Doppelte Gewalt
Die Rechtsanwältin Raphaela Dichtl wurde auf der Münchner Querdenken-Demonstration am 12. September 2020 sowohl von der Antifa als auch von Polizeibeamten brutal attackiert.
Die Berichte über Polizeigewalt bei Querdenken-Demonstrationen nähren den Verdacht, dass es eine Strategie der derzeitigen Regierung ist, den gewaltbereiten Teil der Polizei bewusst auf die Schwachen und Wehrlosen loszulassen. Offenbar kennt eine Minderheit unserer „Freunde und Helfer“ keine Skrupel, alte Menschen, Frauen oder sogar Schwangere zu traktieren. Die Bilder der unfassbaren und einer Demokratie in keiner Weise würdigen Polizeigewalt vom 30. August in Berlin gingen viral. In Bayern, wo die Polizei nicht unbedingt für ihre Zaghaftigkeit bekannt ist, wurde in der Nähe des Demozugs von „Querdenken 089“ die 26-jährige Rechtsanwältin Raphaela Dichtl aus Passau Opfer einer bislang beispiellosen Kette von Gewalttaten.
Die Rechtsanwältin Raphaela Dichtl wurde auf dieser Demonstration zunächst von einem Mann aus den Reihen der Antifa angegangen und dann sogar geschlagen. Als sie diesen abwehrte, wollte sie bei der Polizei direkt Anzeige erstatten. Nach Aufnahme der Personalien erklärte sie den Polizeibeamten, sie wolle nun direkt weiter zur Demonstration auf die Theresienwiese gehen und von ihrem Recht Gebrauch machen, die Anzeige innerhalb der nächsten drei Monate aufzugeben. Als die Beamten ihr erklärten, sie müsse nun aber auf die Wache mitkommen, gab sie — etwas keck, wie sie im Nachhinein zugab — diesen zu verstehen, dass sie Jura studiert habe und ihre Rechte sehr wohl kenne. So zog sie mit einem Freund weiter.
Nach nur vier Minuten ereignete sich ein Akt von Polizeigewalt, der selbst für bayerische Verhältnisse äußerst brutal ist. Von hinten stürzten sich mehrere Polizeibeamte in schwerer Montur auf sie und ihren Freund, drückten sie gewaltsam zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Zusammen mit dem Vertreter der Antifa, der sie zuvor geschlagen hatte und auf ihre Anzeige prompt eine Gegenanzeige folgen ließ, wurde sie zur Gefangenensammelstelle transportiert, wobei dem körperlich überlegenen Antifa-Vertreter im Gegensatz zur ihr keine Handschellen angelegt wurden.
Auf der Wache wurden ihre Verletzungen nicht dokumentiert, ein Toilettengang wurde ihr ebenfalls verwehrt. Bald darauf wurde sie erneut in Handschellen und zusammen mit dem Mann der Antifa zu einer weiteren Wache gebracht — ohne dass sich dieses Mal ein Polizeibeamter in der Kabine des Gefangenentransportes aufhielt. Auf dem Weg dorthin hätte dieser Mann alles Mögliche mit ihr anstellen können. Die junge Anwältin wurde zum Glück noch am selben Tag aus der Haft entlassen. Im Interview auf der Querdenken-Demo in Ulm am 19. September spricht sie über dieses Erlebnis.
Nicolas Riedl: Das, was dir widerfahren ist, kann selbst Menschen schockieren, die schon viel über Polizeigewalt und Beamtenwillkür in Bayern gehört und gelesen haben. In deiner Gesprächsrunde mit den Anwälten Markus Haintz, Dirk Sattelmeier und David Mühlberger hast du auf mich einen sehr unerschütterlichen Eindruck gemacht. Du hast dein Lachen scheinbar trotz dieses Ereignisses nicht verloren und gehst dennoch — so wie heute hier in Ulm — wieder auf die Straße. Woher nimmst du diese Kraft?
Raphaela Dichtl: Sehr viele Dinge, die mir in meinem Leben widerfahren, verarbeite ich mit Lachen. Je schlechter es mir geht, umso mehr lache ich. Das habe ich mir irgendwann als Schutzmechanismus selber aufgebaut. Dennoch waren die ersten zwei Tage zuhause sehr schmerzhaft und schlimm. Nachts wurde ich von Albträumen geplagt. Aber als mich dann letztlich so viele Menschen aus meinem Umfeld unterstützt haben und ich das Interview geben konnte, gab mir das wieder neue Kraft.
Inwiefern hat dieses Erlebnis dein Leben verändert? Wurde dein Vertrauen in Gerechtigkeit und in die Justiz erschüttert?
Ja! Sehr! Ich kannte zwar bereits die Videos von Polizeigewalt aus dem Netz, aber wenn es dann plötzlich einen selber trifft ... Der schlimmste Moment war für mich, als ich mit Handschellen in dem Gefangenentransporter zusammen mit dem Typen von der Antifa saß, der wiederum keine Handschellen trug. Da wurde mir bewusst, dass hier irgendetwas nicht stimmt.
Hattest du da gewisse Assoziationen mit Kafkas „Der Prozess“? So etwas ist man ja von einem Rechtsstaat nicht gewohnt.
Also diese konkrete Assoziation hatte ich nicht, aber ich habe in dem Moment schon gemerkt, dass hier im Rechtsstaat etwas äußerst schief läuft.
Das mag jetzt vielleicht eine etwas seltsame Frage sein, aber ich stelle sie dir trotzdem, weil sie mir keine Ruhe lässt. Müssen wir uns deiner Meinung nach in der Corona-Krise einmal grundsätzlich die Frage stellen, was es in diesen Zeiten bedeutet, ein Mann zu sein? Sowohl der „Mann“ von der Antifa als auch die Polizeibeamten, die gegen dich als körperlich unterlegene Frau handgreiflich geworden sind, haben sich ja offenkundig für diese Tat nicht einmal geschämt und würden sich auch weiterhin als Männer bezeichnen, obwohl sie an Feigheit kaum zu überbieten waren. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir in der Gesellschaft wieder an einem Punkt angelangt sind, an dem Männer unabdingbar lernen müssen, ihre Frauen gegen die Feigheit anderer Männer zu verteidigen?
Ich würde mir grundsätzlich von Männern wünschen, dass sie da mehr mit ganzem Herzen dabei sind. Klar, wir als Frauen sind zwar emanzipiert et cetera, aber wir sind nun mal körperlich, biologisch gesehen die Schwächeren. Und vor diesem Hintergrund würde ich mir auch wünschen, dass mehr Männer auf diese Demos gehen. Bei uns in Passau sind doch schon mehr Frauen vertreten als Männer.
Du bist ja eine relativ junge Anwältin, frisch aus dem Referendariat. Kannst du in etwa einschätzen, wie es um die kritische Haltung deiner Kommilitonen beziehungsweise deiner jungen Kollegen und Kolleginnen bestellt ist? Wir sehen ja mit Markus Haintz oder Beate Bahner, dass es durchaus noch einige mutige Anwälte gibt. Aber wie sieht es mit der neuen Generation der Juristen aus? Sind die auch so kritisch und mutig wie du?
Da trauen sich nur ganz wenige, darüber zu sprechen. Ich kenne viele, die so denken wie ich, aber sich niemals trauen würden, das so nach Außen zu tragen. Ganz zu schweigen davon, auf eine Demo zu gehen. Diese Angst hat sich leider durch das verstärkt, was mir widerfahren ist.
Vielen Dank für das Gespräch!