Die Stunde der Opportunisten
Der Diskurs der Macht hat das Virus okkupiert — nicht umgekehrt.
Nicht das Virus bestimmt unser Reden, Denken, Tun, sondern der Diskurs der Macht bestimmt, wie wir über das Virus reden, welche Haltung wir ihm gegenüber einnehmen, unsere Ängste und unsere Handlungen. Vermutlich werden bereits Vorkehrungen für absehbare Proteste der Bevölkerung getroffen. Schon jetzt existieren Pläne, die Notstandsgesetze zu verschärfen und zu erweitern. Vielleicht nützen Politiker die Gelegenheit als Feldexperiment, um zu sehen, wie sich die Bevölkerung im Falle eines Falles verhalten wird. Jetzt schon ist absehbar: brav. Zugleich wälzt die Politik mit ihren pathetischen Aufrufen „Es kommt jetzt auf jeden von uns an“ die Schuld für ein kaputt gespartes Gesundheitssystem von sich ab.
Der Diskurs der Macht ist zunächst das, was wir aus den Medien erfahren, was wir weiter tragen in alle unsere Beziehungen und Begegnungen.
Durch die Vermittlung der Medien haben wir Zugang zu anderen Bereichen der Gesellschaft außerhalb unserer engeren Welt der Erfahrung, hören wir andere Meinungen, Informationen, Orientierungen, die wir in unseren Alltag, unsere Arbeit und Lebensgestaltung einbringen, die sich in unsere Begegnungen und Beziehungen hineindrängen.
Der Diskurs der Macht ist mehr als das Reden zwischen Zweien, als das Hin und Her von Rede und Antwort, das bereits in der Dyade stattfindet. Er ist mehr als der Ausdruck des emotionalen Bandes, das durch diesen Austausch aufrechterhalten wird. Der Diskurs übersteigt die Situation der Dyade, ist nicht gebunden an die Anwesenheit der Teilnehmer, verselbständigt sich sozusagen.
Die medialen Narrative diffundieren in die Kommunikation der vergesellschafteten Individuen, indem das Individuum die Parolen, Behauptungen, Bewertungen, Sprachregelungen dieses Diskurses übernimmt als Ratschläge über das „richtige“ Verhalten, Denken und weiter trägt in den Alltag seines Lebensraumes.
In allen unseren Gesprächen mit den unterschiedlichen Gesprächspartnern geht es um die Vergewisserung der eigenen Position im Diskurs der Macht, unserer „korrekten“ Haltung zu den Parolen des Diskurses der Macht, der „richtigen Sicht“ auf die Welt und unserer Stellung in ihr: Dadurch wirken sie normativ.
Es handle sich nicht um eine einfach Grippe-Welle, der jedes Jahr Tausende zum Opfer fallen – wovon wir nebenbei bisher nichts gewusst hatten –, sondern um eine Pandemie. Diese sei wesentlich gefährlicher und erfordere ganz andere Vorsichtsmaßregeln.
Wir - die meisten - folgen diesen Ansagen: Wir halten Abstand voneinander, wir geben uns nicht mehr die Hand, wir bleiben zu Hause - aus Angst vor „Ansteckung“ – die Angst der Herrschenden: der Austausch mit anderen könnte „ansteckend“ wirken: die Produktivkräfte der Solidarität, der „Schwarmintelligenz“.
Wir vertrauen den Ansagen der Experten - was sollen wir anderes tun? Naja: Es gibt unterschiedliche Expertisen - aber in den Schmuddelmedien – nicht in den Qualitätsmedien - auch diese Unterscheidung, Trennung ist eine Wirkung der Macht und ihres Diskurses.
Weder über den Grad der Gefährlichkeit des Virus noch über die Wirksamkeit der Mittel dagegen besteht Einigkeit (1) - aber: die Panikmacher sind weit stärker als die Stimmen der Mahner zu Vernunft. Wieder: eine Wirkung der Macht.
Die einfachsten Vergleiche werden nicht gezogen. Während jeder Kontakt mit der tödlichen Bedrohung behindert, verboten, sabotiert wird, werden die todesbedrohten „Massenveranstaltungen“ – wenn sie einem Kalkül der Macht dienen, nicht angerührt: Bei Defender 2020 dauerte es kostbare zwei Wochen, bis auch diese staatlich organisierte Zusammenrottung abgesagt wurde.
Asymmetrie ist ja eine wichtige Methode des Diskurses der Macht. Ein gravierendes Beispiel ist die immer wieder zu zitierende Kassiererin im Supermarkt: vollkommen ungeschützt muss sie sich den Beatmungen durch die Kunden direkt vor ihr, Kopf an Kopf aussetzen. Beispiel von Verantwortungslosigkeit – oder Inkongruenz des Diskurses?
Gleichzeitig stellen die Medien sich nicht als die Vertreter der Mächtigen dar, sondern als „unsere“ Freunde, die bei uns am Küchentisch sitzen (2), die uns unterhalten, „informieren“, „beraten“, in allen persönlichen Angelegenheiten. Sie „deuten“, was wir sehen, interpretieren unsere Wahrnehmung, unser Erleben, sie geben keine Befehle oder Anweisungen, sie machen Vorschläge, sie verführen. Gerade dadurch üben sie Macht aus. Sie wirken normativ - im Modus des Nahelegens, Verführens, Drängens. (3)
Laut Foucault ist die Macht „eine Weise des Einwirkens auf ein/mehrere Subjekte“, sie wirkt, indem sie „anstachelt“, „eingibt“, „ablenkt“. Nur „im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets sofern die Subjekte handeln oder zum Handeln fähig sind. Stets bleiben die Subjekte ihrer Einwirkung als solche anerkannt“.
Hier liegt zugleich die Grenze der Macht: Erst indem wir ihr Folge leisten, kann die Parole der Macht ihre Wirkung ausüben. Gleichzeitig sind es die Folgen, an denen wir den Diskurs der Macht, besser noch die Wirkung der Macht erkennen.
Der Diskurs der Macht ist die oder sogar eine der wichtigsten Bedingungen für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der psychologischen Mechanismen der Herrschaftsstabilisierung von Seiten der Beherrschten, die „kulturelle Hegemonie“, der unsichtbare immaterielle Link, zwischen dem Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und den vergesellschafteten Individuen.
Wir denken nur noch: Wie schütze ich mich? Wie sorge ich vor, verbunden mit der Hoffnung, es wird bald vorbei sein - wir denken nicht mehr an anderes, was vorher wichtig gewesen war: die Wirkung der Ablenkung – von dem, was diese „Krise“ erst möglich gemacht hat. Das Gesundheitswesen war nicht darauf vorbereitet, keine ausreichende Vorsorge an medizinischen Schutzmitteln, durch „Sparpolitik“ verursachter Mangel an Personal und Kliniken. Die Panik des Kaninchens angesichts der unvorhersehbar aufgetauchten Schlange.
Panik zunächst der Herrschenden. Ein verschwiegener Impuls angesichts nicht erfüllten Versprechens: die Bevölkerung vor Schaden zu bewahren.
Solches Schuldgefühl ist schnell verdrängt durch Hyperaktivismus und durch Verschieben der Verantwortung auf die verratene Bevölkerung. „Jeder muss sich jetzt kümmern – um das, worum wir, die Verantwortlichen, uns nicht gekümmert haben“ – „alle sind jetzt verantwortlich“.
Wir vergessen vor lauter Schreck, wie lange schon diese Zustände von Verantwortungslosigkeit und Weiterschieben der Verantwortung herrschen: Zerstörung nicht nur des Gesundheitswesens durch Privatisierung, Zerstörung der Lebensbedingungen durch Umweltzerstörung, Krieg, Arbeitslosigkeit und wie arrogant die Kritik an dieser Verwahrlosung weggewischt worden war, die Kritiker ausgeschlossen, gewaltsam mundtot gemacht.
Und wir haben die Wachsamkeit verloren, zu sehen, wie diese Zerstörung weiter fortgesetzt wird, durch die Drosselung der Lebensbedingungen aufs „Notwendigste“. Deren „Folge“: die Vernichtung von Existenzen - der kleinen Gewerbetreibenden, der Künstler, der prekären Lebensformen.
Auf der anderen Seite werden bereits Vorbereitungen auf absehbare Proteste getroffen: jetzt schon die Pläne, die Notstandsgesetze zu verschärfen, zu erweitern. Die Bedeutung der geplanten Ausgangssperre verrät sich überdeutlich!
Von Absichten brauchen wir nicht zu sprechen - wir sehen Wirkungen, des Diskurses der Macht. Aber beunruhigend wäre, wenn diese Wirkungen nicht beabsichtigt waren, denn dann haben wir Grund, den Verantwortlichen zu misstrauen. Sie könnten der Katastrophe „in bestem Glauben“ den Weg bereiten.
Vielleicht aber nützen sie die Gelegenheit als Feldexperiment, um zu sehen, wie wird sich die Bevölkerung im Falle eines Falles verhalten.
Quellen und Anmerkungen:
(1) John P. A. Johannidis, A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data, https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/; Covid19 wurde bisher insbesondere aufgrund von Angaben aus der chinesischen Stadt Wuhan für wesentlich gefährlicher als die Grippe gehalten. Eine neue Studie von Forschern aus Japan und den USA kommt nun aber zum Ergebnis, dass die Mortalität von Covid19 selbst in Wuhan bei nur 0,04 Prozent bis 0,12 Prozent gelegen habe und somit eher noch geringer sei als bei der saisonalen Grippe, deren Mortalität bei circa 0,1 Prozent liegt. Als Grund für die offenbar stark überschätzte Mortalität von Covid19 vermuten die Forscher, dass in Wuhan ursprünglich nur ein kleiner Teil der Fälle erfasst worden sei, da die Krankheit bei vielen Personen vermutlich symptomlos oder mild verlief, https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.02.12.20022434v2; Virologin Prof. Dr. Karin Mölling sagt, dass Corona kein schweres Killervirus ist! Die Panikmache sei das Problem, https://www.radioeins.de/programm/sendungen/die_profis/archivierte_sendungen/beitraege/corona-virus-kein-killervirus.html; „[Die modernen Methoden zum Virusnachweis wie die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR] sagen nichts darüber aus, wie sich ein Virus vermehrt, welches Tier dieses Virus trägt oder wie es Leute krank macht. Es ist so, als wolle man durch einen Blick auf die Fingerabdrücke einer Person feststellen, ob sie Mundgeruch hat.“ Appell von 14 Top-Virologen der „älteren Garde“ an die junge Forscher-Generation, in: Science, 6. Juli 2001; 293(5527):24-5.
(2) Walter Bühl, Das kollektive Unbewusste in der postmodernen Gesellschaft, Konstanz, 2000
(3) Foucault, Michel (1982/1987), The Subject and Power. In Hubert L. Dreyfus/Paul Rabinow (Eds.), Michel Foucault: Beyond Structuralism and Hermeneutics. Chicago, Univ. of Chicago Press, 2o8-226, dt.: Das Subjekt und die Macht. In: Hubert L. Dreyfus/Paul Rabinow (Hrsg.): Michel Foucault: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frankfurt/M.: Athenäum 1987, 243-264, S. 255