan abwerfen. Und Afghanistan darf keine Bomben – gross oder klein – auf die USA abwerfen. Das ist der Kern des Gewaltverbots.
Im Artikel 2 der UNO-Charta von 1945 wird das Gewaltverbot klug und klar formuliert:
»Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Gekürzt heisst das: „Alle UNO Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen die Anwendung von Gewalt.“
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der UNO-Friedensorganisation gilt dieses weltweite Kriegsverbot. Zu diesem Verbot gibt es nur zwei Ausnahmen: Erstens gilt das Recht auf Selbstverteidigung, das heißt, wenn ein Land angegriffen wird, darf es sich verteidigen. Zweitens darf Krieg gegen ein Land geführt werden, wenn ein ausdrückliches Mandat des UNO-Sicherheitsrates hierfür vorliegt. Nur wenn der Sicherheitsrat ein solches UNO-Mandat verabschiedet, kann ein Krieg als legal angesehen werden. Alle anderen Kriege sind illegal.
Die USA haben kein Mandat des UNO Sicherheitsrates
Der Angriffskrieg auf Afghanistan folgte unmittelbar auf die bis heute nicht geklärten Terroranschläge vom 11. September 2001, kurz 9/11. Der UNO-Sicherheitsrat befasste sich natürlich mit den Terroranschlägen. Die Resolution 1368 des UNO-Sicherheitsrates vom 12. September 2001 bestätigte, dass diese Anschläge eine Bedrohung des Weltfriedens darstellten, und »dass diejenigen, die den Tätern, Drahtziehern und Förderern helfen, sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren, zur Rechenschaft gezogen werden« müssen.
Der UNO-Sicherheitsrat forderte alle Staaten der Welt zur Zusammenarbeit auf, um »alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um auf die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 zu antworten und jede Form des Terrorismus in Übereinstimmung mit seinen Verantwortlichkeiten nach der Charta der Vereinten Nationen zu bekämpfen.«
Da in der Resolution 1368 Afghanistan aber nicht genannt wurde, gab diese Resolution der USA nicht das Recht, dieses Land für 9/11 verantwortlich zu machen und anzugreifen. Hierzu hätten die USA den UNO-Mitgliedern zuerst einen Beweis vorlegen müssen, dass in der Tat Afghanistan etwas mit diesem Terroranschlag zu tun hatte. Ein robustes Mandat des Sicherheitsrates, das zum Einsatz von Gewalt berechtigt, muss zumindest das Land explizit benennen, gegen das Krieg geführt wird.
Weder Resolution 1368 noch 1373 erlauben den Afghanistankrieg
Die USA hätten mit Verweis auf Resolution 1368 auch nicht zum Beispiel Indonesien oder Saudi-Arabien bombardieren dürfen, mit dem Argument, diese Länder seien in die Finanzierung von Terror verstrickt. Die Resolution gab den USA nicht eine Blankovollmacht, irgendein Land der Welt nach freier Wahl anzugreifen. Vielmehr betonte der Sicherheitsrat mit dieser Resolution klug, dass die Bekämpfung des Terrorismus immer »in Übereinstimmung« mit der Charta geschehen müsse.
Weil einige amerikanischen Juristen dies erkannten, wandten sich die USA am 28. September 2001 nochmals an den Sicherheitsrat und drängten auf die Verabschiedung einer neuen Resolution mit der Nummer 1373, die das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ der Staaten bekräftigte. Der Sicherheitsrat verabschiedete diese und entschied in seiner Resolution, „dass kein Staat jenen Unterschlupf geben soll, die Terroranschläge planen, finanzieren, unterstützen oder ausführen.“
Doch auch diesmal gab es für die USA keine formelle Ermächtigung zum Krieg gegen Afghanistan. Afghanistan wurde auch in der Resolution 1373 nicht erwähnt, weil es den USA nicht gelang, die Weltgemeinschaft von der Schuld von Afghanistan für die Terroranschläge zu überzeugen.
Der 9/11-Untersuchungsbericht ist wertlos
Die Administration Bush erklärte immer wieder, sie werde die Beweise für die Schuld von Afghanistan bald vorlegen. Im Juli 2004 wurde dann der 600 Seiten umfassende 9/11-Untersuchungsbericht präsentiert. Der Bericht bestätigte einfach die Version der Bush-Regierung und erklärte, die Terroranschläge seien im Auftrag von Osama Bin Laden durch 19 muslimische Terroristen durchgeführt worden und Bin Laden habe die ganze Operation von Afghanistan aus koordiniert.
Der 9/11-Bericht taugt aber nichts, weil er den Einsturz des dritten Wolkenkratzers WTC7 nicht einmal erwähnt und damit einen derart gravierenden Mangel aufweist, dass er als wertlos eingestuft werden muss. Lee Hamilton und Thomas Kean, die Verfasser der Untersuchung, haben später eingeräumt, dass ihre Untersuchung „zum Scheitern verurteilt war“, weil sie zu wenig Zeit und zu wenig Geld hatten, um den komplexen Anschlag aufzuklären. Die äußerst angespannte Stimmung in Washington habe den Zugang zu wichtigen Dokumenten und Personen erschwert.
Auch Deutschland zieht in den Krieg
Der US-Angriff auf Afghanistan muss als illegaler Krieg bezeichnet werden. Illegal ist auch der Abwurf der „Mutter aller Bomben“ auf eines der ärmsten Länder der Welt. In meinem neuen Buch „Illegale Kriege“ zeige ich im Detail, dass auch der Angriff auf den Irak im Jahr 2003 sowie der Angriff auf Vietnam im Jahr 1964 illegale Kriege waren. Stellt sich die Frage: Warum macht Deutschland beim Afghanistankrieg mit?
Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ am 16. November 2001 im Bundestag über den Afghanistankrieg abstimmen. Nach dem Angriff auf Serbien 1999 war der Angriff auf Afghanistan 2001 der zweite konkrete Fall seit 1945, in dem Deutschland in den Krieg zog. Wie schon beim Angriff auf Serbien wurde die Bevölkerung nicht gefragt.
Die Mehrheit der Grünen stimmte für den Afghanistankrieg. Außenminister Joschka Fischer behauptete, dass das Böse nur mit Gewalt bekämpft werden könne. »Wenn Gewalttäter auftreten, wenn schwere Verbrechen drohen oder gar begangen werden, dann muss durchgegriffen werden«, forderte Fischer und erhielt für seine Rede anhaltenden und lebhaften Beifall von den Grünen und der SPD. Zahlreiche Abgeordnete erhoben sich und bezeugten damit ihre Unterstützung. Auch Kanzler Gerhard Schröder plädierte für den Krieg und rief zur Entschlossenheit auf: »Der Kampf gegen den Terror wird noch lange dauern und wird uns einen langen Atem abverlangen.« Seine SPD folgte ihm und stimmte geschlossen für den Afghanistankrieg.
Die FDP lehnte den Afghanistankrieg geschlossen ab und ihr Abgeordneter Guido Westerwelle kritisierte die Grünen bissig mit den Worten: »Ihr steigt heute aus der Friedensbewegung auf den Feldherrnhügel«. Auch die PDS, die sich später in Die Linke unbenannte, stimmte geschlossen mit Nein, ihr Abgeordneter Gregor Gysi erklärte, der Krieg in Afghanistan treffe »nicht die Schuldigen und schützt auch nicht die Unschuldigen, ganz im Gegenteil.« Auch CDU/CSU stimmten geschlossen mit Nein. Das Endresultat 336 Ja- gegen 326 Nein-Stimmen war knapp. Schon im Januar 2002 trafen die ersten deutschen Soldaten in Afghanistan ein.
Im Laufe der Jahre stieg die Präsenz der Deutschen in Afghanistan auf 5.000 Soldaten an und ging danach wieder auf 1.000 Soldaten zurück. Wenn man aber bedenkt, dass die Sowjetunion in den 1980er Jahren mit 100.000 Soldaten in Afghanistan verlor, wird klar, dass der Beitrag von Deutschland zum Afghanistankrieg nie kriegsentscheidend war. Vielmehr muss der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch als ein politisches Signal verstanden werden. Die Atlantiker in Deutschland wollten mit dem Afghanistankrieg zeigen, dass Berlin kommt und kämpft, wenn die USA und die NATO rufen.
Peter Scholl Latour kritisiert den Krieg
Hin und wieder wurde am Fernsehen in Deutschland über den Krieg im fernen Afghanistan diskutiert. „Was hat die Bundeswehr gezwungen, Soldaten nach Afghanistan zu schicken?“, fragte der Afghane Khazan Gul am 1. April 2009 in einer Talkrunde auf Phoenix. Die Frage traf ins Schwarze. Der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen, der 2001 wie alle anderen SPD-Mitglieder für den Afghanistankrieg gestimmt hatte, antwortete verwirrt:
„Ganz einfach. Sie werden sich erinnern, im September 2001, was geschehen ist. Und in Afghanistan gab es, aus Afghanistan ausgehend, in Verknüpfung mit Hamburg und anderen Regionen und Städten dieser Erde, gab es einen Angriff auf das World Trade Center. Das war der Anfangspunkt und seither...“
Doch bei dieser Begründung für den Kriegseinsatz platzte dem erfahrenen und leider inzwischen verstorbenen Journalisten Peter Scholl-Latour, der auch an der Talkrunde teilnahm, der Kragen und er unterbrach den SPD-Politiker mit den Worten:
»Und das ist die große Lüge! Also will ich jetzt mal hier scharf werden. Es hat bisher keinen einzigen Afghanen gegeben, der ein internationales Attentat verübt hat, dieses Attentat war ein saudisches Attentat! Es haben nur Saudis daran teilgenommen! Die Leute sind auch nicht in Afghanistan ausgebildet worden, die Pilotenausbildung, die entscheidende, haben die in Amerika bekommen.«
Scholl-Latour machte deutlich, dass ihn die offizielle Erklärung für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gar nicht überzeugt. „Es ist doch alles gelogen, was dort gewesen ist, was ist denn Al-Qaida? Al-Qaida ist doch eine Schöpfung der Amerikaner, um gegen die Sowjetunion zu kämpfen.“
Der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen, sichtlich irritiert, versuchte seine Sicht der Dinge mit dem Verweis auf die UNO zu stärken und erwiderte: „Aber dann hat ja der ganze Weltsicherheitsrat gelogen?“ Worauf Scholl-Latour erwiderte:
„Ja, tut er doch dauernd! Tut er doch dauernd, wie naiv sind Sie denn?“