Die Werkbank der Welt

Die jahrelange Praxis des Westens, Chinesen als Billigarbeitskräfte einzuspannen, führte schließlich dazu, dass uns das asiatische Land überrundete.

Trotz aller Bemühungen, Chinas Fortschritte zu behindern, hat es mit dem Westen gleichgezogen. Donald Trumps Zölle sind der verzweifelte Versuch, eine Entwicklung aufzuhalten, die man selbst angestoßen und von der man auch profitiert hatte: die US-Industrie nach China zu verlagern.

Schwierige Informationslage

Wie es um China wirklich aussieht, ist für westliche Beobachter schwer nachzuvollziehen. Viele Berichterstatter ersaufen in Informationen, wissen aber oft selbst nicht, worauf es ankommt. So werden auch die Konsumenten von Nachrichten mit Daten und Informationen überschüttet. Aber was ist wichtig, um die chinesischen Zustände und Entwicklungen zu verstehen?

Wie es tatsächlich um die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse aussieht, wird dann oftmals nur anhand von politischen Entscheidungen deutlich wie die Sanktionen gegen chinesische Unternehmen, beispielsweise Huawei, China Mobile oder TikTok, oder nun Trumps Zollorgie. Manchmal werfen Meldungen überraschende Schlaglichter auf Chinas Wirtschaft und Entwicklung wie die jüngste Nachricht über die chinesische KI-Software deep seek. Ein bisher weitgehend unbekanntes Start-up brachte ein System auf den Markt, das in seiner Qualität führender amerikanischer KI-Software in Nichts nachsteht, aber mit einem Bruchteil an Kosten und Zeit hatte entwickelt werden können.

Ähnliche Erfolge konnten chinesische Unternehmen wie Huawei bei der Entwicklung moderner Chips erzielen. Nicht nur die Informationen sind oftmals verwirrend, die Deutungen sind es noch mehr.

Denn deutsche Fernsehzuschauer und Zeitungsleser erfahren wenig über das Denken und die Sichtweisen der Chinesen selbst, sondern nur das, was die westlichen Medien darüber berichten.

Diese Beeinflussung der öffentlichen Meinung zeigt Wirkung. Dennoch können die Tatsachen nur schwer übersehen werden: Trotz aller Einschränkungen und Behinderungen konnte der Aufstieg der chinesischen Wirtschaft nicht aufgehalten werden.

Heute ist das Land der führende Warenproduzent der Welt und hat besonders in modernen Technologien wie der alternativen Energiegewinnung, Batterietechnik, Kommunikationstechnologie, bei Elektrofahrzeugen und anderen dem Westen den Rang abgelaufen. China hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem rückständigen verarmten Land der Dritten Welt zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht entwickelt und all das unter der Führung einer kommunistischen Partei. Das läuft allem Denken und aller Propaganda zuwider, die über den Sozialismus verbreitet wurde. Der Konflikt mit China ist somit nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer.

Auferstanden aus Ruinen

Wie im russischen Zarenreich nach dem Ersten Weltkrieg so übernahmen die Kommunisten ebenso in China nach dem Zweiten Weltkrieg ein verwüstetes und in seiner Entwicklung rückständiges Land. Die kommunistischen Parteien waren die einzige politische Kraft, die nicht durch ihre Politik vor und während dieser Kriege bei der eigenen Bevölkerung in Misskredit geraten war. In Russland hatten sie nicht die Politik des Zaren unterstützt und nach dessen Entmachtung auch nicht die Fortsetzung des Krieges. In China hatten sie von Anfang an und unter hohen Opfern den Kampf gegen die japanischen Besatzer geführt. Nach ihren Siegen konnten sie den Menschen eine Perspektive anbieten für den Aufbau ihrer Länder, und der Sozialismus entsprach dabei den Vorstellungen vieler von einer gerechteren Welt.

Aber auch der weltweite Kapitalismus war durch die Kriege und die Niederlagen führender Mächte wie Deutschland und Japan geschwächt. So hatten die kapitalistischen Staaten den Sieg der Revolutionen in Russland und China nicht verhindern können. Und mit dem Vordringen des Sozialismus bis zur Adria und zur Elbe waren große Teile Europas ihrem Einfluss entzogen. Dennoch hatten sie bis weit in die 1970er Jahre nie ihre Versuche aufgegeben, den Sozialismus militärisch zu besiegen. Diese Strategie wurde erst aufgegeben mit den Niederlagen der USA in Südostasien.

In dieser Zeit und als Folge dieser Erkenntnis kam es zu einer Annäherung der USA an China.

Die USA wollten die Unstimmigkeiten zwischen der Sowjetunion und China zum eigenen Vorteil nutzen und einen Keil zwischen die beiden sozialistischen Staaten treiben. Peking öffnete sich westlichem Kapital, um die eigene wirtschaftliche Rückständigkeit zu überwinden.

Wenn heute Trump seine Zölle damit begründet, dass China die USA ausgenutzt und unfair behandelt habe, dann scheint ihm in seiner sehr eingeschränkten Sichtweise nicht bewusst zu sein, dass dieser Prozess von den USA ausgegangen und allein zum Vorteil der USA gedacht war.

Niemand hatte westliche Unternehmen gezwungen, in China zu investieren, am wenigsten die Chinesen selbst. Aber China war ein zu verlockendes Geschäft. Denn die Arbeitskraft in China war billig, die Arbeiter waren gut ausgebildet und arbeitswillig. In der Anfangszeit fanden ganze Produktionsverlagerungen von westlichen Unternehmen nach China statt. Teilweise wurden sogar Produktionsstätten im Westen abgebaut und in China wieder aufgestellt. Besonders in der Stahlindustrie vollzog sich diese Entwicklung, weil in China bereits eine Stahlproduktion vorhanden war, wenn auch auf sehr rückständigem Niveau. Die westlichen Unternehmen konnten also auf entsprechende Rohstoffe, Logistik und Arbeitskräfte zurückgreifen.

Es war nicht China, das den amerikanischen Arbeitern die Arbeitsplätze geklaut hatte, wie Trump und auch viele seiner Vorgänger es darstellten. Es waren die amerikanischen Unternehmer selbst, die Hochöfen abbauten, um sie in China wieder aufzustellen. Sie vernichteten die Arbeitsplätze der Stahlarbeiter in den USA. Die westlichen Unternehmen wollten die eigenen Produktionsbedingungen verbessern. Sie produzierten billig in China und exportierte die dort hergestellten Waren in erster Linie auf die Märkte des Westens.

Kapitalflucht nach China

Der chinesische Markt selbst war für westliche Unternehmen zu Anfangs nicht so bedeutend, denn er war zu jener Zeit noch kaum entwickelt. Die Einkommen waren niedrig, die Vermögen gering. Hier sollte billig produziert werden, um durch den Verkauf auf den westlichen Märkten die Gewinne zu vergrößern.

China war für die westlichen Unternehmen die billige Werkbank. Das hätte für sie auch so bleiben können, denn das System funktionierte bestens. Dass sich daneben der chinesische Markt allmählich entwickelte, war eine angenehme Begleiterscheinung, die aber so nicht beabsichtigt war, jedenfalls nicht von den westlichen Investoren.

Denen ging es um Profitmaximierung. Das haben westliche Politiker heute anscheinend schon vergessen. Der westliche Kapitalexport nach China war nichts anderes als eine Kapitalflucht, die die westlichen Regierungen selbst eingefädelt und ermöglicht hatten. Kapital wird nur dann exportiert und im Ausland angelegt, wenn seine Verwertungsbedingungen im eigenen Land schlechter sind als im Zielland. Die Märkte in den führenden Industriestaaten waren nach dem Aufschwung der Nachkriegszeit in den 1970er Jahren weitgehend gesättigt.

Die damalige Marktsättigung war überschrieben mit dem Begriff „Stagflation“. Die Produktion wuchs kaum noch, nur die Zinsen auf das Kapital stiegen, das für die Produktion eingesetzt werden musste. Obwohl die Preise für die Verbraucher immer weiter anstiegen, warf die Wirtschaft immer weniger Gewinn ab. Sie begann, in der Inflation zu versinken. In dieser Situation war China der Ausweg. Anfängliche Bedenken von Unternehmern, in einem sozialistischen Land das eigene Kapital Kommunisten anzuvertrauen, konnte die chinesische Regierung durch Investitionsschutzabkommen aus dem Weg räumen.

Ihr ging es nicht um die Bereicherung an westlichem Kapital, sondern in erster Linie um die Entwicklung der eigenen Wirtschaft. Der kommunistischen Partei war klar, dass es die Arbeiter sind, die die Werte in der Produktion schaffen.

Je höher deren technischen und organisatorischen Fähigkeiten entwickelt werden konnten, umso größer war die Wertschöpfung in der Produktion und damit der Vorteil für Gesellschaft und Staat. Das war ein anderes Denken als im Westen, wo der Beitrag der Arbeiter zur Produktion als weniger bedeutend angesehen wird als der von Kapital und Unternehmer.

Deshalb erlaubte die chinesische Regierung auch die weitgehende Rückführung der Gewinne der westlichen Unternehmen an die Konzernzentralen im Ausland. China profitierte auf andere Weise von den westlichen Investitionen. Das eingesetzte Kapital beschleunigte den Ausbau der Produktion und damit die Entwicklung des Landes. Damit aber Wirtschaft und Lebensstandard der Menschen nachhaltig wachsen konnten, bestand die chinesische Regierung nicht nur an Teilhabe an den Gewinnen, sondern vor allem auch an der Vermittlung von technischem Wissen, das die westlichen Unternehmen mitbrachten, aber ebenfalls in China selbst entwickelten.

Werkbank der Welt

Die Öffnung für westliches Kapital war für die chinesische Führung ein großes Risiko, brach sie damit doch ideologisch mit dem langjährigen Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung. Um das Risiko gering zu halten, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen unbeherrschbar werden könnten, wurden zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Westen Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen das neue Modell quasi „im Laborversuch“ getestet wurde.

In einem weiteren Schritt wurden zwischen westlichen und chinesischen Unternehmen Gemeinschaftsunternehmen in Form von Joint Ventures geschaffen. Das westliche Unternehmen bringt Kapital und Wissen ein, das chinesische die Arbeitskräfte sowie den Zugang zu Markt und die Einbindung in die Gesellschaft. Besonders in der Autoindustrie kam dieses Modell zur Anwendung. Industriezweige der chinesischen Wirtschaft sollten nicht alleine von westlichen Unternehmen kontrolliert werden, wie es damals in vielen Staaten der Dritten Welt der Fall war.

Darin hätte eine Gefahr bestanden für die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit der chinesischen Regierung.

Durch die Joint Ventures war der gewünschte Technologietransfer von westlichem Wissen an chinesisches Personal sichergestellt und auch die geistige Teilhabe der Chinesen an neuen Entwicklungen garantiert. Es war nicht mehr alleiniges Eigentum der westlichen Besitzer und Kapitalgeber wie sonst im Westen üblich.

Schon bald wuchs die Produktion in China so stark, dass chinesische Erzeugnisse immer stärker auf die Märkte der Welt drängten. Doch handelte es sich in der Anfangszeit dieser Entwicklung in erster Linie um die Produkte westlicher Unternehmen, die in China hergestellt worden waren. Den von Trump beklagten Schaden für die amerikanischen Arbeiter hatten amerikanische Unternehmern selbst verursacht.

Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung auf dem Weltmarkt und dem wachsenden chinesischen Wohlstand fand auch ein Wandel in der Produktion statt. Die Chinesen hatten viel gelernt in den westlichen Unternehmen und dieses Wissen begannen sie, zunehmend weiter zu entwickeln und für sich selbst zu nutzen. Immer mehr chinesische Produkte gehen inzwischen auf chinesische Urheberschaft und Entwicklung zurück.

Das war das Ergebnis der Wirtschaftspolitik der chinesischen Regierung, die auf einer Teilhabe an den geistigen Errungenschaften der Produktion bestanden hatte. Um die Jahrtausendwende war China zur Werkbank der Welt geworden. Aber es war immer mehr die eigene Werkbank, an der die Chinesen nun arbeiteten, und immer weniger die der westlichen Unternehmen und Investoren.