Die zerriebene Menschlichkeit
Hannah Arendts Forschung zeigt, dass sich Totalitarismus stets in fünf Schritten entfaltet — Corona ist da keine Ausnahme.
Wie funktioniert eigentlich Totalitarismus? Im Grunde genommen entwickeln sich totalitäre Systeme immer nach dem gleichen Muster. Nach und nach werden der Mensch und das, was ihn menschlich macht, dabei zerrieben. Es beginnt immer mit der Erzeugung von Angst. Mit ihr als Herrschaftsressource wird in kleinen, aber entschlossenen Schritten an der Ausgrenzung derer gearbeitet, die sich der Errichtung dieses Systems entgegenstellen. Erst werden sie stigmatisiert, anschließend ihre Exklusion mit vermeintlich plausiblen Argumenten unterfüttert, ehe sie dann mit aller Härte ausgeschlossen werden. Am Ende steht dann teils die existenzielle Vernichtung, mindestens aber die soziale. Dieses Muster ist ein immer wiederkehrendes. Doch dieser Teufelskreis lässt sich durchbrechen.
von Christiaan W.J.M. Alting von Geusau
Hannah Arendts wegweisendes Werk „The Origins of Totalitarianism“ aus dem Jahr 1948 (Anm. d. Übers.: der deutsche Titel lautet Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) stellt in der Welt, die sich im Jahr 2021 vor unseren Augen um uns herum entwickelt, eine ernüchternde Lektüre dar. Tatsächlich befinden wir uns in einer Sackgasse von epischen Ausmaßen, wobei die Essenz dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, auf dem Spiel steht.
„Der totalitäre Versuch der globalen Eroberung und totalen Herrschaft war der destruktive Weg aus allen Sackgassen. Sein Sieg kann mit der Zerstörung der Menschheit zusammenfallen; wo immer es geherrscht hat, hat es begonnen, das Wesen des Menschen zu zerstören.“
— Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, first published 1948 (Anm. d. Übers.: aus dem Vorwort zur englischsprachigen Erstausgabe)
Wenngleich man schwerlich behaupten kann — zumindest im Westen —, dass wir uns wieder unter dem Joch totalitärer Regime befänden, die mit denen vergleichbar wären, die wir nur zu gut aus dem 20. Jahrhundert kennen, besteht doch kein Zweifel daran, dass wir uns einem globalen Paradigma gegenübersehen, das stetig sich ausweitende totalitäre Tendenzen hervorbringt, und diese müssen nicht einmal absichtsvoll oder böswillig geplant sein.
Wie wir später noch erörtern werden, sind die modernen Initiatoren solch totalitärer Tendenzen — unterstützt durch die Massen — größtenteils davon überzeugt, das Richtige zu tun, denn sie beanspruchen zu wissen, was das Beste für die Menschen sei in einer existenziellen Krise. Totalitarismus ist eine Ideologie, die sich in der Gesellschaft breit macht, ohne dass ein Großteil der Bevölkerung dies zunächst, und ehe es zu spät ist, bemerkt.
In ihrem Buch beschreibt Hannah Arendt akribisch die Entstehung der totalitären Bewegungen, die letztlich zu den totalitären Regimen Europas und Asiens im 20. Jahrhundert heranwuchsen, sowie die nicht in Worte zu fassenden genozidalen Akte und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in die sie schließlich mündeten.
Wie auch Arendt uns gewiss warnen würde, sollten wir uns nicht durch die Tatsache irreführen lassen, dass wir im Westen heute keine der Gräueltaten sehen, die das Markenzeichen der Regime des Kommunismus’ unter Stalin oder Mao und des Nazismus unter Hitler waren.
All diesen Ereignissen ging die allmähliche Verbreitung einer Massenideologie voraus sowie anschließende ideologische Kampagnen und Maßnahmen von Seiten des Staates zur Förderung von scheinbar „zu rechtfertigenden“ und „wissenschaftlich bewiesenen“ Kontrollmaßnahmen und Aktionen, die auf eine permanente Überwachung und schließlich einen schrittweisen Ausschluss einiger Personen aus (Teilen) der Gesellschaft zielten, weil sie „ein Risiko“ für andere darstellten oder außerhalb des Rahmens dessen zu denken wagten, was als akzeptable Gedanken betrachtet wurde.
In seinem Buch The Demon in Democracy — Totalitarian Temptations in Free Societies (Der Dämon in der Demokratie — Totalitäre Versuchungen in freien Gesellschaften), lässt der polnische Rechtsanwalt und Europaparlamentarier Ryszard Legutko keinen Zweifel daran, dass es verstörende Ähnlichkeiten zwischen vielen der Dynamiken in totalitären kommunistischen Regimen und modernen liberalen Demokratien gibt, wenn er beobachtet:
„Kommunismus und die liberale kommunistische Demokratie erwiesen sich als alles vereinigende Entitäten, die ihren Anhängern vorschrieben, wie sie zu denken, was sie zu tun, wie sie Ereignisse zu bewerten, was sie zu träumen und welche Sprache sie zu verwenden hätten.“
Dies ist auch die Dynamik, deren Wirken wir auf vielen Ebenen der globalisierten Gesellschaften heute sehen. Jeder Leser, aber insbesondere Politiker und Journalisten, die ein Interesse an menschlicher Freiheit, Demokratie und der Herrschaft des Rechts haben, sollten sorgfältig das 11. Kapitel über „Die totalitäre Bewegung“ in Hannah Arendts vielgerühmtem Buch lesen.
Sie erklärt, wie, lange bevor totalitäre Regime tatsächlich die Macht ergreifen und eine vollständige Kontrolle etablieren, ihre Architekten und Ermöglicher bereits geduldig die Gesellschaft auf die Übernahme vorbereitet haben — nicht notwendig in koordinierter Weise und mit diesem Endziel im Sinn.
Die totalitäre Bewegung selbst wird durch die aggressive und bisweilen gewaltsame Förderung einer gewissen dominanten Ideologie angetrieben, durch unerbittliche Propaganda, Zensur und Gruppendenken. Sie schließt immer auch bedeutende ökonomische und finanzielle Interessen ein.
Ein solcher Prozess führt dann zu einem immer allmächtigeren Staat, assistiert durch eine Schar von nicht rechenschaftspflichtigen Gruppen, (internationalen) Institutionen und Körperschaften, die beanspruchen, ein Patent auf Wahrheit und Sprache zu haben, und darauf, zu wissen, was gut für ihre Bürger und die Gesellschaft als Ganze ist.
Obwohl es natürlich einen großen Unterschied zwischen totalitären kommunistischen Regimes des 21. Jahrhunderts, wie wir sie in China und Nord Korea sehen, und liberalen westlichen Demokratien mit ihren wachsenden totalitären Tendenzen gibt, scheint das verbindende Element zwischen den beiden Systemen heute in der Gedankenkontrolle und der Verhaltenssteuerung ihrer Bevölkerungen zu bestehen.
Diese Entwicklung ist massiv verschärft worden durch etwas, wofür die Harvard-Professorin Shoshana Zuboff den Begriff „Überwachungskapitalismus“ geprägt hat. Überwachungskapitalismus, schreibt Zuboff, ist „(eine) Bewegung, die darauf zielt, eine neue kollektive Ordnung durchzusetzen, die auf totaler Gewissheit basiert“. Er ist auch — und hier nimmt sie kein Blatt vor den Mund — „(eine) Enteignung kritischer Menschenrechte, die sich am besten als Coup von oben: ein Sturz der Volkssouveränität“ umschreiben lässt.
Der moderne Staat und seine Verbündeten, seien es Kommunisten, Liberale oder sonstige, haben — wegen der oben genannten und aus anderen Gründen — ein unstillbares Verlangen danach, gigantische Datenbestände über Bürger und Kunden zu sammeln und diese Daten umfänglich zur Kontrolle und Beeinflussung zu verwenden.
Auf der kommerziellen Seite haben wir all die Aspekte der Aufzeichnung des Verhaltens und der Vorlieben der Menschen im Internet, brillant erklärt in der Dokumentation The Social Dilemma, die uns mit der Realität konfrontiert, dass „nie zuvor eine Handvoll Tech-Designer eine derartige Kontrolle darüber hatte, wie Milliarden von uns denken, handeln und unsere Leben leben“. Zur gleichen Zeit sehen wir das von der Kommunistischen Partei Chinas lancierte „Social-Credit“-System in Aktion, das Big Data und permanente CCTV-Live-Berichterstattung verwendet, um das Verhalten der Menschen in öffentlichen Räumen durch ein System aus Auszeichnungen und Bestrafungen zu steuern.
Der verpflichtende QR-Code, der zuerst 2020 in China eingeführt wurde und anschließend 2021 in liberalen demokratischen Staaten überall auf der Welt, um den Gesundheitsstatus der Menschen permanent zu erfassen und als Voraussetzung für eine Teilnahme an der Gesellschaft, ist das jüngste und zutiefst verstörende Phänomen dieses selbigen Überwachungskapitalismus’. Hier verschwindet die Trennlinie zwischen bloßer Technokratie und Totalitarismus beinahe unter dem Deckmantel des „Schutzes der öffentlichen Gesundheit“.
Die gegenwärtig erstrebte Kolonisierung des menschlichen Körpers durch den Staat und seine Geschäftspartner, die behaupten, unsere besten Interessen im Sinn zu haben, ist Teil dieser verstörenden Dynamik. Wo ist plötzlich das progressive Mantra „Mein Körper, meine Entscheidung“ geblieben?
Was also ist Totalitarismus? Ist es ein Regierungssystem, ein totalitäres Regime, oder ein anderweitig implementiertes System zunehmender Kontrolle, eine totalitäre Bewegung, — das sich in verschiedenen Formen und auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft offenbart —, das keine individuelle Freiheit und kein unabhängiges Denken toleriert und das letztlich danach strebt, sich alle Aspekte des individuellen menschlichen Lebens zu unterwerfen und sie zu lenken. Mit den Worten Drehers ist Totalitarismus „ein Zustand, in dem nichts existieren darf, was der herrschenden Ideologie einer Gesellschaft widerspricht“.
In der modernen Gesellschaft, in der wir ein sehr starkes Wirken dieser Dynamik beobachten, spielen der Gebrauch von Wissenschaft und Technologie eine entscheidende Rolle dabei, dass totalitäre Tendenzen in einer Weise Fuß fassen, von der Ideologen des 20. Jahrhunderts nur hätten träumen können. Einhergehend mit Totalitarismus gleich welchen Stadiums tritt des Weiteren institutionalisierte Entmenschlichung auf und bildet den Prozess, durch den die Gesamtheit oder ein Teil der Bevölkerung politischen Maßnahmen und Praktiken unterworfen werden, die durchgängig die Würde und die fundamentalen Rechte des Menschen verletzen und die schließlich zu Ausschluss und sozialer oder, im schlimmsten Fall, physischer Auslöschung führen könnten.
Im Folgenden werden wir uns einige der Grundprinzipien der totalitären Bewegung genauer ansehen, wie sie Hannah Arendt beschreibt, und wie diese die Dynamik institutionalisierter Entmenschlichung ermöglichen, die wir heute beobachten. Abschließend werden wir einen kurzen Blick darauf werfen, was Geschichte und menschliche Erfahrung uns über die Befreiung der Gesellschaft vom Joch des Totalitarismus’ und seiner entmenschlichenden Politik verraten.
Dabei ist es mir wichtig, zu verdeutlichen, dass ich in keiner Weise die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts und ihre Gräuel mit dem vergleiche oder gleichsetze, was ich derzeit als die zunehmenden totalitären Tendenzen und die daraus resultierende Politik sehe. Stattdessen werden wir, wie dies der Rolle eines soliden akademischen Diskurses gemäß ist, einen kritischen Blick auf das werfen, was heute vor unseren Augen in der Gesellschaft geschieht, und relevante historische und politische Phänomene analysieren, die uns möglicherweise darüber belehren, wie wir besser mit der aktuellen Ereignisabfolge zurechtkommen, die, wenn sie nicht korrigiert wird, nichts Gutes für eine Zukunft der Freiheit und die Herrschaft des Gesetzes verheißt.
Die Funktionsweise des Totalitarismus‘
Wenn wir von „Totalitarismus“ sprechen, so wird das Wort in diesem Kontext verwendet, um das Gesamte einer politischen Ideologie zu beschreiben, die sich in verschiedenen Formen und Stadien darstellen kann, die aber stets letztlich das Ziel totaler Kontrolle über die Menschen und die Gesellschaft hat. Wie weiter oben beschrieben unterscheidet Hannah Arendt innerhalb des Totalitarismus‘ zwischen der totalitären Bewegung und dem totalitären Regime.
Ich ergänze diese Kategorisierung um etwas, was ich für eine Frühphase der totalitären Bewegung halte, was Ryszard Legutko als „totalitäre Tendenzen“ bezeichnet und was ich einen mit aktuellen Entwicklungen verknüpften ideologischen Totalitarismus nenne. Damit Totalitarismus Aussicht auf Erfolg hat, verrät uns Hannah Arendt, bedarf es dreier zentraler und eng miteinander verflochtener Phänomene: der Massenbewegung, der Führungsrolle der Eliten bei der Steuerung dieser Massen und des Einsatzes unerbittlicher Propaganda.
Die einsamen Massen
Für seine Etablierung und Beständigkeit ist Totalitarismus in einem ersten Schritt abhängig von einer Unterstützung durch die Massen, die er durch Schüren einer permanenten Krisen- und Angststimmung in der Gesellschaft erlangt. Dies nährt dann den Drang der Massen, die Verantwortungsträger ständig „Maßnahmen“ ergreifen zu lassen und Führungsqualität zu beweisen, um die Bedrohung abzuwehren, die man als Gefährdung der gesamten Gesellschaft ausgemacht hat.
Die Verantwortungsträger können „nur so lange an der Macht bleiben, wie sie sich bewegen und alles um sich herum in Bewegung versetzen“. Der Grund dafür ist, dass totalitäre Bewegungen auf dem klassischen Versagen von Gesellschaften durch die Geschichte hinweg aufbauen, eine geteilte Gemeinschafts- und Sinnorientierung schaffen und erhalten, statt isolierte, um sich selbst kreisende Menschen ohne einen klaren, überwölbenden Sinn im Leben hervorzubringen.
Die Massen, die der totalitären Bewegung folgen, sind selbst Verirrte und infolgedessen auf der Suche nach einer klaren Identität und einem Sinn im Leben, die sie in ihren augenblicklichen Umständen nicht finden.
„Soziale Atomisierung und extreme Individualisierung gingen der Massenbewegung voraus (...). Die Hauptmerkmale des Massenmenschen sind nicht Brutalität und Rückwärtsgewandtheit, sondern seine Isolation und sein Mangel an normalen sozialen Beziehungen.“
Wie vertraut das für jeden klingt, der moderne Gesellschaften beobachtet. In einem Zeitalter, in dem soziale Medien und, was sonst noch auf Bildschirmen präsentiert wird, vor allem anderen den Ton angeben und in dem Teenagerinnen in eine Depression verfallen und Suizidversuche wegen eines Mangels an „Likes“ auf dem Instagramaccount zunehmen, sehen wir in der Tat ein beunruhigendes Beispiel für diesen Mangel an normalen Beziehungen. Diese sollten stattdessen persönliche Begegnungen beinhalten, die zu einem tiefen Austausch führen.
In kommunistischen Gesellschaften ist es die Partei, die sich anschickt, religiöse, soziale und familiäre Bindungen zu zerstören, um einem Bürger Platz zu machen, der sich dem Staat und dem Diktat der Partei vollkommen unterwerfen lässt, wie wir es in China und Nordkorea beobachten.
In hedonistischen und materialistischen westlichen Gesellschaften vollzieht sich die selbe Zerstörung mit anderen Mitteln und unter dem neomarxistischen Deckmantel unaufhaltsamen „Fortschritts“, wobei Technologie und eine falsche Definition des Ziels von Wissenschaft das Verständnis dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, erodieren lassen: „Tatsächlich“, schreibt der US-amerikanische Journalist Rod Dreher, „reproduziert diese Technologie und die Kultur, die aus ihr hervorgegangen ist, die Atomisierung und die radikale Einsamkeit, denen totalitäre Regierungen die ihnen ausgelieferten Menschen auszusetzen pflegten, um sie leichter kontrollieren zu können.“
Nicht nur, dass Smartphones und soziale Medien echte menschliche Interaktion drastisch reduziert haben, wie jeder Lehrer und jedes Elternteil eines Schulkindes bestätigen kann, auch die sozialen Rahmenbedingungen haben sich durch andere bedeutende Verschiebungen innerhalb der Gesellschaft in jüngster Zeit weiter dramatisch verschlechtert.
Die stetig zunehmende gezielte Beeinflussung von Sprache, Meinungen und wissenschaftlichen Informationen in der SARS-CoV-2-Pandemie durch Big Tech und Regierungen, flankiert durch ein seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehenes Maß an Zensur, haben den öffentlichen Diskurs in Wissenschaft, Politik und der Gesellschaft massiv reduziert und verarmen lassen.
2020 und 2021 haben mehrheitlich gutgemeinte, gleichwohl häufig auf schlechter Beratung beruhende, von den Regierungen durchgesetzte Corona-Maßnahmen wie Lockdowns, Maskenpflicht, Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Einrichtungen und Corona-Impfpflichten die ungehinderte menschliche Interaktion weiter beschränkt, derer jede Gesellschaft bedarf, um ihr soziales Gewebe zu erhalten und zu stärken. All diese von außen auferlegten Entwicklungen tragen aus unterschiedlichen Richtungen kommend dazu bei, dass Menschen, vor allem die jungen, zunehmend und immer anhaltender jener „normalen sozialen Beziehungen“ beraubt sind, von denen Hannah Arendt spricht.
Mangels Alternativen scheint dies seinerseits große Teile der Bevölkerung — die meisten von ihnen bemerken es nicht einmal — in die Arme totalitärer Ideologien zu treiben. Diese Bewegungen jedoch, so Hannah Arendt, „verlangen die totale, unbegrenzte, bedingungslose und unveränderliche Loyalität des individuellen Mitglieds (...) These movements, however, in the words of Arendt, „demand for total, unrestricted, unconditional, and unalterable loyalty of the individual member (...) (da) ihre Organisation, sobald ihre Zeit gekommen ist, die gesamte menschliche Rasse umfassen wird.“
Das Endziel des Totalitarismus, so erklärt sie, ist die dauerhafte Beherrschung der Menschen aus ihrem Inneren heraus, was folglich jeden Aspekt des Lebens einschließt, wofür die Massen in ständiger Bewegung zu halten sind, denn „ein politisches Ziel, das das Ende der Bewegung darstellen würde, existiert schlicht nicht“.
Ohne in irgendeiner Weise die Gewichtigkeit und Dringlichkeit dieser Angelegenheiten an sich oder die Notwendigkeit für eine Gesellschaft, Wege zu ersinnen, mit daraus erwachsenden existenziellen Bedrohungen umzugehen, herunterspielen zu wollen, sind doch die politischen und medialen Corona-Narrative Beispiele eines solchen ideologischen Totalitarismus‘, der vollständig kontrollieren will, wie Menschen in diesem Lebensbereich denken, sprechen und handeln, indem sie sie durch gut geplante, regelmäßige, dramatische Nachrichten-Updates in dauerhafter Angst halten.
Ein Werkzeug, das in aller Welt erfolgreich dafür eingesetzt wird, sind die andauernden, gut geprobten Pressekonferenzen gewichtig-ernst dreinblickender Minister in Anzügen hinter Plexiglas und flankiert durch Experten und Staatsflaggen. Hinzukommen instrumentalisierte herzzerreißende Geschichten und Aufrufe zu sofortigem Tätigwerden („Maßnahmen“), die von — wahrgenommenen oder realen — neuen Bedrohungen für ihre Person, ihre Sache oder die Gesellschaft als Ganze handeln. Angst ist die wichtigste Antriebskraft, dieser dauerhaften Besorgtheit und dieses Aktivismus’.
Die Rolle der Eliten
Hannah Arendt fährt dann mit der enormen Anziehungskraft, die sie auf Eliten ausüben, fort, ein verstörendes Phänomen totalitärer Bewegungen zu erklären, die „erschreckende Liste angesehener Männer, die der Totalitarismus zu seinen Sympathisanten, Mitläufern und eingeschriebenen Parteimitgliedern zählen kann“. Diese Elite glaubt, die totale Zerstörung oder zumindest die totale Neugestaltung all dessen, was bis dahin als gesunder Menschenverstand, Logik und anerkanntes Wissen galt, sei notwendig, um die akuten Probleme, denen sich die Gesellschaft aktuell gegenübersieht, zu lösen.
Im Falle der Coronakrise wird die wohlbekannte Fähigkeit des menschlichen Körpers, eine natürliche Immunität gegen die meisten Viren zu entwickeln, denen er bereits begegnet ist, von denen, die Impfpflichten verhängen, nicht mehr als irgendwie relevant erachtet, womit sie fundamentale Prinzipien der menschlichen Biologie und anerkanntes medizinisches Wissen verwerfen.
Um diese totale Generalüberholung im Sinne vollkommener Kontrolle willen zu erreichen, sind die Eliten bereit, mit jeder Person und jeder Organisation zu kooperieren, einschließlich jener Personen, die Arendt „den Mob“ nennt und dessen Merkmale „Scheitern im beruflichen und sozialen Leben, Perversion und Katastrophe im privaten Leben“ seien.
Ein gutes Beispiel dafür ist der westliche Umgang mit der kommunistischen Partei Chinas. Obwohl eklatante Korruption und Menschenrechtsverletzungen — einschließlich der genozidalen Kampagne gegen die Uiguren in Xinjiang — seitens dieser Institution der Repression in ihrer gesamten Geschichte bis heute gut dokumentiert sind, ebenso wie ihre Rolle bei der Vertuschung des Ausbruchs des SARS-CoV-2-Virus‘ 2019 in Wuhan, möglicherweise infolge eines Laborunglücks, sind die meistens Länder der Welt so abhängig von China geworden, dass sie bereit sind wegzusehen und mit einem Regime zu kooperieren, das bereit ist, auf allem herumzutrampeln, wofür die liberale Demokratie steht.
Hannah Arendt beschreibt ein weiteres verstörendes Element, das Teil ist dessen, was sie die „zeitweise Allianz zwischen dem Mob und den Eliten“ nennt, und das ist die Bereitschaft der Eliten, sich durch Lügen Macht zu erschleichen und diese zu erhalten aufgrund „der Möglichkeit, dass man riesige Lügen und ungeheuerliche Unwahrheiten schließlich als nicht mehr hinterfragte Fakten etablieren kann“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es keine bewiesene Tatsache, dass Regierungen und ihre Verbündeten über Statistiken und wissenschaftliche Daten im Zusammenhang mit Covid-19 lügen; es ist jedoch klar, dass es zahlreiche ernsthafte Widersprüche gibt, die nicht oder zu wenig beachtet werden.
Die Geschichte totalitärer Bewegungen und Regime hindurch konnten die Täter mit Vielem durchkommen, weil ihnen sehr bewusst war, was die Hauptsorge des einfachen Mannes oder der einfachen Frau ist, die ihrem täglichen Geschäft nachgehen, den Lebensunterhalt für ihre Familien und andere von ihnen Abhängige zu erwirtschaften, wie Arendt dies meisterhaft ausdrückte:
„Er (Göring) stellte seine überragende Fähigkeit unter Beweis, die Massen in eine totale Beherrschung hinein zu organisieren, wobei er annahm, dass die meisten Menschen weder Bohemiens, Fanatiker, Abenteurer, Sexsüchtige, Verrückte noch sozial Gescheiterte seien, sondern vor allem Arbeitnehmer und gute Familienväter.“
Und: „Nichts erwies sich als leichter zu zerstören, als die Privatheit und die private Moralität von Menschen, die an nichts anderes dachten, als ihre privaten Leben abzusichern.“
Wir alle sehnen uns nach Sicherheit und Vorhersagbarkeit und folglich lässt uns eine Krise nach Möglichkeiten Ausschau halten, Sicherheit zu erlangen und zu erhalten, und die meisten sind bereit, dafür falls nötig einen hohen Preis zu zahlen, einschließlich dem, ihre Freiheiten aufzugeben und mit dem Gedanken zu leben, dass man ihnen möglicherweise nicht die volle Wahrheit über die vorliegende Krise erzählt. Es sollte daher niemanden überraschen, dass angesichts der potenziell tödlichen Wirkung, die das Coronavirus auf Menschen haben kann, unsere allzu menschliche Todesfurcht die meisten von uns dazu gebracht hat, sich ohne großen Kampf von den Rechten und Freiheiten zu trennen, für die unsere Väter und Großväter so hart gekämpft haben.
Da außerdem weltweit in vielen Industriezweigen und Situationen Impfpflichten für Arbeitskräfte eingeführt worden sind, fügen sich die Meisten nicht, weil sie selbst notwendigerweise glauben, der Covid-Impfung zu bedürfen, sondern nur, weil sie ihre Freiheiten zurückerhalten und ihre Jobs behalten wollen, damit sie ihre Familien ernähren können.
Die politischen Eliten, die diese Vorschriften verhängen, wissen dies natürlich und nutzen es intelligent aus, oft, in der Annahme, das sei zur Bewältigung der gegebenen Krise notwendig, sogar in bester Absicht.
Totalitäre Propaganda
Das wichtigste und ultimative Werkzeug, dessen sich totalitäre Bewegungen in nicht-totalitären Gesellschaften bedienen, ist die Etablierung wirklicher Kontrolle der Massen, indem man sie durch Propaganda überwältigt: „Nur der Mob und die Elite können durch das Momentum des Totalitarismus selbst angezogen werden; die Massen müssen durch Propaganda gewonnen werden.“ Man nutzt, so erklärt Hannah Arendt, sowohl Angst als auch Wissenschaft ausgiebig, um die Propaganda-Maschine zu schmieren. Angst propagiert man stets als gegen jemand oder etwas Externes gerichtet, der oder das eine echte oder wahrgenommene Gefahr für die Gesellschaft oder das Individuum darstellt.
Aber es gibt ein sogar noch finstereres Element, das totalitäre Propaganda historisch verwendet, um die Massen zu beschwatzen, sich aus Angst ihrer Führung zu unterwerfen, und das ist „der Gebrauch indirekter, verschleierter und drohender Andeutungen gegen alle, die ihre Lehren nicht befolgen (...)“, wobei sie gleichzeitig dauernd die wissenschaftliche und gemeinwohlorientierte Natur des Arguments betonen, dass diese Maßnahmen notwendig seien. Sowohl die gezielte Instrumentalisierung von Angst als auch die konstante Bezugnahme auf „follow the science“ von Seiten politischer Akteure und der Massenmedien in der Coronakrise waren als propagandistische Werkzeuge extrem erfolgreich.
Hannah Arendt gesteht freimütig ein, dass die Nutzung von Wissenschaft als effektives politisches Werkzeug allgemein weit verbreitet gewesen sei und dies nicht notwendig immer in einem schlechten Sinn. Dies trifft natürlich auch im Falle der Coronakrise zu. Dennoch, so fährt sie fort, prägt seit dem 16. Jahrhundert zunehmend eine Besessenheit von Wissenschaft die westliche Welt. Sie betrachtet den totalitären Einsatz von Wissenschaft als Waffe, den deutschen Philosoph Eric Voegelin zitierend, als finale Phase eines gesellschaftlichen Prozesses, in dem „Wissenschaft ein Idol (geworden ist), das in magischer Weise die Übel der Daseins heilen und die Natur des Menschen verwandeln wird“.
Wissenschaft wird verwendet, um rechtfertigende Argumente zu liefern für gesellschaftliche Angst und die Vernünftigkeit der weitreichenden Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die äußere Gefahr „anzugehen“ und zu „beseitigen“. Arendt: „Die Wissenschaftlichkeit totalitärer Propaganda wird durch ihr beinahe exklusives Beharren auf wissenschaftlicher Prophetie charakterisiert (...).“
Wie viele solcher Prophezeiungen haben wir nicht seit Anfang 2020 gehört, die dann nicht wahr geworden sind? Es sei überhaupt nicht relevant, fährt Arendt fort, ob diese „Prophezeiungen“ auf guter oder schlechter Wissenschaft basierten, da die Anführer der Massen sich vorrangig darauf fokussieren, die Realität an ihre eigenen Interpretationen und, wo dies notwendig erscheint, Lügen anzupassen, wobei ihre Propaganda „durch ihre extreme Verachtung gegenüber Fakten als solchen gekennzeichnet ist“.
Sie glauben an nichts, das auf persönliche Erfahrung zurückgeht oder sichtbar ist, sondern nur an das, was sie sich vorstellen, was ihre eigenen statistischen Modelle sagen und an das ideologisch konsistente System, welches sie darum aufgebaut haben. Die totalitäre Bewegung strebt nach Organisation und Zielstrebigkeit, um die volle Kontrolle zu erlangen, wobei der Inhalt der Propaganda — gleich ob Fakten oder Fiktion oder beides — zu einem unantastbaren Element der Bewegung wird und objektive Argumente, ganz zu schweigen vom öffentlichen Diskurs, keinerlei Rolle mehr spielen.
Bis jetzt sind eine respektvolle öffentliche Debatte und ein solider wissenschaftlicher Diskurs im Hinblick darauf, wie am besten auf die Corona-Pandemie zu reagieren ist, noch nicht möglich gewesen. Die Eliten sind sich im hohen Maße bewusst und nutzen dies, um ihre Agenda voranzutreiben, dass sich die Massen in Zeiten existenzieller Krise vielmehr nach radikaler Konsistenz sehnen, sodass sie ihnen (anfangs) ein Gefühl von Sicherheit und Vorhersagbarkeit vermitteln. Doch hierin liegt auch die große Schwäche totalitärer Propaganda, die letztlich „(...) dieses Sehnsucht der Massen nach einer vollständig konsistenten, verständlichen und vorhersagbaren Welt nicht erfüllen kann, ohne ernsthaft mit dem gesunden Menschenverstand in Konflikt zu geraten”.
Diese stellt sich uns heute, wie ich oben bereits erwähnte, durch eine grundlegend falsche Auffassung und Nutzung der Wissenschaft seitens der Herrschenden noch verschärft dar. Der ehemalige Professor an der Harvard Medical School Martin Kulldorff, ein namhafter Epidemiologe und Biostatistiker mit Spezialisierung auf Ausbrüche von Infektionskrankheiten und Impfstoffsicherheit, merkt an, was die korrekte Anwendung von Wissenschaft wäre und im gegenwärtigen Narrativ fehlt: „In der Wissenschaft geht es um rationale Meinungsverschiedenheit, die Infragestellung und Prüfung der Orthodoxie und unablässige Suche nach Wahrheit.“
Wir haben uns von diesem Konzept augenblicklich weit entfernt mit einem öffentlichen Klima, in dem Wissenschaft zu einer Wahrheitsfabrik politisiert wurde, die keinen Widerspruch duldet, selbst wenn die alternative Sicht nur die zahlreichen Widersprüchlichkeiten und Unwahrheiten skizziert, die Teil des politischen und medialen Narrativs sind.
In dem Augenblick aber, hebt Arendt hervor, in dem dieses System für die Mitglieder des totalitären Systems offensichtlich wird und die Niederlage unmittelbar bevorsteht, werden diese schlagartig aufhören, an seine Zukunft zu glauben, und geben von einem Tag auf den anderen alles auf, wofür sie am Tag zuvor noch alles zu geben bereit waren.
Ein eindrucksvolles Beispiel einer solchen Aufgabe eines totalitären Systems über Nacht stellt die Weise dar, in der die meisten Apparatschiks in Ost- und Mitteleuropa sich zwischen 1989 und 1991 von in der Wolle gefärbten Karrierekommunisten in enthusiastische liberale Demokraten verwandelten. Sie verließen einfach das System, dem sie viele Jahre so gläubig angehört hatten und fanden ein alternatives System, dessen Umstände sie nun annehmen konnten. Daher hat, wie wir von den Schutthalden der Geschichte wissen, jede totalitäre Bemühung ein Verfallsdatum. Auch die gegenwärtige Version wird scheitern.
Entmenschlichung in vollem Gange
Während der mehr als 30 Jahre, in denen ich europäische Geschichte und die Quellen des Rechts und der Gerechtigkeit studiere und lehre, hat sich ein Muster herausgebildet, über das ich bereits 2014 unter dem Titel „Human rights, history and anthropology: reorienting the debate“ (Menschenrechte, Geschichte und Anthropologie: Zur Neuorientierung der Debatte) publiziert habe. In diesem Artikel beschrieb ich den Prozess einer „Entmenschlichung in 5 Schritten“ und wie diese Menschenrechtsverletzungen nicht generell von ‚Ungeheuern‘ begangen werden, sondern zu einem großen Teil von gewöhnlichen Männern und Frauen — mit der Hilfe der passiven, ideologisierten Massen —, die überzeugt sind, dass das, was sie tun oder woran sie teilnehmen, gut und notwendig oder doch wenigstens gerechtfertigt sei.
Seit März 2020 sind wir Zeuge der globalen Entfaltung einer ernsten Gesundheitskrise, die zu durch Regierungen, Medien und Gesellschaften auf ganze Bevölkerungen ausgeübtem beispiellosem Druck geführt hat, sodass sie weitreichenden und mehrheitlich verfassungswidrigen Maßnahmen zustimmen, die die Freiheiten der Menschen einschränkten und in vielen Fällen durch Drohungen und unangemessenen Druck ihre körperliche Integrität verletzten. Während dieser Zeit ist immer deutlicher geworden, dass man heute gewisse Tendenzen sehen kann, die einige Ähnlichkeiten zu der Art entmenschlichender Maßnahmen aufweisen, die totalitäre Bewegungen und Regimes regelhaft ergreifen.
Endlose Lockdowns, polizeilich durchgesetzte Quarantänen, Reisebeschränkungen, Impfzwänge, die Unterdrückung von wissenschaftlichen Daten und wissenschaftlicher Diskussion, Zensur in großem Umfang und der erbarmungslose Entzug von Plattformen sowie die öffentliche Schmähung von kritischen Stimmen sind durchweg Beispiele für entmenschlichende Maßnahmen, die in einem demokratischen und rechtsstaatlichen System keinen Raum finden dürften. Wir sehen auch einen Prozess, in dem ein bestimmter Teil der Bevölkerung zunehmend in die Peripherie verbannt und, wegen der Gefahr, die er für andere darstelle, als unverantwortlich und unerwünscht herausgestellt wird, mit der Folge eines graduellen Ausschlusses aus der Gesellschaft. Der Präsident der Vereinigten Staaten drückte im September 2021 in einer wichtigen, im Fernsehen übertragenen Rede pointiert aus, was das bedeutet:
„Wir waren geduldig, aber unsere Geduld geht langsam zu Ende. Und Ihre Weigerung hat für uns alle Kosten. Also bitte, tun Sie das Richtige. Aber hören Sie nicht auf mich; hören Sie auf die Stimmen ungeimpfter Amerikaner, die in Krankenhausbetten liegen, ihren letzten Atemzug tun und sagen: ‚Hätte ich mich nur impfen lassen. Hätte ich nur‘“ — Präsident Joe Biden, 9. September 2021.
Die fünf Schritte
Jene, die heute mit politischer Rhetorik hausieren gehen, und die „Geimpften“ gegen die „Ungeimpften“ oder umgekehrt in Stellung bringen, bewegen sich die brandgefährliche Straße der Demagogie hinab, was in der Geschichte nie gut geendet ist. Slavenka Drakulic bemerkt in ihrer Analyse dessen, was zu dem ethnischen Konflikt in 1991 bis 1999 in Jugoslawien geführt hat:
„(...) her analysis of what led to the 1991–1999 Yugoslav ethnic conflict, observes:‘ (...) mit der Zeit werden diese ‚Anderen‘ all ihrer individuellen Züge beraubt. Sie sind nicht länger Bekannte oder einen Beruf Ausübende mit einem besonderen Namen, besonderen Gewohnheiten, besonderer Erscheinung und besonderen Charakterzügen; stattdessen sind sie nurmehr Mitglieder der feindlichen Gruppe. Wenn ein Mensch in dieser Weise auf eine Abstraktion reduziert wird, dann darf man ihn hassen, denn die moralische Hürde ist bereits ausgeräumt.“
Betrachtet man die Geschichte solcher Regime, die schließlich in totalitäre Regime münden, und ihrer Kampagnen staatlich kontrollierter Verfolgung und Segregation, so ist es genau das, was geschieht.
Der erste Schritt der Entmenschlichung besteht in der Schaffung und politischen Instrumentalisierung von Angst und der resultierenden andauernden Ängstlichkeit der Bevölkerung: Die Angst um das eigene Leben und Angst vor einer spezifischen Gruppe in der Gesellschaft, die als Bedrohung betrachtet wird, werden ständig genährt.
Angst um das eigene Leben ist natürlich eine verständliche und vollkommen gerechtfertigte Reaktion auf ein potenziell gefährliches neues Virus. Niemand möchte unnötig erkranken oder frühzeitig sterben. Wir wollen uns kein garstiges Virus „einfangen“, wenn es sich vermeiden lässt. Wird aber die Angst erst einmal durch staatliche Institutionen und Medienunternehmen instrumentalisiert, um ihnen die Erreichung gewisser Ziele zu erleichtern, wie es beispielsweise die österreichische Regierung zugeben musste, im März 2020 getan zu haben, als sie die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Lockdowns überzeugen wollte, kann Angst zu einer mächtigen Waffe werden.
Auch hier analysiert Hannah Arendt scharf, wenn sie beobachtet:
„Totalitarismus ist niemals damit zufrieden, durch externe Mittel zu herrschen, namentlich durch den Staat und eine Maschinerie der Gewalt; dank seiner eigentümlichen Ideologie und der Rolle, die ihr in diesem Zwangsapparat zugewiesen ist, hat der Totalitarismus ein Mittel gefunden, Menschen aus ihrem Inneren heraus zu dominieren und zu terrorisieren.“
In seiner Rede am 9. September 2021 instrumentalisierte Präsident Joe Biden die normale menschliche Angst vor dem potenziell tödlichen Virus für politische Zwecke und fuhr damit fort, sie auf die Angst vor ‚ungeimpften Menschen‘ auszuweiten, indem er suggerierte, das diese per Definition nicht nur für ihren eigenen Tod verantwortlich seien, sondern potenziell auch für Ihren, da sie „unnötig“ Intensivbetten „belegen“. Auf diese Weise wurde ein neuer Verdacht und eine neue Angst hinsichtlich einer spezifischen Menschengruppe innerhalb der Gesellschaft etabliert, wegen dessen, was diese Ihnen oder Ihrer Gruppe antun könnte.
Die Erzeugung von Angst vor dieser spezifischen Gruppe verwandelt diese dann, ungeachtet aller Fakten, in leicht zu identifizierende Sündenböcke für das besondere Problem, dem sich die Gesellschaft gegenwärtig gegenübersieht. Eine Ideologie öffentlich gerechtfertigter Diskriminierung ist geboren, die auf einem Gefühl beruht, das in individuellen Menschen auftritt. Genau so begannen die totalitären Bewegungen, die sich in der jüngeren europäischen Geschichte in totalitäre Regime verwandelten.
Auch wenn dies hinsichtlich des Ausmaßes an Gewalt und Ausgrenzung mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts nicht vergleichbar ist, beobachten wir heute aktive angstbasierte Regierungs- und Medienpropaganda, die die Ausgrenzung von Menschen rechtfertigt. Zuerst wurden die „Asymptomatischen“, dann die „Maskenlosen“ und nun werden die „Ungeimpften“ als Gefahr und Last für die übrige Gesellschaft präsentiert und behandelt. Wie oft haben wir nicht von politischen Führern im Verlaufe der letzten Monate gehört, wir durchlebten die „Pandemie der Ungeimpften“ und dass die Krankenhäuser voll von ihnen seien:
„Beinahe 80 Millionen Amerikaner sind nicht geimpft. Und in einem Land, das so groß ist wie das unsere, ist das eine 25-Prozent-Minderheit. Diese 25 Prozent können eine Menge Schaden anrichten — und sie tun es. Die Ungeimpften überfüllen unsere Krankenhäuser, fluten die Notaufnahmen und Intensivstationen und lassen keinen Platz für jemanden mit einem Herzinfarkt, einer Bauchspeicheldrüsenentzündung oder mit Krebs“ — Präsident Joe Biden, 9. September 2021.
Der zweite Schritt der Entmenschlichung besteht in der weichen Ausgrenzung: Die Gruppe, die man zu Sündenböcken erkoren hat, wird von einigen — wenn auch nicht allen — Teilen ausgeschlossen. Sie werden noch als Teil der Gesellschaft betrachtet, aber ihr Status ist herabgestuft. Sie sind nur noch geduldet, während man sie gleichzeitig öffentlich beschimpft, weil sie anders sind oder handeln. Systeme werden installiert, die es den Behörden und folglich der Öffentlichkeit im Großen ermöglichen, leicht zu erkennen, wer jene ‚anderen‘ sind. Der „Green Pass“ oder der QR-Code erscheinen. In vielen westlichen Staaten vollzieht sich dieses Mit-dem-Finger-Zeigen augenblicklich, vor allem gegenüber den nicht gegen SARS-CoV-2 Geimpften, ohne Rücksicht auf verfassungsmäßig geschützte Erwägungen oder medizinische Gründe, deretwegen sich Individuen gegen den Erhalt dieser speziellen Impfung entscheiden mögen.
Beispielsweise war Österreich am 5. November 2021 das erste Land in Europa, das im höchsten Maße diskriminierende Restriktionen für die „Ungeimpften“ einführte. Diesen Bürgern wurde die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben versperrt; sie können nur zur Arbeit, in den Lebensmittelladen, zur Kirche oder spazieren gehen oder sich um klar definierte „Notfälle“ kümmern. Neuseeland und Australien haben ähnliche Einschränkungen verfügt. Es gibt zahlreiche Beispiele überall auf der Welt, wo Menschen ohne den Nachweis einer Coronaimpfung ihre Jobs verlieren und wo ihnen der Zugang zu einer Fülle von Etablissements, Läden und sogar Kirchen verwehrt wird. Es gibt auch eine wachsende Zahl von Ländern, die Menschen daran hindern, ohne ein Impfzertifikat ein Flugzeug zu betreten, oder die ihnen sogar explizit verbieten, Freunde zum Abendessen einzuladen wie in Australien:
„Die Botschaft ist, dass Sie sich impfen müssen, wenn Sie mit Freunden essen wollen und Menschen in Ihrem Haus empfangen wollen“ — Premierministerin von New South Wales Gladys Berejiklian, Australien, 27. September 2021.
Der dritte Schritt der Entmenschlichung, der meist parallel zum zweiten auftritt, vollzieht sich durch die dokumentierte Rechtfertigung der Exklusion: durch umfängliche Medienberichterstattung weit gestreute akademische Forschung, Expertenmeinungen und wissenschaftliche Studien werden verwendet, die Angstpropaganda und die Exklusion spezifischer Gruppen zu unterfüttern, zu ‚erklären‘ und ‚Beweise zu liefern‘, warum die Ausgrenzung notwendig sei zum ‚Wohle der Gesellschaft‘ und damit jeder ‚sicher‘ sei. Hannah Arendt merkt an, dass „die starke Betonung der ‚wissenschaftlichen‘ Natur ihrer Behauptungen seitens totalitärer Propaganda mit gewissen Werbetechniken, die sich ebenfalls an Massen richten, verglichen worden ist. (...) Wissenschaft ist im Falle sowohl der kommerziellen Werbung wie auch totalitärer Propaganda offensichtlich nur ein Surrogat für Macht. Die Besessenheit totalitärer Bewegungen von ‚wissenschaftlichen‘ Beweisen endet, sobald diese an der Macht sind.“
Der interessante Vorbehalt hier ist, dass die Wissenschaft natürlich oft in voreingenommener Weise benutzt wird, bei der nur diejenigen Studien präsentiert werden, die dem offiziellen Narrativ entsprechen, und nicht die wenigstens gleich große Anzahl von Studien, ungeachtet des Renommees ihrer Autoren, die alternative Einsichten und Schlussfolgerungen bieten und die zu einer konstruktiven Debatte und besseren Lösungen beitragen könnten. Wie zuvor erwähnt, wird hier Wissenschaft politisiert als Werkzeug, das zu unterstützen, wovon die Führer der totalitären Bewegung beschlossen haben, dass es die Wahrheit zu sein habe, sowie die Maßnahmen und Handlungen, die auf dieser Version der Wahrheit beruhen. Alternative Sichtweisen werden einfach zensiert, was YouTube, Twitter, Facebook und Konsorten, wie wir sehen, in beispiellosem Maße betreiben.
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind nicht mehr so viele namhafte und angesehene Akademiker, Wissenschaftler und Ärzte, einschließlich Nobelpreisträgern und für den Nobelpreis Nominierte zum Schweigen gebracht, ihrer Publikationsplattformen beraubt und aus ihren Positionen entlassen worden, nur weil sie nicht die offizielle oder ‚korrekte‘ Linie vertreten. Sie verlangen einfach nach einer soliden öffentlichen Debatte über die Frage, wie am besten mit der aktuellen Problemlage zu verfahren ist, und engagieren sich folglich in einer gemeinsamen Suche nach Wahrheit. Das ist der Punkt, an dem, wie wir aus der Geschichte wissen, die Ideologie des Tages nun formal verankert und zum Mainstream geworden ist.
Der vierte Schritt der Entmenschlichung besteht in hartem Ausschluss: Die Gruppe, die nun ‚erwiesenermaßen’ der Grund der Probleme der Gesellschaft und der Sackgasse ist, in der sie gegenwärtig steckt, wird anschließend aus der bürgerlichen Gesellschaft als Ganzer ausgeschlossen und wird rechtlos. Sie haben keine Stimme in der Gesellschaft mehr, weil man sie nicht mehr als Teile davon betrachtet. In der extremen Version haben sie keinen Anspruch mehr auf den Schutz ihrer Grundrechte. Im Hinblick auf die Coronamaßnahmen, die von Regierungen weltweit und in unterschiedlichem Maße verhängt worden sind, sehen wir an einigen Orten bereits Entwicklungen, die sich dieser vierten Phase zuneigen.
Auch wenn diese Maßnahmen in ihrer Reichweite und Strenge nicht mit denen verglichen werden können, die totalitäre Regime der Vergangenheit und der Gegenwart ergriffen haben, zeigen sie besorgniserregend totalitäre Tendenzen, die sich, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird, zu etwas weit Schlimmerem auswachsen könnten.
In Melbourne in Australien zum Beispiel wird ein euphemistisch benanntes „Center for National Resilience“ (Zentrum für nationale Widerstandskraft) demnächst fertiggestellt, als eines von mehreren solcher Zentren, das als dauerhafte Einrichtung fungieren wird, in der Menschen unter Zwang in Quarantäne gesperrt werden, wenn sie beispielsweise von Auslandsreisen zurückkommen. Die Regeln und Vorschriften für das Leben in solch einer, bereits existierenden Internierungseinrichtung in Australiens Bundesstaat Northern Territory erinnern beängstigend an die Lektüre George Orwells „1984“:
„Die Anweisung 52 des Chief Health Officer aus dem Jahr 2021 legt fest, was eine Person tun muss, wenn sie im Centre for National Resilience und in der Alice-Springs-Quarantäneeinrichtung unter Quarantäne steht. Diese Anweisung hat Gesetzesstatus — jeder Mensch in Quarantäne muss tun, was die Anweisung sagt. Folgt ein Mensch der Anweisung nicht, kann die Polizei des Northern Territory eine Anzeige erstatten und eine Geldstrafe verhängen.“
Der fünfte und letzte Schritt der Entmenschlichung besteht in der sozialen oder physischen Vernichtung. Die ausgeschlossene Gruppe wird gewaltsam aus der Gesellschaft ausgestoßen, entweder, indem jegliche Partizipation an der Gesellschaft verunmöglicht wird oder durch ihre Verbannung in Lager, Ghettos, Gefängnisse und medizinische Einrichtungen.
In den extremsten Formen totalitärer Regime, wie wir sie unter dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus gesehen haben, aber auch im ethnischen Nationalismus der Kriege des ehemaligen Jugoslawiens 1991 bis 1999; dies führt dann dazu, dass diese Menschen physisch vernichtet werden oder zumindest als diejenigen behandelt werden, die „nicht mehr menschlich“ sind. Dies wird leicht möglich, da niemand mehr für sie, die unsichtbar geworden sind, spricht. Sie haben ihren Platz in der politischen Gesellschaft verloren und damit jede Chance, ihre Rechte als menschliche Wesen einzufordern. Aus Sicht der Totalitären haben sie aufgehört, ein Teil der Menschheit zu sein.
Im Westen haben wir dieses finale Stadium und die daraus resultierende Entmenschlichung noch nicht erreicht. Dennoch spricht Hannah Arendt eine starke Warnung aus, dass wir nicht allein auf die Demokratie als ein ausreichendes Bollwerk gegen das Erreichen der fünften Stufe zählen sollten:
„Eine Rechtsauffassung, die das, was richtig ist, mit dem identifiziert, was gut ist für — für das Individuum oder die Familie oder die Leute oder die größere Zahl —, wird unvermeidbar werden, sobald erst einmal die absoluten und transzendenten Maßstäbe der Religion oder des Gesetzes der Natur ihre Autorität verloren haben. Und dieses Dilemma ist in keiner Weise gelöst, wenn die Einheit, auf die das ‚gut für‘ angewendet wird, so groß ist wie die Menschheit selbst. Denn es ist leicht vorstellbar und liegt sogar im Bereich praktischer politischer Möglichkeiten, dass eines schönen Tages eine hoch organisierte und mechanisierte Menschheit ziemlich demokratisch — nämlich durch Mehrheitsentscheidung — zu dem Schluss kommen wird, dass es für die Menschheit als Ganze besser wäre, Teile ihrer selbst zu liquidieren.“
Wie befreien wir uns selbst?
Die Geschichte gibt uns mächtige Leitlinien, wie wir das Joch des Totalitarismus’ abwerfen können, in welchem Stadium und in welcher Form er sich auch präsentieren mag — auch der gegenwärtigen ideologischen Form, die die meisten nicht einmal wahrzunehmen in der Lage sind. Wir können tatsächlich den Rückzug der Freiheit und den Beginn der Entmenschlichung stoppen. Mit den Worten George Orwells:
„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Wenn das gewährleistet ist, folgt der gesamte Rest.“
Wir leben in Zeiten, in denen genau das infolge des ideologischen Totalitarismus schwer bedroht ist, etwas, was ich damit zu illustrieren versucht habe, wie westliche Gesellschaften versuchen, mit der Coronakrise fertig zu werden, wobei Fakten allzu oft nicht zu zählen scheinen zugunsten einer Verankerung der neuesten ideologischen systemischen Orthodoxie. Das beste Beispiel dafür, wie die Freiheit zurückerlangt werden kann, ist die Weise, wie die ost- und mitteleuropäischen Völker die totalitäre Herrschaft des Kommunismus’ in ihren Ländern ab 1989 beendeten.
Es war ihr langer Prozess der Wiederentdeckung der Menschenwürde und ihr gewaltloser, jedoch beharrlicher ziviler Ungehorsam, die die Regime der kommunistischen Eliten und ihre Verbündeten des Mobs zu Fall brachten, indem sie die Wahrheitswidrigkeit ihrer Propaganda und die Ungerechtigkeit ihrer Politik ans Licht zerrten. Sie wussten, dass Wahrheit ein zu erreichendes Ziel ist, nicht ein für sich in Anspruch zu nehmendes Objekt, und dass sie folglich Demut und einen respektvollen Dialog verlangt. Sie verstanden, dass eine Gesellschaft nur frei, gesund und wohlhabend sein kann, wenn kein Mensch ausgeschlossen wird und wenn es stets eine echte Bereitschaft und Offenheit für einen soliden öffentlichen Diskurs gibt, den anderen zu hören und zu verstehen, ganz gleich wie verschieden seine Meinung und Haltung zum Leben sein mag.
Schließlich übernahmen sie wieder die volle Verantwortung für ihr eigenes Leben und für die Menschen in ihrem Umfeld, indem sie ihre Angst, ihre Passivität und ihre Opferhaltung überwanden, indem sie wieder lernten, für sich selbst zu denken und gegen einen Staat aufzustehen, dem seine Ermöglicher assistierten, die seinen einzigen Zweck vergessen hatten: jedem einzelnen Bürger zu dienen und ihn zu schützen — und nicht nur diejenigen, die er auswählt.
Alle totalitären Bemühungen enden stets auf dem Schutthaufen der Geschichte. Diese werden keine Ausnahme sein.
Christiaan W. J. M. Alting von Geusau ist ein niederländischer Rechtswissenschaftler. Von 1997 bis 2004 war er Rechtsanwalt in Amsterdam und Brüssel. Seit 2014 ist er Rektor und Professor für Rechtsphilosophie und Christliche Erziehung an der Katholischen Hochschule ITI im niederösterreichischen Ort Trumau.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Totalitarianism and the Five Stages of Dehumanization“ bei Brownstone. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.