Die unfreie Marktwirtschaft

Die USA unter Donald Trump vertreten den ökonomischen Liberalismus nur, solange er ihnen selbst nützt — anderenfalls wird kräftig reguliert, manipuliert und gedroht.

Es kann ja mal passieren, dass sich europäische Länder durch besonders raffinierte Wirtschaftsstrategien über den Tisch ziehen lassen. Bei Donald Trump indes kommt der nationale Egoismus auf denkbar plumpe Weise und ganz unverhohlen daher. Jeder weiß, dass die Vorgehensweise des neuen US-Präsidenten mit Fairness nichts zu tun hat, auch wenn er diese gern ins Feld führt, um gegen andere Länder zu agitieren, die momentan auf irgendeinem Gebiet besser dastehen als die Vereinigten Staaten. „Strategisch“ setzt der Polterer aus „God’s own country“ überwiegend auf das Recht des Stärkeren. Schon immer setzten Wirtschaftskrieger auf die Überflutung der Märkte anderer Staaten mit Billigimporten einerseits und auf Abschottung des eigenen Marktes andererseits. Dafür gibt es Beispiele aus der Kolonialgeschichte, die für ökonomische Konkurrenzländer buchstäblich vernichtend ausgingen. So leicht lassen sich China und andere aufstrebende Nationen heutzutage aber nicht mehr kleinkriegen.

„Fair is foul, and foul is fair.“ So interpretieren die drei Hexen in Shakespeares Drama Macbeth die oft schillernden Unterschiede zwischen gut und böse oder schön und hässlich. Ob etwas fair ist, hängt oft genug von der Sichtweise und Interessenlage des Betrachters ab und die Foul-Entscheidung eines Schiedsrichters entzweit in Sekundenschnelle ein ganzes Stadion und die Fernsehzuschauer gleich mit. In der Politik fehlt es oft genug an Fairness gegenüber den Konkurrenten, gleichermaßen gegenüber denen in der Opposition oder in der eigenen Partei. Adenauers Merksatz zum internen Wettbewerb ist unvergesslich, seine Steigerung von Feind: „Feind, Todfeind, Parteifreund.“

Präsident Trump und das amerikanische Handelsdefizit

Der gerade wiedergewählte Präsident Donald Trump wird besonders in Europa und Asien mit einer Mischung aus Skepsis und Furcht vor dem Schlimmsten beobachtet. Er äußert sich nämlich äußerst unverblümt zu den internationalen Handelsbeziehungen und sagt aggressiv deutlich, was er von den Handelsüberschüssen Deutschlands und besonders Chinas hält. Dessen Handelsüberschuss von fast einer Billion US-Dollar sei unfair und alles, was er für die USA möchte, sei Fairness. 2024 erreichte der chinesische Überschuss in den USA 525 Milliarden Dollar, mehr als die Hälfte des gesamten amerikanischen Defizits. Deutschland steht im Jahr 2024 mit 76 Milliarden Dollar an vierter Stelle, Thailand an zwölfter. Aber sein Wirtschaftsminister erklärt, dass ein großer Teil von amerikanischen Firmen stammt, die wiederum ihre Gewinne in die Heimat überweisen.

Trump klagt schon länger darüber, dass amerikanische Arbeitsplätze verschwinden, während in China neue entstanden oder in Deutschland erhalten geblieben sind. Aktuell fordert er, Fabriken in die USA zu verlegen oder aber Zölle zu zahlen.

Was er in derartig holzschnittartigen politischen Statements nicht erwähnt, sind die vielfältigen Ursachen für wirtschaftliche Ungleichgewichte, die es im Welthandel vermutlich immer schon gegeben hat.

Wie die alten Römer ihre Seidenimporte aus China bezahlt haben, weiß man nicht mehr, möglicherweise in Gold oder Silber. Die beiden Edelmetalle waren über Jahrhunderte die monetären Turbobeschleuniger der Weltwirtschaft und des globalen Handels. Als die spanischen Konquistadoren Mexiko und das heutige Bolivien erobert hatten, begannen sie Mitte des 16. Jahrhunderts mit der Ausbeutung der dortigen Silberminen. Schon im Jahre 1600 waren von dort 25.000 Tonnen Silber in Spanien angekommen, stimulierten die Wirtschaft und finanzierten die Kriege, höchst unfair für die Mexikaner und Bolivianer, die es schürfen mussten.

Etwa zur gleichen Zeit war das indische Mogulreich auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung und wirtschaftlichen Macht. Mit fast 30 Prozent der damaligen Welt-Industrieproduktion zu Beginn des 18. Jahrhunderts, mit Textilien, Schiffbau, Stahlwaren und Landwirtschaft lockte Indien Händler aus den Niederlanden und Großbritannien an. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde Indien ausgerechnet sein Reichtum zum Verhängnis. Das Land wurde von der Privatarmee der britischen East India Company immer weiter erobert und nach einem Aufstand 1858 von der Regierung in London als Kolonie übernommen, für insgesamt 89 Jahre.

In der unfairen Geschichte des britischen Kolonialismus ragen zwei Marktverschiebungen besonders hervor. Die eine ist die Verdrängung der indischen Baumwollindustrie, deren Produkte, unter anderem Kaliko, qualitativ und im Design führend und in Europa begehrt waren. Durch die erste industrielle Revolution mit Dampfkraft und immer effizienteren Spinnmaschinen konnten englische Firmen mit indischer Baumwolle den Weltmarkt erobern. Als dann zusätzlich noch mehr Baumwolle mit afrikanischen Sklaven auf den Plantagen der Neuen Welt viel preiswerter produziert wurde, hatte Indien endgültig seinen Markt verloren.

Das zweite Beispiel ist der Tee, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts zum britischen Nationalgetränk wurde. Er wurde in China eingekauft, musste aber, weil britische Waren dort unattraktiv waren, mit Silber bezahlt werden. Die East India Company schickte deshalb 1848 den Botaniker Robert Fortune nach China, um das Teemonopol zu knacken. Fortune schmuggelte Tausende von Samen und Teepflanzen nach Indien, begründete die dortige Teeindustrie und zeigte, wie Industriespionage Märkte und Handelsströme radikal umkrempeln kann. Nebenbei überschwemmte das Vereinigte Königreich China mit indischem Opium, um weitere Importe zu finanzieren. Die beiden großen Wirtschaftszentren in Asien waren damit ausgeschaltet.

Vergleichbar änderten sich die Märkte für Tabak und Zucker, einmal zugunsten der Neuen Welt und gegen diese mit dem billigen Rübenzucker. Unter der Free Trade Flagge setzten die Seemächte Europas ihre Dominanz auch militärisch durch.

Im 19. Jahrhundert galt dann Großbritannien als „Werkbank der Welt“ und technisch wie wissenschaftlich führende Nation. Als das unter Bismarck vereinigte Deutsche Reich mithilfe der Reparationen aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 begann, seine Schwerindustrie aufzubauen, fand man diese Konkurrenz auf der anderen Seite des Kanals ausgesprochen unfair. Bekanntlich war das die Geburtsstunde des „Made in Germany“, das als Warnung gedacht war und dann schnell zum Qualitätssiegel mutierte. Ende des 19. und im 20. Jahrhundert kamen die USA als Exportnation hinzu und erreichten teilweise gewaltige Handelsüberschüsse.

Zurzeit beobachten wir die neueste tektonische Verschiebung der Handelsströme zugunsten Asiens. Jetzt ist China die „Werkbank der Welt“ geworden und aus der kommunistischen Planwirtschaft ein Wirtschaftswunder.

Wie 60 Jahre vorher Japan und weit darüber hinaus produziert die chinesische Industrie inzwischen nicht nur alle erdenklichen Waren, sondern auch technische Spitzenqualität zu unschlagbaren Preisen. Ein Blick in das Online-Angebot von Aliexpress.com zerstört alle noch kursierenden Vorurteile. Wie fair das ist, „fair is foul and foul is fair“, liegt natürlich im Auge des Betrachters oder Politikers.

Jedenfalls kann man China nicht für alle verschwundenen Arbeitsplätze in Europa und den USA verantwortlich machen. Die Autoindustrie ist eher ein Paradebeispiel für das Ausruhen auf früheren Erfolgen ohne ausreichende Zukunftsplanung. Die deutschen Autobauer, die seit Jahrzehnten mit erheblichen Gewinnen nach China verkaufen oder gleich in China produzieren konnten, sehen jetzt nur noch die Rückleuchten der chinesischen E-Autos.

Die Zukunft der Handelsbilanzen

Große Handelsüberschüsse sind nicht ungefährlich. Sie können die Inflation anheizen, die Zinsen hochtreiben oder die Wechselkurse der eigenen Währung unerwünscht beeinflussen. Vor allem aber provozieren sie Protektionismus bei den Partnern mit Handelsdefiziten, wie Präsident Trump es gerade in Davos unüberhörbar kommuniziert hat. Er bietet die weltweit niedrigsten Steuern für Unternehmen an, die Industriejobs in die USA bringen. Unerwähnt lässt er dabei die nahe liegende Frage, warum gerade diese Jobs abgewandert sind.

Eine Erklärung wäre nämlich, dass für immer anspruchsvollere Fertigungsjobs die notwendige technische Ausbildung sowie die Qualifikationen und Fertigkeiten anderswo eher vorhanden sind. Dabei gibt es auch in Deutschland regionale Unterschiede. Auf der Grundlage der historischen Kuckucksuhrenindustrie sind in Baden-Württemberg andere Qualifikationen entstanden als im Fischfang und Schiffbau im hohen Norden. Die Anpassung an technologische Entwicklungen mit veränderten Anforderungen an die Arbeitnehmer brauchen Zeit und die richtige Aus- und Weiterbildung.

Ob Trumps Warnschüsse viele Firmen zum Umzug in die USA bewegen können, wird letztlich von den Marktkräften entschieden. Und ob sie zu einer einigermaßen einvernehmlichen Welt-Handelspolitik führen könnten, steht erst recht in den Sternen. Neben China steht auch Deutschland unmittelbar in der Schusslinie des Präsidenten und hat dazu in der internen Wirtschaftspolitik schon genügend andere Baustellen.

Der Welthandel war und ist, wie die wenigen historischen Beispiele gezeigt haben, alles andere als eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Nationale Interessen dominieren und extreme Unterschiede können schnell zur militärischen Eskalation ausarten.

Das sollte gerade im Hinblick auf das amerikanisch-chinesische Konfliktpotenzial zur höchsten Vorsicht mahnen.