Die verlorene Menschlichkeit
Wir können die Krankheiten unserer Zeit nicht heilen, solange wir nur an den Symptomen herumdoktern. Rede Christian Schuberts auf der Friedensdemonstration am 3. August 2024 in Berlin.
Medizinische Interventionen beinhalten heutzutage hauptsächlich Symptomunterdrückung. Da die tieferliegenden Ursachen nicht beseitigt sind, kann die Krankheit später oder in anderer Form wieder ausbrechen. Ähnlich verhält es sich mit dem Versuch, auf politischem oder gesellschaftlichem Gebiet Verbesserungen zu erreichen. Das Zurückdrängen von Freiheit und Demokratie macht uns innenpolitisch zu schaffen, die zunehmende Kriegshetze außenpolitisch. Politiker deswegen zur Rede zu stellen oder sie auszutauschen würde nur unzureichende Ergebnisse bringen. Der Autor, Mediziner und Psychologe Christian Schubert macht ein falsches Weltbild für die vielen gesellschaftlichen Verwerfungen unserer Zeit verantwortlich. Ein kollektiver Heilungsprozess würde die Abkehr vom Materialismus beinhalten, auf der Ebene des Geistes arbeiten und den Wert des Lebens wieder stärker betonen.
Liebe Anwesende,
schon seit Längerem stimmt etwas in unserer Welt nicht mehr. Wir leben in einer Welt, die zunehmend den Menschen und damit die Menschlichkeit aus den Augen verloren hat. Wo immer wir hinsehen, ist mehr Schein als Sein, mehr Hülle als Inhalt, mehr Körper als Geist. Geld und Konsum regieren die Welt und damit den Menschen. Wir drohen uns zunehmend im Materiellen zu verlieren, scheinen dem allen ohnmächtig ausgeliefert zu sein, weil wir keinen Halt mehr in uns selbst, in sicheren Beziehungen oder im sinnstiftenden Glauben haben.
In so einer sinnentleerten und haltlosen Welt sind Angst und Panik leicht zu entfachen und Massenverwirrungen und Aggressionen in einem Ausmaß möglich, wie wir sie seit den großen Kriegen des letzten Jahrhunderts nicht mehr erlebt haben.
Denken Sie an die vergangenen Pandemiejahre, die zeigten, wie schnell durch menschenunwürdige Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus enormer gesundheitlicher Schaden in der Bevölkerung angerichtet wurde und über Jahrhunderte erkämpfte Freiheit und Demokratie verloren gingen. Denken Sie aber auch an die aktuellen Kriegs- und Krisenschauplätze in der Welt, die drohen, zu eskalieren und in ihrer Entmenschlichung und Brutalität alles bis dato Gewesene in den Schatten zu stellen.
Nun die Politiker als unsere gewählten Repräsentanten in die Pflicht zu rufen, im Kriegsfall für den Frieden einzutreten, mag durchaus Sinn machen, um akut die Lage zu besänftigen und das Schlimmste abzuwenden. Aber ist das erfolgversprechend? Und würde es ausreichen? Ich denke nicht.
Denn wer nur das Äußere und Oberflächliche im Blick hat, der kann nur das Vordergründige beseitigen; der tiefere Hintergrund der Probleme, also die Ursache, bleibt verborgen und weiterhin aktiv. So etwas erinnert mich an die übliche symptomorientierte Vorgehensweise in der Schulmedizin.
Kommt hier ein Patient zum Arzt, dann würde dieser mit allen ihm bekannten Mitteln versuchen, den Patienten von seinen momentanen Symptomen und Beschwerden zu befreien. Die Ursache der Erkrankung bliebe aber in den meisten Fällen unangetastet — im schlimmsten Fall, bis der Patient an seiner chronischen Erkrankung stirbt.
Materialistische Politiker und Ärzte glauben zutiefst an das, was sie machen, glauben zutiefst an ihre Sache. Man kann es mit Verliebten vergleichen, die ebenso eine Scheinrealität um sich herum aufbauen. Haben Sie schon einmal versucht, jemanden, zum Beispiel Ihren Freund, der verliebt ist, davon zu überzeugen, dass es die falsche Person ist, in die er verliebt ist? Sie haben Zahlen und Fakten, die klar dafürsprechen, dass die Person, in die Ihr Freund verliebt ist, nur an dessen Geld will und ihn betrügt. Aber Ihr Freund will von alldem nichts wissen, wird seine Liebe mit einer ihm eigenen Logik verteidigen, um sie ja nicht verlassen zu müssen. Und wenn man zum dritten Mal zu diesem verliebten Freund gegangen ist, um ihm immer wieder neue Zahlen und Fakten zu seiner Liebe zu zeigen, wird dieser schließlich böse werden, eigene Moralvorstellungen entwickeln und mit der Polizei drohen. Man sei nämlich gar kein Freund, sondern eifersüchtig oder selbst in diese Person verliebt.
Ich bin überzeugt davon, dass das von mir skizzierte falsche Menschenbild des Materialismus, also die Sicht auf den Menschen als eine Maschine, wo nur das Äußere, Sichtbare, Körperliche zählt und wo Probleme und Symptome — wenn überhaupt — nur für kurze Zeit beseitigt werden können, so eine Scheinrealität ist, undurchdringbar für normal Denkende, für Menschen mit normalen Moralvorstellungen. Sie ist in der Medizin und Politik lebensgefährlich, weil sie sowohl für die Chronifizierung von Krankheiten als auch für das ständige Aufflammen von Krisen- und Kriegsherden in der Welt verantwortlich ist.
Die grundlegende Lösung von zwischenmenschlichen Problemen, sei es in der Medizin, in der Politik oder in den vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft, in denen Menschen aufeinandertreffen, verlangt einen völlig anderen, erweiterten Zugang. Dieser Zugang zur Heilung der maschinenideologisch erkrankten Gesellschaft kann nur in der Auseinandersetzung mit dem Leben und der Schaffung einer erweiterten Sicht auf den Menschen gelingen, also mit einem neuen, ganzheitlichen Menschenbild.
Dabei gilt Mind over Matter: Seele, Geist, Beziehungen, Kultur und Religion bestimmen unser Sein, und nicht der Körper und das Stoffliche. Wir müssen ein Bewusstsein darüber erlangen, dass wir ohne emotional bedeutsame Beziehungen nicht lebensfähig sind. Und wir müssen verstehen, dass wir historisch Gewordene sind, also ständig tiefe, in der frühen Lebensgeschichte wurzelnde Erfahrungen die Art und Weise beeinflussen, wie wir aktuell Beziehungen leben, im Guten wie im Schlechten.
Wir werden daher keinen Frieden im Äußeren finden, wenn wir den Frieden nicht zuerst im Innern, in uns selbst finden. Genauso werden wir nicht die Konflikte im Außen konstruktiv begleiten und vielleicht sogar lösen können, wenn wir nicht die persönlichen Konflikte in uns selbst erkennen, in jeder sozialen Interaktion reflektieren und mit dem Gegenüber aushandeln. In einem gesunden sozialen Miteinander geht es daher nicht um Konfliktvermeidung, sondern um gewaltfreie Konfliktaustragung und das Aushalten von Widersprüchen. Es macht dabei kaum einen Unterschied, ob es um die Beziehung zu einem geliebten Mitmenschen, zu einem Berufskollegen oder zu einem Verhandlungspartner im politischen Rahmen geht.
Und abschließend ist mir ganz wichtig zu betonen: Eine solche Kultur des konstruktiven und gewaltfreien Miteinander-Ringens lässt sich nicht erreichen, wenn wir nicht einsehen, dass eine gesunde Zukunft der Menschheit zuallererst mit der Gesundheit unserer Kinder verbunden ist. Dafür muss es in unserer Kultur an vorderster Stelle stehen, Kinder bedingungslos zu lieben und ihnen Einfühlungsvermögen, soziale Kompetenz und Konfliktfähigkeit beizubringen. Und ihnen auf ihrem Lebensweg mitzugeben, dass im glücklichen Miteinander das höchste Gut des Menschseins liegt. Ich bin daher überzeugt, dass an der Gesundheit der Kinder kein Weg vorbeiführt, wenn wir eine solche neue Kultur des ganzheitlichen Miteinanders und des nachhaltigen Weltfriedens schaffen wollen. In diesem Sinne, danke für Ihr Hiersein und Ihre Aufmerksamkeit!