Die verschwundenen Farben
Infolge einer Politik der verordneten Alternativlosigkeit haben wir inzwischen einen schwarz-weißen Blick auf die Welt und sehen die bunten Alternativen nicht mehr.
Alternativlos ist nur der Tod. Es gibt immer in einer Situation auch ganz andere Sichtweisen und Wege, die man gehen kann. Machtpolitiker wie Angela Merkel haben jedoch erfolgreich versucht, ihre eigenen politischen Entscheidungen als „alternativlos“ zu verkaufen. Dies geschieht teils versteckt, teils auch ganz offen. Als ohne Fehl und Tadel wurde uns zum Beispiel die Coronapolitik der letzten zwei Jahre aufgeschwatzt. Auf diese Weise wurden wir mit einem stark vereinfachten Weltbild vertraut, welches von Arroganz, Einfältigkeit und Intoleranz geprägt ist. Im Glauben daran, die einzige Wahrheit präsentiert zu bekommen und das moralisch Richtige zu tun, verlernen wir, alternative Perspektiven zu respektieren oder negieren sogar, dass es sie geben könnte. Trotz globaler Vernetzung und nie dagewesener Mobilität hat sich unser politischer Horizont jenseits der Grenzen von Social-Media-Blasen kaum erweitert. Das ist schade — und gefährlich.
Die Welt in Schwarz-Weiß
Am 2. Dezember 2021 wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel nach 16 Jahren im Amt mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet und die ewige Kanzlerin somit feierlich in den politischen Ruhestand entlassen. Die Welt schaut zu, wie eine Ära zu Ende geht, und die Kapelle spielt. Eines der bei diesem Anlass vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr vorgetragenen Musikstücke war der DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ von 1974.
Klar, Militärmusik ist nicht jedermanns Sache, aber die Darbietung konnte man durchaus als gelungen und als dem Anlass angemessen bewerten. Auch dass sich die scheidende Kanzlerin unter anderem diesen Titel gewünscht hatte, ist unter Berücksichtigung ihrer Wurzeln nachvollziehbar und ließ ein Stück Menschlichkeit durch die oft abgeklärt wirkende Fassade von Angela Merkel erkennen. Trotzdem dies sicherlich nicht die Intention der Titelwahl war, drängte sich mir beim Betrachten der Szene ein Gedanke auf: Das hätte der Titelsong der letzten Jahre deutscher Politik sein können und bietet eine treffende Metapher für unser monochromes politisches Weltbild.
Was die interkulturelle Verständigung angeht, leben wir in Zeiten fast unbegrenzter Möglichkeiten. Durch das Internet sind wir international vernetzt, können uns Informationen aus allen Ecken des Planeten ansehen und virtuell in fremde Kulturen eintauchen. Von den letzten beiden Jahren abgesehen, in denen die Reisefreiheit durch die globale Pandemie-Politik ziemlich eingeschränkt wurde, war es uns zudem möglich, so günstig wie nie die Welt zu bereisen und eigene Erfahrungen in fernen Ländern zu sammeln.
Anders als Jahrzehnte zuvor, ist es heute nicht mehr unerschwinglich oder zu aufwendig, seinen Horizont im buchstäblichen Sinne zu erweitern, wenn man dazu bereit ist. Und selbst für die Daheimgebliebenen gibt es sehenswerte und authentische Dokumentationen über fremde Kulturen und exotische Länder, ob im klassischen Fernsehen oder online.
Trotz dieser Möglichkeiten beschleicht mich immer mehr der Eindruck, dass einige Teile und Aspekte der so bunten und vielseitigen Welt, in der wir eigentlich leben, von vielen oft nur schwarz-weiß wahrgenommen werden.
Machen wir dazu kurz einen Test: Welche Farbassoziation haben Sie, wenn Sie an Russland denken? Vermutlich kommt Ihnen als Erstes ein unfreundliches Grau in den Sinn und als Nächstes irgendein ebenso gefärbter sozialistischer Plattenbau. Ähnlich geht es wahrscheinlich den meisten Menschen, deren „Erfahrungen“ mit Russland sich lediglich auf hiesige Nachrichten oder Dokumentationen gründen.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Natürlich gibt es in Russland noch viele graue Bausünden aus der Zeit des Sozialismus. Aber ich kann Ihnen versichern, dass selbst östlich des Urals regelmäßig die Sonne scheint, es modernste Architektur oder hübsche alte Gebäude gibt und dass man außerdem selbst in sibirischen Diskotheken ausgelassen und „bunt“ mit netten Leuten zu aktueller Musik feiern kann.
Alternativlose Politik
Besonders wenn es zum Beispiel um komplexe Interessenkonflikte geht, werden fein abgestufte Grau- oder Farbtöne kaum noch wahrgenommen. Uns fehlt im übertragenen Sinne die Fähigkeit, alternative Farben und Formen zu erkennen, was die Voraussetzung für das Verständnis unterschiedlicher menschlicher Perspektiven wäre.
Meiner Meinung nach beschreibt deshalb ein Wort die letzten zehn Jahre deutscher Politik am treffendsten: „Alternativlos“. So wurde es auch von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2010 gekürt. Die Begründung lautete: „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe. Behauptungen dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die Politik-Verdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken.“
Besonders Angela Merkel und ihre Regierung hatten dieses Pseudo- und Totschlagargument fast inflationär gebraucht, um den Diskurs in Bezug auf eine Vielzahl von Themen abzuwürgen. Aber auch wenn das Wort aus dem alltäglichen politischen Sprachgebrauch inzwischen weitestgehend eliminiert wurde, kann man in der Ausgestaltung der heutigen Politik nach wie vor die „Basta-Mentalität“ erkennen, welcher es entsprungen ist. Auch wenn Angela Merkel und ihre Berater die scheinbare Alternativlosigkeit kultiviert und salonfähig gemacht haben, ist dieser Politikstil inzwischen weit verbreitet und wird das Ende ihrer Amtszeit vermutlich lange überdauern, wenn wir unseren Blick für alternative Perspektiven und Möglichkeiten nicht wieder entdecken.
So wird uns zum Beispiel im Rahmen der Pandemiebekämpfung von einem Großteil der Politik und der klassischen Medien seit etwa zwei Jahren ein weitestgehend alternativloser Maßnahmenstrauß präsentiert, und andere Einschätzungen und deren Vertreter werden teilweise auf brutalste Weise diskeditiert.
Auch ein regelmäßig aktuelles Beispiel ist die Außen- und Sicherheitspolitik, in der von denselben Akteuren immer wieder fleißig an unterschiedlichen Feindbildern gearbeitet wird. Man versucht uns weiszumachen, dass es nur eine Wahrheit gibt — nämlich die unserer Regierung. Andere Perspektiven oder Rückschlüsse seien total abstrus. Klar gibt es „Wahrheiten und Fakten“, aber besonders im zwischenmenschlichen Leben und in der Politik kommt es vor allem auch auf den Blickwinkel und die sich daraus vielleicht ergebenden Interpretationen von sogenannten Fakten an.
Das ist im Übrigen auch in der Wissenschaft so. Nicht von ungefähr kommt die Redewendung „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Ich kann beispielsweise Beobachtungen und Messwerte als Fakten betrachten, die aber lediglich einen Teilaspekt eines großen Ganzen darstellen. Auch Dinge, die ich nicht gemessen oder untersucht habe, egal ob absichtlich ignoriert oder aus Unwissenheit nicht berücksichtigt, können einen Unterschied in Bezug auf die allgemeine Aussagekraft machen. Besonders bei sehr komplexen Sachverhalten wird schnell klar, dass die schönste Formel keinen Nutzen bringt, wenn ich entweder Variablen vergesse oder falsche Werte benutze. Stichwort: „Crap in, crap out.“ Deswegen wurde Wissenschaft lange auch als deskriptiver und kontinuierlicher Prozess verstanden.
Um aus wissenschaftlichen Erkenntnissen eine normative Konsequenz zu ziehen und zum Beispiel eine Handlungsempfehlung abzuleiten, wurden unter anderem auch immer die jeweiligen Bedingungen und Perspektiven eingeordnet, durch welche die Interpretation der Ergebnisse hätte beeinflusst werden können. Dabei kam es nicht selten vor, dass ein erst später entdeckter Einflussfaktor eine gesamte Theorie zunichte machte. Auch Ethik und Moral spielten eine wichtige Rolle. Es war üblich, dass sich Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen zu ihren Erkenntnissen austauschten und zu unterschiedlichen Konsequenzen aus dem geschaffenen Wissen kamen. Aufgabe der Politik sowie von Medien, Ethikern und Philosophen war es dann, aus dieser Gemengelage im Rahmen eines demokratischen Diskurses gegebenenfalls eine Handlung abzuleiten oder eben nicht.
Leider hat diese Praxis des Diskurses — zumindest gegenüber der Öffentlichkeit — in den letzten 24 Monaten sehr gelitten. „Die Wissenschaft“ wird momentan benutzt, um Gesetze und Verordnungen gewissermaßen direkt im Labor in Stein zu meißeln, ohne darüber verhandeln zu müssen. Wobei die Deutungshoheit „der Wissenschaft“ in diesem Fall oft nur bei einem Teil ihrer ausgewählten Repräsentanten liegt.
Keinesfalls kann man davon ausgehen, dass die globale Wissenschaft in allen Aspekten zur selben Einschätzung gelangt. Wenn man einigen Akteuren zuhört, könnte man allerdings den Eindruck gewinnen, es gehe eher um Glauben und Religion als um Aufklärung und echten Erkenntnisgewinn. Widerspruch ähnelt also der Ketzerei.
Die beschriebenen Methoden kann man natürlich anwenden, aber eine Frage muss erlaubt sein: Bringt uns dieser Weg menschlich weiter, sichert er langfristig das friedliche Zusammenleben in unserer komplex vernetzten globalen Gesellschaft, oder führt er eher in eine Form des Totalitarismus?
Wahrheit oder Perspektive
Nach meinem Verständnis ist es für ein friedliches Miteinander essenziell, sich gegenseitig zuzuhören. Natürlich muss niemand die Meinung seines Gegenübers übernehmen. Aber gerade deshalb sollten wir respektieren, dass andere Menschen eben auch nicht unsere Ansicht teilen und vielleicht auch ihre Gründe dafür haben. Zumindest sollten wir versuchen, uns gegenseitig zu verstehen, indem wir uns vielleicht in die Lage des anderen versetzen. Das heißt noch lange nicht, dass wir anschließend unsere Perspektive langfristig aufgeben und die unseres Streitgegners annehmen müssen, aber eine Annäherung oder ein Kompromiss werden mit gegenseitigem Respekt und Verständnis zumindest wahrscheinlicher.
Gerade wir als Vertreter einer vermeintlich toleranten und freiheitlich-demokratischen Wertegemeinschaft sollten diesbezüglich doch eigentlich Vorbild sein. Leider scheinen aber westliche Regierungen in einer Art spätkolonialer Arroganz wenig Verständnis für andere Perspektiven zu haben. Wenn deren Existenz überhaupt zu Kenntnis genommen wird, werden sie oft als total abwegig bewertet. Mittlerweile wird die in diesem Zusammenhang herrschende Doppelmoral immer häufiger offen zur Schau gestellt und ist leicht zu erkennen, wenn man sie nur sehen will.
Dabei ist auffällig, dass die globalen Interessen der sogenannten westlichen Staaten von vielen Medien und Politikern fast immer als legitim eingestuft werden, aber dieselben Beweggründe als völlig inakzeptabel gelten, wenn sie von anderen Nationen wie Russland oder China angeführt werden. Warum werden zum Beispiel Sicherheitsbedenken, die Russland in Bezug auf die NATO-Osterweiterung hat, nicht ernst genommen? Wie würde man in Washington reagieren, wenn Russland oder China ein militärisches Bündnis mit Kanada, Mexiko oder Kuba eingehen wollten? Für Letzteres gab es ja mit der Kubakrise bereits eine Generalprobe, falls man sich erinnern möchte.
Gelegentlich wird die Abwegigkeit der Sicherheitsbedenken von Staaten außerhalb der NATO damit begründet, dass das nordatlantische Bündnis lediglich zur Verteidigung bestehe und sich ausschließlich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einsetze. Niedere Interessen seien unvorstellbar. Menschen, die so argumentieren, sei dringend ein Blick in die Geschichte der militärischen Interventionen von NATO-Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg und deren Begründung empfohlen. Parallel dazu sind die Strategien des im sehr aufschlussreichen Buch „The Gand Chessboard — American Primacy And It’s Geostrategic Imperatives“ von Zbigniew Brzezinski beachtenswert, welches auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Brzezinski war lange Berater der US-Regierung und veröffentlichte 1997 in seinem Buch eine Geostrategie der USA auf dem eurasischen Kontinent und in der Welt. Unter anderem wird auch die strategische Bedeutung des amerikanischen Einflusses auf die Ukraine behandelt. Viele der darin beschriebenen Entwicklungen finden sich in der Realpolitik wieder. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt resümierte über das Werk: „Ein Buch, das man lesen und ernst nehmen sollte.“ Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Inhalts ist es also nicht verwunderlich, dass beispielsweise die russische Regierung gewisse Sicherheitsbedenken anmeldet, wenn sich der westliche Einfluss weiter nach Osten ausbreitet.
Oskar Lafontaine hat in einer Talkrunde bei Anne Will am 28. Mai 2014 unter anderem folgenden Satz gesagt: „Im Grunde genommen sollte es Grundlage jeder Außenpolitik sein, den jeweils anderen zu verstehen.“
Dass Verständnis dabei nicht automatisch mit Zustimmung einhergehe, führte er im Weiteren aus. Der Titel der Sendung war übrigens „100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg — Wie stabil ist Europa heute?“. Ein Thema, was heute leider wieder aktuell ist. An dieser Stelle sei das Buch „Die Schlafwandler“ empfohlen, dessen Autor Christopher Clark ebenfalls in der Sendung saß.
Clark beschreibt darin sehr detailliert die komplexe politische Gemengelage und die Ereignisse, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten. Dabei versucht er nicht, Einzelnen die Alleinschuld zu unterstellen, sondern zeigt auf, wie viele der damaligen Protagonisten auf unterschiedlichen Seiten quasi Gefangene ihrer Umstände, Interessen und Zwänge waren, woraus sich eine Eigendynamik entwickelte. Diese mündete in die Katastrophe, die die wenigsten von ihnen gewollt hatten und welche über die nichtsahnende Mehrheit der Bevölkerung absolut überraschend hereinbrach.
Diesbezüglich leben wir wieder in gefährlichen Zeiten. Wenn man zum Beispiel die allgemeine Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt verfolgt, kann man beobachten, dass diese immer mehr offene Kriegsrhetorik enthält und viele Medien eher Propaganda nach dem Vorbild von Edward Bernays oder Walter Lippmann betreiben, anstatt neutrale Informationen zu senden. Viele von uns im Westen sozialisierten Menschen wollen diese schwarz-weiß gefärbten Nachrichten und die Einflussnahme auf uns durch die als unabhängig empfundenen Medien anscheinend nicht wahrhaben — vermutlich, weil diese Erkenntnis einen schmerzhaften Prozess anstoßen könnte, der imstande wäre, das eigene Weltbild ins Wanken zu bringen.
Wer aber über den eigenen medialen Tellerrand schaut, lernt schnell, dass vieles nicht so eindeutig ist, wie es uns oft verkauft wird. Zugegeben, wenn ich die Welt nicht eindeutig in Weiß und Schwarz — Gut und Böse — einteilen kann, resultiert daraus natürlich eine gewisse Unsicherheit. Aber nur das Lösen von diesen vereinfachten Gedankenstrukturen und das Aushalten der Ungewissheit ermöglicht es, die Kriegspropaganda zu erkennen und ihr nicht zu häufig zu erliegen. Und genau das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir uns nicht in eine Situation manövrieren, die wir uns alle nicht wünschen können.
Leider wird eine differenzierte Sichtweise auf die komplexen Dinge in der Welt kaum gefördert. Einfältigkeit und Sensation bestimmen allzu oft das politisch-mediale Geschehen. Echte Diplomaten sind eine Rarität geworden, und vermittelnde Stimmen wie zum Beispiel die des Politologen Dr. Michael Lüders, die versuchen, ein ausgewogenes Bild zu zeichnen, kommen selten zu Wort.
Im Sinne der Menschheitsfamilie
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser hat 2019 bei einem Vortrag einmal Folgendes formuliert: „Wenn Sie diese ganze Kriegspropaganda blind aufnehmen, dann hassen Sie Menschen, die Sie nicht kennen, und sind für Kriege, die Sie nicht verstehen. Das ist ein trauriger Zustand. Es wäre viel besser, wenn wir uns daran erinnern, dass jeder Mensch zur Menschheitsfamilie gehört.“ Damit ist eigentlich alles gesagt.
Selbstverständlich stimmt es, dass es nicht nur auf „unserer“ westlichen Seite Missstände in den Regierungsstrukturen gibt, etwa durch Lobbyismus, Vetternwirtschaft und Korruption. Natürlich verfolgen auch die Machthaber auf der vermeintlichen Gegenseite eigene, vielleicht sogar niedere Interessen, die nicht notwendigerweise mit denen ihrer Untertanen übereinstimmen müssen.
Wir müssen auch nicht alle Aktionen anderer Menschen oder Regierungen gutheißen und müssen gegebenenfalls deutliche Kritik üben. Trotzdem sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und uns an die eigene Nase fassen, bevor wir gegenüber anderen so selbstverständlich die Moralkeule schwingen. Nur durch diese Ehrlichkeit bleiben wir langfristig glaubwürdig.
Zu guter Letzt sollten wir uns grundsätzlich bewusst machen, dass wir als Erdenbürger alle im selben Boot sitzen. Die Erfahrung zeigt mir, dass egal wo man hinkommt — ob nach Europa, Amerika, Russland, Afrika, den Nahen oder Fernen Osten —, überall trifft man hauptsächlich nette Menschen, die nichts anderes wollen, als glücklich und gesund in Frieden zu leben. Man kann mit ihnen lachen, herzliche Momente erleben und regelmäßig erleben, mit welcher Offenheit gerade Menschen anderer Kulturen uns — den Fremden — begegnen.
Egal auf welcher Seite der politischen Grenzen man steht: Das Problem sind nur einige wenige, die aber leider oft das Sagen haben und es verstehen, die Massen mehr oder weniger subtil zu beeinflussen. Dummerweise müssen diese Menschen aber selten die ernsten Konsequenzen ihrer von Machtinteressen geleiteten Entscheidungen tragen. Im Krieg stirbt nämlich erst die Wahrheit und dann vor allem der kleine Mann beziehungsweise Frau oder Kind.
Wir brauchen den Farbfilm
Was bleibt also zu tun? Gerade im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung in der Ukraine ist guter Rat teuer. Die Gewaltspirale wird von verschiedenen Konfliktparteien befeuert, wobei wir als einfache Bürger die genauen Beweggründe der Handelnden nur begrenzt erfassen können. Es hat den Anschein, dass die Mächtigen auf beiden Seiten, ähnlich wie vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, durch verschiedene Faktoren getrieben in Richtung einer weiteren Eskalation taumeln, die in einer Katastrophe enden könnte. Seien es Machtgier, Stolz, Bündnisverpflichtungen, wirtschaftliche oder andere Interessen. Lassen wir uns als Bürger nicht von diesem Denken benebeln und zeigen den Mächtigen auf beiden Seiten, dass wir keinen Krieg wollen.
Ob auf der Straße, im Gespräch oder in den sozialen Medien: Versuchen wir weiter, Brücken zu bauen, damit wir nicht anfangen, Menschen, die wir nicht kennen und mit denen wir unter anderen Umständen gemütlich und vergnügt bei einem Bier oder Tee zusammensitzen würden, zu hassen und gegen sie zu kämpfen. Wenn es uns als Bevölkerung „beider Seiten“ gelänge, zusammenzustehen und uns nicht gegeneinander aufwiegeln zu lassen, könnten wir diese gefährliche Entwicklung stoppen. Frei nach dem Motto: „Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“
Ob in der aktuellen Situation oder im Allgemeinen, wir allein können die Welt natürlich nicht von heute auf morgen ändern, aber wir können anfangen, vor der eigenen Haustür zu kehren. Versuchen wir, unser Gegenüber zu verstehen und in Bezug auf die große Politik zum Beispiel nicht nur mit westlichen Augen in Richtung Osten zu blicken, sondern auch mal mit der östlichen Perspektive auf uns zu schauen. Auch wenn das vielleicht physisch nicht immer machbar ist, bieten die heutigen Technologien enorme Möglichkeiten, den Horizont und die Perspektiven zu erweitern, wenn man sich darauf einlässt.
Nutzen wir unsere globale Vernetzung also sinnvoll, und interessieren wir uns für die Blickwinkel unserer Mitmenschen. Versuchen wir sie zu verstehen, ohne unsere Werte aufzugeben, und haben wir für Alternativen ein offenes Ohr. Das betrifft natürlich nicht nur die Geopolitik. Besonders im kleineren Maßstab bewirken gegenseitiger Respekt und Verständnis oft Wunder. Dabei ist bekanntlich die Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung.
Als Erstes sollten wir realisieren: Fast nichts ist „alternativlos“, und die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sie ist bunt.