Die Welt verändern

Mit den Jahren durchlaufen viele Menschen einen Prozess politischer Desillusionierung. Man kann diese Dynamik aber abmildern, wenn man sich selbst treu bleibt.

„The times they are a-changin“, sang Bob Dylan in den goldenen Zeiten der politischen Rebellion. Wer in seiner Jugend die Welt verändern wollte, muss sich im fortgeschrittenen Alter oft eingestehen, dass die Welt eher ihn verändert hat. Und zwar nicht unbedingt zum Besseren. Entweder man hat sich angepasst und ist selbst zu einem Teil des Systems geworden, das man früher bekämpft hat — oder man pflegt eine Geisteshaltung der Verbitterung: „Es hat ja sowieso alles keinen Sinn.“ Die Autorin erzählt in diesem Beitrag von den frühen Jahren ihres journalistischen und umstürzlerischen Engagements — und sie stellt fest: Es ist noch etwas von dem alten Feuer übrig. Wie man es schafft, nach vielen Enttäuschungen dem Sog der Resignation zu entgehen? Zunächst muss man sich auf die kleinen Veränderungen im Alltag konzentrieren und selbst auch mithelfen, damit solche geschehen können. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es schon eine Leistung darstellt, bei erheblichem Gegenwind zwar vielleicht nicht „das Ökosystem“ oder „den Frieden“, aber doch immerhin sich selbst bewahrt zu haben. Ebenfalls wirksam ist eine Erkenntnis, zu der mitten im politischen Kampfgetümmel nur wenige fähig sind: Auch unsere Gegner sind Menschen. Ein Beitrag zum „Alt und Jung“-Spezial.

Ich hatte einige Jahre lang eine Postkarte auf meinem Kühlschrank kleben, darauf prangte der Spruch: „Wenn du jung bist, glaubst du, du könntest die Welt verändern. Wenn du alt bist, weißt du, du hättest es können.“ ChatGPT meint, der Spruch sei dem Autor und Journalisten Hans Habe zuzuordnen, verlässliche Quellen gebe es jedoch nicht über die Urheberschaft. Als ich mir damals die Postkarte auf den Kühlschrank pinnte, wollte ich mich jeden Tag daran erinnern, dass ich mit einer Aufgabe auf die Welt gekommen bin — nämlich daran mitzuwirken, die Welt zu einem schöneren und besseren Ort zu gestalten. Es ist Jahrzehnte her, und ich war damals jung und wollte auf keinen Fall im Alter mit leeren Händen dastehen und wissen, dass ich es hätte tun können — aber nicht getan habe!

Ich habe von 1980 an bei sogenannten Alternativ-Zeitungen mitgearbeitet, Artikel mit der mechanischen Schreibmaschine getippt, gemeinsam mit den längst verflossenen, teilweise schon verstorbenen Freunden Layout-Wochenenden mit Ausschneiden und Kleben und Rubbeln von Großbuchstaben verbracht.

Wie gesagt, wir waren jung und hatten einen Sponsor, „den ollen Werner“, der hat uns nach getanem Werk immer zum Essen eingeladen. Ansonsten saß er einfach dabei, hat uns zugeschaut und gelegentlich einen Spruch rausgelassen. Dann kamen die Computer und nahmen uns viel Arbeit ab; was vorher zehn Leute vollbracht hatten, das machten von nun an nur noch zwei. Das Erscheinungsbild unserer Zeitung wurde professionell — aber die Layout-Wochenenden und die Freunde verschwanden.

Die ersten Jahre steckten wir unsere Zeitung kostenlos in die Briefkästen im Dorf, finanziert von den Abos und den Anzeigen. Unser Trupp arbeitete natürlich umsonst, es machte ja Spaß — bis es eben irgendwann nicht mehr so viel Spaß machte und nur noch die Lust am Schreiben übrigblieb.

Ich schwelge gerade in Erinnerungen. Inzwischen bin ich selbst eine „olle Monika“ geworden. Was ist aus meinem Leitspruch geworden?

Ich meinte wirklich, ich könnte die Welt verändern. In meiner grenzenlosen Naivität glaubte ich, „die Welt“ — also die Politik — müsse nur eines Besseren belehrt werden, zum Beispiel was die Wirtschaftspolitik angeht oder vielmehr das Wirtschaftssystem.

Und das Finanzsystem. Und das Bildungssystem. Und das Gesundheitssystem und alle diese ineinander verschachtelten Systeme. Allen voran wohl das kapitalistische, gewinnorientierte Wachstumssystem.

Damit die Damen und Herren in der Politik verstehen, dass wir in einem tödlichen systemischen Netz gefangen sind, schrieb ich mir die Finger wund.

Die Damen und Herren aus der Politik hörten mich nicht. Sie sind quasi hörbehindert. Inzwischen hege ich den Verdacht, dass sie gar nicht hören wollen! Weil sie nämlich vom System profitieren.

Es ist ihnen egal, ob die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, ob unsere Kinder im Schulsystem unglücklich sind, ob Obdachlose sich die Hände und Füße abfrieren und so weiter und so fort. Ich konnte das in all den Jahren nicht ändern. Gleich welche Politiker gerade dran waren: Es war ihnen egal. Hauptsache, das System bleibt.

Dabei kann ich nicht einmal sicher sein, ob ich nicht selbst auch so eine geworden wäre, wenn es mir gelungen wäre, politische Karriere zu machen. Es ist mir nicht gelungen, Gott sei Dank! Meine Vorstellungen seien zu „visionär“, hieß es damals in den Anfangszeiten der Grünen, als diese Partei noch auf vier Säulen stand: gewaltfrei, sozial, basisdemokratisch und was war das vierte gleich wieder? Ach ja: ökologisch. Die letzte Säule, die ökologische, steht die noch? Alle anderen Säulen wurden dem Willen zur Macht geopfert. Unsere Außenministerin ist die größte Kriegstreiberin, die wir jemals im Außenministerium sitzen hatten. Gestern hat sie sogar den Einsatz von Landminen befürwortet — Lady Diana würde sich im Grab umdrehen. Zur Erinnerung: Lady Di setzte sich mit dem ganzen Gewicht ihrer Prominenz für die Ächtung von Landminen ein. Ich bin sprachlos vor Entsetzen. Und ich kann es nicht ändern.

Diese Ohnmacht!

Da ich die Welt da draußen mit meinen Möglichkeiten nicht ändern kann, habe ich mich mit zunehmendem Alter nach innen gewandt. Meine innere Welt, mich selbst kann ich ändern. Das ist übrigens auch leichter gesagt als getan. Es ist ein täglicher Kampf. Ich bin quasi eine Kriegerin geworden. Dabei geht es nicht darum, meine Meinung zu ändern. Ich bleibe Pazifistin, und ich finde nach wie vor, dass die Gemeinwohl-Ökonomie das bessere Wirtschaftssystem ist. Den eigenen Geist zähmen, das ist meine Herausforderung. Es bringt niemandem einen Vorteil, wenn ich mich dem Gefühl der Ohnmacht hingebe, der ich ja tatsächlich ausgeliefert bin.

Ja — ich habe keine Macht, um die Weltsysteme zu ändern gegen den Willen der Mächtigen. Sie wollen Krieg — also machen sie Krieg! Sie sitzen in ihren warmen Villen und geben per Mausklick Befehle, die Tausende Menschen töten, verletzen und ins Elend treiben.

Die Menschen sind ihnen egal. Die Tiere sind ihnen sowieso egal, und die Böden und Wälder, die verwüstet werden, sind ihnen erst recht egal. Ich verstehe das nicht. Aber so ist es.

Was kann ich also tun, um die Welt zu einem schöneren Ort zu gestalten? Ich kann nur meinen eigenen Geist zu einem schönen Ort gestalten. In meinem Geist soll Frieden herrschen! Das ist gar nicht so einfach, wenn der Nachbar über mir monatelang mit dem Presslufthammer seine Wohnung renoviert. Aber es ist möglich, mit der anderen Nachbarin wieder Frieden zu schließen, nachdem sie sauer auf mich war — und ich auf sie. Dem Nachbarn mit dem Presslufthammer geh ich vorerst lieber noch aus dem Weg. Aber wenn er mir begegnet, dann sage ich „Grüß Gott“. Er wird noch lange Zeit mein Nachbar bleiben, besser ich trage ihm das mit dem Presslufthammer nicht mehr nach.

In meinem Geist soll Freundlichkeit und Großmut herrschen. Das ist gar nicht so einfach, wenn ich um viel Geld betrogen werde. Aber es ist einfach, den Fremden, denen ich auf der Straße begegne, zuzulächeln. Freundlich eben. Und es ist einfach, den Kindern oder irgendwelchen Vereinen Geld zu schenken. In meiner Welt vermehrt sich Geld dadurch, dass ich es verschenke. Es kehrt immer wieder zurück. Ich weiß nicht genau, wie — aber es geschieht. Magie! Zauberei!

Wie werde ich dereinst in meiner Sterbestunde mit meinem Spruch dastehen? Werde ich mit leeren Händen vor mir selbst stehen — wissend, dass ich die Welt zu einem schöneren Ort hätte gestalten können, aber es nicht getan habe?

Vielleicht haben die Philosophen und die spirituellen Lehrerinnen ja recht, die sagen, es gibt nur die Welt, die in unserem eigenen Geist entsteht. Vielleicht ist wirklich die einzige Chance, die ich habe, meinen eigenen Geist in einen besseren Ort zu verwandeln.

Und ja, es gibt trotzdem da draußen die Welt, in der ein dementer US-Präsident die Macht hat, Landminen zu verkaufen und ihren Einsatz ausdrücklich zu erlauben. Und es gibt in mir eine Welt, in der ich versuchen kann, für diesen Wahnsinnigen zu beten. Das ist nicht einfach. Noch habe ich mich nicht dazu durchringen können. Aber der Mann scheint nicht zu wissen, was er da tut.

Da fällt mir eine Geschichte ein, sie spielte im Jahr 1983. Meine Güte, wie lang ist das her! Es war Herbst, und ich war bei einem 14-tägigen „Medicine-Gathering“ mit Medizinleuten aus Süd- und Nordamerika. Das Camp war voll mit uns jungen Leuten. Damals war gerade Ronald Reagan der mächtigste Mann der Welt, und der Kalte Krieg beherrschte die Politik der Abschreckung. Das geteilte Deutschland war ein einziges Waffenlager, und die Waffen waren auf uns gerichtet, hier wie dort. Das fühlte sich weiß Gott nicht gut an. Eines Abends forderte uns Don Eduardo, ein Nachkomme der Inka aus Peru, auf, für Ronald Reagan zu beten. Wir sollten uns vorstellen, wie Reagan in seinem Büro sitzt und wie wir ihm Wellen der Liebe schicken. Ich meldete mich zu Wort und gab zu bedenken, dass der gute Mann mein Feind sei, jemand, der mich und meine Liebsten massiv bedroht. Wieso sollte ich ausgerechnet für ihn Gefühle der Liebe aufbringen?

Aber Don Eduardo gelang es, mich zu überzeugen, dass Ronald ein Mensch sei, der sich insgeheim nach Liebe sehne und der ganz dringend von uns mit Wellen der Liebe geflutet werden sollte, damit der Hass und die Ignoranz aus seinem Herzen weichen können.

Das konnte ich einsehen, und wir gaben uns dann große Mühe mit der Meditation, die Don Eduardo anleitete. Wer weiß, vielleicht hat es geholfen. Denn rückblickend hat es dann nicht mehr so lange gedauert, bis der Kalte Krieg beendet war (1989), „nur“ sechs Jahre. Gedauert hatte er seit 1947, also über 40 Jahre, das war ein goldenes Zeitalter für Aktionäre der Waffenindustrie gewesen.

Ich schaue aus dem Fenster. Draußen das Gartenhaus der Nachbarin, mein Rosenstock, die Gartenbank. Wir haben keine Zäune zwischen unseren Gärten. Das hab ich mir früher immer gewünscht, dass es keine Zäune — und keine Grenzen — mehr gäbe. Wie heißt es in dem Lied von Dota so schön: Ich will einen Pass, wo Erdenbewohner drinsteht.

Da draußen in der Welt ist es noch ein weiter Weg bis dahin. Aber hier vor meinen Augen, in meinem, nein, in unserem Garten, da ist es gelungen. Immerhin. Es war gar nicht so schwer. Wir haben halt miteinander geredet. Und da stellte sich tatsächlich heraus, dass sowohl die Nachbarin zur Linken als auch die Nachbarin zur Rechten es schöner finden ohne Zaun. Und die restlichen Nachbarn haben es dann nachgemacht im Lauf der Zeit. So ist vor unser aller Augen im Kleinen ein großer Garten entstanden. Alle Nachbarn gestalten ihre Gärten nach den eigenen Schönheitsidealen; die Grenzbebauung braucht Absprache und bietet genug Raum, immer wieder den Frieden zu üben. Wie gesagt — ich führe einen täglichen Kampf mit meinem eigenen Geist, der zu einer gewissen Unduldsamkeit neigt und recht nachtragend sein kann.

Damit ich dereinst vor mir selbst einigermaßen aufrecht stehen kann, wandle ich jetzt den Spruch ein wenig ab: Als ich jung war, meinte ich, eine Welt ohne Zäune könnte möglich sein. Jetzt, wo ich alt bin, weiß ich: Es ist möglich!