Die Vertikale der Macht

Demokratie bedeutet nicht Befreiung von Tyrannei — wir dürfen nur den, der uns tyrannisiert, selber aussuchen. Wenn das anders werden soll, müssen Hierarchien grundsätzlich infrage gestellt werden.

Noch immer sind die Staaten von pyramidalen Macht- und Verwaltungsstrukturen durchdrungen. In diesen herrschen, wie einst in der Theokratie Altägyptens, einzelne oder wenige über die große Masse der Menschen und können ihnen ihren Willen aufzwingen. Das fällt uns heute nur noch bei den totalitären Diktaturen auf. Doch auch die Demokratiebewegung hat daran prinzipiell nichts geändert. Das fundamentale demokratische Grundrecht auf Selbstbestimmung des Bürgers erschöpft sich politisch in der Wahl seiner Herrscher. Alle paar Jahre gibt er im doppelten Wortsinn seine Stimme ab und muss dann den Gesetzen und Verordnungen folgen, die die Gewählten über ihn verhängen — selbst wenn sie sich zunehmend gegen seine Interessen richten. Ein Entwicklungsschritt in Richtung wirklicher Selbstbestimmung wäre dringend notwendig.

Das „Ägypten-Problem“ in Russland

Valentin Wember weist in seinem sehr empfehlenswerten Buch (1) über den Ukrainekrieg und seine lange Vorgeschichte darauf hin, wie die kommunistische Diktatur der Sowjetunion praktisch eine Kopie der altägyptischen Herrschaftspyramide bildete und auch die Einbalsamierung der damaligen Herrscher nach ihrem Tode übernahm:

„Als Lenin und Stalin starben, wurden ihre Leichname aufwendig mumifiziert. Beide wurden im Mausoleum, einer Stufenpyramide auf dem Roten Platz in Moskau, aufgebahrt. — Es gibt kaum ein treffenderes Realsymbol für das, was in Russland in der Zeit des Bolschewismus zwischen 1918 und 1989 passiert ist: Ein 4.000 Jahre altes, längst nicht mehr zeitgemäßes Herrschaftssystem wurde dem russischen Staat übergestülpt und aufgezwungen.

Bild: Berliner Morgenpost

In der antiken ägyptischen Gesellschaftsordnung befindet sich ganz oben der Pharao und ganz unten das arbeitende Volk. Über dem Volk standen die Aufseher, über den Aufsehern deren Aufseher, über denen standen die Aufseher der Aufseher der Aufseher und so immer weiter hinauf bis an die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide.“

An die Stelle der ägyptischen Aufseher sei in der Sowjetunion der Geheimdienst KGB getreten, der alles überwachte. Es habe Abteilungen gegeben, die die Intellektuellen kontrollierten, andere, die die Staatsmedien, wieder andere, welche die Kirchen überwachten, den Sport, die Wissenschaft und die Forschung — ein gespenstisches Wiederaufleben des alten Ägyptens.

„Aber was vor 4.000 Jahren historisch berechtigt war und nicht nur eine lokale, sondern eine weltumspannende Kulturepoche ausmachte, wurde im 20. Jahrhundert in Russland — und nicht nur dort — ein mörderischer Wahnsinn.

An die Stelle des Pharao traten die großen Führer der einen Partei, erst Lenin, dann Stalin. Chruschtschow galt schon nicht mehr als großer Führer und wurde deshalb auch nicht einbalsamiert, sehr wohl aber wurde dem populären roten Kommandeur Grigorij Kotowski diese Ehre zuteil. Lenin, Kotowski und Stalin waren Fake-Pharaonen. (…) Alle drei waren das Gegenbild eines Pharaos. Sie waren Verbrecher und Massenmörder.

Im denkbar größten Gegensatz dazu war der Pharao ursprünglich ein hoher spiritueller Eingeweihter. ‚Er war zwei Drittel Mensch und ein Drittel Gott‘, heißt es im Gilgamesch-Epos von dem mesopotamischen Herrscher Gilgamesch, und das galt wohl auch für die ägyptischen Pharaonen der Frühzeit. Der Pharao war als ein hoher Eingeweihter eine reale geistige Kraft, die in das Volk hineinwirken konnte.

Lenin und Stalin waren keine Pharaonen. Aber sie waren wie besessen von einem altägyptischen Prinzip, als ob der Geist des alten Ägypten wie ein Zombie in Russland herumgegeistert wäre und dort sein katastrophales Unwesen getrieben hätte.“

Der moderne Mensch wolle nicht mehr funktionieren wie eine Ameise oder ein alter Ägypter vor 4.000 Jahren. Aber genau das hätten Lenin und Stalin verlangt. Die Spitze der kommunistischen Partei habe beansprucht, besser zu wissen, was für das Volk gut war, als das Volk selbst.

Das Volk, das seien für Stalin die Ameisen gewesen. Die einzelne Ameise habe nicht gezählt. Wenn von 150 Millionen Ameisen 10 Millionen Ameisen sterben, blieben immer noch 140 Millionen übrig.

Was durch ein völlig verfehltes, nicht mehr zeitgemäßes Herrschaftskonzept entstehe, sei nicht nur falsch, sondern es werde böse. Es bilde ein geistiges Vakuum, welches das Böse geradezu ansauge, sodass es von ihm von innen ausgefüllt werde. Der Leninismus und Stalinismus in Russland sei im Grunde ein zum Gespenst gewordener, völlig veralteter ägyptischer Geist gewesen, verkleidet in das moderne intellektuelle Gewand des Marxismus.

Noch nicht überwundenes Gespenst

Doch das ägyptische Gespenst, so Valentin Wember weiter, sei noch immer nicht überwunden. Wladimir Putin distanziere sich zwar von Stalin und seinen Verbrechen, aber er habe nach den chaotischen Freiheiten der Jelzin-Jahre sofort mit der sogenannten Vertikalen der Macht ein zentralistisches System aufgebaut und vor allem wichtige Posten mit Geheimdienstlern besetzt, als wäre Russland immer noch ein altes Ägypten.

Das sei auch nicht dadurch zu entschuldigen, dass Putin sich einer amerikanischen Inbesitznahme Russlands in den Weg stelle, und auch nicht dadurch, dass die Probleme, die Putin nach der Katastrophe der Jelzin-Zeit vorfand, hyperkomplex gewesen seien.

Dieses Urteil berücksichtigt meines Erachtens nicht genügend, dass in diesem Chaos die Wiederherstellung der Ordnung und Selbstständigkeit Russlands gar nicht anders hätte erfolgen können.

Aber richtig ist, dass Putin dann allmählich mit einer Dezentralisierung und Verlagerung der Entscheidungskompetenz in allen Lebensgebieten auf die Menschen selbst zu einer wirklichen Volksherrschaft hätte beginnen können. Stattdessen hat er seine zentrale Machtstellung als autoritärer Herrscher weiter gefestigt und die Vertikale der Macht aufrechterhalten.

Doch andererseits: Wo auf der Welt hätte er für eine wirkliche Volksherrschaft ein Vorbild haben können? — Nirgends.

Das „Ägypten-Problem“ im Westen

Auch im Westen hatten sich parallel zur Sowjetunion in Faschismus und Nationalsozialismus Kopien der altägyptischen Herrschaftspyramide gebildet. Und in den nachfolgenden Demokratien ist die Vertikale der Macht ebenfalls nicht aufgegeben, wie auch Wember betont, sondern sie durchdringt von oben nach unten die staatlichen Strukturen (2). An die Stelle des kommunistischen oder faschistischen Führers, der alles anordnet und lenkt, ist der alle paar Jahre gewählte Präsident oder Kanzler getreten, der mit seinen Genossen durch Gesetze alle Lebensbereiche der Menschen weitgehend lenkt. Die Gesetze stammen praktisch ebenso von ihm selbst, da die von ihm geführte Partei auch die Legislative mehrheitlich dominiert (3), und ihre Durchsetzung wird prinzipiell von einer Richterschaft garantiert, die auch von der Exekutive eingesetzt und überwacht beziehungsweise in den höchsten Gerichten parteipolitisch bestimmt wird (4).

Im Streben, die Alleinherrschaft eines oder weniger Einzelner in eine Herrschaft aller Einzelnen umzuwandeln, glaubte man nach der Französischen Revolution, nicht auf Machtausübung verzichten zu können; nur sollte sie in der Wahl aller ihre jetzt von unten kommende Legitimation erhalten. So blieben alte hierarchische Machtstrukturen bestehen, die jetzt von erlaubten Machthabern besetzt wurden. Damit wurde aber die Herrschaft von Menschen über Menschen, die deren Freiheit und Selbstbestimmung aufhebt, nicht beseitigt. Das Gespenst Ägyptens herrscht noch immer.

„In der Diktatur wirst du unterdrückt und hast keine Wahl. In der Demokratie kannst du wählen, wer dich unterdrückt“, brachte der Kabarettist Erwin Pelzig den minimalen Unterschied auf den Punkt.

Zur Geschichte der Herrschaft und Macht

Die Machtausübung Einzelner über die anderen hat in der Geschichte der Menschheit im wesentlichen drei Entwicklungsphasen durchlaufen. In den orientalischen Reichen der Assyrer, Babylonier oder Ägypter des 3./2. Jahrtausends vor Christus erlebten, wie schon oben beschrieben, die Menschen die Macht des Herrschers als eine göttliche Macht. Der Priesterkönig oder Pharao war ihnen ein auf Erden erschienener Gott, ein Sohn des Himmels, dessen Macht keine äußere Gewalt bedeutete, sondern in der überlegenen göttlichen Weisheit und Güte bestand, aus der heraus er das Leben der Menschen zu ihrem Heile ordnete und leitete, wozu sie selbst noch nicht imstande waren. Der Herrscher und seine Minister wurden als etwas Höheres als gewöhnliche Menschen erlebt; Götter und Untergötter sprachen und wirkten aus ihnen.

In der weiteren Entwicklung, die in Griechenland und Rom begann und durch ein Erwachen des begrifflichen Denkens und die damit verbundene stärkere Selbständigkeit des Einzelnen gekennzeichnet ist, trat eine Spaltung in eine mehr weltliche und eine kirchliche Macht ein. Der Herrschende wurde nicht mehr als der Gott selbst, sondern als der von Gott Beauftragte und Inspirierte erlebt, als der Herrscher, der Monarch von Gottes Gnaden. Er war ein Mensch wie alle anderen, aber aus ihnen herausgehoben durch den Adel seiner Seele, der es dem Gott ermöglichte, ihn für seine leitenden Aufgaben zu inspirieren, derer die Menschen in einer gewissen Weise noch immer bedurften.

Mit der Neuzeit setzte wieder eine gewaltige Bewusstseinsveränderung ein, in der sich der einzelne Mensch immer mehr auf die Spitze der eigenen Persönlichkeit zu stellen begann, um aus eigener Erkenntnis sein Leben selbst zu gestalten. Der Herrscher wurde nicht mehr als Gottgesandter erlebt, der durch höhere Erkenntnis andere zu lenken berechtigt wäre. Jeder fühlte sich selbst in der Lage und berechtigt, zu den benötigten Erkenntnissen zu kommen.

Die alte Gesellschaftspyramide hatte ihre innere Berechtigung verloren und war seelisch auf eine horizontale Fläche zusammengesunken, auf der rechtlich alle gleich sind.

Der Anspruch des „Gottesgnadentums“ war hohl geworden, hielt sich aber noch lange auf dem Thron. Was vorher als innere Macht in selbstverständlicher Autorität gewirkt hatte, wurde nun, geistig entleert, zur äußeren Macht, die sich nur noch durch Gewalt durchsetzen und behaupten konnte.

Einen Höhepunkt dieser rückwärtsgewandten Anmaßung erreichte der Absolutismus Ludwigs XIV. Von einem Zentrum aus wurden alle Lebensgebiete, das politisch-verwaltungsmäßig-militärische, das wirtschaftliche und das kulturelle Gebiet, ergriffen und zu einer straffen, militanten Einheit zusammengeschweißt, die von einem Geist beherrscht wurde. Und alles diente dem König.

Es wurde so eine hierarchisch aufgebaute bürokratische Staatsmaschinerie geschaffen, in die der einzelne Mensch hilflos eingegliedert war. Der König an der Spitze und seine Beamten saßen an den Schaltstellen dieses riesigen Herrschaftsapparates, der ein perfektes Instrument für ihn war, alle anderen Menschen mit unausweichlicher Gewalt seiner persönlichen Machtsucht zu unterwerfen.

Aber die Staatsentwicklung bei Ludwig XIV. war nur ein besonders extremes Beispiel einer individualitätsfeindlichen Dynamik, die damals in allen Staaten des Fürstenabsolutismus überhaupt herrschte. Dieser absolutistische Einheitsstaat wurde prägend für die ganze neuere Zeit. Und auch die auf die Französische Revolution folgenden liberalen Demokratien übernahmen nicht nur vom Absolutismus den einheitsstaatlichen Machtapparat, sondern bauten ihn noch weiter aus.

So suchte der liberale Freiheitsimpuls gegen den omnipotenten Einheitsstaat nur einen persönlichen Freiheitsraum für den Einzelnen geltend zu machen, der aber nur sehr begrenzt durchdrang und in der Wirtschaft als wirtschaftlicher Liberalismus zum Egoismus-Exzess des Kapitalismus führte (5).

Entstehung der Freiheit und Selbstbestimmung

Mit der in Griechenland entstehenden Fähigkeit des begrifflichen Denkens erwachte in den Menschen ein wachsendes Selbstbewusstsein, das sich darauf stützte, die Wahrheit im eigenen Denken selbst erkennen und danach handeln zu können, ohne auf die Autorität von Herrschern und Priestern angewiesen zu sein. Darin wurden alle Menschen gleich: aus eigener Erkenntnis ihr Handeln selbst bestimmen und darin ihre Persönlichkeit frei entfalten zu können. Das macht letztlich die Würde des Menschen aus.

Jeder Anspruch eines der Gleichen, den anderen ihr Denken und Handeln vorzuschreiben, ist die hohle Anmaßung, ihnen nicht gleich zu sein, sondern höher zu stehen.

Es ist der Rückgriff in überwundene Zeiten, das egoistische Festkrampfen an hierarchischen Machtstrukturen, das sich feindlich der Entwicklung des Menschen entgegenstellt. Es ist die fundamentale Verletzung der Gleichheit und Freiheit, der Würde des anderen Menschen.

Es war ein langer Weg, die Usurpatoren der Macht vom angemaßten Thron zu stoßen, der in der Französischen Revolution eine Kulmination erreichte. Aber Freiheit wurde nur als Freiheit vom Joch der Königs- und Adelsherrschaft verstanden, und an deren Stelle trat die „Herrschaft des Volkes“ beziehungsweise die Herrschaft einer gewählten Mehrheit von Volksvertretern. Damit ist die Befreiung des Menschen auf halbem Wege stecken geblieben, bis heute. Denn es geht doch darum,

„die Alleinherrschaft eines Einzelnen in eine Herrschaft aller Einzelnen umzuwandeln, das heißt, das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers sollte den absoluten Herrschaftsanspruch überhaupt ablösen.“

Es kommt nicht darauf an,

„den Machtstaat in den Händen eines Einzelnen und einer gesellschaftlichen Oberschicht durch den Machtstaat in den Händen einer ‚demokratischen‘ Mehrheit abzulösen, sondern die Macht von Menschen über Menschen überhaupt zu beseitigen“ (5), Heinz Hartmut Vogel).

Die in alter Zeit dem Einzelnen übergeordnete Gemeinschaft, die ihn unter der Führung des Herrschers umfassend wirtschaftlich versorgte, geistig leitete und staatlich schützte, hat mit der Emanzipation der Persönlichkeit ihre omnipotente Berechtigung verloren. Sie wird aber heute auch in der „Demokratie“ weitgehend in bürokratisch perfektionierter Form fortgeführt. Die organisierte Gemeinschaft kann als Staat jedoch heute nur die Aufgabe haben, die auf der Gleichheit ruhende Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen zu ermöglichen und zu schützen.

Es ist nicht mehr ihre Angelegenheit, die wirtschaftliche Versorgung und die geistig-kulturelle oder auch gesundheitliche Entwicklung der Menschen irgendwie inhaltlich zu lenken oder zu bestimmen, da unter der Führung der jetzt „demokratisch“ Herrschenden dadurch „von oben“ die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen ausgeschaltet wird. Ein „Oben“ kann es in der Gleichheit überhaupt nicht mehr geben. Es bringt immer ein „Unten“ mit sich, das ihm untergeben, untertan ist, in dem die Gleichheit aufgehoben ist. Macht macht untertan.

Freiheit und Gleichheit sind nicht staatlich zugeteilte Rechte, sondern Zustände, Verfasstheiten der Menschen, die aus der historischen Entwicklung hervorgegangen und errungen worden sind. Sie gehören der seelisch-geistigen Natur des Menschen an, sind sozusagen mit ihm geboren.

Sie sind seine natürlichen Rechte, gehen jeder menschlichen Einrichtung, wie eben dem Staat, voraus. Dieser findet sie nur vor, muss sie voraussetzen und mit diesem Faktum von vorneherein rechnen.

Die Wurzeln der heute unrechtmäßigen Macht des Staates liegen darin, dass historisch überlebte gesellschaftliche Strukturen des früheren theokratischen totalen Versorgungsstaates unzeitgemäß aufrechterhalten werden. Die staatliche Macht ist usurpiert, sie ist die widerrechtliche Aneignung eines Gewaltinstrumentes durch wenige, um widerrechtlich über die anderen zu herrschen.

Die heutige Staatsmacht ist, insofern sie über das reine Recht hinausgeht, in ihrer Allmacht vor den wohlverstandenen Grundrechten des Grundgesetzes widerrechtlich. Sie hat keine innere Berechtigung, sie ist hohl, eine Anmaßung, sie verletzt und schändet die Würde des Menschen. Wer sie ausübt, ist geschichtlich zurückgeblieben, hat die tatsächliche Höhe der abendländischen Geistesentwicklung der Menschheit noch nicht erreicht und stellt sich feindlich gegen sie. Die Staatsmacht trägt insofern sozialpathologische Züge.

Die soziale Ordnung freier Menschen gestattet dem Einzelnen nur einen Herrschaftsanspruch: die Herrschaft über sich selbst. Der Machtmensch vermeidet dies. Statt sich selbst zu beherrschen und zum freien Menschen zu bilden, beherrscht er mit den Gewaltmitteln des Staates die anderen (6).

Selbstbestimmung benötigt neue gesellschaftliche Formen

Mit der Demokratie machte sich die berechtigte Forderung der Individualität geltend, die Gesetze sich nicht von oben diktieren zu lassen, sondern bei der Entstehung des Rechts mitzuwirken. In dem Maße aber, wie auch in der Demokratie die Rechtsorganisation, der Staat, eine Allzuständigkeit für alle Lebensgebiete in Anspruch nahm und durch Gesetze reglementierte, wurden in das Recht inhaltliche Gestaltungen des Lebens aufgenommen, die Angelegenheit der sachkundig im Wirtschaftsleben sowie im Kultur-, Bildungs- und Gesundheitswesen wirkenden Menschen selbst sind. Das führte dazu, dass der Impuls der Selbstbestimmung sich noch in der Debatte artikulieren kann, im Moment der Abstimmung aber ausgeschaltet wird, denn damit sind alle gleichermaßen an die daraus folgenden inhaltlichen Regelungen gebunden und müssen — von außen bestimmt — nach ihnen handeln.

Aus dem Streben des Individuums nach Selbst- und Mitbestimmung entstanden, führt der Parlamentarismus in der Abstimmung zu ihrer Vernichtung. Er „geht hervor aus der Geltendmachung der Persönlichkeit und endet mit der Auslöschung der Persönlichkeit“. Darauf machte 1918 Rudolf Steiner aufmerksam (7). Im Geistes- und im Wirtschaftsleben kann es keine gesetzgebenden Körperschaften geben, die „von oben“ reglementieren, sondern nur horizontale Beratungs- und Kooperationsorgane freier und solidarisch einander zugewandter Bürger. Dies hat Rudolf Steiner in Schriften, Aufsätzen und zahlreichen Vorträgen wegweisend als „Dreigliederung des sozialen Organismus“ ausgearbeitet.

Nur auf dem Gebiete des Rechts selbst ist der Parlamentarismus berechtigt, denn Fragen des gerechten Verhaltens untereinander, des Schutzes des inneren und äußeren Friedens können nicht vom Einzelnen, sondern nur durch gemeinsam vereinbarte Regeln aller gelöst werden. Sie sind es, welche die Bildung einer Gemeinschaft als Staat erst nötig machen und ihm konstitutiv zugrunde liegen. Hier ist auch jeder Mündige urteilsfähig.

Die Abstimmung führt hier nicht zu einem Nivellement der Persönlichkeit, denn das für alle gleichermaßen geltende Recht ist gerade das angestrebte Ziel. Wenn sich die Gesetze darauf beschränken, den rechtlichen Rahmen für die inhaltliche Tätigkeit der Menschen im Geistes- und im Wirtschaftsleben zu bilden, wird durch sie die Freiheit und Selbstbestimmung nicht ausgeschaltet, sondern gerade ermöglicht. Und das Justiz und Polizei verliehene Gewaltmonopol dient nicht der Macht über Menschen, sondern ihrem Schutz vor denen, die in die körperliche oder seelische Integrität anderer gewaltsam eingreifen (8).

Fazit

Die Abschaffung der theokratischen Herrschaftsstruktur des allmächtigen Staates durch eine Gliederung der Gesellschaft in drei relativ selbstständige Lebensbereiche wird von Tag zu Tag dringender. Die Pseudo-Pharaonen, die sich den Staat als Instrument der Macht zur Beute gemacht haben, führen ihre hilflosen Untertanen bewusst in immer neue Krisen, Katastrophen und apokalyptische Kriege — zum Nutzen weniger und zum Schaden der Menschheit.

Das Staatsverbrechen der inszenierten Corona-Pandemie, in der Unzählige ihre wirtschaftliche Existenz verloren, schwere gesundheitliche Schäden erlitten oder ums Leben gekommen sind, wäre ohne die theokratische Herrschaftsstruktur nicht möglich gewesen.

Es ist 5 vor 12, ihnen ihr Machtinstrument aus der Hand zu reißen und sie dorthin zu schicken, wo sie hingehören.