Die UBERlinale
Die Internationalen Filmfestspiele werden maßgeblich von dem Silicon-Valley-Konzern „Uber“ gesponsert.
Bereits zum zweiten Mal wird Uber die vom 15. bis 25. Februar 2024 stattfindende Berlinale mit 600.000 Euro sponsern. Schon im letzten Jahr war das Technologie-Unternehmen aus dem Silicon Valley der Hauptsponsor der Internationalen Filmfestspiele. Auch wenn es selbst kein einziges Fahrzeug besitzt, übernimmt es die komplette Personenbeförderung des Events, die wie gehabt von für Uber fahrenden Mietwagenfirmen ausgeführt werden wird.
Und das, obwohl das Politikmagazin „Kontraste“ (RBB) im Beitrag „Das Uber-System — Mit der App in die Armut“ erst im August vergangenen Jahres Folgendes über Uber herausgefunden hatte; O-Ton: „Ein Drittel wird legal gearbeitet, ein Drittel wird (…) Mittel vom Jobcenter bezogen und ein Drittel wird voll schwarz gearbeitet.“ Auf Nachfrage bestätigt Berlinale-Pressesprecherin Frauke Greiner, dass ihr die Recherche des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bekannt ist. Somit auch die Tatsache, dass viele der Mietwagenfahrer gar nicht regulär beschäftigt sind. Ein Mitarbeiter des Zolls stellt in der Sendung fest, „dass wir uns hier im Bereich der organisierten Form der Schwarzarbeit befinden“.
Dabei handelt es sich nicht um eine Berliner Besonderheit, sondern um ein landesweites Phänomen. Laut der „Kontraste“-Recherche ergab die Auswertung von mehreren 10.000 Uber-Touren in Nordrhein-Westfalen, dass die Mietwagenfirmen das System nicht dauerhaft wirtschaftlich betreiben könnten. Demnach bekämen die Fahrer häufig weniger, als ihnen nach Mindestlohn zusteht. Mitunter arbeiteten sie sogar zwei- bis dreimal so lange wie bei der Sozialversicherung gemeldet. Die dort angegebenen Löhne seien zum großen Teil fiktiv.
In Hamburg kommt man zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Die Verkehrsbehörde der Hansestadt teilte auf Anfrage vonseiten öffentlich-rechtlicher Medien mit, dass erhebliche Zweifel an einer zumindest kostendeckenden Betriebsführung vorlägen, wenn alle abgabenrechtlichen Vorschriften — allen voran die Mindestlohnvorschrift, aber auch personenbeförderungsrechtliche — eingehalten würden.
Laut dem Magazin TAXItimes hatte Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek gegenüber dem Berliner Taxigewerbe im letzten Jahr ihre Bereitschaft signalisiert, für die diesjährige Berlinale einen neuen Hauptsponsor als Ersatz für Uber zu suchen. Vorausgegangen waren Gespräche mit Vertretern des Taxigewerbes, das Rissenbeek und der Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) die „Goldene Augenbinde“ für ihre Ignoranz gegenüber Ubers Rechtsverstößen verliehen hatte. Auch die damalige regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) soll laut dem Magazin ihren Unmut über die Partnerschaft mit Uber geäußert haben.
Weiter bestätigte damals Rissenbeek nach Angaben der TAXItimes, einer Informationsplattform der gewerblichen Personenbeförderung in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass das Taxigewerbe den Fahrdienst für die Berlinale mindestens ebenso gut umsetzen kann wie Uber. Und sie hätte auch nichts dagegen, ausschließlich auf Taxis zu setzen. Doch könne die Berlinale, die jährlich mit rund 13 Millionen Euro vom Bund gefördert wird, nicht auf die 600.000 Euro verzichten, mit denen der US-Konzern die Filmfestspiele unterstützt. Daher habe man sich zu einem erneuten Sponsoren-Jahresvertrag entschlossen. So war es in der TAXItimes in diesem Beitrag vom November vergangenen Jahres zu lesen.
Uber-Whistleblower Mark MacGann, der vor eineinhalb Jahren den Medien mehr als 120.000 vertrauliche Unterlagen zugespielt hat, sagte über seine Tätigkeit als ehemaliger Uber-Cheflobbyist: „Wir haben den Leuten eine Lüge verkauft.“ So auch der Titel meiner ausführlichen Recherche auf Multipolar.
In einem Interview mit dem Guardian sprach MacGann von „gemütlichen Netzwerken“ (cozy networks), die es schon lange gibt, die immer wieder ihre Formen verändern und bis heute existieren. MacGann, der immer noch überrascht war, wie leicht es für ihn war, an die Mächtigen heranzukommen, fasste seine persönlichen Erfahrungen als Uber-Cheflobbyist so zusammen: „Der Zugang zur Macht ist nichts, was demokratisiert ist.“
Ich selbst war 25 Jahre Taxifahrer in Berlin, bevor ich vor vier Jahren wegen Uber meine Arbeit verlor. Meine persönlichen Erfahrungen habe ich in dem Beitrag „Taxifahren war mein Leben — bis Uber nach Berlin kam und die Branche zerstörte“ in der Berliner Zeitung zusammengefasst. Dort schrieb ich, dass ich davon ausgehen würde, dass uns Uber auch weiterhin eine Lüge verkauft. Die Recherchen der Öffentlich-Rechtlichen bestätigen dies nun.
Und ebenso, dass es weiterhin nur sporadische Kontrollen gibt, weil in Berlin keine 20 Leute für fast 10.000 Taxen und Mietwagen zur Verfügung stehen. Die Kontrollen in der „Kontraste“-Sendung wurden vom Zoll und von der Polizei und nicht von Mitarbeitern der für die Personenbeförderung zuständigen Behörde durchgeführt. Das Berliner Taxigewerbe ist seit einem vernichtenden Urteil einer externen Gutachterfirma im Juli 2016 praktisch gläsern — für das Mietwagengewerbe fehlt ein entsprechendes Gutachten bis heute. Insider gehen davon aus, dass ein unabhängiges Gutachten über das Mietwagengewerbe mindestens genauso vernichtend ausfallen würde.
Darauf deuten auch die Aussagen der beiden für Uber fahrenden Berliner Mietwagenfahrer in der Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hin. Als einer der Fahrer seinen Chef nach einer Anmeldung fragt, lässt dieser ihn wissen, dass er prinzipiell keinen seiner Fahrer anmeldet. Begründung: „Dann kommt das Finanzamt, und das fragt so viel, zieht zu viele Steuern ab.“ Seine zahlreichen Fahrer fahren nach eigenen Angaben schon seit sechs Jahren ohne Anmeldung und sagen bei Kontrollen immer, sie seien in der Probezeit. Eine Praxis, die durch die durchgeführten Kontrollen in der „Kontraste“-Sendung bestätigt wird.
Vom zweiten Mietwagenfahrer ist zu erfahren, dass es nur so aussieht, als würde sein Arbeitgeber — die Mietwagenfirma — Mindestlohn, Sozialabgaben, Urlaubsgeld und Krankengeld zahlen. In Wirklichkeit laufe es ganz anders. Ist der Fahrer krank, zahlt sein Chef gar nichts, sondern kündigt ihm.
Das Gleiche gilt, wenn er Urlaub macht. Den Mindestlohn von 12 Euro bekommt er nur dann, wenn der Chef mit seinen Einnahmen zufrieden ist. Oft fahre er deshalb sogar länger, um die gewünschten Erlöse zu erzielen. Wenn die Einnahmen nicht reichen, müsse er später einen Teil seines Lohnes zurückgeben. Mit diesen Worten bittet der Fahrer um Hilfe: „Ich möchte dass uns jemand hilft, dass man uns hört. Ich möchte eine legale Arbeit, so wie jeder in Deutschland.“
Leider wurde dieser Hilferuf erneut nicht von der Berlinale erhört. Im Gegenteil, sie will trotz allem weiterhin an Uber festhalten. Die Berlinale vertraut ihrem Sponsor offensichtlich mehr als dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In ihrem Antwortschreiben verweist Berlinale-Pressesprecherin Greiner darauf, dass Uber anfangs zwar sehr kritisiert wurde, seine Unternehmenspolitik aber inzwischen komplett umgekrempelt habe.
Die „Kontraste“-Recherche, die zu einem ganz anderen Ergebnis kommt, wird damit einfach weggewischt. Praktisch so, als gäbe es sie gar nicht, obwohl sie genau zwischen der letzten und der bevorstehenden Berlinale stattfand. Für das Schicksal der Mietwagenfahrer interessiert man sich bei den Internationalen Filmfestspielen offenbar gar nicht.
Zurück zu den 600.000 Euro, mit denen Uber die Berlinale auch in diesem Jahr wieder sponsert und die von irgendjemandem erwirtschaftet werden müssen — im Normalfall von den für das Unternehmen fahrenden Mietwagenfirmen. Überträgt man diese Summe auf die Aussagen des Berliner Zollbeamten aus der Recherche des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, kann man die 600.000 Euro auch so interpretieren: 200.000 Euro sind legal, 200.000 Euro werden vom Jobcenter übernommen und 200.000 Euro sind voll schwarz erwirtschaftet.
Die Berlinale versteht sich selbst als „Plattform kritischer filmischer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen“ und „als das politischste aller großen Filmfestivals“. Aber stimmt das auch immer noch? Interessant in dem Zusammenhang die Frage, ob ein Film über das Leben eines Uber-Fahrers in Berlin, so wie es im „Kontraste“-Beitrag zu sehen ist, auf einer von Uber gesponserten Berlinale laufen könnte?
Fest steht, dass Uber durch die erneute Sponsorschaft das alte Image der Berlinale zu nutzen sucht, um sein eigenes, ramponiertes, aufzupolieren. Auch wenn die Berlinale kein „Mächtiger“ im wörtlichen Sinne ist, so hat sie durchaus Macht. Und zwar die Macht, den Fahrdienstleister — in Anlehnung an eine alte Waschmittelwerbung — „nicht nur sauber, sondern rein“ zu waschen.
Mit der bevorstehenden Umbenennung der Mercedes-Benz-Arena in Uber-Arena im März würde dem umstrittenen Unternehmen aus den Silicon Valley dann der Persilschein ausgestellt. Der neue Name der Event-Arena wäre aber nicht die einzige Veränderung: Auch der Platz vor der Halle — bisher Mercedes-Benz-Platz — soll künftig Uber-Platz heißen. Das Berliner Taxigewerbe hat bereits angeregt, diesen dann gleich in „Platz der Schwarzarbeit“ umzubenennen.