Die verborgene Agenda
Die Logik hinter den freiheitsfeindlichen Umwälzungen der letzten Jahre war weniger die der Kapitalverwertung als vielmehr die eines Angriffs auf die Realität.
Die Frage nach den Motiven und der Logik des oft als Coronaregime bezeichneten Ausnahmezustands, in den zahlreiche Staaten im Zeichen des SARS-CoV-2 eintraten, polarisiert wie wenige. Es stehen sich nicht nur Verteidiger und Kritiker der erlassenen Maßnahmen gegenüber, sondern auch Fraktionen innerhalb der kritischen Szene. Diejenigen, die bezweifeln, dass es sich um angemessene Antworten auf eine exzeptionelle Bedrohung durch ein aus der Natur hervorgegangenes hochgefährliches Virus handelte, teilen sich anhand einer Fragestellung, die zwei Sichtweisen ins Spiel bringt: Sollte diese Politik ein Virus bekämpfen und erlag dabei einer Kette von Missgeschicken, erklärbar aus mangelndem Wissen und schlechter Vorbereitung, oder tat sie das nur angeblich? Folgte sie vielmehr einer geheimen Agenda und wurde aus dem Hintergrund gesteuert?
Unter denen, die Letzteres vermuten, kursieren zwei Annahmen über den Charakter jener Agenda und die Identität derer, die ihre Umsetzung initiierten und anleiteten: Geht die erste davon aus, dass sie den Imperativen des kapitalistischen Verwertungsprozesses entsprach, der am Vorabend der Ausrufung des Gesundheitsnotstandes ins Stocken geraten sei, so nimmt die zweite Anzeichen eines biopolitischen Regimes wahr, dessen Herrschaftsambition bis ins Innerste des Organismus ausgreife, in seine Zellen, besonders die des Nervensystems und die der Fortpflanzung dienenden.
Während ein auf die Kontinuität der Kapitalverwertung zielendes Handeln schon immer zum Geschäft kapitalistischer Institutionen und Eliten gehörte, verlangt eine Zielsetzung, wie sie Gegenstand der zweiten Annahme ist, ein entsprechendes Programm sowie eine ausgezeichnete Gruppe von Ideengebern, Akteuren und Sponsoren. Die nachfolgende Argumentation zeigt auf, dass die erste Annahme nicht leistet, was sie beansprucht, die Indizien für die zweite dagegen deutlich sind.
Diese gehört ihrer Struktur nach zu den Hypothesen, deren Erwähnung — zumindest wenn ihre Protagonisten nicht im Kreml, in Teheran oder sonstigen Sitzen des Bösen, sondern unter den westlichen Eliten lokalisiert werden — oft den Aufschrei „Verschwörungstheorie!“ hervorruft. Das dabei greifende Tabu ist nur schwach begründet, obwohl es, beginnend mit den Bemühungen, Zweifel an der offiziellen Version, dass der Mord am US-Präsidenten John F. Kennedy das Werk eines Einzeltäters gewesen sei, als „Verschwörungstheorie“ auszuschließen, mit großem Aufwand in die Hirne gehämmert wird. Doch kommt es vor, dass Akteure sich abseits der Öffentlichkeit zusammentun, um Handlungen zu ihrem Vorteil zu verabreden, die anderen zum Nachteil gereichen. Kartellgesetze und Behörden wie die in zahlreichen Staaten installierten Ämter zur Verhinderung beziehungsweise Aufdeckung von Verstößen gegen Erstere existieren, weil „Verschwörungen“ zu entsprechenden Aktivitäten kein Hirngespinst sind.
Auch die CumEx-Geschäfte, bei denen sich Unternehmen und Banken zusammenschlossen, um sich an der Staatskasse zu bedienen, während Politiker, die als deren Treuhänder fungieren sollten, geflissentlich wegschauten, gehören in diese Kategorie. Ganz fern liegt deren Anwendung auch nicht bei Vorgängen wie der Zerstörung des öffentlichen Verkehrs und dem „autogerechten“ Umbau von Stadt und Land. Misstrauen ist angebracht gegenüber Versuchen, Subjekte, die profitieren, wenn andere Schaden erleiden, von jedem Verdacht einer Beteiligung auszunehmen. „Verschwörungstheorien“ treffen manchmal zu, während ihre zwanghafte Vermeidung die Realität oft genug verfehlt.
Eine solche Haltung gegenüber allem, was als „Verschwörungstheorie“ ausgelegt werden könnte, ist heute ebenso wie der Vorwurf an Vertreter von Gegenpositionen, einer solchen anzuhängen, in der sich als marxistisch verstehenden Linken ausgeprägt. Den Hintergrund dazu bildet der Anspruch, die Bewegungen der Gesellschaft auf die des Kapitals zurückführen zu können, also über eine Art von „Sozialphysik“ zu verfügen, die es erlaube, Fragen nach Akteuren, deren Antrieben und Programmen jenseits des Imperativs der Kapitalverwertung auszublenden — um von denen nach den humanen und stofflichen Voraussetzungen und Potenzialen möglicher Entwicklungspfade ganz zu schweigen.
Doch daraus allein sind weder der Inhalt kapitalistischer Innovation noch die zu ihrer Durchsetzung disponierten Akteure zu bestimmen — wobei offenbleibt, ob das Modell kapitalistischer Verwertungskrisen und deren Überwindung durch Innovation hinreichend erklärt, was während des Ausnahmezustands im Zeichen des Virus sich in den letzten Jahren abspielte. Ein solcher Mangel tritt schon in der Unfähigkeit zutage, Rechenschaft von den Voraussetzungen und Kräften zu geben, die der abendländischen technischen Zivilisation und ihrer Ausbreitung zugrunde liegen (1). Die Verführungskraft scheinbar rationaler, doch inadäquater Erklärungsversuche ist in der aktuellen Lage ebenso groß wie politisch fatal.
Beispielhaft für einen solchen Ansatz sind zwei Beiträge von Tove Soiland, in denen sie versucht, den Charakter (2) und den Ursprung (3) jener Politik des pandemischen Ausnahmezustands zu erklären — ihrer Meinung nach unter Vermeidung „verschwörungstheoretischer“ Zuweisungen, doch auch ohne den Rekurs auf die Erzählung von einer Verkettung unglücklicher Zufälle mit phänomenalen Wissenslücken, nämlich als Exekution technisch-ökonomischer Zwänge der Kapitalverwertung. Den Hintergrund bilde eine Krise der Akkumulation in der Folge des tendenziellen Falls der Profitrate, die durch Erschließung neuer Anlagemöglichkeiten insbesondere mittels Innovationen in den Feldern der Informations- und Biotechnik überwunden werden sollte. Charakterisiert seien jene Innovationen dadurch, dass sie dem Konzept einer militärisch konnotierten „Biosecurity“ folgen. Verkörpert und als Dispositiv verfügbar gemacht werde dieses durch einen global vernetzt operierenden Komplex philanthropischer Stiftungen, wissenschaftlicher und politischer Organisationen, die es unter dem Regime eines „postideologischen Totalitarismus“ durchsetzten. Dieser Ansatz bietet Einsichten, verfehlt jedoch wesentliche Punkte:
Die Krise der Akkumulation auf den tendenziellen Fall der Profitrate zurückzuführen, geht an ihren Ursachen vorbei.
Der Charakter einer solchen Krise ist zu unspezifisch, um das Coronaregime als Reaktion darauf zu erklären, während Letzteres organisierter Initiatoren und Akteure, der Synchronisation ihrer Handlungen und vor allem ausgearbeiteter Pläne bedarf.
Der Begriff des „postideologischen Totalitarismus“ geht von einem inadäquaten Bild des Verhältnisses von Gesellschaft und Politik zu Wissenschaft und Technik aus und unterstützt dadurch die Maskierung von Politik als Wissenschaft. Dazu habe ich an anderer Stelle das Nötige gesagt (4), weshalb ich hier darauf nur knapp eingehe.
„Biosecurity“ macht einen plakativen und ideologisch überhöhten Aspekt des Coronaregimes aus, doch charakterisiert sie dieses und vor allem das biopolitische Programm, dem es folgt, nicht hinreichend.
Das konforme, wenn nicht gar überbietende, Verhalten des überwältigenden Teils der Linken gegenüber den Maßnahmen und Narrativen des Coronaregimes ist durch die Beanspruchung des Solidaritätsmotivs nicht hinreichend zu erklären. Insbesondere bleibt offen, weshalb dessen Anführung solchen Erfolg hatte. Zugrunde lag jenem Verhalten vielmehr die schon zuvor erfolgte Aufgabe jeglicher Anstrengung zu einem kohärenten und konsistenten Verständnis der Realität, insbesondere der Wahrnehmung menschlicher Leiblichkeit.
Ad 1.: Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate ist seit Erscheinen des dritten Bandes von Karl Marx’ Werk „Das Kapital“ ein Streitpunkt. Die ihm zugrunde liegende Annahme der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals ist ebenso wie die Ableitung des Gesetzes daraus nicht valide (5). Grundsätzlich kann es in der Ökonomie keine solchen, den physikalischen ähnlichen, Gesetze geben, weil dort die Voraussetzung dafür, nämliche die Existenz von Erhaltungsgrößen, nicht gegeben ist (6). Stagnation und der Einbruch der Gewinne sind vielmehr die Folgen einer Politik und Unternehmensführung nach den neoliberalen Grundsätzen, die Gewinne steigern sollen, dies aber höchstens partiell und kurzfristig können. Michal Kalecki merkte schon an, dass, während Arbeiter ausgeben, was sie verdienten, Unternehmer verdienten, was sie ausgeben. Die Stagnation ist Folge von Unterinvestition sowohl in öffentliche Infrastruktur als auch in Unternehmensanlagen, Letztere wiederum die von stagnierenden beziehungsweise sinkenden Masseneinkommen. Der Staat lässt dies zu, während er seine Mittel zunehmend nicht produktiv, sondern destruktiv ausgibt: für Sicherheit, innere und militärische, jetzt auch informationstechnische und biologische. Ein Merkmal dieser Ausgaben ist, dass sie das Produktivvermögen kaum erhöhen und deshalb die Investitionsschwäche nicht beheben — ein bloßer Transfer von finanziellen Ressourcen.
Die „neue(n) lukrative(n) Anlagemöglichkeiten“ in Rüstung, IT und künstlicher Intelligenz (KI), Biotechnik und Pharmazie et cetera basieren auf solchen Transfers und sind zu schwach, um die Masse des Anlage suchenden Kapitals produktiv aufzunehmen und damit Blasen zu vermeiden. Boomende Aktienkurse bei stagnierender oder gar schrumpfender Wirtschaft sind dafür Anzeichen. Dass jene Transfers keinen Weg zu einem prosperierenden Kapitalismus weisen, verschärft die Frage nach der Agenda, der sie folgen.
Die Verarmung großer Bevölkerungsteile, die Tove Soiland wahrnimmt, hat System, doch weniger das von ihr vermutete. Sie versteht, neben anderem, auch nicht den Unterschied zwischen der Produktion und der Aneignung von Mehrwert. Beides muss nicht am selben Ort und im selben Akt stattfinden. Das Modell der investiven Kapitalverwertung wird zunehmend obsolet. Im Geschäft mit dem Staat wie in dem mit den kaum noch zu umgehenden monopolistischen Plattformen dominiert die Abschöpfung von Renten. Yanis Varoufakis nimmt deshalb einen Technofeudalismus wahr, der den Kapitalismus umbringe (7).
Ad 2.: Der Sprung von der Krise der Akkumulation zur Biosicherheit ist zu weit und nicht zielsicher. Von der ersteren zur letzteren führt kein vorgegebener Pfad, während letztere in einen Kontext zu stellen ist, in dem es um weit mehr geht als nur um die Akkumulation des Kapitals oder auch nur um Sicherheit, nämlich um die Herrschaft über den Bios und letztlich über die Welt. Das seit 2020 global sich synchron manifestierende Regime bedurfte, worauf Paul Schreyer hinwies (8), vorbereiteter Grundlinien, der Vordenker, Sponsoren und Arrangeure. Züge dieser sich zuvor abzeichnenden, in den Diskurs der inneren Sicherheit eingebundenen Konfiguration beschrieben Patrick Zylberman (9) und Carlo Caduff (10). Dass sie aus einem weiteren, um die Jahrtausendwende sich politisch und militärisch formierenden Zusammenhang hervorging, blieb bisher unterbelichtet. Soiland verweist zwar auf Schreyer, doch scheint ihr nicht klar zu sein, dass dessen Arbeit — was diese keinesfalls disqualifiziert — Merkmale aufweist, die als „verschwörungstheoretisch“ gelten. Schreyer nennt Organisationen und Personen beim Namen, und sie tut es auch.
Sicherheit gehört, anders als Soiland annimmt, zum Kernbestand des Politischen. In ihr verschränken sich die — auch militärische und polizeiliche — Abwehr innerer und äußerer Gefahren. Primäres Ziel ist Erhaltung und Ausbau von Herrschaft.
Eine Politik, die Sicherheit als Motiv anführt, bedarf der Wahrnehmung von Gefahr. Wer sicher ist und sich auch so fühlt, verspürt kein Bedürfnis nach Sicherheit. Als Prinzip begleiten sie sowohl ihre ideologische Überhöhung als auch ihre ökonomische und politische Exploitation: Wer vor Gefahren warnt, tut dies nicht selten, weil er vom angepriesenen Gegenmittel profitiert und/oder aus dessen Verabreichung einen Machtgewinn erzielt. Aufschlussreich ist die Gegenüberstellung der inflationären Warnungen, Abschirmungen und Medikationen mit ebenso inflationären Kosten, die vor einem vergleichsweise harmlosen Virus bewahren sollen, oder gar der Warnungen vor russischen Plänen und der noch teureren „Zeitenwende“, die solchen vorbeugen soll, mit den raren Stimmen zum Zustand der Infrastruktur und den unzureichenden Mitteln zu ihrer Erhaltung und zu ihrem Ausbau.
Die vom Coronaregime verteilten Mittel sind ein Nebenziel und Gratifikation für die Fraktionen des Kapitals, die der zentralen Agenda dienlich, wenn nicht gar ihre hauptsächlichen Treiber sind: die, die gerade zu einen militärisch-medizinisch-biotechnologisch-informatischen Komplex zusammenwachsen. Wobei die libertären Eliten in ihren Führungsetagen auch gerne Geld vom für obsolet erklärten Staat nehmen, während sie ihn andererseits mittels IT-Plattformen und Organisationen der Global Governance (Globale Steuerung) — Musterbeispiel ist die WHO — zu übernehmen beziehungsweise zu ersetzen versuchen. Nicht zu unterschätzen ist jedoch, dass jener Komplex, der seit den 1990er-Jahren — einen gewaltigen Anschub gab das damals gestartete Human Genome Project (HGP, Humangenomprojekt) — einen anschwellenden Zustrom von privatem Kapital, nicht zuletzt auch aus „philanthropischen“ Stiftungen, wie auch von staatlicher Förderung erfährt, seine Vernetzung durch alle gesellschaftlichen Bereiche ausdehnen und sein instrumentelles Arsenal immens erweitern konnte.
Techniken zur Sequenzierung und Manipulation des Genoms wurden in diesem Zusammenhang entwickelt und perfektioniert. Nicht zu unterschätzen sind die Einflussnahmen auf den Mediensektor, der das Bild dieses Komplexes als Treiber von humanem Fortschritt malt, und auf die Politik, die nicht nur willig zahlen, sondern auch den dort ausgearbeiteten Rezepturen folgen soll. Doch um seine Programmatik und Formierung zu verstehen, muss man weiter zurückblicken.
Ad 3.: Wissenschaft und Technik können zu Erkenntnis und Verbesserung des Lebens beitragen, doch sind sie zugleich Instrumente von Kapitalverwertung und Herrschaft. Ihr medial erzeugtes Bild ist überwiegend mehr oder weniger elaborierte Ideologie und oft nur plumpe Maske. Dass das Coronaregime weniger, wie Tove Soiland glaubt, von einer „dauerhaften Erosion des Politischen“ zeugt, sondern vielmehr von dessen Maskierung als Wissenschaft, war früh erkennbar und ist durch die Veröffentlichung der Protokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) unabweisbar geworden. Wissenschaft darf keine Sammlung von unverrückbaren Glaubenssätzen werden, sondern ist als Feld von offener Forschung und als Arena von Debatten wiederzugewinnen. Deshalb erscheint es angezeigt, das Geschehen und die es legitimierenden Erzählungen nach Indizien für eine „hidden agenda“ hinter den vorgeschobenen Scheingewissheiten zu mustern. Die letzten Jahrhunderte brachten wissenschaftliche Ideologien hervor, die heute dem Radar der Öffentlichkeit entgehen, doch immer noch wirkmächtig sind. Diese sind keine Wissenschaft, sondern erklären Wissenschaftspartikel zu konstitutiven, handlungsleitenden Prinzipien.
Ad 4.: Ein Regime, das vorgibt, die Menschheit vor Viren zu bewahren, die für die meisten keine Gefahr darstellen, und dazu Maßnahmen durchsetzt, die einerseits weitgehend unwirksam, wenn nicht gar schädlich sind, andererseits astronomische Kosten verursachen, ist als solches der Sicherheit unglaubwürdig. „Biosecurity“ ist ein plakativer Vorwand, der mittels „Bio“-Präfix Expertise und entsprechende Autorität zu suggerieren sucht, um damit Fügsamkeit zu induzieren, doch kein plausibles Ziel. Es geht nicht um Sicherheit, sondern um die Herrschaft über den Bios — wenn von Sicherheit die Rede ist, dann geht es, in der Logik des Politischen, um die jener Herrschaft, und zwar vorrangig vor der der ihm Unterworfenen. Der leibliche Mensch wird zum Material, aus dem auf technischem Wege der neue, maschinelle und steuerbare Mensch gebaut werden soll, dessen Reproduktion völliger Kontrolle unterliegt. Dieses Programm wie auch das physikalische, molekularbiologische und dann auch informatische Instrumentarium dazu sind seit hundert Jahren in Entwicklung. Die Mäzene der „pandemic preparedness“ (Pandemievorsorge) wie die Rockefeller Foundation waren von Anfang an dabei (11).
Das Konzept von Variation und Auswahl, das aus der Tier- und Pflanzenzüchtung übernommen worden war, vermochte, transformiert in das der Entstehung von Arten durch Mutation und natürliche Selektion, die Evolution des Lebens teilweise, doch längst nicht vollständig zu erklären (12). Als wissenschaftliche Ideologie beanspruchte es nicht nur universelle Geltung, sondern verwandelte sich in die Doktrin von der Verbesserung der Menschheit durch Züchtung, genauer: den Ausschluss „minderwertiger“ und die Förderung „höherwertiger“ Erbanlagen: in die Eugenik, wie Charles Darwins Cousin Francis Galton das nannte, oder auch Rassenhygiene, wie sie in Deutschland hieß, die seither ein Projekt progressiver Eliten ist. 1921 war auf dem Internationalen Kongress für Eugenik von der „self-direction of human evolution“ (selbstbestimmte Steuerung der menschlichen Evolution) die Rede — wobei man glaubte, dieses „Selbst“ zu repräsentieren, das heißt, für es zu sprechen legitimiert zu sein (13). Eugenik ist ein Dispositiv der Biomacht, sie folgt dem Ziel der Herrschaft über das Leben und seine Reproduktion.
Von nicht geringerer Bedeutung als die Eugenik ist die ungefähr zeitgleich durch Louis Pasteur und Robert Koch entwickelte Keimtheorie: Die damals vorherrschenden Erkrankungen seien durch Bakterien, mikrobielle Pathogene verursacht, zu denen sich später die Viren gesellten. Auch das ist höchstens die halbe Wahrheit; dass solche „Krankheitserreger“ nicht zwangsläufig Krankheiten erregen, legte der Arzt, Mikrobiologe und Wissenschaftsphilosoph Ludwik Fleck schon 1930 dar (14). Aus dem Mythos, dass der Anstieg der Lebenserwartung seit dem 19. Jahrhundert das Verdienst von Fortschritten der Medizin, insbesondere der Keimtheorie und darauf aufbauender Interventionen, sei, bezieht jene noch immer hohes Ansehen, doch steht der mit solchen in keiner Beziehung. Das verdeutlichten unter anderem der Arzt, Sozialmediziner und Epidemiologe Thomas McKeown (15) und der Evolutionsbiologe Richard Lewontin (16). Erkrankung bezeihungsweise deren Ausbleiben ist weitgehend eine Frage der Immunverfassung und von Lebensbedingungen und Lebensweise.
Damit waren die Ingredienzien eines mechanistischen, militäraffinen Selbstverständnisses der Medizin — ihr Geschäft sei Krieg, das heißt Aufklärung und Bekämpfung von Pathogenen und schlechten Genen — gegeben, das sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert durchsetzte und heute, nach einem Zurückweichen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zurückkehrt, und zwar keineswegs erst mit dem Coronaregime.
Die Molekularbiologie, deren Entwicklung vor gut hundert Jahren einsetzte, vermittelte jenen beiden Ideologien eine einheitliche Grundlage, indem sie auf ein wachsendes Instrumentarium aus der sich parallel entwickelnden Atom- und Strahlenphysik zurückgreifen konnte. Sie fügte ihnen eine weitere hinzu: dass Leben — genauer gesagt, Aufbau und Funktion von Zellen, die dessen Atome bilden — exklusiv von den molekularen Bausteinen her zu verstehen sei. Die groben und schlecht fundierten Konzepte und Maßstäbe der frühen Eugenik wurden zurückgelassen, nicht jedoch deren Zielsetzung. Vielmehr sollten die Durchleuchtung, die Kontrolle und schließlich der Umbau der lebenden Materie den Schlüssel zu sozialer und politischer Herrschaft auf naturwissenschaftlicher Grundlage bilden (17).
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkriegs gesellte sich, aus der militärischen Forschung kommend, unter dieser Zielsetzung eine weitere Disziplin zur Molekulargenetik: die Kybernetik als Wissenschaft von der Steuerung technischer und natürlicher Prozesse beziehungsweise eine durch sie inspirierte Biologie und Psychologie (18). Ein bedeutender Sponsor war neben Rockefeller die Joshua Macy Jr. Foundation, die wie Rockefeller zuvor schon die Eugenik gefördert hatte. Zugleich übernahmen jedoch staatliche Stellen, nicht zuletzt das Pentagon und die US-Atomenergiekomission, führende Rollen bei der Finanzierung beider Forschungsgebiete.
Züge eines entsprechenden Programms, nämlich den Menschen, das Lebendige und seine Äußerungen zu gestaltbarem Material zu machen, waren schon vor 2020 erkennbar, nicht zuletzt in Gestalt einer Politik, die sich für „Diversität“ einsetzt und gegen „Diskriminierung“ wendet. Von der Sprache über die Lebenspraxis bis zum Organismus soll alles einem Neudesign unterworfen werden. Klaus Schwab publizierte kurz nach dem Eintritt in den Ausnahmezustand das Konzept eines „Great Reset“, der alles „sicherer“, „nachhaltiger“ und „gerechter“ machen soll, indem er der Fiktion einer entgrenzten Macht über den Bios folgt, die man sich von permanenter elektronischer und molekularbiologischer Kontrolle und Intervention verspricht (19). Was in der Sprache die Sternchen ausrichten sollen, wird am Organismus zunächst von Hormonen und Skalpell, doch bald auch von der Genschere erwartet. Während Sprachrituale einer unbegrenzten Anzahl von Geschlechtern Ausdruck verleihen sollen, wird die reale Geschlechtlichkeit zuerst übertüncht, um dann mittels Hormonen und Chirurgie zerstört zu werden.
Die gängigen Bezeichnungen für diese Manipulation passen nicht: „Transsexualität“ nicht, da biologisch unmöglich, und Transgender“ nicht, da es der fantasierten Fluidität von „Gender“ an der Grenze mangelt, deren Überschreiten erst ein „Trans“ begründete. Doch was damit einhergeht, ist, wie Silvia Guerini es formulierte, die Auslöschung der materiellen Realität des Körpers, die ein undifferenziertes, variables, unendlich dehnbares und manipulierbares Konsumobjekt zurücklasse (20). Dazu passt die willkürliche Neudefinition von Gesundheit und Krankheit durch Tests und den Nachweis von Injektionen, die den Stoffwechsel und möglicherweise auch das Genom von Zellen manipulieren. Dem entspricht die Schaffung neuer Normen und entsprechender Mängel, wie etwa durch den ICD-Code Z28.310 (21), der „das Fehlen der Immunisierung gegen COVID-19“ anzeigt.
Weitere obligate Interventionen, Wearables (am Körper getragene elektronische Geräte) und Implantate werden folgen auf dem Weg zu einer biotechnischen Normierung des Menschen. Parallel dazu findet, zunächst auf gleichgeschlechtliche Paare und „Transsexuelle“ zielend, eine Ausweitung des Zugangs zu „medizinisch assistierter Fortpflanzung“ statt, die aus dem Kind einen Konsumartikel macht und einen globalen Markt für Gameten sowie, solange die Austragung noch nicht in vitro erfolgen kann, Dienstleistungen wie den Verleih der Gebärmutter schafft. Präimplantationsdiagnostik und bald vielleicht Eingriffe ins Genom ermöglichen die Auswahl beziehungsweise das Design des Kindes nach Wunsch oder auch Vorgabe durch Experten. Sicher wird man auch hier „der Wissenschaft“ folgen müssen. Wir befinden uns auf dem Weg in die „Brave New World“ (22), wobei noch offen ist, wie liberal die liberale Eugenik sein wird, das heißt, was „die Wissenschaft“ vorschreiben wird. Coronaregime, Genderpolitik und Eugenik bilden ein Kontinuum. Gemeinsam ist ihnen die Auslöschung des leiblichen Menschen. Wenn das wie Verschwörungstheorie klingt, sollte es Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es in der Realität nicht doch Projekte von Koalitionen mächtiger Akteure gibt, die anders kaum zu fassen sind.
Ad 5.: „Sicherheit“, „die Wissenschaft“ und schließlich „Solidarität“: Das sind plakative Formeln, denen man nicht eines wahrnehmbaren Wertes willen erliegt, sondern weil man unabhängiges, kritisches Denken, das sich der Realität aussetzt, die Empfindung von fremdem Leid und die Wahrnehmung eigener Leiblichkeit aufgegeben hat. Dass der Appell an die „Solidarität“ bei den Linken und in den Feuilletons so erfolgreich sein konnte, setzte deren intellektuellen und moralischen Bankrott voraus. Verstärkt wurde dieser durch ein akademisches Prekariat, das nichts kann, was jemand braucht, und deshalb von der Wucherung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Stiftungen, Konzernverwaltungen, Medienhäusern, Parteiorganisationen, Regierungsagenturen, Beauftragten für dieses und jenes abhängt, wo Zurschaustellung der Symptomatik des Realitätsverlusts Aufnahmebedingung ist.
Die Anfänge waren schon in den 1990ern spürbar. Ein Symptom war der grassierende Netzenthusiasmus, mit dem sich die Abkehr von der Realität etablierte: Die Niederlagen linker Politik verdrängte man, indem man sich mit für unüberwindlich gehaltenen Mächten identifizierte, sich als deren Avantgarde fantasierte.
Das Internet würde Demokratie bringen und, alle Grenzen überwindend, die Menschheit vereinigen (23), Automatisierung und KI den Kapitalismus obsolet machen und uns von der Arbeit (24), Genderpolitik und Biomedizin von den Zwängen der binären Geschlechtlichkeit befreien, „Klimagerechtigkeit“ und „Zero Covid“ schließlich den Übergang in eine solidarische Gesellschaft erzwingen. Dieser Pfad des Illusionismus erschien umso verlockender, je mehr man die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit der Realität, mit Wirtschaft, Technik und Wissenschaft verlor. Für Wissenschaft hält man in der Linken heute ein Sammelsurium von Versatzstücken wissenschaftlicher Ideologien, exzellente Beispiele dafür Genderideologie und Coronamythos. Hervorgegangen ist aus dieser Geschichte des Niedergangs ein autoritärer Charakter neuen Typs. Dieser braucht weder eine Vater- noch eine Führerfigur, es reicht ihm die Resonanz mit der medialen Blase.