Die Würde des Menschen
Besinnen wir uns auf die Vorbilder in unserer Geschichte.
In den besonderen Momenten des Lebens fallen sie uns ein, dann, wenn wir uns berührt fühlen und versuchen, einen Sinn in den Ereignissen zu erkennen. Wir besinnen uns auf die, die uns vorangegangen sind, die Klassiker, die Vorbilder in unserer Geschichte. Was sagen sie uns heute, die großen Denker und Dichter, die, die nach Wahrheit gesucht und sich für Freiheit eingesetzt haben? Was würden wir ihnen antworten?
Les jeux sont faits — die Würfel sind gefallen. Wir sehen, wer dazu bereit ist, für die Verteidigung seiner Werte Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, und wer nicht. Wir alle hatten Gelegenheit, Position zu beziehen und zu zeigen, wo wir stehen: Vertraue ich der Gesundheitspolitik des Staates und den Leitmedien oder nicht? Bis tief in unsere Körper hinein greift der Abdruck unserer Überzeugungen und die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen: kontrolliert oder frei, dem Natürlichen oder dem Künstlichen verbunden, souverän oder versklavt?
Die Würde des Menschen besteht in der Wahl, schrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Welche Position würde er heute einnehmen? Wie würden sich die großen Denker, Poeten, Künstler, Freiheitskämpfer, auf die wir uns gerne beziehen, in dieser Situation verhalten?
Würden Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir einen Covipass bei sich tragen? Würde Albert Camus sich impfen lassen, wenn man ihm eine Prämie dafür bietet?
Hätte das Café de Flore im Pariser Saint-Germain-des-Prés den großen Intellektuellen den Eintritt verwehrt?
Geld oder Piks?
In Frankreich, dem „Land der Menschenrechte“, dürfen seit Anfang August nur noch Menschen mit Gesundheitspass am öffentlichen Leben teilnehmen. Cafés, Restaurants, Terrassen, Einkaufszentren, Museen, Konzertsäle, Kinos sind denen vorbehalten, die sich per QR-Code ausweisen können. Alle anderen müssen draußen bleiben. Eigens hierfür eingesetzte Kontrolleure stellen sicher, dass sich niemand einschleicht. Arbeitslose gibt es genug, die sich für diese Aufgabe hergeben.
Diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, verlieren ihre Arbeit. Ärzte, Pflegepersonal, Feuerwehrleute, Lehrkräfte, Handwerker, Angestellte im öffentlichen Dienst, in Gastronomie und Handel — so gut wie kein Berufszweig bleibt unangetastet von der — illegalen — Forderung, an einem genetischen Experiment teilzunehmen. Auch Sozialhilfeempfänger stehen auf der Liste derer, die nur noch bezahlt werden, wenn sie sich piksen lassen. Ab 1.1.2022 soll es eine allgemeine Impfpflicht geben. Die Höhe der Geldstrafen steht schon fest.
Wie hätte sich Coluche geäußert angesichts dieser Situation, der bis heute verehrte französische Humorist, der kein Blatt vor den Mund nahm und es gewagt hatte, 1981 zu den Präsidentschaftswahlen anzutreten? Würde man den 1986 bei einem mysteriösen Motorradunfall Verstorbenen als Verschwörungstheoretiker verlachen? Würde man Pierre und Marie Curie als Covidioten erniedrigen, wie man es heute mit dem Nobelpreisträger Luc Montagnier tut, oder sie von ihrer Arbeit entlassen, wie man es mit einem der weltweit führenden Infektiologen, Didier Raoult, getan hat, weil er nicht mit den Maßnahmen der Regierung Macrons einverstanden war?
Würde Che Guevara mit Maske die Jugendzimmer schmücken? Wäre sie aus weißer oder aus schwarzer Zellulose oder trüge er gar eine mit einem roten Stern? Würde Nelson Mandela sich freiwillig in die Isolation begeben? Hätte Mahatma Gandhi Demonstrationsverbote beachtet oder wäre er gar einverstanden gewesen mit Maßnahmen, die vor allem die Armen und Ärmsten treffen?
Spruch oder Sinn?
Heute zeigt sich, ob wir es ernst meinen mit den Ikonen unserer Geschichte und den sinnhaften Sprüchen, die sich so hübsch auf Grußkarten und im Poesiealbum machen. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Alles Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, wird da vielleicht der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry bemüht. Leben wir es oder meinen wir es hier ebenso ernst wie mit einem flotten Bleibe lustig, bleibe froh, wie der Mops im Paletot*.
Würde Heinrich Böll heute nicht mehr klagen: Es kam dann jene Hetzwelle, während derer u.a. Gäste sich bei einem Wirt beklagten, dass er uns überhaupt bediente? Würde Walter Benjamin sich auch heute aus Angst vor Verfolgung umbringen? Hätte Bertold Brecht heute Unrecht, wenn er schriebe: Die Erfindungen für Menschen werden unterdrückt, die Erfindungen gegen sie gefördert? Und: Eure neuen Maschinen mögen nur neue Drangsale bedeuten. Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschritt von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass euer Jubelschrei über irgendeine neue Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.
Wie stehen wir heute zu dem Ruf der Verzweiflung eines Wolfgang Borchert: Verantwortung ist doch nicht nur ein Wort, eine chemische Formel, nach der helles Menschenfleisch in dunkle Erde verwandelt wird. Man kann doch Menschen nicht für ein leeres Wort sterben lassen. Irgendwo müssen wir doch hin mit unserer Verantwortung. Die Toten — antworten nicht. Gott — antwortet nicht. Aber die Lebenden, die fragen? Werden am Ende, wie Martin Luther King ahnte, nicht die Worte unserer Feinde ausschlaggebend sein, sondern das Schweigen unserer Freunde?
Freiheit oder Knechtschaft?
Wie sieht es aus mit unserer Freundschaft, unserer Treue, unserer Integrität, unserem Mut?
Machen wir, wie Bob Dylan sang, letztlich nicht das, woran wir glauben, sondern das, was bequem ist, um es dann zu bereuen?
Welche Bedeutung hat die Freiheit für uns? Halten wir es mit Heinrich Heines Der Knecht singt gern ein Freiheitslied des Abends in der Schenke, oder setzen wir uns tatsächlich mit Hand, Herz und Verstand für sie ein? Verdienen wir die Freiheit letztlich nicht, weil wir sie für die Sicherheit aufgeben, wie Benjamin Franklin zu bedenken gab?
Erweisen wir heute Voltaire Ehre und seinem Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen? Erkennen wir in unserem Handeln Aldous Huxleys Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie. Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie? Halten wir es mit Willy Brandts Wo die Zivilcourage keine Heimstatt hat, reicht die Freiheit nicht weit? Sehen wir wie Jean Jacques Rousseau, dass keine Unterwerfung so vollkommen ist wie die, die den Anschein der Freiheit wahrt?
Erkennen wir den, der sagte: Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates.
Diese Worte stammen aus demselben Munde wie: Die brillanteste Propagandatechnik wird keinen Erfolg hervorbringen, wenn nicht ein grundlegendes Prinzip fortwährend im Kopf mitgetragen wird — es muss sich auf wenige Punkte beschränken und immer und immer wiederholt werden. Wie kaum ein Zweiter verstand es Joseph Goebbels, die Massen in die Irre zu führen, und bereitete damals das Feld für das, was uns heute mehr denn je stillhalten lässt: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten.
Man muss das Wahre immer wiederholen, gab Johann Wolfgang von Goethe uns mit auf den Weg, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von Einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist. Es sind die Massen, die darüber entscheiden, wo es langgeht, jeder Einzelne von uns. Nicht Diktatoren, so Georges Bernanos, machen Diktaturen, sondern die Menschen, die ihnen folgen.
Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße angenommen hat, schrieb Bertold Brecht. Und John Lennon: Ich glaube, wir werden von Wahnsinnigen gelenkt, zu einem wahnsinnigen Ende, und ich glaube, ich werde als Wahnsinniger eingesperrt, weil ich das sage. Das ist das Wahnsinnige daran. Man musste ihn nicht einsperren. Er wurde ermordet wie so viele andere, die nicht auf Sicherheit und Komfort setzten und für ihre Werte einstanden, auch wenn sie brüskierten.
Das Unmögliche versuchen
Welche Worte leiten euch in dieser gefährlichen Zeit?, fragte ich in den Redaktionen des Rubikon. Mit wem haltet ihr es? Albert Schweizer wurde zitiert: Ich bin ein freier Mensch. Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein. Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen — wenn ich es kann. Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten. Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt. Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden und Erfolg haben. Ich lehne es ab, mir den eignen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen.
Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs als die dumpfe Ruhe Utopiens. Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben. Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen: Dies ist mein Werk. Das alles ist gemeint, wenn ich sage: Ich bin ein freier Mensch.
Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen, schrieb Hermann Hesse und: Sie wussten nicht, dass es unmöglich war, also haben sie es getan Mark Twain. Ja, wir müssen es tun. Wir müssen herausfinden aus der Erwartungshaltung, dass andere etwas an unserer Lage verändern werden. Wenn wir aus diesem Grunde demonstrieren, dann haben wir nichts verstanden! Nichts wird sich von oben ändern, denn es gehört zur Natur der Sache, dass in macht- und profitorientierten Strukturen immer nur Krumen in die Massen geworfen werden, um sie zu besänftigen.
Die Menschen, die aktuell an den Hebeln sitzen, haben nicht das geringste Interesse daran, etwas von ihrer Macht abzugeben. Sie werden es nicht tun. Der Protest ist ihnen egal.
Das haben sie immer wieder gezeigt. Sie schüren die Glut, die uns gegeneinander aufbringt und uns zur Gewalt greifen lässt, denn Zerstörung ist der Treibstoff ihres Systems. Sie wissen, dass sie illegal handeln, sie wissen, dass sie das Rechtssystem gekapert haben, sie wissen, dass sie die Demokratie und die Menschenrechte mit Füßen treten. Wir müssen es ihnen nicht sagen. Sie werden uns nicht zurückgeben, was sie uns genommen haben. Wir müssen es uns selber nehmen.
Innere Revolution
Wer dem Spektakel ein Ende setzen will, der muss das Theater verlassen. Das sagt uns die Symbolsprache der „Anti-Covid-Maßnahmen“. Raus aus den Vorstellungen, raus aus den kulturellen, sozialen, politischen und pädagogischen Einrichtungen, in denen immer derselbe machtgeile Gaul zur Tränke getragen wird! Wir tun gut daran, das Narrenschiff zu verlassen, den verfaulten Institutionen den Rücken zu kehren, hinaus auf die Straße zu gehen und uns die Maske vom Gesicht zu reißen. Doch demonstrieren wir nicht, um zu fordern, dass andere etwas ändern sollen!
Wir sind es, die hier gefragt sind! Allein wir! Hören wir endlich auf damit, anderen die Arbeit zuzuschieben, und machen wir uns selbst daran zuzupacken. Übernehmen wir die volle Verantwortung für unser Leben! Machen wir uns klar, welche Firmen und welche Strukturen wir durch unsere Arbeit und unseren Konsum unterstützen, und ziehen wir Konsequenzen daraus. Wagen wir das Unbequeme. Lassen wir die Revolution in uns selbst stattfinden!
Alle politischen Revolutionen, so der indische Philosoph Osho, verwandeln sich am Ende in Anti-Revolutionen. Sobald die Revolutionäre an der Macht sind, werden Sie Anti-Revolutionäre. Macht ist antirevolutionär, das ist der innere Mechanismus der Macht. (...) Es hat viele Revolutionen in der Welt gegeben, und alle sind gescheitert, total gescheitert — keine einzige Revolution hat irgendetwas erreicht. Aber jetzt endlich wird das den Menschen bewusst.
Rebellion ist individuell. Du kannst alleine rebellieren, du brauchst dafür keine Partei zu gründen. Du kannst alleine rebellieren, ganz für dich allein. Merkt euch, Rebellion bedeutet nicht Kampf gegen die Gesellschaft, sie geht einfach über die Gesellschaft hinaus. Rebellion ist nicht antisozial, sie ist asozial. Sie hat mit der Gesellschaft nichts zu tun. Sie ist nicht gegen Sklaverei — sie ist für die Freiheit, für die Freiheit so zu sein, wie du bist. Schau dir dein Leben einmal an. Bist du ein freier Mensch?
Es gibt keine Poesie und keinen Gesang und keinen Tanz und keine Liebe und kein Gebet. Es gibt keine Ekstase. Freude? — ist nur ein Wort im Wörterbuch. Seligkeit? — ja, du hast davon gehört, aber du hast keine Ahnung davon. (...) Alles Schöne scheint bedeutungslos, und alles, was keine Bedeutung hat, erscheint als sehr, sehr wichtig. Der Mensch ist ständig damit beschäftigt, Geld zu scheffeln, und er bildet sich ein, dass er etwas äußerst Wichtiges tut. Die Dummheit der Menschen kennt keine Grenzen. Hüte dich davor. Sie kann dein Leben zerstören. Sie zerstört seit ewigen Zeiten das Leben von Millionen von Menschen. Sei wachsam — das ist die einzige Möglichkeit, aus der Dummheit herauszukommen.
Seien wir wachsam. Schauen wir hin. Suchen wir die Poesie, das Schöne, die Freude, die Freiheit. Öffnen wir uns. Lassen wir los, was nicht mehr gilt.
Begegnen wir einander. Entdecken wir im anderen, wer wir sind. Der Mensch wird am Du zum Ich, sagte der österreichisch-israelische Religionsphilosoph Martin Buber. Ohne die anderen können auch wir nicht sein. Pflegen wir die Verbindungen, sie sind das Wichtigste, was wir haben. Wählen wir. Nicht jemanden aus demselben Theater, sondern unsere ureigene innere Macht, den Dingen eine andere Richtung zu geben.
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