Doppelte Standards

Die Medien servieren uns Feindbilder.

Nach der Wahl in Russland reißt die Kritik am neuen alten Präsidenten nicht ab. Wahlmanipulation wird ihm vorgeworfen. Dem, der ohnehin nichts weiter als ein autoritärer Machthaber sei, der das Völkerrecht breche, die westlichen Werte mit Füßen trete und auf einen Konflikt mit dem Westen aus sei. Nun muss man Putin nicht mögen, dennoch ist es notwendig, sich mit diesen Vorwürfen sachlich und ohne falsche Hysterie auseinanderzusetzen, und sie vor allem mal mit jenen zu vergleichen, die diese Vorwürfe permanent wiederholen: den westlichen Regierungen. Daher werfen wir einmal einen Blick auf die Anschuldigungen und vergleichen sie mit deutscher Politik.

„Der ewige Putin“ titeln mehrere Nachrichtenportale wie die Morgenpost, RP oder auch die Tagesschau anlässlich der diesjährigen Wahl in Russland, nach der Putin nun vor seiner vierten Amtszeit steht. In der Tat scheint es wenig demokratisch zu sein, wenn der Regierungschef sich immer wieder im Amt bestätigen lässt. Doch auf der Suche nach gleichartigen Kommentaren zum Beginn der vierten Amtszeit Merkels schallt einem erstaunlicherweise nichts als Grillenzirpen aus den Nachrichtenportalen entgegen.

Nüchtern wird hier auf die Pläne Merkels für ihre ebenfalls vierte Amtszeit verwiesen, oder auf die Anzahl der opponierenden Stimmen, die gegen ihre Wiederwahl abgegeben wurden. Lediglich die Hamburger Morgenpost spricht sich gegen eine ewige Kanzlerin aus und nutzt den Anlass, um für eine Begrenzung der Amtszeit zu plädieren, wie es auch in den USA oder in Frankreich der Fall ist.

Bürgerrechtsabbau und ein Mangel an Demokratie, da sind sich deutsche Medien einig, sind das Markenzeichen Putins. Hemmungslos schränke er die Rechte des Einzelnen ein und baue die staatliche Überwachung aus, geriere sich dadurch als Diktator.

Unterdrückter Widerstand

Währenddessen in Deutschland: Seit dem ersten Januar dieses Jahres ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft, ein Gesetz, das Hetze im Netz unterbinden sollte, nun aber zur willkürlichen Löschung von Einträgen in sozialen Medien missbraucht wird – und somit zu Zensur und einem einseitigen Meinungsbild, auch durch das sogenannte „Shadow Banning“, führt.

Noch zuvor, im Mai 2017, verabschiedete die Bundesregierung das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“, ein Gesetz, das die Strafbarkeit nach Paragraphen §§ 113 und 114 Strafgesetzbuch (Widerstand gegen die Staatsgewalt/gegen Vollstreckungsbeamte) erheblich ausdehnt und mit härteren Mindeststrafen sanktioniert, und das, obwohl zuvor die Anzahl der begangenen Delikte nach eben diesen Paragraphen zurückgegangen war. Aufgrund dieses Gesetzes sitzt seit Wochen ein Aktivist aus dem Hambacher Forst, der sich dort mit anderen gegen den Abbau der Braunkohle durch RWE engagiert, in Untersuchungshaft, weil er sich bei einer Räumung ihrer Blockaden durch die Polizei auf den Boden geworfen und zusammengerollt hat.

Weiterhin arbeitet die bayerische Landesregierung derzeit an einem Gesetz, das die Befugnisse der Polizei massiv ausdehnt. Unter anderem erlaubt dieses Gesetz, elektronische Daten abzufischen, zu speichern und sogar zu verändern, ein schwerer Eingriff in die persönliche Privatsphäre und Kommunikation und ein weiterer Schritt auf dem Weg in Richtung eines Überwachungsstaates.

Mithilfe dieses Gesetzes ist es Polizeibeamten nicht nur möglich, elektronische Daten zwecks Beweissicherung zu sichten, sondern auch, Daten so zu manipulieren, dass sie durch diese Bearbeitung erst eine Beweisfunktion erhalten oder gar die Straftat erst dadurch zu einer solchen wird. Auf diese Weise ist es theoretisch möglich, sich ungeliebter Dissidenten zu entledigen, indem man ihnen Straftaten anhängt, die sie nie begangen haben. Weiterhin erhält aufgrund dieses Gesetzes die Polizei das Recht, Bürger in ihrer Bewegungsfähigkeit stark einzuschränken, indem sie Aufenthaltsge- oder -verbote aussprechen. All dies sind schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die den Rechtsstaat unterminieren.

Doch ist das erst die Spitze eines Eisbergs, der in Zukunft weiterhin zu wachsen scheint. Denn schon im vergangenen Jahr hat das bayerische Parlament das Gefährdergesetz verabschiedet. Mithilfe dieses Gesetzes ist es der Polizei möglich, Menschen, die keinerlei Straftaten begangen haben, präventiv und unbegrenzt in Untersuchungshaft zu nehmen. Ein Gesetz also, das sich vom Grundgedanken des Strafrechts entfernt, nach dem jemandem eine Tat nachgewiesen werden oder zumindest starke Hinweise darauf hindeuten müssen, dass jemand in eine Straftat verwickelt war, bevor er in Haft genommen werden darf. Bayern nähert sich damit dem Gesinnungsstrafrecht an, welches das deutsche Strafrecht aus historischen Gründen gerade nicht sein sollte.

Doch auch im Bereich des bürgerlichen Aktivismus bleibt der Staat nicht untätig. Im Jahre 2014 hat die Nichtregierungsorganisation attac aufgrund einer Entscheidung des Frankfurter Finanzamtes den Status der Gemeinnützigkeit verloren. Dies schränkte attac in seiner Arbeit zweifach ein: Einerseits schreckte diese Entscheidung potenzielle Unterstützer von einer Spende ab, andererseits durften sie nun keine Spendenquittungen mehr ausstellen, was die Spenden und damit die finanziellen Mittel der Organisation zurückgehen lassen kann.

Attac klagte sich daraufhin durch die deutsche Gerichtslandschaft – mit Erfolg: Das Hessische Finanzgericht erkannte attac den Status der Gemeinnützigkeit wieder zu und schloss gleichzeitig die Möglichkeit der Revision aus. Dagegen schritt jedoch die Frankfurter Finanzverwaltung auf Anordnung aus dem Bundesfinanzministerium ein. Der Bundesfinanzhof ließ daraufhin die Revision zu, ohne jegliche Begründung seiner Entscheidung.

Nun kann man natürlich anführen, dass Schäuble vielleicht ganz privat ein Problem mit attac habe und dass deswegen diese Anordnung ergangen sei, und dass es sich dabei um einen Einzelfall handele. Außerdem ginge es nur um finanzielle Angelegenheiten, im Gegensatz zur Russland sperre man ja keine Aktivisten ein.

Doch auf europäischer Ebene wurden gerade dafür die Voraussetzungen geschaffen. Mittels einer neuen Richtlinie zur Terroristenbekämpfung ist es – aufgrund einiger Unschärfen in Formulierungen und Definitionen – in Zukunft auch möglich, Aktivisten, insbesondere solche, die sich für die Umwelt einsetzen, als Terroristen zu kriminalisieren. Dies wurde nach amerikanischem Vorbild geschaffen, wo eine solche weite Definition von Terrorismus schon lange im Gesetz verankert ist. Aufgrund des Terrorism Acts wurden auch schon Tierrechtsaktivisten verhaftet und zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.

Wahl – Show

Wenn also Putin ein repressiver, autoritärer Diktator ist, stellt sich die Frage, warum die Menschen in Russland ihn dennoch wählen. Die Antwort fällt zumeist ganz einfach aus: Russland sei keine echte Demokratie und die Wahlen nichts als Show. Putin, der das ganze Regierungssystem auf sich ausgerichtet habe, soll seine Macht genutzt haben, um Medien auf Linie zu bringen und für sich die Werbetrommel zu rühren.

Auch die Frage nach einer Alternative zu Putin drängt sich auf. Wird es niemandem erlaubt, gegen Putin anzutreten? Für die diesjährige Wahl hatte Putin acht Gegenkandidaten. Keiner von diesen hat sich jedoch gegen ihn durchsetzen können. Kein Wunder, so ist man sich einig, wurde doch der aussichtsreichste Kandidat, Alexej Nawalny, gar nicht erst zur Wahl zugelassen.

Doch was nach Betrug aussieht, ist in Wahrheit russische Gesetzgebung. Aufgrund einer Strafe wegen Betrugs beziehungsweise Unterschlagung hätte Nawalny nur mit einer Sondergenehmigung der russischen Wahlkommission zur Wahl antreten dürfen, die er jedoch nicht erhielt. Ein Vorgang, der rein juristisch mit russischem Recht in Einklang steht.

Dass Nawalny auch antiliberale und fremdenfeindliche Positionen vertritt, hört man in den Medien überdies selten. Denn es würde die Frage aufwerfen, warum westliche Medien und Politiker sich einen Wahlsieg Nawalnys wünschen würden. Für alle Medienvertreter steht unverrückbar fest, dass die russischen Wahlen mit echter Demokratie nichts zu tun haben.

Sehen wir uns nun einmal die Wahlen der BRD im letzten Herbst an. Hier wurde die Große Koalition gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel eindeutig abgewählt. Beide Parteien erzielten nach zwei großen Koalitionen die schlechtesten Ergebnisse seit ihrer Existenz beziehungsweise seit dem zweiten Weltkrieg. Das hat Angela Merkel jedoch nicht davon abgehalten, sich für eine vierte Amtszeit vereidigen zu lassen und eine erneute Große Koalition zu führen. Warum muss es erneut eine Bundeskanzlerin Merkel sein? Ganz einfach, die Bundeskanzlerin hat den Parteiapparat der CDU ganz auf sich ausgerichtet und keine Alternative zugelassen.

Doch auch von anderen Parteien droht ihr offenbar keine Gefahr, denn eine Alternative war auch Martin Schulz nicht. Merkel hat folglich den Regierungsapparat voll und ganz auf ihre Person zugeschnitten und niemand scheint zu erwarten, dass jemand sie ersetzen könnte. Ist die Bundestagswahl also nur eine Show?

Gemeinsam mit den etablierten Medien setzt die Politik zudem zu einer Diskreditierung all jener Medienkanäle an, die der deutschen Konsensmaschinerie widersprechen. Beliebteste Ziele dieser Aktionen: Der aus Russland stammende Nachrichtenkanal RT sowie Sputnik News, denen man erschreckend einhellig attestiert, sie seien Propagandakanäle des Kremls. Nun muss man weder RT noch Sputnik mögen oder deren Meinungen teilen. Dennoch muss die Meinungs- und Pressefreiheit garantieren, dass Medien, die abweichende Ansichten vertreten, nicht Opfer konzertierter Denunziationen werden.

Von Schurkenstaaten und Völkerrechtsbruch

Doch auch außenpolitisch ist Russland unverkennbar zum Schurkenstaat mutiert. So verstoße Putin mit seinen Entscheidungen bezüglich der Krim gegen das Völkerrecht, Einwände der russischen Regierung gegen diesen Vorwurf werden einfach abgeschmettert. Doch die Frage muss erlaubt sein: Warum wird das Völkerrecht nur diskutiert, sobald man Putin einen Verstoß gegen dasselbe vorwerfen kann?

Auch die NATO verstößt seit vielen Jahren wiederholt gegen das Völkerrecht, sei es mit dem Einmarsch in den Irak oder heute mit ihrem „Engagement“ in Syrien. Einsätze, an denen sich die deutsche Bundesregierung mit der Bundeswehr beteiligt hat, und bei denen es um mehr geht als nur die Verschiebung von Grenzen, nämlich um Menschenleben. All das geschieht unter der Herrschaft Angela Merkels.

Putin jedoch fordere sogar die NATO heraus, auch da sind sich alle einig. Seit Jahren provoziere er das westliche Militärbündnis, wann immer er könne, halte Militärübungen nahe der Ostgrenze der NATO ab und errege auf diese Weise den Verdacht, sich auf einen großen Krieg vorzubereiten. Dass man diese Sorgen nicht hätte, wenn sich die NATO in den letzten 30 Jahren nicht immer weiter gen Osten ausgebreitet hätte und damit faktisch an die Grenze zu Russland gerückt wäre, bleibt dabei unerwähnt.

Auch die Militärübungen unweit von St. Petersburg, einer Stadt, die im letzten Weltkrieg besonders unter den deutschen Besatzungstruppen zu leiden hatte und von diesen ausgehungert wurde, werden zu einer Reaktion auf Russlands angebliche Provokationen umgedeutet.

Die deutschen Medien nehmen also Umstände und Entscheidungen, die sie gegenüber Russland kritisieren, im eigenen Land klaglos hin. Das ist nicht nur eine gefährliche Entwicklung hin zu tendenziöser, einseitiger Berichterstattung, welche die Eskalation gegenüber Russland vorantreibt, sondern schlichtweg auch westliche Werteheuchelei. Diese wird auch von westlichen Politikern betrieben, indem sie Zustände und Entscheidungen Putins kritisieren, die sie im eigenen Land selbst umsetzen, auch wenn sie bei der Verschleierung ihrer Maßnahmen geschickter sein mögen. Sie alle, Politik und Medien, setzen sich damit dem Vorwurf aus, mit zweierlei Maß zu messen und auf diese Weise Manipulation und Propaganda zu verbreiten.

Gleichzeitig wundern sie sich über den Vorwurf der „Lügenpresse“ sowie über den Schwund ihrer Leser, ein Umstand, der von Ignoranz und Arroganz gegenüber den selbigen zeugt und ihre Glaubwürdigkeit und Sympathie dabei weiterhin untergräbt.

Wenn die Medien hysterisch Regierungen anderer Länder Kleinigkeiten zum Vorwurf machen, das Säbelrasseln ihnen gegenüber vorsätzlich unterstützen und nur nach Anlässen suchen, sie zu diskreditieren, sollten sie dasselbe Maß auch an die Ereignisse im eigenen Land anlegen. Dies ist jedoch nicht der Fall, und eine Entwicklung in diese Richtung ist nicht absehbar.

Von daher wird auch das Vertrauen in die Medien weiter schwinden, denn die Menschen haben etwas begriffen, was Medien und Politik noch nicht klar zu sein scheint: Das Glashaus ist ein schlechter Ort, um mit Steinen zu werfen.


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