Die Unintelligenz des Schwarms

Sich bloß der Herrschaft zu widersetzen, genügt nicht — Oppositionelle brauchen auch Strategien, um sich nicht infolge interner Konflikte selbst zu sabotieren.

Es ist ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Politischer Widerstand wird nicht nur von den etablierten Mächten bekämpft, sondern zersetzt sich von selbst. Sei es durch Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern, Machtkämpfe oder, wie in einem aktuellen Fall, durch vermeintliche Unterschlagung von Spendengeldern. Reiner Füllmich, einem „Paladin“ unter den Aufklärern der „COVID-19-Pandemie“, wird von seiner Kollegin Viviane Fischer vorgeworfen, sowohl Spendengelder in private Immobilien investiert als auch relativ hohe Summen als Vergütung für die Arbeit seiner Kanzlei in Rechnung gestellt zu haben. So stellt es jedenfalls Frau Fischer in einem etwa 10-minütigen Video dar. Herr Füllmich hat sowohl bei bittel.tv als auch bei apolut.net dazu Stellung genommen und mithilfe eines etwas detaillierteren Einblicks seine Sicht der Dinge zum Ausdruck gebracht. In diesem Artikel geht der Autor jedoch nicht auf Details ein; er betrachtet den Konflikt an sich und unterbreitet Vorschläge, die in Zukunft helfen könnten, solch unerwünschte Vorkommnisse zu vermeiden.

Es erscheint mir wichtig, die Ursachen sowie die Mechanismen in Augenschein zu nehmen, welche die Menschen spalten, da sie die immer wieder neu entstehenden Bewegungen im Keim ersticken lassen oder dazu führen, dass sie in Bedeutungslosigkeit versinken. Das konnten wir allein innerhalb der letzten zwei Jahre vermehrt beobachten, zum Beispiel beim „Widerstand 2020“ und auch teilweise bei der Partei „dieBasis“. Wie sich die aktuellen Enthüllungen auf den Corona-Ausschuss auswirken, werden wir erst nach einer gewissen Zeit sagen können.

Neue Bewegungen und ihre Hürden

Politische oder soziale Bewegungen, welche sich mithilfe der Initiatoren sowie helfender Teilnehmer entfalten, verursachen unter anderem einen Aufwand, der nicht nur durch Tatkraft bewerkstelligt werden kann, sondern mit finanziellen Mitteln gedeckt werden muss. Zudem müssen die meisten Mitglieder und Helfer ihre Lebenshaltungskosten stemmen. Beide Umstände stellen für jede neue Bewegung eine Hürde dar, an der viele schon ziemlich früh scheitern.

Zu Beginn jeder neu entstehenden Bewegung herrscht oft ein Enthusiasmus, der es einigen Initiatoren ermöglicht, andere Menschen zum Mitmachen zu motivieren oder erfolgreiche Spendenaufrufe zu organisieren. Die Spender sind sich meistens des Vertrauensvorschusses, den sie den Akteuren vorstrecken, bewusst und unterstützen diese häufig mit einem Betrag, der für ihre persönlichen Verhältnisse nicht von Belang ist. Nichtsdestotrotz können bei vielen tausend Unterstützern schnell stattliche Summen zusammenkommen. Diese Gelder ermöglichen es, wirtschaftliche Aktivität und somit die gesetzten Ziele zu verwirklichen, indem die laufenden Kosten gedeckt werden oder Anlagevermögen gebildet wird. Geld besitzt auch eine Motivationsfunktion, die es erlaubt, sogar Menschen aktiv werden zu lassen, die sich mit der Bewegung nicht identifizieren oder sie nicht einmal genau kennen.

Komplikationen

Wie es im Leben so ist, ergeben sich mit der Zeit mannigfaltige Schwierigkeiten, mit denen sich die Mitglieder auseinandersetzen müssen. Sobald diese Probleme zu undurchsichtigen oder zwielichtigen Taten führen, wird das wichtigste Attribut, nämlich das ehrliche Motiv, in Verruf gebracht.

Menschen vereinen sich meist zu solchen Gruppierungen, um ihr Verlangen nach Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit zu stillen. Sobald die Ehrlichkeit einiger Mitglieder infrage gestellt werden kann, erleidet die Bewegung als Ganzes einen „Imageschaden“. Es entsteht ein bitterer Beigeschmack bei allen aktiven Teilnehmern sowie Beobachtern und Unterstützern.

Dabei müssen die Gründe beziehungsweise Motive für die Taten überhaupt nicht verurteilenswert sein. Oftmals sind sie nur menschlich und betreffen Schwierigkeiten, mit welchen sich auch andere Menschen auseinandersetzen müssen. Dies können Schulden sein, Suchterkrankungen, Beziehungsprobleme oder vermeidbare Fehltritte, wie eine Autofahrt unter Alkoholeinfluss. Der ideologische Aspekt einer Bewegung nimmt Schaden, sobald Informationen verspätet öffentlich gemacht werden und sich eine Absicht zur Verschleierung mutmaßen lässt.

Nicht außer Acht zu lassen wäre an dieser Stelle noch der Egoismus, der einen Großteil zwischenmenschlicher Konflikte verursacht. Sobald einige Mitglieder Anspruch auf Privilegien erheben oder um Positionen wetteifern, sobald sie anfangen, sich in den Vordergrund zu drängen und sich zu behaupten, leben sie damit Verhaltensmuster aus, denen die Bewegung ursprünglich entgegenwirken wollte. Unsere Tendenz, sich in pyramidalen Verwaltungsstrukturen zu organisieren, begünstigt die Entstehung sowie Kultivierung niederer Beweggründe im menschlichen Geist. Im Endeffekt führt das dazu, dass das Vertrauen der Unterstützer in eine Bewegung sinkt, wodurch Gelder aus Spenden versiegen, und auch die Motivation schwindet mitzumachen. Die Gemeinschaft zerbricht.

Die zwei Grundpfeiler

Es stechen zwei Hauptmerkmale hervor, mithilfe derer sich die Grundstruktur des Problems beschreiben lässt. Das erste betrifft die Informationsstruktur sowie den Informationsfluss zwischen allen Mitgliedern sowie Zuschauern und Interessierten einer Bewegung, welche zumeist relativ intransparent gestaltet sind. Das zweite betrifft die entstehenden Hierarchien und Entscheidungsgewalten. Beide bilden die zwei funktionalen Hauptsäulen menschlicher Organisation, die wir neu denken könnten, um unerwünschte Resultate in Zukunft zu vermeiden.

Bezug nehmend auf das erste Hauptmerkmal, sollten wir bei der Entwicklung eines Konzepts für eine neue Organisationsform Antworten auf folgende Fragen finden: Wird die finanzielle Struktur von Einnahmen und Ausgaben regelmäßig kommuniziert, und wenn ja, wie detailreich sind die Informationen? Haben alle Mitglieder, aber auch Zuschauer und Spender einen barrierefreien Zugang zu den Berichten? Sind für die Mitglieder wie auch für die Beobachter die Themen, welche die Bewegung beschäftigen, sichtbar? Haben sie einen Überblick über die Lösungsvorschläge?

Den Informationsfluss von Seiten der Zuschauer und Mitglieder hin zu der Bewegung zu betrachten, ist genauso wichtig: Gibt es eine unkomplizierte Möglichkeit, seine Meinung sowie Lösungsvorschläge zum Ausdruck zu bringen oder auch zu ändern? Wie hoch sind die Hürden, um sich einbringen zu können?

Die technische Umsetzung einer Informationsstruktur, welche in der Lage ist, auf diese Fragen eine befriedigende Antwort zu geben, ist im heutigen Zeitalter der Informatik kein Hindernis. Es fehlen uns bisher lediglich die Konstatierung der Menge an Transparenz, die wir gewährleisten wollen, und das technische Konzept zu dessen Umsetzung.

Das zweite, schon eben erwähnte Hauptaugenmerk betrifft die Entscheidungsgewalt und die Frage, inwiefern demokratische Prozesse die Entscheidungen einzelner Mitglieder ersetzen. Das ist im Grunde genommen die Kernfrage, welche die Gewichtung zwischen Hierarchie und Anarchie beziehungsweise Demokratie festsetzt. Der zu erarbeitende Entwurf muss Antwort auf die Frage geben, welche Mehrheit ausreicht, um Impulse freizusetzen, sowie den Mechanismus des Impulses an sich beschreiben. Das neu entstandene Konzept könnte uns auch als Blaupause für die angestrebte Gesellschaftsform dienen.

Aus der Pyramide einen Kreis machen

Eine offene Informationsstruktur über den Aufwand einer Bewegung könnte es Beobachtern erlauben, neben der Möglichkeit, Geld zu spenden, an vielen Stellen auch Dienstleistungen anzubieten. Dies könnte viele Menschen dazu animieren, tatsächlich mitzumachen, anstatt einfach nur zu beobachten und zu warten, bis andere den ersehnten Wandel herbeiführen. In deren Folge könnten wir wahrscheinlich beobachten, dass sich das Verantwortungsgefühl des Individuums für das Kollektiv stärkt.

Wir müssen uns von der hoffnungsvoll-naiven Vorstellung trennen, dass sich einige Helden finden werden, die den Kampf für uns führen und uns ein lebenswertes Habitat erschaffen. Es geht darum, die pyramidale Herrschaftsform zu überwinden und auf die Schwarmintelligenz zu setzen.

Dabei müssen wir uns diese Strukturen selbst ausdenken und aufbauen, da es bisher nur wenig Vergleichbares auf der Welt gibt. Der technologische Fortschritt erlaubt es uns, viele Dinge relativ schnell auszuprobieren sowie direktes Feedback der Masse zu erhalten. Mit „uns“ ist dabei jeder Mensch gemeint, der sich zum Mitmachen entscheidet. Wichtig ist, im Hinterkopf zu behalten, dass sich nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft aktiv beteiligen müssen. Das beweist die jetzige Form unserer Organisation sowie unserer Demokratie, in der Minderheiten den Ton angeben und die Gesellschaft nach ihren Visionen formen. Wir müssen zwar eine kritische Masse erreichen, um Veränderungen umzusetzen, es gibt aber mehrere Theorien dazu, wie groß diese letztendlich sein muss. Die benötigte Masse oszilliert bei etwa 10 Prozent einer Gesellschaft.

Eine Applikation zur Durchführung von Wahlen ermöglicht, Entscheidungen zu fällen, ohne von der Führung Einzelner abhängig zu sein. Ideen für die Verwendung von Geldern würden die Mitglieder selbst liefern. Sie müssten ihre Idee kommunizieren, sie vorstellen und zur Abstimmung freigeben können. Eine zuvor festgelegte Mehrheit müsste sich für eine Idee entscheiden, um Gelder freizugeben und dies umzusetzen. Wir könnten auch eine Spendenstruktur erschaffen, die zweckgebunden ist, wodurch wir schnell erkennen könnten, für welche Projekte tatsächlich große gemeinsame Interessen bestehen.

Die Investition von Geldern gibt die Richtung für die Entwicklung einer Bewegung vor, weswegen man die Entscheidungsgewalt weg vom Einzelnen hin zum Kollektiv verschieben könnte, und zwar mithilfe direktdemokratischer Prozesse. Wir erschaffen eine Form von Organisation, welche sich ausschließlich oder zumindest hauptsächlich direktdemokratisch selbst verwaltet.

Vermeintliche Schwächen könnten sich als Stärken erweisen

Kritische Stimmen könnten einwenden, dass eine offene Informationsstruktur es den Gegnern vereinfacht, Vorkehrungen zu treffen und die neu entstehende Bewegung zu sabotieren und zu bekämpfen. Das könnte stimmen, aber ein solcher Prozess läuft sowieso ab. Wir müssen uns eingestehen, dass die etablierten Mächte mithilfe ihres gesponnenen Netzwerks, modernster Technologien, Privatarmeen sowie der Geheimdienste ein Arsenal an Werkzeugen und Waffen besitzen, denen wir nur wenig entgegenzusetzen haben.

Drehen wir den Spieß also um: Öffnen wir uns und lassen den Informationen freien Lauf. Lassen wir alle sehen, dass unsere Motive edel sind und dass unsere Ziele zu einer positiven und wünschenswerten Entwicklung der Gesellschaft beitragen. Lassen wir alle sehen, dass wir nur Menschen sind, die auch Fehler begehen, aus denen wir jedoch lernen. Lassen wir alle sehen, dass wir dabei Hilfe brauchen und wo wir sie benötigen. Bieten wir unseren „Gegnern“ keine Angriffsfläche, indem wir unsere Menschlichkeit von vornherein eingestehen und sie nicht verbergen.

Verzichten wir dabei jedoch darauf, einzelne Personen zu Führern zu erheben, um sie dann unnötigen Versuchungen und Gefahren auszusetzen. Minimieren wir die Gefahr, von falschen Propheten verführt oder schlecht vertreten zu werden.

Niemand ist in der Lage, eine große Menge zu vertreten und für sie zu sprechen, da eine große Masse an Menschen viel zu heterogen ist. Wir sollten uns ähnlich eines Fischschwarms organisieren, der es Fressfeinden erheblich erschwert, Beute zu machen. Lernen wir von der Natur, imitieren wir sie. Wir müssen das Rad nicht erst neu erfinden, sondern sollten erkennen, dass wir eine Menge gemeinsamer Interessen besitzen, die uns bei der Erbauung eines neuen gesellschaftlichen Gebäudes als Mörtel dienen werden.



Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.