Die woken Schotten werden dichtgemacht
In Schottland wird unter Androhung empfindlicher Strafen das Aussprechen von biologischen Tatsachen kriminalisiert.
Wegen verletzter Gefühle rückt in Schottland nun die Polizei aus. Der am 1. April verabschiedete „Hate Crime Act“ liest sich wie ein Aprilscherz, stellt jedoch für die schottischen Behörden und Bürger eine bizarre Realität dar. Wer es ab jetzt wagt, beispielsweise auf die unleugbare Tatsache hinzuweisen, dass es nur zwei Geschlechter gibt, der fällt sehr schnell in das Raster der neu ersonnenen Delikt-Kategorie des „Hassverbrechens“. Die Alltagskommunikation wird zum rhetorischen Eiertanz. Einen Menschen mit dem falschen Pronomen ansprechen oder durch das Kundtun der eigenen Meinung jemandes Gefühle verletzen – das kann im Norden der britischen Insel sehr schnell sehr hart geahndet werden. Denunzianten stehen dadurch Tür und Tor offen, um mit der objektiv schwer überprüfbaren Behauptung, in den eigenen emotionalen Befindlichkeiten verletzt worden zu sein, unliebsame Mitmenschen anzuschwärzen. Bereits nach wenigen Wochen wurden derartige Anzeigen tausendfach auf den Polizeirevieren oder in dubiosen Meldestellen aufgegeben. Selbstredend muss für die schottische Polizei nun die Aufklärung echter Verbrechen hintanstehen. Doch gegen diese Entwicklung regt sich bereits Widerstand.
„‚Es gibt nur zwei Geschlechter‘ — eine Aussage, aber vier mögliche Auslegungen seitens der Polizei:
- Hat die Person eine wissenschaftliche Tatsache benannt?
- Hat sie ihre freie Meinung geäußert?
- War es eine Hassäußerung — nicht strafrechtsrelevant, kommt aber in die Personalakte?
- Oder war es ein Akt der Hasskriminalität — bis zu sieben Jahren Gefängnis?
Die Antwort kennt in Schottland seit dem ersten April niemand mehr. Denn nach dem neuen ‚Hate Crime Act‘ liegt eine Straftat dann vor, wenn sich ein Opfer subjektiv beleidigt oder abgewertet fühlt. Binnen der ersten 24 Stunden gingen 4.000 solcher Beschwerden bei der schottischen Polizei ein“ (1).
In Schottland gilt seit dem ersten April der „Hate Crime Act“ (2), wonach nicht nur wie bisher bedrohende, sondern auch abwertende oder beleidigende Äußerungen strafrechtlich verfolgt werden. Besonders geschützt sind Merkmale wie Rasse, Alter, Behinderung, Religion und Geschlechtsidentität.
Neu ist, dass Hass nicht mehr an objektiven Kriterien festgemacht wird, sondern am subjektiven Gefühl der Betroffenen. Hass-Kriminalität kann man entweder auf einer Polizeidienststelle anzeigen oder auch anonym in extra eingerichteten Anzeigezentren, unter anderem einem Sexshop in Glasgow oder einer Lachsfabrik in Berwickshire (3).
Die Polizei gab an, dass sie alle Meldungen verfolgen werde (4). In den ersten 24 Stunden gingen 4.000 solcher Strafanzeigen ein. Wie viele darüber hinaus anonym erfolgten, wurde nicht veröffentlicht.
Bevor du es merkst, hast du ein Hassverbrechen begangen
Begleitet wird die Einführung des Gesetzes von einer öffentlichen Werbekampagne, die ein rothaariges „Hassmonster“ zeigt, das sehr an eine Figur aus der Sesamstraße erinnert und angeblich „dieses Gefühl repräsentiert, das du bekommst, wenn du frustriert und wütend bist, und dann willst du es an anderen auslassen, um zu zeigen, dass du besser bist als sie. Und dann — bevor du es merkst — hast du ein Hassverbrechen begangen“ (5).
Rechtssicherheit gilt als eines der wichtigsten Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit (6). Sowohl Polizisten als auch Bürger sollten demnach wissen, was genau verboten ist. Das ist in Schottland nicht mehr der Fall. Niemand weiß mehr, was man sagen darf — im Zweifel wird das auch jeder Polizist anders handhaben.
Vor allem Frauenorganisationen wie „Sex Matters“ oder „Let Women Speak“ gehen auf die Barrikaden. In der Transdebatte versuchen sie, Männer aus dem Frauensport, den Frauengefängnissen, den Mädchenumkleiden und so weiter herauszuhalten. Doch Genderidentität ist jetzt besonders geschützt, Frauenrechte hingegen nicht. Darf man einen Mann in Schottland noch einen Mann nennen, wenn er behauptet, eine Frau zu sein? Und wie soll man für Frauenrechte kämpfen, wenn man dafür angezeigt werden kann?
Ist Misgendern (eine Person entsprechend ihrem Geschlecht und nicht entsprechend ihrer Geschlechtsidentität ansprechen) zum Beispiel ein Hassverbrechen? Darf man einen transidentifizierten Mann noch als „er“ benennen, auch wenn er/sie das nicht möchte? Diese Frage wussten Regierungsmitglieder in Interviews nicht zu beantworten. Es käme auf die Umstände an, sie hätten da volles Vertrauen in die Polizei. Ausschließen wollten sie es nicht (7).
Was ist erlaubt, was ist verboten? Und wo ist die Grenze?
Um Rechtsklarheit zu bekommen, haben am 1. April sowohl die Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling als auch die Frauenrechtlerin Helen Joyce provokante Tweets veröffentlicht (8). Dafür, so die Überlegung, würden sie garantiert von mehreren Transaktivisten angezeigt werden. Sie sind beide in einer Position, in der sie sich Rechtsbeistand leisten können; keine kann ihren Job verlieren. Unter dem neuen Gesetz hat die Polizei das Recht, die Handys und Computer der Angezeigten zu konfiszieren und eventuell mehrere Monate zu behalten. Für viele Menschen wäre so etwas eine Katastrophe, Rowling und Joyce dürften sich darauf vorbereitet haben. Da das Gesetz es nicht hergibt, sollen die Gerichte in Schottland entscheiden, welche Äußerungen noch erlaubt sind und welche nicht.
Sie wollten auch wissen, ob ihre Tweets von der Polizei als „Non-crime hate incident“ (NCHI), also eine Hassäußerung, protokolliert werden. Denn nach dem neuen Gesetz kann jede Meldung, auch wenn sie nicht im Ansatz strafrechtlich relevant ist, auch wenn sie anonym getätigt wurde, als NCHI registriert werden. Der Beschwerdeführer (das Opfer, wie es im Text heißt) muss dazu angeben, von einer Person in seinen Gefühlen verletzt worden zu sein oder gesehen zu haben, wie andere beleidigt wurden (9). Von solch einer Protokollierung erfährt der Angezeigte möglicherweise gar nicht. Nur wer eine offizielle Anfrage stellt, bekommt die vermerkten NCHIs mitgeteilt. Das kann zum Beispiel ein potenzieller Arbeitgeber sein.
In solch einer unklaren Situation werden sich vermutlich viele Menschen entscheiden, lieber den Mund zu halten. Und auch mit gehaltenem Mund Sorge haben, der Nachbar könnte bei einem Besuch im Sexshop angeben, er habe ihn einen rassistischen oder genderkritischen Witz erzählen hören.
J. K. Rowling listet in ihrem Tweet zehn aus verschiedenen Gründen notorische Mann-zu-Frau-Transsexuelle namentlich, die sie allesamt als Männer benennt. Helen Joyce listet Fakten, wie zum Beispiel, dass das Geschlecht eines Kindes mit der Zeugung bestimmt ist und nicht „bei der Geburt zugewiesen wird“. Dass sich das biologische Geschlecht nicht ändern lässt. Dass Frauen keinen Penis haben und ein Mensch mit Penis keine Frau ist. Und ähnliche Dinge mehr, die man zwar in Biologiebüchern finden kann, die aber von Translobbygruppen als Abwertung empfunden werden. Denn nach deren Auffassung ist jeder Mann, der erklärt, eine Frau zu sein, auch wirklich eine Frau.
Die Polizei Schottlands hat nun bekannt gegeben, dass sie diese Tweets nicht verfolgen wird. Gleichzeitig verfolgt sie aber den Tweet des Parlamentsabgeordneten Fraser. Sein Vergehen bestand darin, einen Beitrag auf X zu teilen, der den „nichtbinären Aktionsplan“ der schottischen Regierung verspottet und behauptet, dass es „genauso gültig ist, sich als nichtbinär zu identifizieren, wie sich als Katze zu identifizieren“. Warum wird Frasers Tweet anders gehandhabt als Rowlings? Weil er sich über die Regierung lustig gemacht hat? Fraser hat bekannt gegeben, dass er dagegen klagen wird. Die Unklarheit bleibt.
Das Verfahren ist die Strafe
Joyce hält das Testen vor allem deshalb für nötig, weil sich sonst niemand mehr trauen würde, irgendwelche genderkritischen Dinge zu sagen. Denn selbst wenn klar sei, dass man für Aussagen wie „ich lehne ab, dass Jungen in Mädchenduschen dürfen“ nicht hinter Gitter wandert — das Verfahren ist die Strafe. Vorladung bei der Polizei, Handy weg, Computer weg, Protokollierung, Rechtsanwaltskosten; selbst wenn nach zwei Jahren Rechtsstreit nichts übrig bleibt vom Hassverbrechen als ein Freispruch: Diese Prozedur will niemand freiwillig durchlaufen.
Eifriger Verfechter des Gesetzes ist der derzeitige schottische Ministerpräsident Humza Yousaf, der es noch in seiner Rolle als Justizminister verfasst hatte. Völlig unerwartet gingen in den ersten 24 Stunden mehr Anzeigen wegen Hassverbrechens gegen ihn ein als gegen J. K. Rowling. Die schottische Polizei hat bekannt gegeben, dass sie jeden Bericht untersuchen wird.
Sie werden jetzt allerdings „Kleindelikte“ wie Diebstähle nicht mehr verfolgen können. Wegen begrenzter Personalkapazität.
In Schottland blieben schon vor dem ersten April 80 Prozent der Einbrüche ungelöst, und die Anzahl der Vergewaltigungen erreichte 2022/23 einen neuen Höchststand. Doch jetzt steht erst mal die Untersuchung von verletzten Gefühlen an.