Die Wahrheit hinter der Wahlkampf-Propaganda
Während die politischen Parteien sich noch vor einem Jahr bemühten, die Rentenfrage aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist die Auseinandersetzung nun voll entbrannt.
Alle politischen Richtungen positionieren sich. Dabei sind drei Gruppen klar zu unterscheiden: Das große Kapital, vertreten durch seine Unternehmerverbände und einigen bürgerliche Parteien wie CDU/ CSU und FDP leugnen, dass es ein Rentenproblem gibt. Eine mittlere Gruppe, repräsentiert von großen Teilen der Gewerkschaften und der Sozialverbände, sieht zwar eine ‚Gerechtigkeitslücke‘. Sie glaubt aber, diese mit kleinen Reformen wieder schließen zu können. Dieser Gruppe biedert sich im Wahlkampf ausgerechnet jene SPD an, die als Partei des Kapitals unter Schröder das Rentenniveau bedeutend gesenkt hatte, und nun aus Angst vor den Wählern, vorgibt, zurückzurudern. Die 3. Gruppe, die Linke, sieht in unserem Land eine breite Massenarmut entstehen und verlangt im Interesse der unteren Einkommensschichten der Bevölkerung radikale Reformen.
Die Fakten sagen: Altersarmut greift um sich
Um sich in dieser Auseinandersetzung zurecht zu finden, ist es wichtig die Fakten zu sichern.
Der Rentenzahlbetrag für Rentenzugänge betrug im Jahr 2015 durchschnittlich 842 Euro. In den alten Bundesländern erhielten Männer im Durchschnitt 1.014 Euro und Frauen 635 Euro; in den Neuen waren es bei Männern 973 Euro und bei Frauen 861 Euro (Rentenversicherung in Zeitreihen, 2016, S.23-25).
Damit erhielten über die Hälfte der NeurentnerInnen Renten, die deutlich in diesem Bereich liegen, in dem Armut droht. Dieser Bereich beginnt nach Definition der EU, wenn eine Person weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Das Medianeinkommen betrug im Jahr 2015 1.570 Euro. 60 Prozent davon waren 942 Euro und damit 100 Euro mehr als der durchschnittliche Rentenzahlbetrag. Wer gezwungen ist von 842 Euro zu leben, muss als arm gelten.
Es gibt schon jetzt wichtige Indikatoren für eine sich schnell entwickelnde Altersarmut.
- Grundsicherung muss beantragt werden. Im März 2015 waren nach offizieller Zahl 512.000 RentnerInnen auf Grundsicherung angewiesen. Ihre Zahl hatte sich im Zeitraum 2005 bis 2013 verdoppelt. Nach Ansicht der meisten Fachleute ist die Zahl derer, die Leistungen der Grundsicherung beanspruchen könnten, mindestens doppelt so hoch.
- Arbeit im Alter nimmt zu. Im Zeitraum von 2003 bis 2013 wuchs die Zahl der geringfügig Beschäftigten über 65 Jahren um 47 Prozent.
- Das Geld reicht nicht. Die Überschuldung von SeniorInnen steigt rapide. Bei den über 70-Jährigen betrug der Zuwachs 35,4 %; bei den 60 bis 69-Jährigen 12,4 %. Das Schuldenvolumen der Älteren ist überdurchschnittlich hoch und lag mit 34.504 Euro 34-fach über dem durchschnittlichen Monatseinkommen dieses Personenkreises (www.creditreform.de/ne/aktuelles/).
- Insgesamt ist die Armutsgefährdungsquote der SeniorInnen von 10,3 % (2006) auf 15,9 % (2015) angestiegen.
Vor allem die Dynamik ist es, die ein starkes Anwachsen der Altersarmut vermuten lässt. Gestützt wird diese Annahme durch die Entwicklung am Arbeitsmarkt seit den Hartz IV Reformen. Die Zahl der in Vollzeit Beschäftigten ist gesunken und die Zahl der atypisch Beschäftigten ist stark gestiegen. Teilzeit-Beschäftigte (8,5 Mio.), geringfügig Beschäftigte (5,3 Mio.), LeiharbeiterInnen (1,0 Mio.) und befristet Beschäftigte (3,7 Mio.) machen mit insgesamt 18,5 Mio. inzwischen 42,5 % der Arbeitnehmer aus (isw-wirtschaftsinfo 51,S. 36).
Hinzu kommt noch die schlecht versicherte Gruppe der 2,3 Mio. Soloselbständigen. Da die Rente so konstruiert ist, dass sie Vollzeitbeschäftigung in einem ununterbrochenen Zeitraum von 45 Versicherungsjahren unterstellt, erfüllt heute weit mehr als die Hälfte der Beschäftigten nicht diese Anforderungen. Aber nicht nur die Lebensarbeitszeit, auch die Lohnhöhe reicht nicht aus, um eine Rente zu finanzieren, die den Lebensstandard im Alter sichert. Die Mehrheit der Erwerbstätigen bleibt mit ihrem Lohn deutlich unterhalb des Durchschnitts und damit weit unterhalb der Standardrente.
Dazu kommt, dass die Bundesregierung der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD die Weichen für den weiteren Abbau der Renten gestellt hat. Betrug die Ersatzquote der Rente zum sogenannten bereinigten Nettolohn 2015 47,7 %, so soll sie bis 2030 auf 43 % sinken. Statt 842 Euro hätte es so 2015 nur 759 Euro im Durchschnitt gegeben. Damit wäre die Renten sogar unter die offizielle Armutsschwelle gefallen, die bei 50 Prozent des Medianeinkommens liegt - 2015 also bei 785 Euro!
Bürgerliche Propaganda I: Die Renten sind gut und sicher!
Die Initiative neue soziale Marktwirtschaft (INSM), gegründet von den Konzernchefs der Metall- und Elektroindustrie, sieht das anders: „Den gesetzlich Versicherten geht es heute so gut wie noch nie“ und “die nächste Generation kann...damit rechnen, Renten mit einer um ein Drittel höheren Kaufkraft zu erhalten als die heutigen Rentner“ (INSM Flugschrift Januar 2017). Sie behauptet, dass die Standardrente von 1.372 Euro (2016) auf nominal 2.571 Euro (2045) wachsen würde. Damit unterstellt sie, dass die Renten linear jährlich um 3 % anstiegen. Das ist eine völlig unrealistische Annahme. Sie blendet jede Krise, jeden ökonomischen Rückschlag und jeden Verteilungskampf aus und sie abstrahiert vollständig von der Entwicklung der letzten Jahre.
Von 1995 bis 2015 sind die Nettorenten um 29,6 % gestiegen (RV in Zeitreihen, S.123).
Das Preisniveau im selben Zeitraum stieg um 26,4 % (RV in Zeitreihen S.272). Daraus ergibt sich, dass die Kaufkraft der Renten in einem Zeitraum von 20 Jahren nur um 3,2 % gestiegen ist. Die Nettolöhne jedoch stiegen real um 7 % (s.o. S.258). Da das Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum preisbereinigt um ca. 30 % gestiegen ist (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016), gehören Nettolöhne und Renten zu den krassen Verlierern.
Bis 1990 galt die dynamische Rente, d.h. die Renten sollten jährlich der Entwicklung der Bruttolöhne angepasst werden. Damit sollte sichergestellt werden, dass die RentnerInnen an der allgemeinen Einkommensentwicklung beteiligt würden. Davon wurde 1992 Abstand genommen. Die RentnerInnen wurden abgehängt. Würde man heute die Renten nach der Rentenformel berechnen, die vor 1992, vor der Blüm‘schen Rentenreform galt, müssten sie um 30 Prozent höher sein. Die Renten haben im Verhältnis zur Rechtslage von 1990 um 30 % verloren. Daraus erklären sich die niedrigen Durchschnittsrenten von heute.
Bürgerliche Propaganda II: Die SeniorInnen sind wohlhabend!
Die Spezialisten der INSM ignorieren das alles und malen, abstrahierend von allen Fakten, den blauen Himmel an die Wand. Die gleichen Märchen erzählt die Bundesregierung (BMAS, Rentenversicherungsbericht 2016, S.46) und fügt ein weiteres hinzu: Das Haushaltsnettoeinkommen von Ehepaaren im Alter habe im Jahr 2015 durchschnittlich 2.543 Euro betragen und diese Durchschnittseinkommen seien seit 1999 um 30 Prozent gestiegen (BMAS, Gesamtkonzept zur Alterssicherung, Berlin, Nov. 16).
Die Bundesregierung bedient sich eines einfachen Tricks: Anstelle die Rentenversicherungspflichtigen (bis zur Bemessungsgrenze) allein zu betrachten und vom einzelnen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen auszugehen, wird nun auf das Haushaltseinkommen aller Deutschen mit all ihren Einkommensbestandteilen abgehoben und vermerkt, dass viele ja gar nicht nur von der Rente leben, sondern etliche Zusatzeinkommen haben. Damit erzielt man kuriose Ergebnisse.
Schon der Begriff Haushalt ist unscharf. Wie viel Personen enthält er? Sind alle darin Rentner oder sind eventuell Berufstätige dabei. Sind sie Arbeitnehmer oder Selbständige? Das bleibt unklar.
Aber betrachten wir die Einkommen. Das statistische Nettovermögen der Haushalte betrug 2013 im Durchschnitt 214.000 Euro; das durchschnittliche Geldvermögen im gleichen Jahr 24.860 Euro. Also sind alle Deutschen im Rentenalter reich! Schon daran sieht man, wie unwissenschaftlich es ist alle Haushalte in einen Topf zu werfen.
Man muss differenzieren, um zu Erkenntnissen zu kommen. Die untere Hälfte der Bevölkerung besitzt nur 2,5 % des Nettovermögens, während die obersten 10 Prozent der Bevölkerung 60 % des Nettovermögens besitzen. Noch krasser ist es mit der Sparquote. Die untersten drei Zehntel der Bevölkerung sparen gar nicht, sondern sind zunehmend verschuldet oder zehren Restvermögen auf. Das 4. bis 6. Zehntel spart in so bescheidenem Umfang, dass es gerade für die Ersatzbeschaffung einer Waschmaschine reicht. Auf das oberste Zehntel entfällt
60 Prozent des Sparvolumens und das oberste eine Prozent spart allein jährlich ca. 58.000 Euro ( J. Späth, K.D.Schmid, The Household Savings in Germany, Hans-Boeckler-Stiftung, Study 50, September 2016).
Auch in der Einkommensschichtung liegen die untersten 60 Prozent der Bevölkerung unter dem Durchschnitt von 2.682 Euro (Destatis für 2014). Das Haushaltseinkommen wird nahezu restlos verbraucht.
Die Bundesregierung aber erzählt, die Rente mache nur 56 % des Einkommens der privaten Haushalte aus. Daneben hätten sie andere Rentenleistungen im Umfang von 22 % des Haushaltseinkommens, 8 % entfielen auf private Vorsorge und 13 % entstammten aus restlichen Einkommen z.B. Miete, Kapitalerträgen u.a. (5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2016, S. 424).
Das mag ja auf den Durchschnitt zutreffen, der die wohlhabenderen Schichten und die Reichen einschließt. Aber für mindestens die Hälfte der Bevölkerung stimmt es eben nicht. Auch die viel gerühmten Zusatzrenten betreffen längst nicht alle Erwerbstätigen. Zwar haben inklusive der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ca. 60 % der Vollzeit- Erwerbstätigen eine Zusatzrente. Deren Zahlbeträge sind aber meist niedrig. Auch sind es wieder die am schlechtesten gestellten Erwerbstätigen, die keine Zusatzversorgung besitzen und deswegen nahezu ausschließlich von der Rente leben müssen. Die Zusatzrenten begünstigen wiederum die auch schon im Entgelt besser gestellten Arbeitnehmerschichten der Großindustrie.
Die Bundesregierung will verkleistern, dass es Altersarmut gibt und wachsend geben wird. Aber niemand hat behauptet, dass alle SeniorInnen im Alter arm sein würden. Die schon während ihrer Lebensarbeitszeit gut gestellt waren und Vermögen erwerben konnten, bleiben auch im Alter relativ wohlhabend, wer aber schon während seiner Erwerbsphase schlecht gestellt war, wird im Alter in Armut fallen. Die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich wird sich im Alter vertiefen. Der Umfang ist durchaus heute schon vorher zu sagen. Wird die gegenwärtige Rentenpolitik fort gesetzt, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit 30 – 50 Prozent aller RentnerInnen arm sein. Der Prozess wird sich in einem längeren Zeitraum entwickeln.
Seit 1992 wurden die Renten gekürzt; seit 2004 verschlechterten sich die Löhne. Die Folgen für die Renten treten erst in einem weiten zeitlichen Abstand sukzessive ein. Wer z.B 1992 in das Erwerbsleben eintrat, kommt erst ca.2032 in das Rentenalter. Dann wirken sich die sozialen Konterreformen in seiner Rente voll aus. Diese schleichende Entwicklung der Altersarmut ist ein Grund dafür, dass sie auch von den Betroffenen verdrängt wird. Die andere Ursache der Verdrängung liegt in der fortwährenden bürgerlichen Gegenpropaganda.
Bürgerliche Propaganda III: Das Einkommen der Alten wächst schnell!
Ein neueres und subtileres Beispiel dafür liefert eine neue Untersuchung des den Arbeitgebern nahestehenden Instituts der Deutschen Wirtschaft. Darin wird behauptet, die wirtschaftliche Lage der SeniorInnen habe sich stark verbessert. Das Einkommen der über 65-Jährigen sei seit 1984 bis heute real um 50 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg übertreffe den Anstieg bei den unter 45 – Jährigen nahezu um das Doppelte. Der Anteil der Seniorinnen an den ärmsten 20 Prozent der Gesellschaft habe deutlich abgenommen und an den oberen Einkommensgruppen zugenommen (S. Kochskämper und J. Niehuis: Ältere stehen besser da. Entwicklung der Lebensverhältnisse im Alter, IW -Studie, April 2017).
Die erste methodische Kritik ist die gleiche wie an der Bundesregierung. Auch in dieser Studie wird von Haushalten mit allen ihren Einkommen ausgegangen und ungenügend sozial differenziert. Aber wichtiger ist: Die Studie berücksichtigt nicht die unterschiedlichen sozialen und politischen Ausgangslagen. Der Vergleich beginnt mit dem Jahr 1984. Wer nach 40 Versicherungsjahren in diesem Jahr in Rente ging, ist 1944 in das Arbeitsleben eingestiegen. Die ersten 13 Jahre waren sehr niedrig versichert, denn die große Rentenreform fand erst 1957 statt. Auch die Arbeitslöhne waren noch niedrig.
Darüber hinaus hat dieser Jahrgang einen hohen Anteil alleinlebender älterer Frauen mit sehr niedrigen Renten als Folge des fürchterlichen Kriegs. Deswegen war die Durchschnittsrente wegen Alters 1984 ca. 520 Euro. Im Jahr 2015 war sie 823 Euro. Das entspricht einer nominalen Steigerung von 58%. Da die Lebenshaltungskosten im gleichen Zeitraum um ca. 50 % anstiegen, reduziert sich die reale Rentensteigerung auf nur 8%. Es sind also nicht die Renten, die eine reale Verbesserung der Einkommen um 50 Prozent bewirkt haben können.
Die durchschnittlichen Renten in Deutschland sind infolge der großen Rentenreform stark angestiegen. Von 218 Euro im Jahr 1970 stiegen sie auf 553 Euro im Jahr 1990. Das ist in zwanzig Jahren eine Steigerung um das 2,5-fache und real um 2-fache. Die Steigerung der Renten war eine Folge der verbesserten Lohnentwicklung. Die Nettolöhne stiegen im gleichen Zeitraum real um das 2,5-fache. Wer 1960 ins Erwerbsleben eintrat und 2000 das Rentenalter erreicht hat, hatte grundsätzlich andere Lebensbedingungen als diejenigen, die 30 Jahre früher geboren wurden. Sie bezogen Renten auf der gesetzlichen Grundlage der großen Rentenreform und waren gleichzeitig in der Lage, auch als Erwerbstätige in bescheidenen Umfang Eigentum zu erwerben.
Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass in diesem Zeitraum der Anteil der SeniorInnen an den niedrigen Einkommensgruppen abnahm. Verwunderlich ist auch nicht, dass deren Einkommen schneller stiegen als die Einkommen der Jüngeren. Im Alter wuchsen in der Regel die Löhne. Wohneigentum ist dann oft abbezahlt und eventuelle Lebensversicherungen kommen erst im Alter zur Auszahlung. Die in dem Artikel genannten 50 % kommen aber nur zu Stande, wenn man alle Einkommen der Bürger in die Betrachtung einbezieht und das ist methodisch unzulässig. Die Forscherinnen vom IW übersehen oder verschweigen die Entwicklung.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Lage verändert. Wie anfangs gesagt wuchsen im Zeitraum 1995 bis 2015 die Nettolöhne real nur noch um 7 Prozent und die Renten nur um 3,2 %. Das Volkseinkommen wuchs im gleichen Zeitraum preisbereinigt aber um ca. 35 %. Wo ist es geblieben? Bei den RentnerInnen nicht. Bei den SeniorInnen? Das ist eine andere Kategorie. Darunter fallen auch Leute wie z.B. der ehemalige Vorstandschef von VW Winterkorn, die sich selbst Altersentschädigungen von weit über eine Million bewilligen. Wirft man die mit den RentnerInnen in einen Topf, wird das Rentenelend verdunkelt.
Das ist die Absicht. Will man an den Zuständen nichts ändern, die nach Veränderung schreien, muss man die Zustände mundtot machen. Das ist die Politik der ersten Gruppe.
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Ein bisschen Reform – und alles kommt ins Lot!
Die zweite Gruppe erkennt, dass ein echtes Rentenproblem besteht. Der Sozialverband Deutschlands stellt z.B. „mit großer Sorge...fest, dass Altersarmut bereits jetzt zunimmt und dass in den nächsten Jahren ein dramatischer Anstieg droht“. Er sieht die Ursachen in den Reformen der Agenda 2010 und den Hartz IV Gesetzen ab 2002 und stellt fest: „Ohne eine politische Trendwende wird sich Altersarmut zu einem Massenphänomen ausweiten“ (SoVD, Bekämpfung der Altersarmut, August 2016).
Der Paritätische Gesamtverband und der VdK sehen das ähnlich. Auch der DGB hat das Thema erkannt: „ Die Millionen Beschäftigten mit schlecht bezahlten Arbeitsplätzen oder mit Zeiten, in denen sie gar keine Beiträge bezahlt haben...schauen mit bangem Blick auf ihr Alter. Zugleich haben sie kein Geld übrig, um privat etwas für das Alter zurückzulegen. Ihnen droht vielfach Armut im Alter und bei Erwerbsminderung...“(DGB, Die gesetzliche Rente stärken, 2017, S.9).
Daraus folgert der DGB: „Die Rente ist ein zentrales Thema für die Bundestagswahl 2017 und für die neue Bundesregierung“ (S.5). Um politische Wirkung zu entfalten haben die Gewerkschaften und die Sozialverbände sich zu einem „Netzwerk für eine gerechte Rente“ zusammengeschlossen und führen eine Kampagne unter dem Motto: „Rente muss reichen“ (www.rente-muss-reichen.de). Diesem Bündnis haben sich in einigen Bundesländern auch viele kirchliche Institutionen angeschlossen.
Aber was heißt das: Rente muss reichen? Inhaltlich liegen dem Bündnis die Rentenforderungen der IG-Metall zugrunde. Mit der IG-Metall fordert das Bündnis, die Renten zuerst bei 48 % des Nettolohns ohne Steuern festzulegen. Dann soll in einer späteren Phase eine Anhebung auf 50 Prozent erfolgen. Weitere Erhöhungen sollen in einer gesellschaftlichen Debatte erörtert werden.
Die Reformer akzeptieren die Rentenkürzungen!
Stabilisierung der Renten bei 48 Prozent bedeutet die Festschreibung des jetzigen Rentenniveaus, bei nahezu durchschnittlich 842 Euro. Dieses Ziel ist äußerst bescheiden. Seit der großen Rentenreform von 1957 galt unbestritten, dass die Renten den Lebensstandard im Alter sichern sollten. 70 Prozent vom Nettolohn war der Richtwert.
Seit 1992 wurden dann die Renten systematisch abgebaut und auf ein Niveau gesenkt, das für 2015 nur noch ca. 62 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns entspricht oder nur noch 47,7 Prozent des Nettolohns ohne Steuern. Angehoben auf 48 % ergibt das 5 Euro mehr, also 847 Euro.
Damit ist den Rentnern wirklich phantastisch geholfen. Aber auch eine Anhebung auf 50 % bringt erst 882 Euro. Zwar wäre dann die Durchschnittsrente oberhalb der Grundsicherung. Da aber die Hälfte der Rentnerinnen unter dem Durchschnitt liegen, ist damit sehr vielen nicht aus der Armutsfalle geholfen.
Die alte Forderung 70 Prozent vom Nettolohn bedeutet, dass heute die Renten mindestens auf 56,2 des Nettolohns ohne Steuern angehoben werden müssten. Dann wäre der durchschnittliche Rentenwert immerhin 993 Euro.
Selbst das ist also eine sehr bescheidene Forderung. Aber das Bündnis, dass nicht müde wird, von guten und gerechten Renten zu reden, hält die Rückkehr zur alten Rentenlosung von 70 % des Nettos für nicht erforderlich. Sie akzeptiert damit einen wesentlichen Teil der Rentenkürzungen.
Die Standardrente ist eine sozialpolitische Lebenslüge!
Ein Grundfehler dabei ist, dass sich die Rentenrechner der Gewerkschaften, der Sozialverbände und in diesem Fall leider auch der Partei „die Linke“ an der Standardrente orientieren. Die Standardrente ist eine Rente, die nach 45 Beitragsjahren mit einem fortwährend durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt erzielt werden kann.
2015 betrug diese fiktionale Rente netto 1.163 Euro. Angehoben auf 50 % des Nettolohns ohne Steuern würde sie 1.219 Euro betragen. Das klingt ganz gut, aber 70 Prozent des Nettolohns im Jahr 2015 hätten 1.317 Euro steuerfrei erbracht und damit 100 Euro mehr als das Rentenbündnis der Gewerkschaften im 2.Verbesserungsschritt fordert. Die Standardrente ist aber insofern eine Lebenslüge, weil sie vorgaukelt, den Durchschnitt und damit die Rentenwirklichkeit zu repräsentieren. Der Durchschnitt sieht aber ganz anders aus.
Die durchschnittlichen Versicherungsjahre in den alten Bundesländern waren 2015 nicht 45 Jahre sondern nur 36,9 Jahre (Rentenversicherung in Zeitreihen, 2015, S.131); die durchschnittlichen Entgeltpunkte waren nicht 1,0, sondern nur 0,869 (S. 134). Deswegen betrug die Durchschnittsrente auch nicht 1.163 Euro, sondern eben nur 823 Euro in den alten Bundesländern.
Unter einer Rente von 1.200 Euro netto (Standardrente: 1.163Euro netto) lagen 2015 bei den Renten wegen Alters und Minderung der Erwerbsfähigkeit in den alten Bundesländern ca. 58% der Männer und 94 % der Frauen; in den neuen Bundesländern ca. 67 % der Männer und ca. 90 % der Frauen (Rentenversicherung in Zahlen, 2016, S 39). Das zeigt deutlich, wie sehr die Standardrente an der Realität vorbeigeht.
Die Standardrente muss dringend der realen Versicherungszeit angepasst werden. Vor 1992 konnte die Standardrente in 40 Versicherungsjahren erreicht werden. Das gilt heute noch im Beamtenrecht. Auch das muss wieder für die Rentenversicherung gelten. Zusammen mit der Anhebung auf 70 Prozent des Nettolohns, stiege damit die Standardrente auf etwa 1.550 Euro und die Durchschnittsrente auf 1.120 Euro.
Das sind keine maßlosen Zahlen. Sie sind dringend erforderlich und stellten nur den rechtlichen Zustand wieder her, der vor 1992 galt.
Das Netzwerk für eine gerechte Rente ist weit davon entfernt, solche Forderungen aufzustellen. Es begnügt sich mit bescheidenen Zielen und erkennt damit den größten Teil der Rentenkürzungen an.
Anstelle der Rente aus einer Hand wurde durch die rot-grüne Rentenreform das drei Säulen- Modell erfunden. Die Kürzungen in der gesetzlichen Rente sollte nun durch private Vorsorge (Riester-Rente) und Betriebsrenten ausgeglichen werden. Früher galten solche Renten als zusätzlich. Heute sollen sie den Rentenabbau kompensieren um den Preis, dass die Werktätigen immer mehr Geld für die Alterssicherung aufbringen müssen, während die Unternehmer sich an niedrigen Beitragssätzen erfreuen. Die Parität in der Rentenversicherung wurde so gebrochen.
Zusätzlich schmälern die Aufwendungen für Riester-Verträge und Gehaltsumwandlungen in Betrieben die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und belasten damit alle Versicherten. Die Erträge aus den privaten Versicherungen schaffen es im Durchschnitt nicht, diese Verluste auszugleichen. Würde man die staatlichen Zuschüsse und Steuerverluste der gesetzlichen Rentenversicherung zuführen, wäre es für alle Versicherten besser. Dass die Riester-Rente ein Flop ist, hat sich inzwischen herumgesprochen.
Jetzt wird um so mehr auf den Aufbau der Betriebsrenten gesetzt. Da die Entgeltumwandlung aber das Hauptmittel ist, wird wieder ein riesiges Spielfeld für die Versicherungsbranche geschaffen. Die zwei Zusatzsäulen, die nichts anderes sind als miserable Krücken, müssen abgeschafft werden. Die Rente gehört in eine Hand.
Das Netzwerk fordert aber selbst das nicht. Da die Gewerkschaften darin führend sind, fordert es wie die Gewerkschaften selbst den Ausbau der Betriebsrenten und damit die Privatisierung eines Teils des Rentensystems. Damit ist das Netzwerk voll mit der SPD kompatibel.
Die SPD rödelt sich ran!
Die SPD war die Partei des schärfsten Sozialabbaus. Sie hat im Interesse des Monopolkapitals den Widerstand der Bevölkerung gegen den Sozialabbau gebremst und die Gewerkschaften paralysiert. Sie war seit 1998 15 Jahre lang regierende und mit regierende Partei und ist es heute noch. Ein Rentenbündnis, das Wirksamkeit entfalten will, kann sich nur in grundsätzlicher Gegnerschaft zu ihr entwickeln.
Nun tritt die SPD, weil sie fürchtet, dass ihr die Posten verloren gehen, im Wahlkampf wieder als Partei der ‚Gerechtigkeit‘ auf und fordert Verbesserungen bei der Rente. Auch sie verspricht nun das Rentenniveau bei 48 % des Nettolohns ohne Steuern zu fixieren; sie verspricht eine Solidarrente, die die Beiträge langfristig Versicherter (35 Jahre) über die Grundsicherung hinaus anhebt und sie gibt vor, die Lage der Erwerbsgeminderten verbessern zu wollen.
Damit nähert sie sich dem Netzwerk, in dem die Gewerkschaften dominieren, an. Sie hofft so, alte Seilschaften für sich im Wahlkampf instrumentalisieren zu können, denn große Teile der Gewerkschaften hatten die Hartz IV - Reformen mitgetragen oder stillschweigend geduldet. Riester, der Namensgeber der privaten Rentenversicherung, die die Rentenkürzungen kompensieren sollen, die er selbst mit verursachte, war selbst führender IG-Metall-Mann. Die Nähe der Gewerkschaften und leider auch einiger Sozialverbände zur SPD ist leider allzu deutlich.
Für wirklich linke Kräfte kann es aus inhaltlichen und organisatorischen Gründen kein Bündnis mit diesem Netzwerk geben. Das ist bedauerlich, weil einzelne Sozialverbände wie der SoVD und der Paritätische Gesamtverband Forderungen aufstellen, die weit über die Positionen der Gewerkschaften und des Netzwerks hinausgehen und gute Arbeit leisten. Aber durch das Bündnis
haben sie sich selbst auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert.
Eine linke rentenpolitische Alternative
Im März 2017 wurde in Frankfurt am Main das Bündnis „Rente zum Leben“ gegründet. Ihm gehören inzwischen ca. 20 Sozialinitiativen und politische Gruppen aus 13 Städten an. Die zentralen Forderungen dieses Bündnisses sind:
- Sicherung des Lebensstandards im Alter. Mindestens 70 Prozent des Nettolohns sind dazu erforderlich
- Standardrente auf der Basis von 40 Arbeitsjahren wie vor 1992
- Mindestrente von 1.000 Euro netto
- Möglichkeit des Rentenzugangs mit 60 Jahren ohne Abschläge. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit lehnen wir ab
- Einbeziehung aller Erwerbstätigen mit ihren Einkommen in die gesetzliche Rentenversicherung
Die Forderungen dieses Bündnisses unterscheiden sich ganz grundsätzlich von denen des Netzwerks. Neben den 70 Prozent des Nettolohns ist die Forderung nach einer die Existenz sichernden Mindestrente ein ganz wesentlicher Punkt. Selbst bei Wiederherstellung des Rentenniveaus auf die gesetzlichen Grundlagen vor 1992, werden viele Erwerbstätige es nicht schaffen, eine Rente zu erzielen, die über der Armutsgrenze liegt. Deswegen ist die Einführung einer Mindestrente substantiell. Darüber findet man bei dem Netzwerk kein Wort und auch über die Verkürzung der Lebensarbeitszeit wird dort nicht gesprochen.
Die einzige politische Partei, die diesem Bündnis in der Rentenfrage nahesteht, ist die Partei die Linke. Sie fordert eine Mindestrente von 1.050 Euro; sie verlangt eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent des Nettolohns ohne Steuern. Auch das entspricht nicht dem alten Recht von 70 % des Nettolohns, nähert sich ihm aber zumindest an. Die Linke fordert ein Renteneintrittsalter mit 65 Jahren sofort und will grundsätzlich ein Recht, mit 60 in Rente gehen zu können.
Da das erste Flugblatt des Bündnisses ‚Rente zum Leben‘ den Titel trägt. „Wer Rentner quält – wird nicht gewählt!“, liest sich dasselbe wie eine Aufforderung, die Partei die Linke zu wählen. Als Abkehr von politischen Demagogen wäre das sicher ein Fortschritt. Aber wir haben Zweifel an der Seriosität der Partei die Linke.
Viele ihrer Mitglieder bemühen sich sehnsüchtig um eine Bündnis mit der Sozialdemokratie und nirgendwo grenzt sich ‚die Linke‘ vom Netzwerk „Für eine gerecht Rente“ ab. Viele sehen in der SPD immer noch einen Hoffnungsträger und damit werden ihre eigenen sozialdemokratischen Wurzeln sehr deutlich. Mit der Sozialdemokratie ist aber nichts anderes zu bewerkstelligen als eine Politik im Interesse des Kapitals.
Eine Politik, die sich dem Kapital entgegenstellt und wirkliche eine radikale Reform der Renten bewirken will, kann nur durch eine Massenbewegung von unten gelingen – über bürgerliche Parteien geht es nicht.