Die upgedatete Menschheit
Das Weltwirtschaftsforum ist eine der geistigen Brutstätten der Transhumanismus-Ideologie. Exklusivabdruck aus „Meine Pandemie mit Professor Drosten“.
Menschsein ist nicht genug. Die heute lebenden Exemplare seien unzulänglich, unvollständig — so die geläufige Auffassung derer, die sich anschicken, den Menschen mittels einer Fusion mit der digitalen Technik auf eine höhere Stufe emporzuhieven. Nachdem im 19. Jahrhundert Gott für tot erklärt wurde, maßt sich im 21. Jahrhundert eine kleine Avantgarde gottähnliche Macht an. Die Angehörigen dieser Eliten wollen nicht mehr länger die Gebrechlichkeit, die Vergänglichkeit der menschlichen Physis hinnehmen und sich selbst zu einem höheren Wesen transformieren. Das von Klaus Schwab gegründete Weltwirtschaftsforum ist eine der Brutstätten dieser vor menschlicher Hybris triefenden Denkschule. Ein Ausschnitt aus der Gedankenwelt derer, die in Davos ein- und ausgehen, lässt tief blicken. Exklusivabdruck aus „Meine Pandemie mit Professor Drosten“.
Die Runde eröffnet ein Statement von Klaus Schwab, Gründer des World Economic Forum (WEF). Schwab sitzt auf einem Sessel, der zu schweben scheint. Von Ferne erinnert er an den von dunklen Visionen getriebenen Colonel Kurtz in dem Film „Apokalypse Now“ von Francis Ford Coppola.
Schwab erklärt:
„Die Covid-19-Krise hat uns gezeigt, dass unsere alten Systeme nicht mehr für das 21. Jahrhundert geeignet sind. Sie hat einen grundlegenden Mangel an sozialem Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Inklusion und Gleichberechtigung gezeigt. Jetzt ist der historische Augenblick da, nicht nur, um das eigentliche Virus zu bekämpfen, sondern auch, um das System gemäß den Bedürfnissen umzuformen, die im Zusammenhang mit Corona entstanden sind.
Wir haben die eine Wahl, passiv zu verbleiben, was dazu führen wird, dass viele Trends, die wir heute sehen, verstärkt werden. Polarisierung, Nationalismus, Rassismus und am Ende eine zunehmende soziale Unruhe mit Konflikten. Aber wir haben eine andere Wahl, wir können einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeiten, der vor allem die nächste Generation integriert. (…)
Wir brauchen einen globalen Neustart. Wir müssen alle Teile unserer globalen Gesellschaft mobilisieren. (…) Wir dürfen dieses einzigartige Zeitfenster nicht verpassen. Wir können unser Verhalten ändern, um wieder in Harmonie mit der Natur zu sein, und wir können schauen, dass die neue Technik der vierten industriellen Revolution in bester Weise verwendet wird, um uns ein besseres Leben zu gestalten.“
Danach schickt UN-Generalsekretär António Guterres seine „wärmsten Grüße und besten Wünsche zum Auftakt des großen Neustarts“. „Klimawandel, Ungleichheit und die Gesetzlosigkeit des Cyberspace“ müssten ein Ende haben. „The Great Reset“ versteht die Tragödie der Pandemie als einen Weckruf.
„Es ist unausweichlich, dass wir unsere Welt neu erfinden, neu gestalten, neu beleben und neu ausbalancieren.“
Charles, Prince of Wales, sieht das ganz ähnlich. „Wir haben eine riesige Chance, etwas Gutes aus dieser Krise zu machen. Ihre beispiellosen Schockwellen könnten die Menschen empfänglich machen für große Visionen des Wandels.“
Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, sieht in der Krise eine Chance „für eine grünere, gerechtere Welt“. Und so sehen das eigentlich auch all die anderen, die hier zu Worte kommen — vom Vertreter der Bank of China über den Chef von Mastercard bis zum Vorstand von BP. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Ein Dutzend wahrhaft mächtiger Global Leaders gibt zu Protokoll, was unsereiner seit geraumer Zeit denkt: Die Welt ist aus den Angeln. Die Probleme sind nicht mehr zu kontrollieren. Doch darüber hinaus rufen sie zur Revolution auf: Mühselige und Beladene aller Länder, vereinigt euch mit uns!
Bleiben bloß ein paar Fragen offen: Wo liegt die Bastille, die es zu stürmen gilt? Wie demoliert man sie? Und schließlich, wie sieht das kommende Paradies eigentlich aus? „Sie arbeiten seit vielen Jahrzehnten an dieser Agenda“, sagt der Moderator zu Schwab und fragt ihn, wie es nun weitergehe. Und dieser dekretiert: „Wichtig ist, die Denkweise zu ändern!“ Man müsse die Kurzfristigkeit hinter sich lassen, und er führt aus:
„Wir werden jetzt eine recht hohe Zahl von Taskforces starten, um alle die Themen zu untersuchen. Und wir werden alle diese Ideen den in Davos versammelten Menschen, den Führern aus Wirtschaft und Politik präsentieren. Wir werden Davos sehr offen halten. Wir werden unsere über 10.000 globalen Shaper auf der Welt mobilisieren, um einen Doppelgipfel zu organisieren, um kontinuierlich mit den in Davos versammelten Menschen zu kommunizieren und interagieren.“
Er verspricht, alle Menschen auf Erden, die eine Stimme haben und die „besonders innovative Ideen zur Verbesserung der Lebensbedingungen haben“, einzubinden. Die 10.000 globalen Gestalter bilden ein Netzwerk aus 438 Hubs in 150 Ländern. Ein Shaper ist unter 30 Jahre alt. Hubs bestehen aus „Teams junger Menschen, die durch gemeinsame Werte vereint sind — Inklusion, Zusammenarbeit und gemeinsame Entscheidungsfindung. Gemeinsam schaffen sie Projekte und Wandel für ihre Communities“ — alles in Diensten des WEF.
Der Prince of Wales sekundiert: „Wir haben es geschafft, einige Leute auf unsere Seite zu ziehen, aber bei Weitem nicht die Mehrheit des privaten Sektors. Aber ich denke, dass der private Sektor der Schlüssel ist.“ Sharan Burrow, Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbunds in Brüssel, ist sich sicher, dass viele Regierungen auf ihrer Seite seien. Das Denken in kurzen Fristen funktioniere nicht mehr. Doch „wie bringt man die Unternehmen dazu mitzumachen? Oder müssen wir einigen Vorständen die Hände auf die Herdplatte legen?“
Die Zustimmung aller Unternehmen wäre tatsächlich ein schier unlösbares Problem — gäbe es da nicht die Corona-Pandemie. Wie sagte Klaus Schwab anlässlich der Vorstellung des „Great Reset“-Projekts? „Diese globale Pandemie hat auch wieder gezeigt, wie sehr wir miteinander vernetzt sind. Wir müssen ein funktionierendes System intelligenter globaler Zusammenarbeit wiederherstellen, das strukturiert ist, um die Herausforderungen der nächsten 50 Jahre zu bewältigen. Der ‚Great Reset‘ wird von uns verlangen, alle Stakeholder der globalen Gesellschaft in eine Gemeinschaft mit gemeinsamen Interessen, Zielen und Handlungen zu integrieren.“ Fast möchte man Schwab und die Seinen weltferner Naivität beschuldigen.
Schließlich klingt es so, als erschöpfe sich der „Great Reset“ auf die Einberufung eines weltweiten Palavers von kreativen Köpfen mit neuen Ideen. Und so wäre es vermutlich, gäbe es die globale Pandemie nicht, die in erstaunlicher globaler Eintracht so gemanagt wurde, dass die meisten Volkswirtschaften vor dem Ruin stehen — ebenso wie der private Sektor. Mal ganz abgesehen von den Menschen, die mittlerweile jeder Erlösung bedingungslos zur Verfügung stehen.
Insofern könnte man sagen, dass WEF schafft zunächst eine globale Abstimmungsebene, die es vollkommen kontrolliert. Damit schafft es die Legitimität für eine globale Handlungsebene, aus der eine Weltregierung hervorgehen wird, die den Auftrag hat, den globalen Schrotthaufen, den das globale Pandemiemanagement hinterlassen hat, zu beseitigen — und bei dieser Gelegenheit noch alle anderen irdischen Schieflagen.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass eine solche Exekutive über Mittel verfügen würde, die alle dystopischen Albträume überträfe. Der Lohn: eine grüne Welt voller gesunder Menschen ohne nennenswerte Ungleichheiten, die dem Klimawandel Einhalt geboten hat und dem Wohlstand und Fortschritt frönt.
Wie diese Weltordnung dann aussähe, darüber schweigen sich das Video und die Ankündigungen des „Great Reset“ aus. Davon vermittelt jedoch das Buch „Covid-19: The Great Reset“, das Anfang Juli 2020 auf Englisch erschienen ist, einen Vorgeschmack. Die Autoren sind Klaus Schwab und Thierry Malleret. Der Franzose Malleret hat jahrelang das Forum in Davos organisiert und ist der Gründer des Global Risk Network des WEF. Der Mann verfügt über einen exzellenten akademischen Hintergrund und hat sich als Investmentbanker, als Berater im Büro des französischen Ministerpräsidenten und als Herausgeber des Monthly Barometer einen großen Namen als Kapazität auf dem Gebiet der Big Pictures gemacht.
Die Autoren verbinden in ihrem Buch Schwabs schon früher gehegte Fantasien über die sogenannte „Vierte Industrielle Revolution“ mit den durch die Pandemie geschaffenen Realitäten. Konsequent verstehen sie Covid-19 als das Ereignis, das die Notwendigkeit eines Resets allen evident gemacht hat, und sie sehen die pandemische Lage als Chance, den Übergang in das Zeitalter der Vierten Industriellen Revolution zu beginnen. „Es ist ein seltenes, aber enges Zeitfenster, um unsere Welt zu reflektieren, neu zu interpretieren und neu zu starten.“ Das Buch hat drei Teile: „Macro Reset“ handelt von Ökonomie, Technologie und Global Governance, „Micro Reset“ untersucht die Folgen für Industrie und Unternehmen, „Individual Reset“ befasst sich mit dem neuen Individuum.
Die Pandemie habe ein elementares Problem verdeutlicht: Es gebe eine globale Katastrophe, aber keine globale Antwort. Das verweise auf das zentrale Problem: „Daher besteht die Sorge, dass wir ohne angemessene Global Governance bei unseren Versuchen, globale Herausforderungen anzugehen und darauf zu reagieren, gelähmt werden.“ Das gelte nicht nur für den medizinischen Kampf gegen die Pandemie, sondern auch für die Folgen, die auf uns zukommen: Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und Flucht werden biblische Ausmaße annehmen.
All diese globalen Herausforderungen können nicht im nationalen Rahmen gelöst werden, sondern nur durch eine globale Führung. „Kurz, Global Governance steht im Zentrum aller anderen Probleme“ (Seite 83). Dieses Big Picture klingt eher wie ein Nachruf:
„Das 21. Jahrhundert wird höchstwahrscheinlich eine Ära ohne absoluten Hegemon sein, in der keine Macht absolute Dominanz gewinnt — deshalb werden Macht und Einfluss chaotisch und manchmal zähneknirschend neu verteilt“ (Seite 85).
Der Kampf gegen den Klimawandel sei zum Beispiel eine dringende Aufgabe, die man nur global und mit den entsprechenden Instanzen lösen könne. Und dieser Kampf werde zu radikalen Neuerungen führen.
„Wenn wir in der Zeit nach der Pandemie beschließen, unser Leben wieder so aufzunehmen wie vorher (indem wir die gleichen Autos fahren, unsere Häuser auf die gleiche Weise heizen und so weiter), dann ist die Covid-19-Krise in Bezug auf die Klimapolitik umsonst gewesen“ (Seite 100).
Die Pandemie habe bereits für einen gewaltigen Sprung nach vorne gesorgt, was die Digitalisierung angehe.
„Die Pandemie wird die Innovation noch mehr beschleunigen, indem sie bereits eingeleitete technologische Veränderungen katalysiert und jedes digitale Business oder die digitale Dimension jedes Business turbomäßig auflädt“ (Seite 107).
Ein Beispiel sei die digitale Kontaktverfolgung:
„Wir werden sehen, dass die Kontaktverfolgung Unvergleichliches leistet und einen quasi unverzichtbaren Platz in dem Arsenal einnimmt, das zur Bekämpfung von Covid-19 benötigt wird, während sie gleichzeitig so positioniert ist, dass sie eine Massenüberwachung ermöglicht.“
Jeder könne jederzeit aufgespürt werden. Aber es sei klar, dass das nicht auf freiwilliger Basis funktioniere, „wenn die Menschen nicht bereit sind, ihre eigenen persönlichen Daten der Regierungsbehörde, die das System überwacht, zur Verfügung zu stellen“ (Seite 115). Natürlich werde niemand solche Systeme nach der Krise einfach aufgeben. Das Risiko der Totalüberwachung sei real, räumen die beiden Visionäre ein, aber leider unvermeidlich.
Nach Beendigung der Pandemie werden vermutlich viele Vorstandschefs glauben, man könne weitermachen wie zuvor. Offenbar übersehen sie, dass Business as usual an Covid-19 gestorben ist. Die Arbeitswelt wird einfach anders aussehen. Man arbeitet auf Distanz, ersetzt persönliche Treffen durch virtuelle, überhaupt wird die Digitalisierung alle Arbeitsvorgänge durchdringen. Künstliche Intelligenz und Roboter bieten sich als „natürliche“ Alternative für Menschen an. „Die Technologien der Vierten Industriellen Revolution sind tatsächlich verstörend (disruptiv) — sie stellen die bestehende Art und Weise des Wahrnehmens, Rechnens, Organisierens, Handelns und Ausführens auf den Kopf. Sie stellen völlig neue Möglichkeiten der Wertschöpfung für Organisationen und Bürger dar.“
Die Auswirkungen der Pandemie haben verheerende Folgen für die Individuen. Aber auch hier gelte, die Pandemie als Chance zu verstehen: „Sie stellt ein seltenes, aber enges Fenster der Gelegenheit dar, unsere Welt zu reflektieren, neu zu überdenken und neu zu gestalten“ (Seite 172). Wenn Schwab und Malleret an die Fortschritte in Neuro- und Biotechnologie denken, dann wird sich die Frage, was ein Mensch ist, neu stellen. „Diese Technologien werden innerhalb unserer eigenen Biologie operieren und die Art und Weise verändern, wie wir mit der Welt in Kontakt treten. Sie sind in der Lage, die Grenzen von Körper und Geist zu überschreiten, unsere körperlichen Fähigkeiten zu verbessern und sogar einen dauerhaften Einfluss auf das Leben selbst zu haben.“
Zwangsläufig schüttelt es einen, wenn visionäre Technokraten ihre digitalen Träume preisgeben. Doch darum geht es hier nicht — auch nicht um die schlichte Denkungsart, die die Autoren in dem Buch an den Tag legen. Bis zu einem gewissen Punkt könnten vermutlich viele — darunter auch ich — die Diagnose von Schwab und Malleret teilen. Der Stand der Dinge war bereits vor der Pandemie beängstigend. Allerdings hat die massive Verschlechterung durch die Pandemie kaum damit zu tun, dass Nationen unabgestimmt nur ihre Interessen verfolgt hätten.
Vielmehr vermittelte die global-kollektive Übernahme des chinesischen Modells den Eindruck einer konzertierten Aktion. Erst dadurch entstanden die wahrscheinlich irreparablen Folgeschäden, erst das führte die bereits vorher bestehenden Systemschäden an den Rand des Kollapses und darüber hinaus.
Vermutlich mit Absicht bleibt „Covid-19: The Great Reset“ in fast jeder Hinsicht vorsichtig allgemein. Global Governance definieren die Autoren als „Prozess der Zusammenarbeit unter transnationalen Akteuren mit dem Ziel, Antworten auf globale Probleme zu geben. (…) Es umfasst die Gesamtheit von Institutionen, Richtlinien, Normen, Verfahren und Initiativen, durch die Nationalstaaten versuchen, mehr Vorhersehbarkeit und Stabilität in ihre Reaktionen auf transnationale Herausforderungen zu bringen“ (Seite 82). Das klingt nach diplomatischem Oberseminar, aber nicht nach einer starken Global Governance, die in der Lage wäre, die beschriebenen Probleme zu lösen.
Quellen und Anmerkungen:
Die Fußnoten zu diesem Buchauszug können in „Meine Pandemie mit Professor Drosten“ eingesehen werden.