Die Weigerung, sich zu gewöhnen

Gunnar Kaiser interpretiert den Corona-Hype als Wahn und Erziehung zur Unmündigkeit.

Es gibt Menschen, die sich erst in Zeiten äußerster Herausforderung zu ihrer vollen Größe aufzurichten scheinen. Gunnar Kaiser ist einer von ihnen. Seine Videobotschaften, Interviews und jetzt auch Bücher waren und sind Sumpfblüten inmitten eines unverstellbaren geistigen Morasts. Man möchte „Corona“ fast dankbar dafür sein, dass der Widerstand gegen den Irrsinn auch Denker wie ihn im stetig sich wandelnden Strom der Aufmerksamkeitsökonomie nach oben gespült haben. Seine klugen und zugleich menschlichen Zeitanalysen haben vielen geholfen, zu überstehen, wo gewinnen vorerst nicht möglich scheint. Gunnar Kaiser veröffentlichte unlängst im Rubikon-Verlag seinen Spiegel-Bestseller „Der Kult: Über die Viralität des Bösen“. Darin interpretiert er das Corona-Geschehen analog zu den Riten und Ideologien einer Sekte, die es geschafft hat, die Weltgesellschaft so großflächig zu infizieren, dass der Wahn mittlerweile als „Normalität“ angesehen wird. Brillante Gesellschaftskritik, psychologische Tiefenanalyse, kulturhistorischer Weitblick, scharfzüngige Angriffe auf Meinungsgegner und ein hohes Maß an persönlicher Integrität: Das neue Buch enthält alles, was man an Gunnar Kaiser zu schätzen gelernt hat — und mehr.

Was wäre Gunnar Kaiser ohne seinen Namen? Um diesen macht der Philosoph und Video-Blogger einen ziemlichen Kult. „Du, du, du sollst der Kaiser meiner Seele sein“, schmettert der Tenor Joseph Schmidt zum Ende jeder Ansprache und jedes Interviews des als Corona-Oppositioneller zu Ruhm gekommenen ehemaligen Lehrers. Zur Begrüßung erklingt natürlich Johann Strauß‘ „Kaiserwalzer“.

Unter dem irritierenden Titel „Der Kaiser ist nackt“ moderierte Gunnar — anständig bekleidet — ein weiteres Video. Und in Anlehnung an den großen Musikkritiker Joachim Kaiser gab es „Kaisers Klassiker“. Um den Werbespruch der Hamburg Mannheimer, „Guten Tag, Herr Kaiser“, zu kennen, ist der YouTube-Influencer vielleicht ein bisschen zu jung. Und die „Kaisermania“ überließ er seinem berühmten Namensvetter Roland Kaiser.

Was also wäre Gunnar Kaiser ohne seinen Namen? Sehr viel. Der Mann könnte auch Hinz oder Kunz heißen, seine Beiträge waren und sind exzellente Statements zum Zeitgeschehen. Im Grunde wären die Corona-Jahre ohne seinen rhetorisch brillant vorgetragenen Widerspruch noch viel schwerer zu ertragen gewesen. Wenn Kaiser spricht, macht einem seine schiere geistige und rhetorische Überlegenheit — gemessen an seinen intellektuell schmalbrüstigen Gegnern — Mut.

Irgendwann, so glaubt man für Momente, müsste sich das so Offensichtliche und so gut Vorgetragene doch im öffentlichen Raum durchsetzen, und all die katzbuckelnden Höflinge eines vollkommen freiheitsvergessenen Regimes müssten verstummen. So weit ist es auch im Jahr 3 dieses Generalangriffs auf unsere Bürgerrechte und unseren gesunden Menschenverstand bisher nicht gekommen. Aber der Kaiser-Zuschauer findet sich inmitten all der politischen Trostlosigkeit seltsam getröstet, allein durch die Tatsache, dass da einer ist, der die Dinge ähnlich empfindet wie er selbst, dies aber noch viel besser und in flüssiger Sprache ausdrücken kann.

Beharrliches Entsetzen

„Ich wundere mich, dass ihr euch nicht wundert“, überschrieb Gunnar Kaiser eine seiner Videoreden im März 2021. Darin enthüllte er für diejenigen, die es noch nicht wussten, einen erschütternden Sachverhalt: An Schulen wurden Kinder zwangsweise einem Schnelltest unterzogen — täglich oder zweitägig. Lehrer wurden als Tester rekrutiert. Die Testergebnisse, die schnell einsehbar waren, wurden der ganzen Klasse bekannt gemacht. Für positiv Getestete entstand somit eine Situation der Beschämung, die Mobbing provozieren konnte. Lehrer mussten die Delinquenten sofort „isolieren“. Kinder gingen so täglich mit der Angst vor Krankheit und Ausgrenzung in die Schule. „Folter“ nennt das Gunnar Kaiser. Und er hat auch eine Botschaft für die „Pädagogen“, die sich für dieses perfide System einspannen lassen: „Pfui!“

Ist dies überhaupt bemerkenswert? Ist es nicht inzwischen zur puren Selbstverständlichkeit geworden in einem Hygiene-Deutschland, das sich ganz den Denkvorgaben seiner Spritzenpolitiker ergeben hat? Das eben ist am Gesamtwerk Gunnar Kaisers bemerkenswert: dass er sich konsequent weigert, sich zu gewöhnen, sich abzufinden mit dem Abscheulichen. Wenn man sich gewöhnt hat, ist das Aufgeben nicht mehr weit.

So spricht auch aus Kaisers Buch „Der Kult“, erschienen im Rubikon-Verlag, das immer wie frisch wirkende, offenbar nie ausbleichende Entsetzen darüber, was aus Deutschland auf der Basis eines leidlich funktionierenden demokratischen Gemeinwesens binnen kurzer Zeit werden konnte.

Aus der Erinnerung an das, was vor dem ungeheuren disruptiven Angriff auf unseren Verstand gewesen ist, kann Widerstand wachsen, der immer damit beginnt, dass es jemand geschafft hat, sich selbst zu bewahren. Und wenn er der letzte Mensch ist in einer Welt, in der sich alle Mitbürger Stück um Stück in Nashörner verwandelt haben — um auf Eugène Ionescos auch von Kaiser zitiertes Theaterstück anzuspielen.

„Ich mach da nicht mehr mit“

Vernunft ist eben, worauf George Orwell hinwies, nicht allein eine statistische Frage. Allein im Wald Maske zu tragen, ist dumm, und es ist krank. Der Widerstand kann damit beginnen, dass wir uns weigern, den Grundsatz aufzugeben, dass 2 plus 2 vier ergibt, auch wenn noch so oft und so penetrant behauptet wird, dass das Ergebnis 5 sei. Darum auch ist wichtig, was Gunnar Kaiser so glänzend versteht: an die großen Dichter und Denker der Vergangenheit zu erinnern. Hannah Arendt und Dietrich Bonhoeffer, Erich Fromm und Jürgen Habermas, Franz Kafka und Michel Foucault.

Wenn „Intellekt“ richtig verstanden wird, dann ist sein Verlust identisch mit dem Niedergang von Humanität und Herzensintelligenz. Gunnar Kaiser ist ein Vielzitierer, der seine Leser durch Bildungsgut jedoch nicht auf Distanz halten, ihnen vielmehr die bis heute gültigen Erkenntnisse der Großen nahebringen will. Sein Werk ist anspruchsvoll, aber unbedingt von der Art, die den Dranbleibenden für seine Lesegeduld belohnt.

Tatsächlich zog Kaiser auch in seinem persönlichen Leben die Konsequenzen aus seiner Schulkritik und schmiss seinen Brotberuf als Lehrer hin. Er konnte nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, wie Kinder im Schulsystem behandelt werden.

„Es kommt der Moment im Leben eines jeden Menschen, an dem er sich fragen muss: Soll ich bleiben oder gehen? Wenn die roten Linien immer näher rücken, muss man sich zudem vergegenwärtigen, welche Konsequenzen man ziehen will. Die Grundfrage lautet: Kannst du etwas im System verändern — oder verändert das System vorher dich?“

Kaiser war mit dem Aufbau eines zweiten beruflichen Standbeins schon gut vorangekommen, hatte sich einen Namen als Publizist und Internet-Influencer gemacht. Leicht wird ihm dieser Sprung in den Abgrund dennoch nicht gefallen sein — nicht wissend, ob der Gleitschirm trägt.

Die Freuden der Pflicht

Denn auch wenn Kaiser gut im Austeilen ist — mit dem Florett selbstverständlich, nicht mit der Keule —, immer wieder scheint durch, dass er als Mensch verletzlich ist und verletzt wurde: durch die unqualifizierten Angriffe und Anfeindungen der Mitläufer, durch schieres Unverständnis und interessengeleitete Diffamierungsroutinen. Immer wieder lässt er auch die Kaisergegner zu Wort kommen, um sie in einem imaginären Wettstreit zu widerlegen.

Seine große Wunde ist vor allem das fast vollständige Versagen seiner eigenen Zunft, der Intellektuellen, in der Coronakrise. Ein Absturz ohne gleichen, der in Richard David Prechts „Von der Pflicht“ und dessen Versuch einer Rehabilitierung selbstverschuldeter Unmündigkeit an seinem vorläufigen Tiefpunkt angelangt war.

Intellektuelle nämlich müssen nicht nur „anspruchsvoll“ schreiben, sie sollten auch geistig wie menschlich gewissen Mindestansprüchen genügen.

„Intellektuelle existieren nicht einfach so — sie bewegen sich in kritischer Distanz zur Macht, sie handeln nach dem eigenen Gewissen und wollen ihre geistige Arbeit als eine Art Korrektiv verstanden wissen, vielleicht sogar, erneut in aller Bescheidenheit, als einen Versuch der Weltverbesserung.“

„Der Kult“ beginnt mit einer an Erich Fromm wie an Immanuel Kant erinnernden Abrechnung mit der Mentalität der Freiheitsflüchtigen.

„Die Mentalität des Massenindividuums aber ist Ergebenheit. Welch willkommene Gelegenheit für die Nachfahren der Aufklärung, die Last der Mündigkeit abzustreifen und sich des eigenen Verstandes wieder unter Anleitung zu bedienen, sich endlich der Faulheit und der Feigheit hinzugeben und mit bestem Gewissen die Freuden der Denunziation und der Ausgrenzung von Gesinnungsdissidenten und Impfabweichlern genießen zu dürfen.“

Man sieht, dass der Philosoph mit seinen Gegnern nicht immer freundlich umgeht, dass er sie seziert und angreift, wie es nur jemand kann, der sich aus gutem Grund von so viel Geistesniedrigkeit persönlich gekränkt fühlt. Der Autor selbst bezeichnet das auch als „Verzicht auf ein gesamtgesellschaftliches Publikum“. Gemeint ist wohl: Die Lektüre ist nicht jedermanns Sache, denn gefühlt vier Fünftel unserer Mitbürger können sich wohl nicht an derart spitzzüngiger Kritik ergötzen, weil sie selbst die Kritisierten sind.

Intellektuelle Unredlichkeit

Der Vorwurf ist schlicht kollektives Versagen im Angesicht einer zwar anspruchsvollen, jedoch mit etwas Verstand und gutem Willen durchaus bewältigbaren Herausforderung.

„Wer hier nicht aufschreit und ‚Wehret den Anfängen‘ ruft, kann nicht länger für sich in Anspruch nehmen, er sei gegen die Aufopferung des Individuums für das Gemeinwohl. Gegen Anpassung, Autoritätshörigkeit und Konformismus.“

Dies gilt im Besonderen für diejenigen, die es aufgrund ihres gut trainierten Denkvermögens eigentlich besser wissen müssten:

„Die Intellektuellen haben versagt. Mehr noch, sie haben die freie Gesellschaft verraten. Sie spielen eine gewichtige Rolle bei der Implementierung der Neuen Normalität und der Legitimierung gegenüber dem Bürger, sodass dieser von der Macht des Kults ergriffen werden konnte.“

Wenn das die Klügsten des Landes sein sollen — so könnte man schlussfolgern —, möchte man die Dummen lieber nicht kennenlernen. Die, die heutzutage als große Denker gelten, beschränken sich und ihre bedauernswerten Leser nämlich auf ein an Dürftigkeit nicht mehr zu überbietendes Ideologieangebot. Ihr Oeuvre gipfelt in Erkenntnissen wie „Der Staatsbürger soll seine Pflicht erledigen“, „In der Demokratie muss man gehorchen und darf Gesetze nicht hinterfragen“ oder „Die Wissenschaft hat immer Recht“.

Dabei kann die Freiheit, nach der sich so viele sehen, nur eine umfassende sein, die nicht davon abhängt, von Autoritäten „gewährt“ oder „verweigert“ zu werden. „Wenn der Zweck partieller Freiheit die Erhaltung genereller Unfreiheit ist, ist sie nichts wert.“

Dabei ist es entscheidend, zu verhindern, dass neue, scheinbar unbezwingbare Autoritäten über die Werte der Demokratie und der Bürgerrechte gestellt werden. Diesbezüglich waren die Entwicklungen der Corona-Jahre desaströs.

„Nicht mehr der Mensch, die Gesellschaft, das Volk, das Gemeinwesen entscheiden in dieser Demokratie über die Belange, sondern ein anonymes Virus, eine Krankheit, eine Epidemie — oder auch, ganz im Sinne der Technokratie: das, was die Technik ermöglicht und verlangt.“

Immer auch ist der technische „Fortschritt“ in Kaisers Denken eng mit dem politischen Rückschritt in finstere Zeiten des Despotismus und der Glaubensdiktatur verzahnt:

„Gehorchen, Befolgen, Aushalten — in dieser unheiligen Trinität schlägt sich die Technokratisierung der Politik auf den Bürger nieder. Dieses Programm ist nicht weniger als eine Erziehung zur Unmündigkeit.“

Die Ewigmorgigen

Mit seiner Kritik am Transhumanismus schlägt Kaiser zugleich den Bogen von den großen Denkern der Vergangenheit hin zu den politischen und philosophischen Herausforderungen der nahen Zukunft. Es ist eben diese Dekonstruktion des Neuen aus dem Geist des Bewährten und Zeitlosen heraus, die auch für mich heute eine der größten philosophischen Aufgabe darstellt. Nicht alles Moderne muss pauschal „dämonisiert“ werden, der mündige Mensch sollte sich aber stets das Recht ausbedingen, einen Neuerungsvorschlag notfalls zu verwerfen.

Man nennt dies auch methodischen Zweifel, eine Denkweise, die im transhumanistischen Hurra-Gebrüll untergegangen zu sein scheint — und zwar tragischerweise sogar unter den Wissenschaftlern, bei denen zweifeln eigentlich zum Job gehört.

Kaiser nennt diese Geistesheroen auch in Anlehnung an ein Schiller-Zitat die „ewigmorgigen Intellektuellen“. Ihr Schlachtruf ist „‚Vorwärts!‘ — immer her mit der schönen neuen Weltordnung.“ Statt also im Sinne von Christian Lindners auch sprachlich betörendem Diktum „Digital first, Bedenken second“ voranzupreschen, sollte sich der aufgeklärte, sensible Denker lieber mit Roger Scruton „Hesitate!“ auf die Fahnen schreiben.

Das Wort „Corona“ verwendet Gunnar Kaiser gar nicht so oft. Es hilft bei der Lektüre aber, ein gutes Gedächtnis zu haben und die Ereignisse der Jahre 2020 und 2021 bewusst erlebt und erlitten zu haben.

Auf vieles wird nur angespielt, ein Leser, der zwei Jahre ohne Internetanschluss und Medien-Input allein im Wald gelebt hat, täte sich schwer, den Schilderungen zu folgen. Dabei ist „Der Kult“ zugleich ein Werk, das in die Tiefe geht und „Corona“ vielleicht besser überdauern kann als andere Bücher zum Thema, die sich fleißig an Inzidenzzahlen und Lauterbach-Zitaten abarbeiten. Kaiser nämlich enthüllt nicht nur, was geschieht, sondern auch, warum es geschieht. Vieles was er schreibt, bleibt schwer beweisbar, ist aber intuitiv gut nachvollziehbar.

„Die Maßnahmen sind nämlich tatsächlich auch ein Test. Getestet wird dabei die Immunität von Gesellschaften gegenüber totalitären Bestrebungen.“

Die normative Kraft des Irrationalen

Und warum „Der Kult“? Hier hält sich Kaiser nicht viel mit Analogien der Art „Das Sagrotan-Spray am Eingang gleicht dem Weihwasserkessel in der Kirche“ auf. Vielmehr spürt er auch hier den tieferen strukturellen Parallelen zwischen Corona-Geschehen und religiösem Kult nach, versteht das Festhalten am „Mainstream-Narrativ“ im Sinne eines radikal sektiererischen Irrationalismus, der mit steigender Absurdität des Behaupteten an Kraft nicht verliert, sondern im Gegenteil gewinnt.

„Je mehr die Menschen die Rituale und Symbole der Erzählung in ihrem Alltag integriert haben, desto selbstverständlicher wird ebendiese Erzählung, bis sie letztlich als eine von vielen konkurrierenden Erzählungen verschwindet und somit unsichtbar und unangreifbar wird.“

Denn es gilt:

„Die Anhänger der Erzählung müssen eine so immens große psychische Kraft zur Verteidigung aufwenden, dass sie sich noch mehr mit dem Verteidigten identifizieren. Je mehr psychische Energie man erbringen muss, um sein Weltbild gegen Fakten zu behaupten, desto mehr identifiziert man sich mit dem, dem man sich einmal verschrieben hat.“

Dem allgegenwärtigen Flachsinn begegnet Kaiser mit der Kraft des pointierten Bonmots, sodass die Lektüre durchaus auch vergnüglich sein kann — wenn auch eher im Sinne einer düsteren Erkenntnisglut, erhellend und gerade darin quälend zugleich. „Wenn du dich normal fühlst, dann nur deswegen, weil du nicht gründlich genug getestet wurdest“, karikiert der Autor etwa die Manie seiner Gegner, uns alle unter dem Vorwand der Gesundheitsvorsorge gleichsam in die Krankheit hineinzureden. Oder: „Wer mit seinem Widerstand und seiner pflichtgemäßen Entpflichtung wartet, bis die Diktatur sich offen und für alle merklich zeigt, der kommt sicherlich zu spät.“ (Wobei schon der Begriff „Entpflichtung“ den passionierten Precht-Leser verrät.)

Das Geheimnis der Unverwandelten

Gibt es Hoffnung? Sie liegt auch hier bei den (wenigen), die es geschafft haben, zu widerstehen: „Warum bleiben einige unverwandelt? Warum wird eine Gesellschaft nicht in Gänze von einem Massenwahn ergriffen?“ Die Betreffenden „werden durch ein Gefühl geleitet, das in ihnen eine Wiedererinnerung auslöst“. Der Impuls zum Aufbruch kann daraus entstehen, dass Opfer einer verhängnisvollen Entwicklung damit aufhören, die Täter partout verstehen zu wollen — wie man es oft bei Kindern missbrauchender und gewalttätiger Eltern feststellen kann.

Es beginnt mit dem Zorn und der Traurigkeit darüber, „dass uns niemand geholfen hat und dass die, die dafür verantwortlich gewesen wären, ihrer Aufgabe und Pflicht nicht nachgekommen sind, weil sie feige waren und ängstlich“. Die Gegenwehr beginnt „mit dem oft nur halb eingestandenen Bewusstsein, dass man ein Recht darauf hat, eine eigene Sicht auf die Dinge zu haben und sein Leben auf seine Weise führen zu wollen.“

Gunnar Kaiser skizziert in seinem Schlusskapitel „Refugium“ auch einen möglichen Ausweg aus der Misere. Wie kaum ein anderer prominent gewordener „Corona-Skeptiker“ hatte der Lieblingsphilosoph der anspruchsvollen YouTube-Gemeinde den Mut, eigene Ratlosigkeit einzugestehen. Ratlosigkeit im Angesicht eines Ozeans von Ignoranz, der — durch Argumente scheinbar nicht zu irritieren — gegen die wenigen Inseln der Vernunft anbrandet. Er habe es aufgegeben, das verstehen zu wollen, sagte er in einem seiner Videos. Es gebe Rätsel, vor denen man kapitulieren müsse, um am Verstehen-Wollen nicht zu verzweifeln. Zum Glück resignierte Kaiser nie wirklich, arbeitete sich auch im fortgeschrittenen Stadium des unfassbaren Geschehens tapfer an diesem ab.

Der Ruf des Abenteuers

Aber er trug sich mit Aussteigerplänen. Statt „If you can’t beat them, join them“ war sein Motto: „Wenn du sie nicht besiegen und überzeugen kannst, versuche ihnen wenigstens zu entfliehen.“ Auch diese Perspektive ist nicht ohne Hoffnung, denn sich selbst überlassen und bis zum Durchdrehen rotierend, kann das System früher oder später kollabieren.

„Ein wahnhafter Kult muss immer von sich selbst aus in sich zusammenbrechen. Von außen kann er nicht beendet werden. Doch er wird enden, auch wenn es in den dunklen Nächten der Seele nicht so erscheinen mag. (…) Worauf es in der Zwischenzeit ankommt, ist, nicht zu siegen, sondern zu überstehen. Aber es geht nicht um das reine Überstehen und Überleben, sondern darum, jetzt und hier ein gutes Leben zu schaffen.“

Richtig betrachtet, kann man nämlich auch diesem ganzen zermürbenden Wahnsinn etwas abgewinnen, indem man gerade das Herausfordernde daran in eine Art „Call to adventure“ umdeutet.

„Wir sind dazu aufgerufen, unsere Situation als Ruf des Abenteuers zu erkennen, das darin besteht, Inseln der Freiheit, der Lebendigkeit und der Resonanz aufzubauen, die von einem anderen Menschenbild geprägt sein werden als dem, das uns die Misere beschert hat.“

Kein Zweifel, wir sind reif für die Insel. Und unter den Büchern, die man gern dorthin mitnehmen würde, steht Gunnar Kaisers „Der Kult“ sicher ganz oben auf der Liste.


Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch, Hörbuch oder E-Book.


Stimmen zum Buch

„Wer die Überzeugung hat, Politiker strebten ein totalitäres System (an), muss zu Kaisers Buch greifen. Wer seine Angstlust animieren oder steigern möchte umso mehr. Ruhigere Gemüter können, müssen aber nicht zuschlagen, doch verpassen etwas bei der Nicht-Lektüre. Schließlich ist eine Sonnenfinsternis ein phänomenales Naturspektakel.“
Deborah Ryszka, Journalistin

„Gunnar Kaiser gelingt es dank großer intellektueller Neugier und der Fähigkeit, komplexe Themen zugänglich zu machen, (...) Faszination für philosophische und gesellschaftspolitische Fragen zu vermitteln.“
Otfried Höffe, Professor für Philosophie

„Gunnar Kaiser ist ein Visionär unserer Zeit. Sein großes Engagement für die Neuorientierung unserer Gesellschaftskultur ist beispielhaft.“
Roland Ropers, Religions- und Kulturphilosoph

„Gunnar Kaiser (...) lädt zum eigenständigen Denken ein und ist mir immer wieder ein tiefgreifender Anker in schwierigen Zeiten.“
Linus Roth, Professor für Violine

„Gunnar Kaiser macht Philosophieren sexy.“
Nina Proll, Schauspielerin und Sängerin

„Gunnar Kaiser ist ein Mensch, der philosophiert, kein Philosoph, der menschelt.“
Markus Böker, Schauspieler