Die Tentakel der Datenkrake amputieren
Ohne auf die Vorzüge eines Smartphones verzichten zu müssen, ist es mittlerweile möglich, ein weitestgehend überwachungsfreies Leben zu führen.
Anhäufung von Wissen ohne daraus folgende Taten ist weitestgehend wertlos. Der von der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff umfangreich skizzierte Überwachungskapitalismus verfährt ebenfalls nicht so. Er lässt es mit Blick auf die historisch beispiellose Daten-Akkumulation nicht dabei bewenden, die Informationen nur zu sammeln. Er synthetisiert die einzelnen Informationen zu einem größeren Wissensschatz, der dann entweder verkauft oder für militärische und geheimdienstliche Unternehmungen verwendet wird. Kurzum: Die, die das Wissen über uns ansammeln, machen etwas daraus. Hingegen begnügt sich ein Großteil der relativ wenigen kritischen Bürger damit, sich bloß zu informieren und Wissen anzuhäufen, ohne es zu verwerten. Schleierhaft bleibt, was gewonnen ist, wenn solche Menschen dann zwar gut informiert sind, aber letztlich genauso in Apathie erstarren wie die unkritischen Teile der Bevölkerung. Zugegebenermaßen fehlte es bislang an dem Wissen, das nötig ist, um sich der gefühlten Übermacht der Überwachungstechnologie zu entziehen. Doch kürzlich publizierte Tom-Oliver Regenauer den Beitrag „Verwanzte Welt“. Dieser umfangreiche Artikel bestand eben nicht nur aus einer roten Pille, die aufzeigt, wie Smartphones als Waffe gegen uns eingesetzt werden. Er beinhaltete eben auch viele grüne Pillen, deren Inhalt konkrete Handlungsmöglichkeiten darbietet, die so ziemlich jedem offenstehen. Darunter befand sich unter anderem eine Auflistung von Smartphones ohne iOS und Android — und damit implizit ohne Google. Das bedeutet nichts anderes, als dass es mittlerweile möglich ist, die Vorzüge eines Smartphones zu genießen, ohne überwacht zu werden. Der Autor hat sich nach der Lektüre des Artikels eines dieser Smartphones zugelegt. Die daraus gewonnenen Erfahrungen sind erhellend, auch ohne die Nennung von Modell und Marke — schließlich verbietet sich Werbung in journalistischen Texten. Es geht am Ende ja nicht darum, wer gegebenenfalls zu welchem Gerät greift, sondern prinzipiell darum, dass nun Instrumente zur Verfügung stehen, die die Bewältigung des Lebens im digitalen Zeitalter ohne Überwachung und Sucht-Erzeugung möglich machen.
„Wenn wir die Demokratie in den kommenden Jahrzehnten erneuern wollen, brauchen wir dazu das Gefühl der Entrüstung, ein Gespür für den Verlust dessen, was man uns da nimmt. Und ich meine damit nicht nur unsere ‚persönlichen Daten‘.
Was hier auf dem Spiel steht, ist die Erwartung seitens des Menschen, Herr über sein eigenes Leben und Urheber seiner eigenen Erfahrung zu sein. Was hier auf dem Spiel steht, ist die innere Erfahrung, aus der wir den Willen zum Wollen formen, und die öffentlichen Räume, in denen sich nach diesem Willen handeln lässt. Was auf dem Spiel steht, ist das herrschende Prinzip sozialer Ordnung in einer Informationszivilisation und unser Recht als Individuen und Gesellschaften, eine Antwort auf die alten Fragen zu finden: ‚Wer weiß? Wer entscheidet? Wer entscheidet, wer entscheidet?‘
Dass der Überwachungskapitalismus so viele unserer Rechte in diesen Sphären an sich gerissen hat, ist ein skandalöser Missbrauch digitaler Fähigkeiten und ihres einst grandiosen Versprechens, das Wissen zu demokratisieren und auf die Erfüllung unserer frustrierten Bedürfnisse eines effektiven Lebens hinzuarbeiten. Die digitale Zukunft ist nicht aufzuhalten, aber der Mensch und seine Menschlichkeit sollten obenan stehen. Die Behauptung der Unabwendbarkeit weise ich (…) zurück, und ich hoffe, Sie tun das (…) auch“ (Shoshana Zuboff: „Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, Seite 596 ff. (1)).
Weisen Sie die Unabwendbarkeit ebenfalls zurück? Entziehen Sie sich dem Sog des Fatalismus?
Vielleicht gehören Sie zu der kleinen Fraktion, die klar ausspricht, dass sie etwas zu verbergen hat. Zumeist heißt es von den meisten: „Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Was natürlich nicht stimmt. Jeder Mensch hat etwas zu verbergen. Und das ist sein gutes Recht.
Und Sie, werter Leser, werte Leserin, sind sich sogar dieses Rechts mehr als bewusst. Andernfalls hätten Sie wohl kaum damit begonnen, den vorliegenden Beitrag zu lesen. Aber wie Sie dieses Recht gegen die Übermacht des Überwachungskapitalismus geltend machen könnten, das wissen Sie vielleicht nicht. Zugegebenermaßen zeigte sich selbiger bislang als übermächtig und alternativlos. Tendenz steigend, wie Regenauer in seinem Smartphone-Beitrag darlegte:
„Dabei stellt das einzelne Gerät künftig nicht mehr das größte Problem für freiheitsaffine Zeitgenossen dar. Denn die Taschenspione überwachen seit geraumer Zeit nicht mehr nur ihren jeweiligen Besitzer, sondern auch dessen gesamtes Umfeld. Dazu kommunizieren die Geräte untereinander, tauschen Informationen wie IMEI-Nummern, IP-Adressen und Kontaktdaten aus. (…)
iPhones zeichnen seit knapp vier Jahren jeden Kontakt mit einem anderen iPhone auf und bilden daraus Netzwerkkarten zu Bewegungen und Begegnungen ihrer Besitzer. Google zog natürlich nach und implementierte eine ähnliche Datenkrake. So zeichnen auch Android-Geräte seit Ende 2020 jede Begegnung mit anderen Android-Geräten auf. Damit entstanden zwei riesige Mesh-Netzwerke, in denen Maschinen ohne Zutun ihres Besitzers untereinander kommunizieren. In Deutschland verwenden 66,1 Prozent der Smartphone-Nutzer Android — 33,2 Prozent iOS von Apple (Stand: März 2024). Damit sind 99,3 Prozent der Bevölkerung kartografiert. Denn seit gut einem Monat verstehen sich die beiden bisher getrennt voneinander spionierenden Betriebssysteme nun auch gegenseitig. (…)
Das läutet nicht nur klammheimlich einen Paradigmenwechsel in Sachen Totalüberwachung ein, ein solches Mesh-Netzwerk schafft darüber hinaus die Grundlage für die Militarisierung der Smartphone-Infrastruktur, weil dieses Netzwerk nicht nur Daten sammeln und senden, sondern auch Befehle empfangen kann. So könnte auf Knopfdruck für 99,3 Prozent der Bevölkerung Malware installiert, ein Blackout simuliert oder eine bestimmte Funkfrequenz generiert werden. Dies könnte (...) Nanopartikel und Smartdust zu bestimmten Reaktionen anregen.“
99,3 ist eine Hausnummer! Wenn Sie in Deutschland auf einem Platz hundert Smartphonenutzer sehen, gibt es keinen einzigen, der nicht über ein Smartphone mit Android und iOS verfügt. Und Sie dachten, die „Impf“-Quote wäre hoch?
Bereits im Januar 2022 stellte ich einen Vergleich zwischen der Verbreitung der Smartphones und der modmRNA-Präparate an. Meine These lautete, dass sich die Distribution der Smartphone-Technologie und der modmRNA dergestalt ähnelt, als dass ein Großteil der Menschen zu Beginn und auch später weder die Funktion noch die Risiken richtig versteht.
Entsprechend arglos hält die Technologie Einzug in das alltägliche Leben der Menschen, von denen wiederum nur ein Bruchteil in den Folgejahren versteht, was es mit dieser Technologie auf sich hat, verbunden mit der Reue, die Technologie so nah an sich herangelassen zu haben. Die Negativwirkung der Smartphones, die schon viele Ende der 2010er bemerkten, würde sich bei den Gen-Präparaten noch vor Mitte der 2020er zeigen. Mein Resümee lautete, dass anhand dieser Parallele die Auswirkungen der Gen-Spritzen antizipiert werden sollten, damit wir Menschen am Ende nicht in das gleiche bittere Bereuen kommen, wie das beim Smartphone teils bewusst, teils unbewusst der Fall ist.
In Deutschland haben nun eben 99,3 Prozent der Smartphone-Nutzer — und wohl auch Sie, werte Leserin und werter Leser — den Smartphone-Salat mit Android- oder iOS-Dressing. Doch gibt es diesen Salat eben auch ohne Apple und Google?
Die Antwort lautet ganz klar: „Ja!“. Hierzu nochmal Tom-Oliver Regenauer:
„Wer nicht auf ein Smartphone verzichten will oder kann, sollte sich nach Alternativen zu Google und Apple umschauen. Das iPhone fällt dabei aus, da sich das iOS-Betriebssystem nicht verändern oder ersetzen lässt. Android kann allerdings angepasst und ohne Google-Dienste genutzt werden. Zudem lassen sich Smartphone-Alternativen auch mit anderen Betriebssystemen wie GrapheneOS betreiben, die die Privatsphäre des Nutzers respektieren — solange man auch seine Apps nicht mehr aus dem Google Play Store, sondern zum Beispiel von F-Droid, Aurora oder APKPure herunterlädt.
Als Endgerät bietet sich in unseren Breiten beispielsweise ein Murena Fairphone oder Volla Phone an. In den USA ein Above Phone. Das Volla Phone wird ab Werk optional mit zwei Betriebssystemen ausgeliefert, einer Eigenentwicklung sowie GrapheneOS. Damit hat man Kontrolle über die eigenen Daten. Und nach einer kurzen Einarbeitungsphase stellt auch der Verzicht auf Google-Dienste kein Problem mehr dar — denn für praktisch jede Google-App gibt es eine überwachungsfreie Open-Source-Alternative. Tipps, Tools, Tutorials und weiterführende Informationen zum Schutz der Privatsphäre auf PC oder Telefon finden sich unter anderem bei Rob Braxman oder im Shop der ‚Privacy Academy‘.“
Nachdem ich Regenauers Artikel aufmerksam gelesen hatte, insbesondere den Abschnitt mit den Lösungsvorschlägen, habe ich mich kurze Zeit später daran gemacht, die Auswahlmöglichkeiten an Smartphones ohne Android und iOS zu durchstöbern. Für welche Marke und welches Modell ich mich entschieden habe, erwähne ich dabei nicht. Weder will noch darf ich hier Werbung machen. Ich vermute, dass das Modell, für welches ich mich entsprechend meiner Präferenzen entschieden habe, stellvertretend für viele weitere ähnliche Geräte steht. So lässt sich aus meinem nachfolgenden Erfahrungsbericht generell die Handhabe, Tauglichkeit und Anwenderfreundlichkeit für viele weitere Modelle ableiten.
Goodbye, Google!
Mitte Juli dieses Jahres erreichte mich dann mein neues Smartphone. Seit ich das Gerät aus der Verpackung holte und dem Zeitpunkt, da ich diesen Erfahrungsbericht schreibe, ist nun ein guter Monat vergangen. Entsprechend wage ich zu beurteilen, was freie Smartphones im Jahr 2024 „draufhaben“.
Hardware
In Sachen Design steht das freie Smartphone den Geräten aus dem Hause Apple, Samsung, Huawei & Co. in nichts nach. Schlank und fein verarbeitet kommt das Gerät daher. Und tatsächlich ist das Design ironischerweise durch ein aus der Mode gekommenes Feature seinen Konkurrenz-Produkten „voraus“: Die Rückseite lässt sich abnehmen, um gegebenenfalls den Akku auszuwechseln. Ein Pluspunkt in Sachen Nachhaltigkeit. Über die Rückseite lassen sich entsprechend auch SD- und SIM-Karten ein- und ausbauen.
Der Akkuleistung ist tatsächlich nicht die stärkste, was jedoch insofern kein großes Problem darstellt, als dass der Akku sich sehr schnell aufladen lässt. Front- wie Rückkamera sind sicherlich nicht mit der atemberaubenden Qualität der neuesten iPhone-Modelle vergleichbar; dennoch ist die Bildqualität mehr als ausreichend.
Seltsamerweise verfügt das Modell, dessen Marke sich mit Datenschutz rühmt, über eine Entsperrfunktion per Fingerabdruckscanner. Solange dieser nicht genutzt wird, werden entsprechend auch keine Daten über die Fingerabdrücke erhoben. Hoffentlich.
Meine Entscheidung fiel hardwarebedingt auf ein vergleichsweise niedrigpreisiges Modell, da viele der Modelle aus dem höheren Preissegment über keine Kopfhörer-Buchse mehr verfügen. Wahrscheinlich gehen die meisten Produzenten davon aus, dass Kopfhörer-Nutzer in der Regel auf kabellose Ohrstöpsel zurückgreifen. Selbstredend keine gesunde Wahl beziehungsweise Trend. Zu welchen gesundheitlichen Folgen es führen kann, sich strahlende Dinger in die Ohrmuscheln zu stecken, wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Zum Glück gibt es Modelle wie das meine, welches noch ein Hören und Telefonieren via Kabelkopfhörer ermöglicht.
Nicht alle Modelle verfügen über eine 5G-Kompatibilität, was in vielen Testberichten bemängelt wurde. So hat auch mein Modell „nur“ 4G. Wie hier oder hier auf Manova schon sattsam beschrieben wurde, ist der 5G-Technologie mit maximalem Argwohn zu begegnen, da der gesundheitsschädigende Faktor immens und der Nutzen gegenüber 4G nahezu inexistent ist. Insofern kann die Beschränkung auf 4G ebenfalls als Pluspunkt gewertet werden. Einschränkend muss man hier natürlich erwähnen, dass es durchaus Modelle mit 5G gibt.
Software
Ausschlaggebend für die Zurückhaltung beim Kauf freier Smartphones dürfte wohl die Sorge sein, dass zahlreiche Apps nicht mehr funktionieren oder verfügbar sind. Diese Bedenken waren in den Anfangstagen der freien Smartphones sicherlich berechtigt. Mittlerweile können diese entkräftigt werden; die allermeisten Apps funktionieren auch auf freien Geräten und können über einen eigenen App-Store oder über einen Browser heruntergeladen werden. Ob Banking-App, Spotify, Messenger, Verkehrs-App oder Insekten-Scanner — nahezu alles funktioniert auf dem Smartphone. Es sind wenige, kleine Apps, die entweder gar nicht oder nur fehlerbehaftet auf dem Betriebssystem laufen. Ironischerweise funktioniert gerade die App von „Pre-Search“ — die empfehlenswerte Alternative zu Google — nicht zuverlässig. Je größer und verbreiteter die Apps sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese funktionieren.
Größtes Manko ist wahrlich die Alternative zu Google Maps. Die installierte Karten-App funktioniert nur sehr langsam, die Suchfunktion ist sehr rudimentär. Das allerdings könnte ein guter Anlass sein, seinen eigenen Orientierungssinn und die Gabe, sich Kraft seiner eigenen Sinne durch die Gegend zu manövrieren, wieder vermehrt zu schärfen.
Darüber hinaus beinhaltet das Modell noch weitere datenschutztechnische Features, wie das Verstecken der IP-Adresse, was allerdings die Funktionstüchtigkeit vieler Applikationen erheblich einschränkt. Entsprechend nutze ich diese Funktion nicht. Der Standort kann ohne sonderliche Funktionalitätseinbußen vorgetäuscht werden. Frei von Einschränkungen können Tracker blockiert werden. Eine minütlich sich aktualisierende Statistik zeigt, wie viele Datenlecks in den letzten dreißig Tagen verhindert wurden. Ich habe 18 Apps installiert, von denen 7 Stück insgesamt 6.067 Datenlecks verursacht hätten, wenn mein Smartphone das nicht verhindert hätte. Mit Blick auf die Liste der von Ihnen installierten Apps können Sie ja überlegen, wie hoch Ihr Datenleck-Counter auf Android oder iOS ist.
Zusatz-Hardware
Um mich aus den Fängen des Überwachungskapitalismus zu befreien, wollte ich es nicht bei dem freien Smartphone bewenden lassen. In dem von Tom-Oliver Regenauer erwähnten Shop der Private Academy legte ich mir außerdem einen sogenannten Mic-Blocker zu. Diesen steckt man in den USB-Ausgang des Smartphones. Solange sich dieser darin befindet, blockiert er sämtliche Audiosignale, sodass auch das Mithören von Gesprächen rein technisch nicht mehr möglich ist, selbst wenn das Handy gehackt werden sollte. Die Funktionstüchtigkeit dieses Blockers testete ich, indem ich mir per Signal selbst eine Sprachnachricht sendete — mit dem Mic-Blocker im USB-Slot kam nur ein Rauschen durch. Dieses Feature ermöglicht es also, selbst in der Gegenwart von Handys sensible Gespräche oder auch normale Unterhaltungen zu führen, ohne dass einem kurze Zeit später passgenaue Angebote gemacht werden, basierend auf den von den Handys aufgezeichneten Gesprächsfetzen.
Mit Schwarzweiß Farbe ins Leben bringen
Von den durch — freien wie unfreien — Smartphones hervorgerufenen und extrem süchtig machenden Dopamin-Kicks kann sich im Grunde genommen jeder sofort befreien. Wer durch verminderte Smartphone-Sucht das Handy weniger nutzt, hinterlässt folgerichtig auch weniger Daten. So ist auch der Weg über die Reduktion der Smartphone-Sucht eine Methode, um sich den Überwachungskraken zu entziehen. Maßgeblich tragen die grellen und schillernden Farben des Smartphones zur Handy-Sucht bei. Insbesondere, wenn über die hellen Displays die Pop-up-Meldungen in verschiedenartigen Farben erscheinen, wird das Belohnungszentrum im Gehirn massiv angeregt.
Visuelle Ernüchterung stellt sich jedoch ein, wenn das Display auf Schwarzweiß gestellt wird. Mit einem Male gibt es nur noch Schwarz und Weiß, sowie einige Graustufen dazwischen. Die Benutzeroberfläche stellt sich dem User so „bunt“ dar wie das Interface der ersten, klobigen Game-Boy-Apparate. Derart uninteressant erweist sich dann der Blick auf das Smartphone, denn dieser reduzierte sich lediglich auf die wesentliche Information: eine neue Nachricht, eine neue Mail, eine Benachrichtigung. Aber ohne Farbe bleibt der Dopamin-Kick entweder teilweise oder gänzlich weg — und damit auch die süchtigmachende, immersive Wirkung.
In meiner Wahrnehmung empfand ich den Blick auf das Display nun als sehr deprimierend, war dieser dann doch deutlich düsterer als die umliegende analoge Welt. Und genau das zeigte mir, wie sehr die Smartphones unserem echten Leben die Farbe rauben. Wird der Spieß jedoch umgedreht, erscheint die echte Welt wieder viel farbenfroher, während das Morbide des Digitalen zutage tritt.
Wie stark dieser Effekt ist, lässt sich bei vielen Modellen dadurch veranschaulichen, indem man auf dem Display einen Kurzbefehl hinzufügt, bei dem durch einmaliges Klicken die Farbe zurückkehrt. Das ist gerade dann sinnvoll, wenn man sich Fotos ansehen möchte. Betätigt man jedenfalls diesen Kurzbefehl, bekommen die Augen in den ersten Sekunden einen visuelle Zuckerschock, wenn einem plötzlich die ganzen Farben ins Gesicht springen. Dieser Kontrast demonstriert die fatale Wirkung bunter Displays.
Teil der freien 0,7 Prozent +
Es dauerte tatsächlich einige Tage, seitdem ich das freie Smartphone besaß, bis ich in einem Moment in aller Klarheit realisierte: Ich werde nicht mehr getrackt! Zumindest nicht mehr pauschal. Da wurde mir bewusst, wie sehr wir uns im Smartphone-Zeitalter schon daran gewöhnt haben, überwacht zu werden und unsere Daten wie ein Brotkrumen abwerfendes Krümelmonster immer und überall abzuwerfen.
Vielleicht haben Sie auch schon mal Ihr Bewegungsprofil bei „Google Zeitachse“ mit einer Mischung aus Bewunderung und Erzürnung bestaunt und gesehen, dass Google jede Fortbewegung zu Fuß, per Auto oder Zug aufgezeichnet hat, die Sie in den letzten Jahren oder fast schon Jahrzehnten mit Ihrem Smartphone getätigt haben. Mit freien Smartphones ist damit Schluss!
So drang es spürbar in mein Bewusstsein, dass ich nun kein Smartphone mehr nutze, mit dem mich Dienste und andere zwielichtige Institutionen per Mausklick tracken können. Freilich darf sich niemand der Illusion hingeben, man wäre mit einem solchen Smartphone in einem Stealth-Boot unterwegs. Wenn die Dienste wirklich wollten, könnten sie natürlich auch dieses Smartphone tracken und hacken. Allerdings wäre hierfür schon eine ganz andere, das heißt aufwendigere Technologie vonnöten. Meine Daten sind für Big-Tech und Dienste keine tiefhängenden Früchte mehr, die einfach nur per Mausklick gepflückt werden können — dafür muss im übertragenen Sinne jetzt eine Leiter her.
Ich bin nun nicht nur Teil der 0,7 Prozent Smartphone-Nutzer, die weder iOS und Android nutzen — ich trage auch dazu bei, diesen Prozentsatz zu vergrößern. Statt auf TikTok tanze ich dem Überwachungskapitalismus auf der Nase herum. Den Tentakeln der Datenkrake bin ich weitestgehend entwichen. Als strikter Barzahler war ich davor schon eine wandelnde Blackbox — nun habe ich es Big-Tech sogar schwer gemacht, herauszufinden, wo ich mich als Blackbox aufhalte, mit wem ich was schreibe oder wonach ich — nicht google (!) — sondern per Brave-Browser „pre-searche“.
Es ist wahrlich ein Befreiungsschlag, ein Akt der Selbstermächtigung. Die vielen neuen Meldungen und Erkenntnisse, die ich über den Überwachungskapitalismus erlange, verlieren mit diesem Smartphone ihren Schrecken.
Nach wie vor ist es beklemmend zu sehen, was diese Geräte mit der Masse machen — aber ich selbst bin nun kein Teil dieser kontrollierbaren Masse mehr. Zumindest auf Smartphone-Ebene.
Der eingangs angestellte Vergleich zwischen der iOS/Android-Quote in der Bevölkerung und der „Impf“-Quote verdeutlicht, wie allumfassend diese Entwicklung in der Menschheit Einzug gehalten hat. In der Friedensbewegung wird häufig darauf verwiesen, dass wir, die friedliebenden Menschen, die 99 Prozent wären, die dem einen Prozent elitärer Menschen gegenüberstehen würden. In Sachen der Überwachung sieht es dann allerdings genauso aus, jedoch zu unseren Ungunsten. Das eine Prozent kann vermittels der Smartphone-Technologie — die sie teils selbst bewusst nicht nutzt — 99 Prozent der Menschen überwachen und steuern.
Das Allumfassende zeigt sich überdies in folgendem Gedankenspiel:
Wenn Sie, werte Leserin und werter Leser, vor 1990 geboren wurden und nun an alle Menschen zurückdenken, die Sie bis vor dem Einläuten des Smartphone-Zeitalters (anno 2007) kannten, dann können Sie sich einer Sache sicher sein: All diese Menschen, die Sie vor 2007 zuletzt gesehen haben, werden nun über ein Smartphone verfügen. Alle!
Jeder Schulkamerad, jeder ehemalige Arbeitskollege — sie alle haben diese Wanze in der Hosentasche, mit der sie über WhatsApp schreiben, mit PayPal bezahlen und auf Instagram ihre Lebenshighlights dokumentieren. Darauf können Sie Wetten abschließen. Auch wenn Sie sonst nichts mehr von diesen Menschen hören, haben Sie die Gewissheit, dass auch diese Menschen von früher nun Teil der per Smartphone kontrollierbaren Masse sind.
Im Prinzip vermag es aber jeder Einzelne — also auch Sie, werte Leserin und werter Leser —, sich aus dieser Masse und dem Griff der Datenkrake zu befreien. Das „A“ von Android steht nicht für „Alternativlos“. Doch leider — und auch das bemängelt Tom-Oliver Regenauer vielfach — scheitert es bei vielen Systemkritikern schon beim Wechsel des Mailproviders, weg von Gmail hin zu sicheren Anbietern. Auch der Gang zum Bankautomaten am Monatsbeginn für die Bargeldabhebung zwecks anonymer Bezahlung fällt einigen schwer. Gleichzeitig ist dann vielfach von Resignation zu hören, vom Lamentieren über die Übermacht von „denen da oben“. Alles, was nicht dazu geeignet ist, das System von einem Tag auf den anderen aus den Angeln zu heben, wird als sinnlos erachtet. Dabei ist es doch der stete Wellengang, der das Küstenriff formt.
Und so sollte das Loslösen von diesen Strukturen spielerisch betrachtet werden, um sich aus der Apathie zu befreien, in der sich — je tiefer wir uns darin suhlen — das Gefühl der Ohnmacht potenziert. Nicht als Anstrengung, sondern als Heidenspaß erweist es sich dann, wenn mit kindlicher Leichtigkeit und Entdeckungsgeist Alternativen zu den Big-Tech-Produkten erforscht werden, mit Genugtuung alles mit nicht nachvollziehbarer Barzahlung beglichen wird und keine Möglichkeit ungenutzt bleibt, dem Überwachungskapitalismus Daten zu entziehen.
Mit dieser Lebensweise lebt und schläft es sich besser, es gibt einem das Gefühl, nicht vollständig ohnmächtig zu sein. In allen anderen Bereichen versuchen so viele Menschen „alternativ“ zu leben und zu konsumieren. In den Woke-Bubbles trachtet ein*e jede*r danach, so speziell und ausgefallen wie nur möglich zu sein.
Mittlerweile soll es 876 Geschlechter geben, aber bei Smartphones nur zwei Betriebssysteme? Es zeigt sich, wo es wahrlich einem Mehr an Diversität bedarf. Und diese Diversität vermag mittlerweile fast jeder anzustreben.
Nein, niemand kann alleine oder auch nur in einer kleinen oder großen Gruppe das gesamte Korporatismus-System mit einem Male auf den Müllhaufen der Geschichte hieven. Sehr wohl kann aber jeder Einzelne diesem System die Energie — das heißt Daten, Aufmerksamkeit und Geld — entziehen und damit einen Schwächungs- und letztlich einen Verwesungsprozess forcieren, der das System selbst in einen ebensolchen Müllhaufen verwandelt, der ganz am Ende in Ermangelung an Akzeptanz und Bereitschaft in sich zusammenfällt.
Fair-Talk-Moderator Jens Lehrich bemühte des Öfteren den Aphorismus, der da sinngemäß lautet:
„Wir müssen nicht das System bekämpfen, sondern das System aus unseren Köpfen herausbekommen.“
Betrachten wir, wie raumeinnehmend Smartphones alltäglich in unseren Köpfen sind, ist der Griff zu freien Smartphones oder gar zu Tastenhandys die entscheidende Dunstabzugshaube zur Auflösung des systemisch induzierten Brain Fogs. Und wahrlich ist dieser Schritt nicht der einzige und sicherlich auch nicht der allentscheidende. Dieser Beitrag, den Sie hier lesen, ist eine grüne Pille aus einem Glas mit 999 weiteren grünen Pillen. Die freien und alternativen Medien haben über die letzten Jahre ausreichend rote Pillen verteilt, mit denen düstere Machenschaften samt ihrer Methodik offengelegt wurden. Doch das bloße Wissen darum ist nicht ausreichend. Ja, Wissen ist Macht, aber diese Macht ist nur dann wirkmächtig, wenn man mit diesem Wissen auch etwas ...macht.
Damit schließe ich meinen Erfahrungsbericht und überlasse das Schlusswort, wie auch das Eröffnungswort, Shoshana Zuboff:
„Wenn ich mit meinen Kindern spreche oder vor einem Raum voll junger Leute, versuche ich sie auf die Situationsbedingtheit dessen hinzuweisen, ‚was uns da in der Hand hat‘, indem ich sie auf ganz gewöhnliche Werte und Erwartungen aus der Zeit hinweise, bevor der Überwachungskapitalismus seine Kampagne zu unserer psychischen Abstumpfung begann. ‚Es ist nicht okay, sich in seinem Leben verstecken zu müssen; das ist nicht normal‘, sage ich ihnen. (…)
Ich versuche ihnen zu erklären, dass das Wort ‚Suche‘ einmal eine wagemutige existenzielle Reise bezeichnete und nicht das Ertippen einer Antwort, die längst existiert; dass ein ‚Freund‘ ein Gestalt gewordenes Mysterium ist, das sich nur auf eine Weise erschaffen lässt: von Angesicht zu Angesicht und von Herz zu Herz; dass sie beim Wort ‚erkennen‘ nicht an Überwachung denken sollten, sondern an das Gefühl bei der Begegnung mit ihren Lieben.
Ich sage ihnen, dass es nicht okay ist, das Beste an uns von einem drakonischen Quidproquo ausgebeutet zu sehen, für das unsere Instinkte und jegliches Wissen über uns nur Faustpfand für eine Leibesvisitation unseres Lebens sind. Es ist nicht okay, jede unserer Bewegungen, Regungen, Äußerungen und Wünsche zu erfassen, zu katalogisieren und manipulieren, um uns dann um anderer Leute Profit willen wie eine Herde durch die Zukunft zu treiben. ‚Das ist alles noch ganz neu‘ versuche ich ihnen zu sagen. ‚Es gibt dafür keine Beispiele. Ihr solltet es nicht einfach als gegeben hinnehmen, weil es einfach nicht okay ist‘“ (1).