Die Unterwerfung der Universitäten
In seinem neuen Buch „Wie ich meine Uni verlor“ erzählt Michael Meyen, wie der akademische Nachwuchs in Deutschland ausgesiebt und auf die Regierungslinie eingeschworen wird.
Warum sollten wir uns mit den Universitäten beschäftigen? Im Vergleich zu den Parlamenten, den Krankenhäusern, den Schulen, ja selbst den Supermärkten und Bäckereien haben die akademischen Weihestätten in den aktuellen Krisen nur wenig Beachtung gefunden. Das war ein Fehler. Denn nicht jeder ist ein Student, aber fast jeder, der heute im öffentlichen Leben eine Rolle spielt, war mal einer. Das gilt für Politiker, für Experten und Wissenschaftler aller Art, für Wirtschaftslenker, Lehrer, Ärzte sowie nicht zuletzt auch für Medienschaffende. Die Universität ist das Nadelöhr, durch das sie alle hindurch müssen. Und dort wird kräftig ausgesiebt und herumgeknetet — sowohl was die politische Linientreue betrifft als auch in Bezug auf Sekundäruntugenden wie Arbeitseifer, Anpassungsfähigkeit und den Verzicht auf eigenständiges Denken. Studenten werden durch die Universitätsstrukturen im Grunde daran gehindert, erwachsen zu werden; so „geschult“, erlangen viele dieser unreifen Persönlichkeiten dann die Macht, uns Vorschriften zu machen. Professor Dr. Michael Meyen ist ein Dozent, der durch leidvolle Lebenserfahrung lernen musste, welchen Preis es hat, innerhalb einer solchen „Leeranstalt“ auszuscheren, deren geheimes Ziel in systematischer Horizontverengung liegt. Unlängst wurde ihm aufgrund von Kontaktschuldvorwürfen ein Disziplinarverfahren angehängt. Sein Buch erzählt seine berufliche Biografie und beleuchtet darüber hinaus viele der Gründe für die schockierende intellektuelle Dürftigkeit, die während der Corona- und Ukrainekrieg-Ära zu beobachten war.
„Das ist ja ein Dauerzustand geworden“, schrieb der Journalist Birk Meinhard, „einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit um die Teile zu reduzieren, die nicht zur Haltung passen, und dafür die Teile überzubetonen, die sich mit der Haltung decken.“ Meinhardt bezog sich damit auf die Süddeutsche Zeitung. Die mit dem Slogan „Seien Sie anspruchsvoll“.
Für Michael Meyen hat sich Meinhards Satz bewahrheitet. Er erklärt einen wichtigen Teil seiner Lebensgeschichte. Der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München — gern auch nach ihren berühmtesten Studenten als „Geschwister-Scholl-Universität“ bezeichnet — passte irgendwann nicht mehr zu der derzeit erforderlichen „Haltung“. „Wie ich meine Zeitung verlor“ hieß ein Buch Birk Meinhards, dessen Titel Meyen für seine jüngste Veröffentlichung variiert hat.
Wer ist Michael Meyen? Folgt man dem, was im Mainstream über ihn geschrieben wird, ist er wohl ein „gefallener Engel aus der Hölle“, wie es unser Respektkanzler ausdrücken würde. Ihn umweht der Schwefelgeruch der Umstrittenheit. Anständige Menschen müssen heute völlig unumstritten sein, nirgendwo auffallen, nirgendwo anecken, nichts riskieren, mit dem Strom schwimmen.
Begegnet man Professor Meyen persönlich, wirkt er stets bescheiden, freundlich und kompetent. Die Vielzahl seiner Aktivitäten in den Bereichen Lehre, Journalismus und Journalismus-Ausbildung legt den Gedanken nahe, dass er wohl doppelt so lange oder doppelt so schnell arbeiten muss wie „normale“ Arbeitnehmer. Selbst der medialen Hetzjagd gegen ihn begegnet er stets gefasst, höflich und unverdrossen. Allenfalls kann man in manchen Momenten ahnen, wie sehr ihn das Unrecht mitnimmt, das er erleiden musste.
Der „Fall Meyen“ fällt in eine Zeit, in der die Mächtigen rücksichtslos mit ihren Gegnern abrechnen, in der sie diese nicht einmal mehr als Hofnarren oder anregende Provokateure in ihrer Gegenwart dulden möchten. Das Unkraut muss heute mit der Wurzel ausgerissen werden. Aus unserer Sicht, als kritische, vielseitig informierte Zeitgenossen, kristallisiert sich mittlerweile eine Faustregel heraus: Diejenigen Personen, um die die größten Skandale inszeniert werden, sind oft die Besten: Ulrike Guérot, Sucharit Bhakdi, Patrik Baab, Rudolph Bauer. Wo Menschen noch selbstständig denken, da lass dich ruhig nieder. Michael Meyen gehört ohne Zweifel dazu.
Déja-vu-Erlebnisse im Westen
Wer also ist Michael Meyen? Hier muss man vor allem seine DDR-Biografie mit in den Blick nehmen, auf die sich der Professor auch in diesem Buch oft bezieht. Meyen war „tief genug drin in der DDR, um aus dem Zusammenbruch einen Kompass zu ziehen, der wild ausschlägt, wenn Freiräume eingeschränkt und Bekenntnisse verlangt werden“. Aus der DDR-Vergangenheit lernen heißt Wachsamkeit lernen. Viele im Westen, speziell auch im wohlhabenden München, schwingen zu sehr in falscher Harmonie mit „ihrer Obrigkeit“ mit. Sie kennen nicht die Brüche, die vielfachen Enttäuschungen, das bittere Gefühl, von all den offiziösen Großsprechern aus Politik und Medien betrogen worden zu sein.
Meyen also war in seiner Jugend „Student an der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig, der Kaderschmiede für die Propagandisten des Sozialismus“. Sicher kam er mit der heutzutage naiv anmutenden Absicht in den Westen, dass in der „freien Welt“ alles ganz anders ablaufen würde. Meyen fand jedoch eher — wenn auch mit etwas Verzögerung —Phänomene vor, die ihm vertraut vorkamen: „Wenn es um Gendern, Corona, Klima geht, höre ich Klassenfeind, Weltfrieden und die unverbrüchliche Freundschaft zum großen Bruder, zur Sowjetunion.“
Seine aus westlicher Sicht „dunkle“ Vergangenheit motivierte Michael Meyen, besser zu sein als der Rest, sich noch mehr anzustrengen als seine Mitbewerber.
„Heute sehe ich das als Folge der Diktaturerzählung, die sich wie Mehltau über die Erinnerungen an die DDR gelegt hat, jedes ostdeutsche Leben unter einen Generalverdacht stellt und jemanden wie mich so dazu zwingt, besser sein zu müssen als gleichaltrige Westdeutsche. Hier spricht ein Ostdeutscher, der gegen jede Wahrscheinlichkeit an der Universität aufsteigen konnte, bis er anfing, die Narrative der Macht öffentlich infrage zu stellen und seine akademische Reputation für die Ideen und Werte des 89er-Herbstes einzusetzen.“
Michael Meyen ist auch als Publizist in den letzten Jahren sehr fruchtbar gewesen. Ein Buch, „Die Propaganda-Matrix“, entstand, ebenso wie die Kolumne „Medienrealität“ bei Rubikon und Manova, in denen er Fehlentwicklungen mit Scharfblick unter dem Gesichtspunkt ihrer journalistischen Aufbereitung analysiert. Was haben Universitäten und Journalisten eigentlich miteinander zu tun?
„Wenn der Journalismus der Ausspielort ist, der Kanal, der die Lieder verbreitet, die alle zu singen oder wenigstens zu kennen haben, dann sind die Universitäten das Produktionsstudio. Hier wird komponiert, hier werden die Musiker konditioniert und ausgesiebt.“
Und welche Art von Musik ist heute angesagt? Hier trifft der Spruch „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ zu: Universitäten bereiten Journalisten darauf vor, Herrschaftswissen wiederzukäuem und als Chorknaben nach dem Dirigat der Macht immer genau das zu intonieren, was von ihnen verlangt wird.
Die Religion der Gegenwart
Und was macht die Universitäten für Regierende so attraktiv, dass sie ihre Indoktrinationsbemühungen mit besonderem Eifer auf diese fokussieren?
„Wer die Universitäten beherrscht, bestimmt, wie wir leben. Die Universität ist das Nadelöhr, das jeder passieren muss, der irgendwann irgendwo etwas zu sagen haben will.“
Wer nicht über die Universitäten sprechen will, sollte also über andere vordergründig interessantere Bereiche der Gesellschaft schweigen.
„Man kann über Schule und Kitas schimpfen, über die Justiz und über die Kirche. Man kann fragen, was in der Kultur los ist, in der Politik und im Gesundheitswesen. Man kann den Kopf schütteln, wenn man Zeitung liest oder Bekanntmachungen der Ämter. Wer dem Übel auf den Grund gehen will, kommt an den Universitäten nicht vorbei.“
Dabei ist in einer säkularisierten, eigentlich halt- und glaubenslosen Zeit die Wissenschaft von überragender Bedeutung. Erst die Corona-Zeit mit ihren penetranten Drosten- und Wieler-Personality-Shows machte uns dies in seiner ganzen Tragweite deutlich.
„Wissenschaft ist die Religion der Gegenwart. Um etwas durchzusetzen, brauche ich Priester mit Professorentitel, Studien, Akademien, Ethikräte. Ohne die Weihen von Gelehrten keine Absolution. Diese Deutungshoheit macht die Universitäten attraktiv für alle, die tatsächlich etwas durchsetzen können. Große Unternehmen, Stiftungen, Parteien, überhaupt: die Politik und ihre Behörden.
Dieses Buch erzählt, wie die Freiheit der Wissenschaft im letzten Vierteljahrhundert systematisch ausgehöhlt worden ist. Heute wird nicht mehr das untersucht, was ein Professor, seine Schüler und seine Studenten für wichtig halten. Die Neugier der Forscher ist korrumpiert worden von einem System, das mit Geld und Ruhm lockt, Abweichler brandmarkt und dem Nachwuchs von klein auf eintrichtert, dass sich Anpassung und Nachbeten besser bezahlt machen als jeder Trip ins Ungewisse.“
Dabei ist der heutige Umgang mit Wissenschaft im Grunde unwissenschaftlich, weil er statt auf Neugier, methodischen Zweifel und ergebnisoffene Untersuchungen darauf setzt, diejenigen Erkenntnisse durch Verwendung von Fachvokabular zu adeln, die von Macht- und Geldinstanzen für opportun gehalten werden. Dabei gilt: „Wissenschaftliche Wahrheit ist der aktuelle Stand des Irrtums.“
Jeder Dogmatismus, jede zu große Selbstgewissheit, wie wir sie in Corona-Zeiten bei eingebetteten Wissenschaftlern erlebt haben, ist im Grunde fehl am Platz. Schon das berühmte Milgram-Experiment von 1961 hat aber gezeigt:
„Menschen sind ‚bereit, Dinge zu tun, die sie üblicherweise verweigern würden, wenn ihnen gesagt wird, dass die Wissenschaft es von ihnen verlangt.‘“
Diese kollektive Glaubensbereitschaft, verbunden mit alles andere als glaubwürdigen Wissenschaftlern, ist im politischen Kontext brandgefährlich.
Studenten sollen Kinder bleiben
Nicht zuletzt menschelt es auch im Milieu der „exakten Wissenschaft“ beträchtlich. Eine Kollegin Meyens, so berichtet er, wollte nicht anerkennen, „dass in jedem ‚Fakt‘ ein Mensch steckt und damit ein Interesse“. Sie habe ihm entgegengehalten: „Wenn das stimmt, Herr Meyen, dann können wir uns die ganze Wissenschaft gleich sparen. Relativismus. Populismus. Postfaktisches Denken. Alternative Fakten. Donald Trump. Wo kommen wir da hin? Woran sollen wir denn dann noch glauben, woran uns festhalten in diesen stürmischen Zeiten?“ Meyen entgegnet aber:
„Die Wissenschaft, die sich nur für die Wahrheit interessiert und für sonst nichts, ist eine Schimäre. Die Idee, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die ‚uneigennützig‘ und womöglich sogar ‚unentgeltlich‘ für das Wohl aller arbeiten: Das ist die illusio des akademischen Feldes …“
Um Meyens Absturz vom Wissenschaftsolymp zu ermessen, muss man die Fallhöhe in den Blick nehmen. Als er ungefähr 30 war, „kam ein Ruf der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die beste Hochschule des Landes wollte mich. Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Ich konnte das gar nicht glauben und hätte fast recht behalten.“
Meyens rasanter Aufstieg war letztlich zu schön, um wahr zu sein. Denn der Preis, der von ihm erwartet wurde, um weiter oben zu schwimmen, war intellektueller und moralischer Selbstverrat.
Anfangs meinte Michael Meyen noch, das akademische Establishment würde ihn zumindest als einen schicken Farbfleck auf dem einheitsgrauen Sakko dulden. Vielleicht, so gibt er die möglichen Gedanken seiner Vorgesetzten wieder, „kann so ein Außenseiter nicht schaden, wenn wir gerade dabei sind, ein neues Regime zu installieren, das wenig später neben Leistungspunkten und Noten für jeden noch so kleinen Kurs auch H-Index und Impact-Faktoren, Exzellenzinitiative, W-Besoldung und Shanghai-Ranking hervorbringen sollte und damit eine ganz neue Gesellschaft“.
Interessant an „Wie ich meine Uni verlor“ ist nämlich auch die ganze Vorgeschichte. Lange bevor die Universität eine politische und hypermoralische Anstalt wurde, wurden wichtige Weichen formaler Art gestellt. Willst du das eigenständige Denken erdrosseln, so könnten sich die Bologna-Konstrukteure gedacht haben, nimm den Studierenden zuerst die Zeit und innere Ruhe, die sie bräuchten, um kreative Gedanken überhaupt erst zu entwickeln. Bring sie dazu, ängstlich auf Noten zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, ihren Dozenten als den Austeiler der ersehnten Brosamen gefügig zu umsäuseln und alle Gedanken aus ihrem Hirn auszuradieren, außer „Was muss ich tun für den nächsten Schein?“.
Im Endeffekt soll verhindert werden, dass aus Studierenden reife und im vollen Sinn des Wortes erwachsene Menschen werden. Es wird alles getan, „damit Studenten Kinder bleiben“. Dies alles wäre nichts weiter als ein skurriler Fall kollektiver Psychopathologie, würden nicht viele der auf diese Weise geistig und charakterlich Zurechtgestutzten am Ende Macht über uns alle in ihren Händen halten.
Die Pandemie der Unterwürfigkeit
Pisa und Bologna gingen der geistigen Dürre und jener Pandemie der Unterwürfigkeit voraus, die wir heute an Schulen und Universitäten beobachten können. Alles hätte anders kommen können, „wenn die europäischen Regierungen das Betriebssystem der Hochschulen Ende der 1990er nicht komplett umgeschrieben und dabei das Zusammenspiel von Forschung, Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung dem ökonomischen Diktat von Messbarkeit und Effizienz geopfert und Akademia so Machtinteressen zum Fraß vorgeworfen hätten“. Welcher „tiefere Sinn“ lag in der radikalen Umgestaltung der Universitäten vor etwa 25 Jahren?
„Die Treiber von Bologna wussten, warum sie ein Blitzstudium wollten. Und sie wussten auch, dass Wettbewerb die Preise senkt und den Zusammenhalt schwächt, und pushen deshalb Frauen in die Spitzenjobs, neuerdings sogar mit dem Argument, dass jedes Kind, das nicht geboren wird, den Planeten retten kann. Der Notenzwang tötet das akademische Gespräch.“
Die Gedanken der Studierenden kreisen heute nicht mehr darum, was sie vom Leben wollen und nach welchen Erkenntnissen es sie verlangt, sondern darum, was sie müssen beziehungsweise noch dürfen.
Zum großen Teil negativ bewertet Michael Meyen in diesem Zusammenhang auch die brachial vorangetriebene Digitalisierung. Was wir heute an peinlicher Rückgratlosigkeit in der akademischen Welt erleben, ist „im Rückblick auch zu erklären mit dem Siegeszug der Digitalplattformen, die nicht nur einer neuen Cancel Culture den Weg ebneten, sondern auch der Angst, sich alles zu verbauen mit einem einzigen Satz oder einem Bild, festgehalten für die Ewigkeit“.
Die neuen Kanäle formten so die altvertrauten Botschaften, die lauten: „Gehorche!“, „Pass dich an!“. Das Internet gibt einem Fehler — oder dem, was Etablierte für einen Fehler halten — quasi Ewigkeitscharakter. Alles ist für immer abrufbar, nichts wird verziehen. Und ein Artikel kann online von heute auf morgen verschwinden; bei Printmagazinen, die in Hunderten von Exemplaren in den Wohnzimmern der Leser herumliegen, ist dies nicht möglich.
„Das Medium ist die Botschaft, hat Marshall McLuhan gerufen, als das Fernsehen dabei war, die Welt zu erobern. Das ist hier mein Punkt. Wer die Kanäle gestaltet, über die wir uns austauschen, der bestimmt, wie wir miteinander umgehen und wie wir leben.“
Ein freies Studium, in dem selbstständiges und vernetztes Denken gefördert wird, definiert Michael Meyen im Gegensatz dazu so:
„Jeder sucht sich das, was ihn interessiert, ohne all die Schranken, die Fakultäts- und Institutsgrenzen setzen. Der Pflichtanteil? Minimal. Selbstorganisation statt Stundenplan. Und: Forschung statt Trichter. Vom ersten Tag an dort dabei sein, wo Wissen entsteht, und nicht einfach büffeln wie in einer Klippschule.“
Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht sogar noch daran, dass es an Universitäten, speziell in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten, tatsächlich so gewesen ist. Heute erscheint so eine Beschreibung wie ein schönes Märchen von anno dazumal.
Keine „2023er-Revolte“
Die auf Einengung und Unterwerfung hin konzipierte Organisation des Studienbetriebs resultiert letztlich auch in politischem Kleinmut.
„Proteste, Demos, Streiks. Die Studenten von heute zucken mit den Schultern, wenn ich das erzähle. Sie haben längst verinnerlicht, dass man Lebenszeit bewirtschaftet und damit haushalten muss. Sie können Studienordnungen lesen und fragen nicht nach Literatur und Forschungsproblemen, sondern nach den Regeln. Was muss ich tun, damit Sie mir eine Eins geben, Professor Meyen?“
Schon in den frühen Jahren wird auf Menschen also ein enormer Angstdruck ausgeübt, derart, dass sie ihr Verhalten mit Blick auf mögliches späteres Bewertetwerden zu normieren haben. Michael Meyen verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Art und Weise, wie im Nationalsozialismus und in der DDR die Universitäten planmäßig unterworfen worden sind. Die Drohung mit Strafen im engeren Sinn des Wortes ist dazu gar nicht nötig. Es genügt ein „Aufstiegsangebot an die Jugend, wenn sie bereit ist, in das Lied einzustimmen“.
Wer als Student diese Mühle durchlaufen hat, wird später als Professor höchstwahrscheinlich gar nicht mehr auf die Idee kommen, „dass akademische Lehre mehr ist als die Zertifizierung von Sekundärtugenden und Forschung keine Magd der Macht“. Die erste Bologna-Generation lehrt jetzt an den Universitäten und ist auch in der Politik angekommen — die Folgen sind verheerend. Hinzu kommt das Desaster der „Drittmittel“, mit deren Hilfe Professoren in ähnlicher Weise von der Wirtschaft gekauft werden können wie Profifußballer von entsprechend finanzkräftigen Vereinen. Meyen schreibt sogar, „dass Professoren wie Eisenspäne auf den Magneten Drittmittel fliegen“.
Bezeichnenderweise wurden der Technischen Universität (TU) München laut Meyen in den letzten vier Jahren 41 Professuren geschenkt. Edelmut? Nein, auch in diesem Sektor bekommt man nichts umsonst. Die Folge: „Heute kommen Menschen auf die Lehrstühle, die genau das tun wollen, was sie tun sollen, und deshalb Topmanagern, Behördenchefs und Spitzenpolitikern genauso gefallen wie ein teurer Wein.“
Warum geben taffe Wirtschaftslenker ihr kostbares Geld für etwas vermeintlich so Verstiegenes wie Professoren aus?
„Wer verstehen möchte, warum sich Facebook oder die Besitzer von Lidl und Kaufland Professoren kaufen, muss in das Herz einer Gesellschaftsform blicken, die Sheldon Wolin ‚umgekehrter Totalitarismus‘ getauft hat. (…)
Dann seht ihr, dass der Staat die Konzerne geheiratet hat und dass beide alle anderen Formen der Macht adoptieren und alimentieren. Kirchen, Wissenschaft, Technik, Kultur. Hier, beim Staat, Militär und Gewaltmonopol, und dort, bei den Konzernen, das Geld, das heute auch die Autorität und die Ressourcen nutzt, die sich aus Wahlen, politischer Rhetorik und Steuern speisen. Eine ‚Supermacht‘ im wahrsten Sinn des Wortes, die anders als Hitlerdeutschland oder die frühe Sowjetunion kein Charisma braucht und die Massen weder mobilisieren muss noch in irgendwelche Lager stecken. (…)
Für die Kontrolle, sagt Sheldon Wolin, genüge es, ‚ein kollektives Gefühl der Abhängigkeit zu schaffen‘, für einen ‚Gleichklang‘ der Leitmedien zu sorgen und dabei das zu nutzen, was inzwischen an Methoden der ‚Einschüchterung und Massenmanipulation‘ verfügbar ist.“
Das Stigma der Meyen-Nähe
Erschütternd sind die Berichte Michael Meyens über das Verhalten seiner Kollegen und Studenten, seit er mit diversen Vorwürfen konfrontiert wurde. Kontaktschuld spielte dabei eine wesentliche Rolle. „Spätestens als der Name Daniele Ganser fiel, war ich für mein Publikum gestorben.“
Außerdem soll Meyen — man ahnt es fast schon — Ken Jebsen als Quelle empfohlen haben. „Ken Jebsen, Michael. Das geht gar nicht.“ Und er war für kurze Zeit formal Herausgeber der Zeitschrift Demokratischer Widerstand. Ebenfalls vorhersehbar war, dass bei den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, das Wort „Verschwörungstheorie“ fiel.
Die Vertreter der Anklage legen keine Wert auf Originalität und Integrität, sie sondern ab — was in einem bestimmten Kontext von ihnen erwartet werden kann. Und die Studenten? Anstatt die Vorfälle zum Anlass für Protest zu nehmen, wie man sie aus der jüngeren Geschichte der Universitäten kennt, beeilten sie sich, das offenkundig sinkende Schiff zu verlassen.
Angst saß ihnen im Nacken. „Meyen trifft jemanden, der stigmatisiert ist. Ich habe bei Meyen promoviert. Also bin ich nun auch stigmatisiert.“
Meyens Stern, der am akademischen Himmel eine Zeit lang hell gestrahlt und ihm gar den Ehrentitel „Speerspitze der Wissenschaft“ eingetragen hatte, sank rapide.
„Sieben von elf Projekten wollen mich als Sprecher weghaben, noch am gleichen Tag oder erst am nächsten.“
Weder Mut oder menschlicher Anstand noch Sachkenntnis bezüglich der Themen, um die es Michael Meyen ging, focht die Reißausnehmenden an. Nur weg vom geistigen Infektionsherd, bevor ich angesteckt werde. Ein „Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München“ veröffentlichte einen Artikel unter dem Titel „Michael Meyen und das Antisemitismusproblem an der LMU“. Dies macht den Antisemitismusvorwurf, der eigentlich schlimmer Judenfeindlichkeit vorbehalten sein sollte, beliebig, wertet das Wort zur Allzweckwaffe gegen alle ab, die man aus irgendeinem Grund nicht mag oder loswerden will.
Zudem wird Druck auf die Ludwig-Maximilians-Universität ausgeübt, sich von der potenziellen Kontaminationsquelle zu trennen. Besagtes Bündnis „informiert“ noch immer jeden Veranstalter, der Michael Meyen zu einem Vortrag einladen will, über dessen vermeintliche Nichtswürdigkeit.
Mit Beginn des Sommersemesters 2023 wurde Meyen mitgeteilt, dass seine Universität darum gebeten habe, ein Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten. Dieses ist zum heutigen Zeitpunkt immer noch anhängig. Zur Last gelegt wurde ihm neben anderen Vorwürfen ein kurzes Werbevideo für den Demokratischen Widerstand. Der Trägerverein des Mediums werde dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugerechnet. Man sieht, dass die Saat dieses für die Meinungsfreiheit tödlichen Knebelgesetzes jetzt nach und nach aufgeht.
Die außenreizgesteuerte Universität
Die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über Michael Meyen ist zugleich Symptom einer weiteren bedenklichen Entwicklung. Die Freiheit der Lehre wird nicht nur durch die Einflussversuche von Staat und Wirtschaft beschnitten — nun müssen Lehrende und Lernende auch noch nach dem Wohlwollen der großen Medien schielen.
„Wenn Resonanz in den Leitmedien zu einem Kriterium für wissenschaftliche Qualität wird, dann hat das ganz unabhängig von politischen Geldtöpfen Folgen für die Personalauswahl, für die Forschungsthemen und selbst für die akademische Lehre.“
Das bedeutet, drastisch ausgedrückt:
„Wer die Leitmedien beherrscht, kann den Universitäten diktieren, woran sie zu arbeiten haben. Niemand konsumiert ‚Tagesschau‘ oder Spiegel, Zeit, FAZ, Süddeutsche, um zu erfahren, wie die reale Welt da draußen aussieht. Das sieht jeder, wenn er vor die Tür geht. Leitmedien nutzen wir, um Definitionsmachtverhältnisse zu beobachten ...“
Wer die Machtverhältnisse und die Strategien der Macht so klar sieht wie Meyen, bei dem ist anhaltender Widerstand doppelt mutig.
Menschen, die sich ohnehin fast nur innerhalb einer alternativen „Bubble“ bewegen, können kaum ermessen, welchem Druck jemand ausgesetzt ist, der im Reich der „Normalen“ und Etablierten heutzutage etwas werden — oder bleiben — will. Der Widerstreit zwischen dem, was verlangt wird, und dem, was das eigene Gewissen als richtig erkannt hat, mag den Betreffenden schier zerreißen.
Oder ihm außergewöhnliche mentale Stärke verleihen. Dieses Buch ist neben seinen aufschlussreichen Sachaussagen auch ein Dokument des Nichtaufgebens, der fairen, jedoch spitzzüngigen intellektuellen Gegenwehr angesichts unsäglicher Angriffe. Denn mag die Solidarität mit dem „umstrittenen“ Professor innerhalb des „Lagers“ notorischer Medien- und Regierungskritiker auch erfreulich groß sein: Sobald Michael Meyen diesen schützenden Raum verlässt, sieht er sich umgeben von mächtigen Feinden aus Politik, Mainstreampresse, Wirtschaft, universitärem Establishment, ja selbst vonseiten der Studenten und ehemals vertrauter Weggefährten.
Jenseits der Häppchen-Wissensvermittlung
Im Mikrokosmos des „Falls Meyen“ spiegelt sich das große Ganze, entlarven sich die kleingeistige Mentalität und der Selbstverrat der Stützen der Gesellschaft, ihre vielfältigen Verflechtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten sowie die Verachtung der Freiheit des Geistes. Der isolierte Einzelne, der — institutionell, nicht etwa mental — Schwächere, ist immer eine Art Fairness-Tester für die Mächtigeren. Daran gemessen ist das Versagen der Verfolger Michael Meyens ein vollständiges.
Der Weg aus der Misere heraus — so unwahrscheinlich so eine Entwicklung aus heutiger Sicht auch erscheinen mag — wäre zu finden durch die klare Analyse und dann Umkehrung der heute leider etablierten Verhältnisse: durch die entschiedene Rückkehr zu einem humanistisch-emanzipatorischen Menschenbild, wie es an den Universitäten lange Zeit wenigstens der Absicht nach gelehrt wurde; durch das Abschneiden der Gängelbänder, an die sachfremde und übelwollende Interessengruppen die Universitäten gelegt haben. Wäre dies vollbracht, könnte auch wieder eine Bildung blühen, die diesen Namen verdient und sich nicht in einem würdelosen Dauer-Kotau vor den Götzen Effizienz und Sollerfüllung erschöpft.
„Wir alle brauchen eine Bildung, die über Auswendiglernen hinausgeht, über Wissenshäppchen, aufgeschnappt in winzigen akademischen Parzellen, und über einen sechsten Sinn dafür, welche Themen ich mit welchen Sprachcodes und in welcher Zeit bearbeiten muss, um von der Sonne der Macht beschienen zu werden.“
Hier können Sie das Buch bestellen: „ Wie ich meine Uni verlor: Dreißig Jahre Bildungskrieg. Bilanz eines Ostdeutschen“