Du Leugner!
Der Klimawandel ist menschengemacht.
Vielleicht darf man genau da, wo die Verwirrung in etwa so groß ist wie das einheitliche Urteil, sein an Vorträgen Rainer Mausfelds und anderswo gewonnenes erkenntnistheoretisches Misstrauen nicht vorschnell über Bord schmeißen. Die Schlachthofpresse von Libyen, Syrien, Venezuela, Jemen über die Maidanschießerei und die Giftgasattacken bis zur Liquidation unpassender Politfiguren wie Wagenknecht und Corbyn stets und konsequent auf der Linie, soll aus heiterem Himmel und reiner Liebe zur Wahrheit das dumpfe, von den alternativen Medien in Sachen Klimawandel in der Unmündigkeit belassene Volk ans Licht führen. Das ist schön und soll mit einer Gute-Nacht-Geschichte gewürdigt sein. Hier die Geschichte. Auch sie ist menschengemacht. Dagegen etwas einzuwenden, wäre unsinnig.
Eine Gute Nacht-Geschichte von Teer Sandmann.
Irgendwo im deutschen Niemandsland, liebe Kinder, bestieg eine Reisegesellschaft einen Jumbojet, der sie zu ihrem Traumziel fliegen sollte. Die Gruppe trat aus dem Gebäude des Provinzflughafens, schritt über den da und dort leicht aufgebrochenen Asphalt dem Flugzeug entgegen und bestieg die einzige rollende Treppe, die verfügbar war. Sie wirkte fröhlich, die Gesellschaft. Einige wandten sich auf der Treppe mehrmals um und winkten zum Balkon der Zuschauer herüber. Man hatte den Eindruck, sie tanzten, bevor sie im Schlund des Jumbos verschwanden. Auf dem Flugzeug aber, und deshalb erzähle ich euch diese Geschichte, stand nicht nur der Name der Airline – sie gehörte einem Scheich – es stand darauf vielmehr in großen Lettern: DER KLIMAWANDEL IST MENSCHENGEMACHT. In diesen Jumbo also stieg die Gesellschaft und ich, der ich das vom Balkon aus beobachtete, war doch überrascht, denn dies war ja nun zweifelsohne eine ernste und bestimmt ernst gemeinte Aussage, auf den riesigen Bauch des Jets gemalt.
Als die Gesellschaft im Jumbo verschwunden war und das Flugzeug auf die Starterlaubnis wartete, die Triebwerke hörbar rotierend, tauchte plötzlich – ein Wunder, dass er dahin gefunden hatte – ein alter Mann auf. Er kam, wie es schien, aus den Feldern am Rande der Piste geschritten und schob eine Schubkarre vor sich her. Auf dieser lagen tote Vögel. Auf dem Shirt des Mannes – es war das allerdings nur mit Fernglas zu erkennen – stand: TRIEBWERKE TÖTEN VÖGEL. WINDRÄDER AUCH. Der Mann aber plötzlich blieb kurz stehen und ballte die Faust gegen den Jumbo.
Nun, als ich das so sah, Kinder, war ich nach der ersten Verblüffung geneigt, darin ein Bild der Ohnmacht zu erkennen. Eine verlorene Geste. Aber es kam anders als vermutet. Der Jumbo drehte nicht einfach ab und hinterließ den Mann mit seiner Faust sich selbst und bestimmt bald den Sicherheitskräften, die ihn überwältigen würden. Vielmehr öffneten sich, nachdem der alte Mann seine Faust dreimal gegen den Jumbojet geballt hatte, die vielen kleinen runden Fenster und die Reisegesellschaft, mit den Händen aus den Luken auf den Mann weisend, schrie: LEUGNER. Nun, sie schrie unglaublich laut, wurde dabei doch kurzzeitig gar das Dröhnen der Triebwerke überdeckt. Dann schlossen die Luken, der Jumbo drehte ab und erhob sich wenig später in die Luft.
Was aus dem Mann wurde, kann ich nur vermuten. Indes weiß ich aus verlässlichen Quellen, was im Flugzeug weiter geschah. Nach einem Erfrischungsdrink verteilte das mit SAVE THE CLIMATE angeschriebene Personal die Weltpresse. Die Auswahl war groß. Und was die Gesellschaft besonders zufrieden stellte: Überall fanden sich Berichte über den Klimawandel. Und alle Berichte sagten: MENSCHENGEMACHT. CO2 fand auch häufig Erwähnung, ohne dass auf chemische und physikalische Einzelheiten eingegangen worden wäre. Leugner aber, und das war es wohl, was die Gesellschaft so bei Laune hielt, fanden darin kein Gehör. Leugner, die zum Beispiel gefragt hätten, ob das heftige Gestikulieren mehr verberge als bloßlege? Ob die fein orchestrierte Aufregung am Ende nicht eine heimtückische Falle sei? Ob die Tausend Dokumente und unterschriftbereiten feierlichen Verträge dem Lauf der Dinge und also auch einem jeden einzelnen Flugzeug, startbereit auf irgendeiner Piste, den Weg mehr freilegten denn schnitten? Leugner auch, die sich gefragt hätten, weshalb das Wort Verzicht so gänzlich fehle in all den Berichten und Verträgen. Und ob gar ein Zusammenhang bestehe zwischen der Art und Weise, wie sich das Wort Klimawandel breitmache, mit dem geradezu beängstigenden Verschwinden vieler anderer Wörter wie Umweltzerstörung, Vergiftung der Böden, Schwund der Biodiversität? Und schließlich, ob auf die Hervorhebung der Menschengemachtheit als Erkenntnis noch etwas folgen könne oder ob nicht vielmehr diese Etikettierung das Ziel in und an sich sei, worauf einzig neue Produktionsketten anschlössen?
Nun, wie gesagt, auf solche ketzerischen Aussagen traf die Reisegesellschaft, nachdem sie dem Karrenschieber das Wort Leugner aus den Fenstern auf den Kopf zuschreien und sich so, wie es schien, erst recht munter auf den Urlaub hatte einstellen können, nicht, achtete die Fluggesellschaft doch darauf, dass keine falsche Zeitung unter die anerkannte Weltpresse geriet. Als die Maschine aber ein paar Stunden später gegen Dubai zuflog – es war eine Zwischenlandung zum Auftanken vorgesehen –, schrie plötzlich eine Frau in grünroten Haaren und mit tätowierten Oberarmen auf. Was musste sie lesen: das Wort Verzicht. Eben doch. Sie griff sich an die Stirn, bekam Schweißausbrüche und warf das Blatt weit von sich. Schnell eilte eine Stewardess herbei und entfernte das Medium, das, wie sie sagte, sich, sie wissen nicht wie, unter die anerkannte Weltpresse hatte mischen können.
In Dubai wurden der Frau, per Zufall einer führenden Politikerin der Grünen Partei übrigens, alle erdenklichen Annehmlichkeiten zuteil. Der Chef der Airline selbst, ein strahlender Scheich, wurde per Video aus der 147. Etage des welthöchsten Glaspalastes zugeschaltet. Er sprach wehenden Kleides sein Beileid aus, stellte eine Woche Entspannung pur in einem 5-Sterne-Etablissement drei Stockwerke unter seinem Büro mit Swimming Pool und Gletschersauna in Aussicht und schwor, in keinem seiner Flugzeuge würde jemals wieder das böse Wort Verzicht zu lesen sein.
Auf dem Weiterflug zu den Malediven meldete sich der Captain. Er hieß Sturzenegger, seine Phonetik wies ihn als Schweizer aus. Er dankte der Frau für ihre Aufmerksamkeit und forderte die Passagiere auf, Verdächtiges stets zu melden, denn eine absolute Sicherheit gebe es nicht. So deute nicht bloß das Wort Verzicht, sondern jeder Versuch, die Klimaerwärmung mit dem Flugverkehr oder auch mit der Digitalisierung der Welt in einen Zusammenhang zu bringen, auf verschwörungstheoretische Umtriebe. Nicht selten mit antisemitischem und zuletzt rassistischem Hintergrund. Eine erste Spurensicherung lege denn auch nahe, dass es Hacker gewesen seien, die in die Presseverteilsoftware der Airline eingedrungen seien, um Fakes zu platzieren. Der versteckte Gruß HI SAM, den man habe de-chiffrieren können, zeige nach Moskau. Und mit dem Aufruf, der Klimawandel dürfe nicht missbraucht werden für Verzichts- und Umsturzideen, schloss er sein Votum.
Als das Flugzeug auf den Malediven landen wollte, fand sich nicht nur keine Landepiste, die Malediven überhaupt waren weg. Die Gesellschaft aber begann zu schreien, als sie unter sich das bloße Meer erkannte. Sie müssten nun ausbaden, was Leugner mit Schubkarren angerichtet hätten. Das brüllten sie, um den Urlaub betrogen, wutentbrannt. Das blanke Entsetzen aber erfasste sie just im Augenblick, als sie merkten, dass der Captain gleichwohl zur Landung ansetzte. Das Brüllen hörte auf, es wurde entsetzlich still. Dass dieser Sturzenegger das Ausbaden so wörtlich nehmen würde, damit war nicht zu rechnen. Vielleicht wollte er mit der Landung ein Zeichen setzen. Gegen Fakes.
Paar Monate oder Jahre später spülte es irgendwo an der afrikanischen Küste Strandgut an. Zwei ziemlich große Teile. Auf beiden standen Buchstaben. Die tansanischen Fischer, die das Strandgut gefunden hatten, schoben die Teile zusammen und einer las vor: MENSCHENGEMACHT. Sie lachten, denn für sie, die diese komische Sprache nicht kannten, bedeutete es nichts.
Captain Sturzeneggers Stimme aber, so wird gemunkelt, Kinder, könne man noch immer hören, wenn man den Kopf in den indischen Ozean stecke. Hören, wie er die Reisegesellschaft ermuntere, wachsam zu bleiben und das Wort Verzicht unverzüglich zu melden.
Redaktionelle Anmerkung: Von Teer Sandmann erschien im März 2018 „Golo spaziert. Das Land der sicheren Freiheit“ — ein politisch-poetisches Buch über Deutschlands letzten Spaziergänger, das Ende der Freiheit, einen strafenden Gott, beobachtet vom Verfassungsschutz, und etwas Twin Peaks. Die NZZ am Sonntag spricht von einem „faszinierenden Erstling“ und folgert: „Für den Leser, die Leserin ist bereits dieses Werk ein Gewinn.“ Mehr zum Buch unter: https://www.freitag.de/autoren/gela/gegen-den-strich-gebuerstetes-denken.