Die Zärtlichkeit der Völker
45 Jahre nach dem sandinistischen Umsturz in Nicaragua fängt Petra Hoffmanns Dokumentarfilm „Ein Traum von Revolution“ aufflammende Solidarität und enttäuschte Hoffnungen ein.
Als die Sandinisten 1979 Diktator Somoza aus Nicaragua vertreiben, helfen Zehntausende junger Menschen aus aller Welt beim Wiederaufbau, um ihren Traum von einer gerechten Gesellschaft zu verwirklichen. Unter den Brigadisten ist auch die Studentin Petra Hoffmann. Die Realität in Form eines brutalen Contrakrieges, dirigiert von den USA, stürzt das arme Land immer mehr ins Chaos, bis auch aus Freunden Feinde werden. 45 Jahre nach der Revolution fragt Petra Hoffmann, was vom großen Traum geblieben ist. Die Filmbesprechung gewährt einen ebenso engagierten wie spannenden Einblick in den Zustand des Projekts Menschheit.
„The whole history of the United States in Latin America is one of destroying popular movements or crushing any move to independence and installing brutal and vicious dictatorships by which they keep the region under control“ — Noam Chomsky: Latin America. From colonization to globalisation (1).
„For the very first time ever
When they had a revolution in Nicaragua
There was no interference from America
Human rights in America
The people fought the leader and up he flew
With no Washington bullets what else could he do?“ — The Clash: „Washington Bullets“, 1980 (2).
Die US-amerikanische Zurückhaltung war von kurzer Dauer. Wäre The Clash’s 1980er-Album „Sandinista!“ nur ein Jahr später erschienen, hätte sich der Tenor dieser Strophe wohl an den vorausgehenden orientiert. Dort geht es um das terroristische Engagement, mit dem Uncle Sam missliebige Regierungen in Lateinamerika bekämpft, am Beispiel von Kuba und Chile.
Für die USA ist Lateinamerika nichts anderes als ein Rohstofflager (3). Und wer dem Revolverhelden-Imperium den Zutritt verwehrt, wird vernichtet. Als Ronald Reagan 1981 das US-Präsidentenamt vom vergleichsweise zurückhaltenden Jimmy Carter übernahm, setzte er alles daran, die Sandinistische Revolution zu zerstören. Völkerrechtswidrig, versteht sich. Wie immer, wenn die USA Krieg führen.
Zur moralischen Rechtfertigung ist ihnen keine Lüge zu dreist. Wie beim Angriffskrieg gegen den Irak, den die USA mit frei erfundenen Massenvernichtungswaffen legitimierten, log Reagan, Nicaragua würde die Grenze zu seinen Nachbarn nicht respektieren, und sorgte dafür, dass Nicaraguas nördlicher Nachbar Honduras genau das tat, was er Nicaragua vorwarf: Über die honduranische Grenze drangen US-finanzierte Söldner nach Nicaragua.
Trotz allem musste der US-Präsident inoffiziell operieren, der US-Kongress lehnte die Unterstützung der Contra ab. Also schickte Reagan die CIA, Uncle Sams Abteilung für die „dirty jobs“. „Es dauerte nur etwa drei Tage, um herauszufinden, was zu tun war. Wir sollten den Krieg nach Nicaragua bringen“, sagt CIA-Mann Duane Clarridge, von 1981 bis 1984 zuständig für Lateinamerika. Das erinnert fatal an das jüngst abgesonderte volksverhetzerische Statement eines ultrareaktionären CDU-Politikers: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden.“
Yes we can!
Petra Hoffmans Film beginnt mit den siegreichen Sandinisten, die auf Pick-ups durch die Straßen Managuas fahren, sich von der begeisterten Menge feiern lassen. Nicaragua 1979. Gespannt verfolgen die Menschen weltweit die Revolution in dem mittelamerikanischen Land — ganz ohne Internet und Social Media. Auch im kapitalistischen Westen weckt der Sturz von Anastasio „Tachito“ (4) Somozas Folter-Regime Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, auf eine Revolution, die sich nicht korrumpieren lässt.
„Die kleine Republik ist Projektionsfläche für unsere Träume. Ein besseres Kuba — ohne Befehle von oben und mit Basisdemokratie von unten“, sagt Dokumentarfilmerin und Erzählstimme Petra Hoffmann, die als Studentin Anfang der 80er-Jahre selbst mit einer Hilfsbrigade nach Nicaragua kommt, um dem ausgebluteten Land beim Wiederaufbau zu helfen.
Kaffee und Baumwolle ernten, Schulen, Kindergärten und Krankenstationen bauen. Alles mit einfachsten Mitteln.
45 Jahre später blickt Petra Hoffmann erneut auf Nicaragua, diesmal aus der Ferne. Daniel Ortega ist zwar immer noch — genauer gesagt wieder — Präsident, doch die Sandinisten sind nicht wiederzuerkennen.
„Ortega hat sich vom gefeierten Revolutionär in einen brutalen Diktator verwandelt, der nicht davor zurückschreckt, Demonstranten zu töten und ehemalige Kampfgefährtinnen einzukerkern.“
Eben deshalb ist es auch für die Filmemacherin gefährlich, nach Nicaragua zu reisen. Stattdessen landet sie in Costa Rica, Nicaraguas südlichem Nachbarn. Eine der Grenzen bildet der Río San Juan. Dessen ruhiger Flusslauf bebildert Petra Hoffmanns melancholischere Gedanken.
„Was ist aus den Hoffnungen und Träumen der nicaraguanischen Revolutionäre und ihrer europäischen Unterstützer geworden?“ und „Wie konnte es so weit kommen?“
Mission impossible?
Auf diese Fragen versucht die ehemalige Brigadistin Antworten zu finden. Einstige Mitstreiter kommen zu Wort, Frauen und Männer aus Nicaragua und Deutschland. Die Brigadisten Wolfgang Meier und Barbara Lucas. Und die Gesichter der Revolution: die Schriftstellerin Gioconda Belli, die Journalistin und Feministin Sofía Montenegro, die Guerillera und Historikerin Dora María Téllez, der Musiker und Komponist Luis Enrique Mejía Godoy. Sie alle waren Mitstreiter des Revolutionärs Ortega. Heute leben sie im Exil und sind erbitterte Gegner des Diktators Ortega.
Von Anfang an hat die Revolution einen schweren Stand. Die Regierungswechsel in den USA und Deutschland hin zu noch konservativeren bis reaktionären Kräften versagen Nicaragua nicht nur Hilfsmittel, sie unterstützen obendrein die Somoza-freundlichen Contra mit Waffen, Geld und Logistik. Ein andauernder Krieg ist eine schlechte Basis für den Aufbau eines Landes. Ein Großteil des Staatshaushaltes fließt in Waffen und Soldaten. Das kann nicht funktionieren. Es funktioniert schon nicht in reichen Ländern mit deutlich besserer Infrastruktur, etwa Deutschland, wo der paranoide und zerstörerische neue Rüstungsfetischismus gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Investitionen in Bildung, soziale Gleichheit, Gesundheit, Renten, Bahn und Umweltschutz verhindert. Zudem erlauben sich die Sandinisten gravierende Fehlentscheidungen, schaffen sich unnötig neue Feinde, darunter Teile der indigenen Nicaraguaner, die sie unter Zwang umsiedeln. Auch tief verwurzelte Altlasten wie der weit verbreitete Machismo erschweren eine Demokratisierung der Gesellschaft.
We the people
Eben das zeichnet diesen Film aus: Bei aller Leidenschaft für die Revolution wahrt die Filmemacherin ihren journalistische Distanz, sieht die Schwächen und Fallstricke des Projekts hinter dem revolutionsromantischen Schleier, hinterfragt die eigene Rolle:
„Auch ich bin tief enttäuscht und möchte alles hinschmeißen. Die Vision einer sozial gerechteren Gesellschaft ist ausgeträumt. Im Gegensatz zu den Nicaraguanern, in deren Heimat wir unsere Utopie projiziert haben, können wir unsere Rucksäcke packen und uns neuen Projekten widmen. Doch es bleibt die Frage, ob wir nicht an dem Punkt unsere Solidarität aufgekündigt haben, an dem unsere Partner sie am dringendsten gebraucht hätten, um wenigstens etwas von den Erfolgen der sandinistischen Ära zu retten.“
Andererseits ist die Solidarität beispielhaft. Eine Solidarität, wie sie auf nichtstaatlicher Ebene vermutlich keine anderes Land je erfahren hat.
Che Guevaras berühmtem Satz „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ wurde nie eindrucksvoller mit Leben gefüllt. Fünfzehntausend Brigadisten kommen alleine aus dem damaligen Westdeutschland, heißt es an einer Stelle. Dort gründen sich zudem in kürzester Zeit über 600 Solidaritätsgruppen und Städtepartnerschaften.
Viel mehr als virtuose Bilder sind es die charismatischen, mutigen Menschen: Sie machen diese Dokumentation, die selbst so viele Hindernisse (5) überwinden musste, zu einem so berührenden, tiefgründigen Blick auf die Träume von einer gerechten Welt und die menschliche Fähigkeit, sich angesichts von Leid von seiner besten Seite zu zeigen — und leider auch dessen Gegenteil, nämlich Machtgier und das Recht des Stärkeren, diesen American Way of Life, der einen verzweifeln lässt an dieser Welt, an unserer Spezies. Anhand von Nicaragua, dem kleinen Land in Mittelamerika, destilliert Petra Hoffmanns Film die Sehnsüchte und Abgründe unserer gesamten Zivilisation.