Die Waldrettung
Am 6. Oktober für den Hambacher Forst demonstrieren!
Der Hambacher Forst ist von ursprünglich mehr als 4000 Hektar auf rund 200 Hektar geschrumpft. Das vielfältige Ökosystem könnte ein Stück Paradies auf Erden sein, wenn es nicht den winzigen Schönheitsfehler besäße, dass es sich im rheinischen Kohlerevier befindet und unter ihm Braunkohle liegt. Nun soll der letzte Rest dieses Waldes abgeholzt und dem Braunkohleabbau „geopfert“ werden. Zu diesem Zweck hat der Konzern RWE alle Mittel der Staatsgewalt organisiert, um die Bewohner aus dem Wald zu treiben. Grundsätze des Rechtsstaates wurden dabei nicht selten ignoriert und die Methoden entbehren jeglicher Verhältnismäßigkeit. Dass die Landesregierung NRW so geschlossen hinter RWE steht, liegt wohl auch an der vielfältigen Verflechtung zwischen dem Konzern und der Politik. Noch ist der Wald nicht verloren, doch für seinen Erhalt wird jeder Einzelne gebraucht.
Seit 2012 wohnen Aktivisten in selbstgebauten Baumhäusern, um sich für den Erhalt des Waldes sowie für einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle einzusetzen. Schon 2017 stoppte ein Gericht nach kurzer Zeit den Rodungsversuch des Energiekonzerns RWE. So erhielt die Hoffnung neue Nahrung, der Wald würde doch noch verschont. Diese wurde auch geschürt, als die Bundesregierung im Sommer 2018 eine Kohlekommission einsetzte.
Doch die Hoffnung währte nur bis zum 13. September 2018. Unter einem massiven Aufgebot von bis zu 4000 Polizisten, denen etwa 150 Waldbewohner gegenüberstehen, begann RWE an diesem Tag damit, die Baumhausdörfer zu räumen, um Mitte Oktober mit den Rodungsarbeiten beginnen zu können.
Damit sollen Fakten geschaffen werden, bevor die Kohlekommission eine Entscheidung fällen kann, welche die Profitinteressen des RWE gefährdet.
Offizielle Begründung für die Räumung war der mangelnde Brandschutz der Baumhäuser. Diese juristisch kreative Erklärung nutzte man dazu, die Bewohner aus ihren Häusern zu vertreiben und die Häuser abzureißen. Das ist nur folgerichtig, denn wenn es keine Häuser mehr gibt, können sie auch nicht mehr brennen. Konsequenter kann Brandschutz kaum sein. Dass nicht wenige der Hütten über Feuerlöscher verfügten, hielt die Polizei nicht von einer Räumung ab.
Notdürftig wurden weitere Erklärungen erfunden, wie zum Beispiel das Fehlen von Rettungswegen in den Baumhausdörfern. Rettungswege und Brandschutz in einem Wald, der ohnehin gerodet werden soll, erscheinen als abenteuerliche, vorgeschobene Begründungen, die so durchschaubar sind, dass sie den zuständigen Beamten eigentlich peinlich sein müssten.
Doch das genau ist das Problem an der ganzen Angelegenheit. Juristisch gesehen ist RWE, zumindest auf den ersten Blick, vollkommen im Recht. Der Konzern hat das Waldstück in den siebziger Jahren gekauft, um die Braunkohle abzubaggern. Jedoch gibt es kein Recht des Konzerns auf unbegrenzte Rodung des Waldes und wahlloses Abbaggern. Die für dieses Jahr angesetzte Rodung müsste „betrieblich notwendig“ sein, was bedeutet, dass sie für den Betrieb des Tagesbaus unerlässlich sein müsste. Es ist jedoch zweifelhaft, dass dies überhaupt der Fall ist.
Doch auch wenn der Konzern das Recht auf seiner Seite hätte, heißt das noch lange nicht, dass sein Handeln auch richtig ist. In den vergangenen vierzig Jahren hat die Menschheit viele Erkenntnisse über den Klimawandel und die Notwendigkeit der Artenvielfalt hinzugewonnen, hat mehrere Klimaabkommen geschlossen und sich dazu bereit erklärt, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. In einer solchen Zeit, in der erneuerbare Energien längst schon Realität und erschwinglich geworden sind, an einer veralteten Technologie festzuhalten und einen 12.000 Jahre alten Wald zu roden, offenbart den ganzen Wahnsinn der herrschenden Ideologie.
Noch dazu ist Braunkohle unter allen fossilen Energieträgern der ineffizienteste. Sie ist so ineffizient, dass die dazugehörigen Kraftwerke direkt am Tagebau errichtet werden müssen, weil anderenfalls die für den Transport benötigte Energiemenge größer wäre als der Energiegewinn aus der Kohle.
Doch der Konzern versteckt sich hinter Rechtstiteln und Verträgen, um seine eigentlichen Interessen durchzusetzen. Dabei geht es nicht allein um die Gewinne einiger Aktionäre. Obwohl der Aktienkurs von RWE seit Beginn der Räumungsarbeiten im freien Fall ist, hält der Konzern an seinem Handeln fest. Vielleicht hoffen die Verantwortlichen, dass der Aktienkurs wieder steigt, sobald der Wald gerodet ist und die Kohle verstromt wird. Das scheint allerdings von untergeordneter Bedeutung zu sein.
RWE hat alle seine anderen Sparten bereits in zahlreichen Tochterfirmen ausgegliedert. So ist zum Beispiel die Konzerntochter Innogy ganz den erneuerbaren Energien gewidmet, deren Ausbau RWE lange verschlafen hat. Der Mutterkonzern RWE ist nur noch für den Abbau und die Verwertung der Braunkohle zuständig, was darauf hindeutet, dass der Konzern, sobald der letzte Krümel Braunkohle verfeuert und der letzte Euro mit dem Tagebau verdient ist, in den geordneten Konkurs gehen soll.
Wenn es also nicht um den Profit alleine oder die Aktienkurse geht, was sonst ist der Antrieb für das Handeln des Konzerns? Zunächst einmal stellt RWE mit seinem Vorgehen gegen jede Vernunft eines unter Beweis: seine Macht. Der Konzern hat faktisch volle Handlungsfreiheit in allem, was er tut, und wird dabei von der Landesregierung unter Armin Laschet und insbesondere dem Innenminister Herbert Reul (beide CDU) willfährig unterstützt. Das Argument der Arbeitsplätze wird dabei, wie immer, wenn es darum geht, Konzerninteressen zu rechtfertigen, vorgeschoben, um das Handeln zu schönzureden und einen Ausstieg aus der Kohle hinauszuzögern.
Legalisierte Korruption
Auch über die Beeinflussung der Politik macht der Konzern seinen Einfluss geltend. Viele Gemeinden in NRW halten Anteile an dem Unternehmen und in den zahlreichen Regionalbeiräten sitzen unzählige Politiker von kommunaler bis Bundesebene. Kritiker bezeichnen die Sitzungen der Regionalbeiräte als „legalisierte Korruption“ und sprechen dabei nur aus, was in ganz Deutschland längst Realität ist.
Doch neben dem Machtbeweis geht es beim Hambacher Forst auch noch um etwas anderes. Den Aktivisten im Wald ist es innerhalb der letzten 6 Jahre gelungen, eine kleine Gesellschaft aufzubauen, die vollkommen im Gegensatz zum herrschenden System steht. Hier stehen nicht Machtausübung, Unterdrückung und Hierarchien und auch keine Kapitalinteressen im Vordergrund, sondern das gemeinschaftliche und solidarische Zusammenleben und damit das Leben einer Utopie.
Das kapitalistische System, das auf vollständiger Hegemonie aufgebaut ist, kann solche Alternativen nicht dulden, auch wenn sie in noch so abgeschiedenen Regionen entstehen. Das Risiko ist schlicht zu groß, dass sich der Funke zu einem Flächenbrand ausweitet, dass die Idee einer gleichberechtigten, nicht auf Wachstum und Zerstörung basierenden, dafür aber freien Gesellschaft zu starken Widerhall findet. So schließen sich die Eliten zusammen, um das für alternativlos erklärte System mit aller Gewalt zu verteidigen.
Denn die Gewalt im Hambacher Forst ging nicht vornehmlich von den überwiegend friedlichen Demonstranten aus. Eine Armee aus 4000 Polizisten, herangekarrt aus allen Bundesländern, ist seit dem 13. September damit beschäftigt, die Bewohner mit Hebebühnen, Kletterpolizisten, Räumpanzern, Wasserwerfern, Hundestaffeln und roher Gewalt aus ihren Hütten zu vertreiben. Dabei fallen Sätze wie: „Lass‘ los oder ich brech‘ dir die Finger“ oder „Lauf, sonst tut es weh“. Demonstranten, die in beeindruckender Zahl anreisten, um Straßen zu blockieren und Barrikaden zu errichten, wurden mit brachialer Gewalt und Schlagstöcken niedergeknüppelt und durch Pfefferspray handlungsunfähig gemacht.
Dabei ist der Protest in weit überwiegendem Maße friedlich. Dank Initiativen wie „Aktion Unterholz“ beschränkt sich der Protest auf den Bau von Barrikaden und vielfältige bunte Aktionen. Dennoch setzen die Herrschenden alles daran, den Protest zu kriminalisieren, sprechen von „autonomen Gewalttätern“, denen es nur darum gehe, die „Grundfesten der Demokratie“ zu zerstören, und präsentieren als angebliche Beweise Zwillen und Munition, die zu diesem Zweck aus den Asservatenkammern der Polizei ausgegraben wurden, wo sie schon seit Jahren verstauben. Des Weiteren wurden harmlose Gegenstände wie Farbtuben umdefiniert zu Materialien zum Bau von Molotowcocktails.
Hier offenbart sich der ganze Wahnsinn des Systems. Eine hochgerüstete Polizei prügelt auf friedliche Demonstranten ein, die sich für den Erhalt eines Waldes und damit für das Leben einsetzen, und beschimpft diese als autonome Gewalttäter.
Zur Kriminalisierung des berechtigten Protestes kommen auch Lügen gerade recht.
Zudem hat die Polizei den Ort kurzerhand zum „gefährlichen Gebiet“ erklärt und sich damit größere Befugnisse im Vorgehen gegen Demonstranten zugesprochen. So ist es ihr nun erlaubt, anlasslos Taschen und Autos zu durchsuchen sowie Personalien aufzunehmen. Dies dient sowohl der Abschreckung als auch der Beschlagnahme von Baumaterialien, die viele Demonstranten zum Bau von weiteren Hütten oder Barrikaden in den Wald mitbringen.
Von Anfang an war das Presseaufgebot vor Ort massiv; die Räumung wurde medial begleitet. Dabei wurde die Presse allerdings immer wieder in ihrer Arbeit behindert. Teilweise schickte die Polizei die Medienvertreter so weit von dem Geschehen weg, dass sie es gar nicht mehr verfolgen konnten. Dies ist nur folgerichtig, ist es den Beamten so doch möglich, die Demonstranten ungestört zu malträtieren – Das Resultat waren Sitzstreiks der Journalisten, die sich in ihrem Grundrecht auf freie Presse eingeschränkt sahen. RWE und die Polizei machen also auch vor dem Grundgesetz nicht Halt.
Dabei hat die Gewerkschaft der Polizei schon zu Beginn der Räumungsarbeiten verlautbaren lassen, dass sie die Entscheidung zur Räumung des Hambacher Forstes für eine krasse politische Fehlentscheidung hält. Trotzdem vollstreckt sie die Konzerninteressen von RWE und macht sich damit zum Handlanger der Privatwirtschaft.
Unterstützung erhält der Konzern auch aus Teilen der Bevölkerung, aber nicht (allein) von Angestellten des RWE, deren Unterstützung man noch verstehen kann. So erheben in diesen Tagen auch solche Menschen ihre Stimme, die ansonsten keinen allzu großen Respekt vor dem Rechtsstaat haben. Sie argumentieren mit dem Recht des RWE auf die Räumung. „Wird doch wieder aufgeforstet“, sagen sie und offenbaren damit ihre Ignoranz vor dem Leben und ihr Unwissen darüber, was einen Wald eigentlich ausmacht.
Ein Wald ist mehr als ein paar nebeneinanderstehende Bäume. Ein Wald ist ein komplexes Ökosystem, in dem alle Lebewesen in einem feinen Netz aus Wurzeln, Pilzen und Mikroorganismen miteinander in Verbindung stehen. Diese Verbindungen entstehen in Jahrtausenden und machen den Wald erst lebendig (1). Zudem speichert ein alter Wald ungleich viel mehr Kohlenstoffdioxid als ein frisch gepflanzter Forst. Um die Menge CO2 zu speichern, die der Hambacher Wald bereits eingespeichert hat, müsste man eine viel größere Fläche aufforsten. Addiert man dann noch die Menge an CO2 hinzu, die durch die unter dem Wald liegende Kohle emittiert wird, benötigte man ein Waldstück, das 13.000 mal größer sein müsste als der jetzige Wald.
Darüber hinaus sterben bei der Rodung seltene Tierarten wie die vom Aussterben bedrohte Bechsteinfledermaus. Um deren Ansiedlung zu verhindern, streifen während der Räumungsarbeiten Biologen durch den Wald und verschließen die zahlreichen Baumhöhlen, die den Tieren als Lebensraum dienen. Hier stellen sich Wissenschaftler, die das Leben erforschen sollten, in den Dienst des Großkapitals, um Leben zu vernichten. Und ob das Argument, man wolle die Fledermäuse durch Grünstreifen in die neu aufgeforsteten Gebiete locken, überhaupt funktioniert, muss bezweifelt werden.
Man mag argumentieren, dass das bisschen Wald als Kohlenstoffspeicher nicht sonderlich ins Gewicht fällt. Das ist jedoch ein Irrglaube. Allein die Nachricht, dass die Klimaziele des Pariser Abkommens, die Erwärmung des Planeten auf 2°C zu beschränken, nicht erreicht werden, sollte dieses Argument entkräften.
Auch der trockene Sommer in diesem Jahr hat gezeigt, dass wir uns bereits in einem Stadium des Klimawandels befinden, das jeden Baum, jeden Quadratzentimeter Humus oder Moor notwendig macht, wollen wir das Überleben der Menschheit auf lange Sicht garantieren. Darüber hinaus ist jedes Lebewesen, ob Baum, ob Mensch, ob Tier, das dem kapitalistischen Wahnsinn zum Opfer fällt, ein Verlust. Wie innerlich abgestorben muss ein Mensch sein, der den massenhaften Mord einfach hinnimmt?
Am Hambacher Forst offenbart sich somit die ganze Heuchelei der Bundesregierung, die nach außen als Vorreiter in Sachen Klimaschutz auftritt, andere Staaten ermahnt, die Klimaziele zu achten, sodass Merkel bereits zur „Klimakanzlerin“ ausgerufen wurde – während im Inneren der Abbau von Braunkohle mit der gesamten Staatsgewalt durchgeprügelt wird.
Wälder sind zudem auch abseits vom Klimawandel für den Menschen von erheblicher Bedeutung. Ohne Wälder würde es schon 600 Kilometer von den Küsten entfernt nicht mehr regnen (2). Auch vor diesem Hintergrund ist die diesjährige Dürre der gesamten Nordhalbkugel wenig verwunderlich.
Größenwahn
Von Größenwahn zeugen auch die Pläne des RWE, den Tagebau nach Beendigung des Kohleabbaus zu fluten. Das Loch ist bis zu 500 Meter tief. Dieses Gebiet zu fluten würde erfordern, die Hälfte des Rheinwassers für die nächsten 50 Jahre umzuleiten. Selbst dann entsteht hier kein lebendiger See, sondern ein totes Gewässer, da die Metalle und Schwermetalle, die RWE über die Jahre freigelegt hat, Leben in diesem Gewässer für lange Zeit unmöglich machen. Die Frage, ob RWE nach seinem Konkurs dafür überhaupt noch Kapazitäten haben wird, ignoriert man dabei geflissentlich. Im schlimmsten Fall bleibt am Ende nichts weiter zurück als ein tiefes Loch voller Abraum und Schwermetalle.
Jeder Mensch, der das Handeln einer korrupten Elite aus Aktionären, Konzernvorständen und Politikern rechtfertigt, macht sich also zur Schutzstaffel der zerstörerischen herrschenden Ideologie der Profitmaximierung und propagierten Alternativlosigkeit, die noch dazu ihren Größenwahn offenkundig zur Schau stellt. Er wirft sich damit schützend vor ein System, das ihn ausbeutet und unterdrückt.
Aus Gesprächen mit Mitarbeitern des RWE-Werkschutzes am Rande des Geschehens ging hervor, dass auch diese nicht ausnahmslos hinter dem Handeln des Konzerns stehen. Wenn also weder die Gewerkschaft der Polizei, noch die RWE-Mitarbeiter, noch große Teile der Bevölkerung die Räumung und Rodung des Hambacher Forstes unterstützen, diese überhaupt nur von einer Handvoll Aktionären und Politikern begrüßt wird, drängt sich die Frage auf: Warum werden sie trotzdem durchgeführt?
Die Gewerkschaft der Polizei könnte diesen Einsatz verweigern, sogar noch eher als die Mitarbeiter des RWE, unter denen wahrscheinlich mehr Uneinigkeit herrscht. Dennoch führen sie die Befehle aus, mit der Begründung, sie würden doch nur „ihren Job machen“.
Mit derselben Begründung drehten Menschen in Auschwitz die Gashähne auf. Auch hier hat der kleine Lagerarbeiter nur „seinen Job“ gemacht, vielfach sogar, ohne wirklich hinter dem zu stehen, was er tat. Doch gefangen in hierarchischen Befehlsstrukturen in einem zerstörerischen System ist es einfach, die Verantwortung auf andere abzuschieben.
Das System rechtfertigt das eigene Handeln als moralisch richtig – oder eben alternativlos.
Dazu ein Zitat aus dem Wikipedia-Eintrag über „Eichmann in Jerusalem“ von Hannah Arendt: „Arendt bezeichnet Eichmann als normalen Menschen. Abgesehen davon, dass er eine Karriere im SS-Apparat machen wollte, hatte er kein Motiv, vor allem war er nicht übermäßig antisemitisch. Er war psychisch normal, kein Dämon oder Ungeheuer. Er erfüllte nur seine Pflicht, er hat nicht nur Befehlen gehorcht, sondern dem Gesetz gehorcht.“
Zwar unterscheiden sich die Handlungen im Hambacher Forst und in Auschwitz vollkommen, doch die Haltung der Rechtfertiger ist dieselbe. Der Unterschied: bei Befehlsverweigerung drohte im dritten Reich der Tod, im Hambacher Forst lediglich eine Dienstaufsichtbeschwerde, und selbst die könnte mit einer starken Gewerkschaft im Rücken gefahrlos abgewendet werden.
Wie rücksichtslos RWE und Landesregierung ihre Ziele durchsetzen, zeigt auch ihr Umgang mit dem Tod eines den Aktivisten nahestehenden Journalisten. Ungefähr eine Woche nach Beginn der Räumungsarbeiten stürzte dieser aus einer Traverse, die zwei Baumhäuser miteinander verbindet, 15 bis 20 Meter in die Tiefe und starb noch im Wald. Dieser tragische Zwischenfall verleitete Innenminister Reul zu der Aussage, das müsse „nachdenklich stimmen“.
Die Räumungen wurden vorerst gestoppt, begleitet jedoch von moralisierenden Warnungen der Landesregierung an die Aktivisten, den Tod „nicht zu instrumentalisieren“, gefolgt von dem Hinweis, dass die Aktivisten ihren Standpunkt nun ja deutlich gemacht hätten und zu ihrer eigenen Sicherheit den Wald verlassen sollten. Dann wurde der Abriss erneut gerechtfertigt und noch einmal die Unsicherheit der Waldhütten betont, die sich durch den Zwischenfall ja offenbart hätte. Es geht ja schließlich um aller Menschen Sicherheit.
Dass es zu dem Zwischenfall gar nicht erst gekommen wäre, wenn nicht mit brachialer, rücksichtsloser Gewalt gegen die Aktivisten vorgegangen worden wäre, verschweigen alle Beteiligten auf Seite der Regierung geflissentlich. Das eigene Verschulden, die Provokation dieses Zwischenfalls, der von Anfang an absehbar war, wird unter den Tisch gekehrt und die Schuld einzig den Aktivisten zugeschoben.
Der Räumungsstopp dauerte nur wenige Tage, dann ging der Einsatz mit unverminderter Härte weiter. Aktuell steht kein einziges der ehemals über 50 Baumhäuser mehr, bereits vor der Rodungssaison wurden massenhaft Bäume gefällt und Schneisen in den Wald gefräst. Mutige Aktivisten bauen beständig neue Hütten und Barrikaden und setzen so den Widerstand fort. Es bleibt zu hoffen, dass der Protest auch nach der Räumung der letzten Barrikade und des letzten Baumhauses weitergeht.
Die Hoffnungen sind nicht unbegründet. Seit Beginn der Räumungen strömen massenhaft Menschen in den Wald, beteiligen sich zu tausenden an den sonntäglichen Waldspaziergängen, um gegen die Rodung und den Abbau der Braunkohle zu demonstrieren. Ausnahmsweise dokumentiert sogar ein Teil der Medien den Polizeieinsatz und kommentiert die Äußerungen und Entscheidungen der Landesregierung kritisch. Es scheint möglich, dass der Hambacher Forst zum Wendepunkt für die Klimagerechtigkeitsbewegung sowie den Umweltschutz wird.
Noch besteht zudem die Chance, dass der Wald gerichtlich unter Naturschutz gestellt wird. Dies hätte eigentlich schon vor Jahren aufgrund der europäischen Natura 2000 Richtlinien geschehen müssen. Nur hat es die Bundesregierung wohlweislich unterlassen, den Wald zu diesen Richtlinien anzumelden.
Sollte das Gericht zugunsten von RWE entscheiden, darf der Protest nicht abbrechen. Klimawandel und Umweltzerstörung kommen nicht irgendwann in ferner Zukunft, sie sind bereits da und gefährden das Leben unzähliger Arten und auch das des Menschen. Jeder, der zu Menschlichkeit und Empathie fähig ist, sollte sich daran beteiligen, das letzte bisschen Natur gegen den Zugriff des Kapitals zu verteidigen.
Der Hambacher Forst ist dabei mehr als nur ein Symbol. Er ist der Kristallisationspunkt der Klimagerechtigkeitsbewegung und ein Fanal für die Umweltpolitik.
Die nächste Möglichkeit, sich für den Erhalt des Waldes und gegen den Abbau von Braunkohle einzusetzen, ist der 06. Oktober 2018. An diesem Tag findet eine große Demonstration am Wald statt, zu der von unzähligen kleinen und großen, lokalen und bundesweiten Organisationen mobilisiert wurde. Beispielhaft zu nennen sind hier Greenpeace oder „Stop Kohle.“
Doch auch darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, sich einzubringen. Vom 25. Bis zum 29. Oktober findet, ebenfalls am Hambacher Forst, das Klimacamp von „Ende Gelände“ statt. Hier wird mit Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Abbau der Braunkohle protestiert.
Auch, wer an keinem der Termine Zeit hat, ist jederzeit am und im Wald willkommen. Hier wird jede helfende Hand gebraucht, um zu protestieren, Baumhäuser und Barrikaden zu errichten oder einfach nur Präsenz zu zeigen. Wer also auch nur einen einzigen Tag Zeit hat, kann bereits hinfahren und etwas bewirken. Informationen gibt es an der dortigen Mahnwache sowie im Camp bei Manheim, einem mittlerweile größtenteils verlassenen Ort, der bald schon den Kohlebaggern zum Opfer fallen soll.
Sinnvoll ist es auch, sich über die Sozialen Netzwerke, insbesondere über die Seiten von „Aktion Unterholz“ über Aktionen zu informieren. Weitere Informationen sowie Anfahrtsbeschreibungen findet man auch immer auf dem Blog der Besetzung.
Die Forderung „System change not climate change“ ist eine Kernforderung der Klimagerechtigkeitsbewegung. Der Kampf um den Hambacher Forst offenbart, dass das mehr ist als eine hohle Phrase. Es ist eine dringende Notwendigkeit, denn das bestehende System hat so sehr abgewirtschaftet, dass es längst dem Wahnsinn verfallen ist.
Der Kampf um den Hambacher Forst offenbart auch eines: Das aktuelle System ist vom Faschismus nur durch eine dünne, bröckelnde Fassade aus Grundrechten und simulierter Demokratie getrennt.
Im Zweifelsfall werden über dem Gemeinwohl immer die Kapitalinteressen stehen, der Schutz von Mensch und Natur diesen untergeordnet und dafür auch Grundrechte außer Kraft gesetzt. Jeder Widerstand wird militant niedergeschlagen und kriminalisiert, nur, um die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten, die den wenigsten nützt, aber große Schäden für die meisten anrichtet.
Daher darf der Hambacher Wald nicht fallen, nicht nur als Symbol, sondern auch als Lebensraum vieler Lebewesen – von Mensch bis Baum.
Quellen:
(1) Peter Wohlleben, Das Geheime Leben der Bäume, S. 80
(2) Peter Wohlleben, Das Geheime Leben der Bäume, S. 96