Die Sprache der Unmenschlichkeit
Eine Analyse der Kritik an den #allesdichtmachen-Videoclips zeigt: Deutschland ist, was es verzweifelt zu sein leugnet — eine Diktatur.
Eine Diktatur ist eine Diktatur, wenn darin auch der Geist der Diktatur herrscht. Diesen Geist erkennt man zuallererst an Worten. Es macht deshalb Sinn, die Reaktionen auf die Videoclips von 53 Schauspielern genauer anzuschauen, um die Frage, ob wir in einer Diktatur leben, zu klären. Diese Worte wurden nicht von den obersten Repräsentanten des Systems gesprochen, sondern sozusagen von unteren Chargen. Von Satirikern, Redakteuren und anderen, die irgendwie Teil der Öffentlichkeit in Deutschland sind. Bewusst sind deren Namen bei der folgenden Analyse ausgeblendet. Erst durch Prüfung der Quellen, die angegeben sind, erfährt man, wer genau was gesagt hat. Da es ja um den Geist zu tun ist, der hier herrscht, sind diese Namen zweitrangig. Wie dieser Geist geformt ist und ob er außerhalb seiner selbst noch etwas gelten lässt — das sind die Fragen, die in diesem Beitrag geklärt werden.
I. Resultat
Als in Deutschland sich KünstlerInnen aufmachten, um mit der Sprache des Systems die Coronamaßnahmen kritisch zu beleuchten — durchaus mit Geist und „élégance“, das Tanzen („danser encore“) ist nicht die deutsche Art, aber die Satire, die in diesem Fall keine war, auch keine Realsatire, eher schon eine Realsatir-Satire, liegt vielleicht der deutschen Sprache näher —, als diese Künstler sich also aufmachten, so dachten sie sich offenbar, sie würden Kritik üben im Rahmen einer Demokratie. Ihre Kritik würde — gehirntechnisch — also zunächst auf einen Versuch treffen, die Botschaft zu verstehen und dann allenfalls mit Argumenten dafür- oder dagegenzuhalten.
Das war eine Fehlannahme.
Die Kritik, die sie vorbrachten — und spätestens die Reaktion darauf musste es den Künstlern gezeigt haben —, trugen sie in einer Diktatur vor.
Diese Erkenntnis war in ihrer Kritik zwar mit drin — sie benutzten ja die Sprache des Systems —, aber nicht in ihrem Bewusstsein. Einige kamen daraufhin auf die Welt. In einer Demokratie wird man nach einer Kritik mit Sachargumenten kritisiert, welche die Kritik aufnehmen. In einer Diktatur dagegen erheben sich Forderungen nach Berufsverbot. Und so geschah es. Der eine oder andere hat inzwischen Abbitte verlangt. Das ist die Sprache, welche das System versteht. Reue. Diktatur und Moral sind miteinander verschweißt.
Diktatur und Formen der Ironie dagegen schließen sich aus
Die Diktatur ist die Herrschaftsform der Linie. Alle ziehen am gleichen Strang, am Strick des Glücks. Als Mittel der Darstellung wählt sie Kitsch und Parolen. Künstler sind da, um zu unterhalten. Dabei soll der Diktator von nebenan durchaus eins auf die Schnauze bekommen. Er — und nicht die Diktatur, die hier ist — ist ja der Diktator.
Innerhalb der Diktatur ist die Abweichung nicht vorgesehen. Ironie aber arbeitet mit Brechung. Sie setzt die Abweichung als Denkmuster voraus. Abweichung und Diktatur finden nicht zusammen. Auch in Goebbels Palastrede findet sich keine Ironie. Und „Arbeit macht frei“ war nicht sarkastisch, sondern so gemeint. Zynismus. Dies nur als Hinweis. Die Abweichung, von der die reden, die die Abweichung geißeln — „es gibt einen regen Disput über die Coronamaßnahmen in den Medien“ (1) — ist keine Abweichung, sondern der Wettkampf darum, wie die Linie noch kräftiger zu ziehen, die Abweichung noch nachhaltiger auszuschließen sei.
In einer Diktatur passt sich „der gesellschaftliche Diskurs“ — der Begriff ist in Anführungszeichen zu setzen, denn es gibt einen solchen Diskurs qua kommunikatives Ereignis in einer Diktatur nicht — dem System an, nicht das System dem Diskurs. Wesentliche diskursive Merkmale, die einen Diskurs als eine Weise der Kommunikation auszeichnen, fehlen. Dazu zählen die Mehrperspektivität und eine sachliche Argumentation, die auf eine Replik zielt. Weiter fehlt, dass die Berechtigung zur Kritik sich aus dem aufgezeigten Nachvollzug dessen ergibt, was ein Gegenüber formuliert beziehungsweise intendiert. Heißt, derjenige, der Kritik in irgendeiner Form aufgreift, ist in der Lage, die Argumentation aus der Sicht des Senders nach Inhalt und Absicht darzulegen, teilen muss er sie nicht. Urteile über eine Kritik gehen sodann als Folgerungen aus Argumenten beziehungsweise deren Nachvollzug hervor.
Dies alles, wie gesagt, leistet eine Diktatur nicht. Der diktatorische Diskurs, im Gegensatz zum demokratischen, zielt auf die Löschung des Anderen, denn die Diktatur setzt für ihr Überleben die Nichtexistenz des Anderen voraus. Und so waren diese Künstler zu löschen.
Die Freiheit, die gegeben ist, ist die, sich mit der Linie zu identifizieren
Wer sich nicht anschließt, darf sich nicht wundern über die Löschung, die erfolgt. „Doch, man darf das sagen“ — so ein Kommentar zur Kritik der Künstler. Das ist eine Nuance, die hinzugekommen ist seit Hitler, seit den Ostdiktaturen, ein neoliberaler Dreh: Auch für die Vernichtung ist man selber schuld, denn sie ist ja frei gewählt.
Muster der Diktatur zeigen sich in der Reaktion auf die Kritik der SchauspielerInnen eindrücklich. Ich schaue sie genauer an und ergänze abschließend mit einem Gerichtsurteil aus Leipzig und dessen Vermittlung. Der Verweis auf die zitierten Passagen erfolgt im Lauftext ohne Namen. In den Anmerkungen sind sämtliche Quellen angegeben. Es ist mir wichtig, das Grundsätzliche hervorzuheben. Wer was gesagt hat, ist nicht wichtig. Die Repräsentanten des Systems sind austauschbar.
II. Thesen und Untersuchung
These 1
Diktatur kann Kritik als Sachkritik nicht aufnehmen. Das hat grundsätzliche Gründe, denn eine Diktatur muss Kritik, die auf sie zielt und deshalb von außen kommt, sich einverleiben. Ein Verstehen der Kritik ist deshalb unmöglich, weil ein solches Verstehen allein eine Instanz als außerhalb ihrer selbst liegend anerkennt und das Einverleiben ausschließt. Sämtliche Reaktionen auf die Kritik der Schauspieler aber zielten auf die Einverleibung. Dieser Aspekt verschränkt sich mit kognitiven Gründen: Ein System, das die andere Perspektive nicht mehr denken kann, verkümmert. Es kann anderes nur streichen.
Muster: Das eigene Unverständnis wird als Argument gegen die Kritik gewendet.
Laut KritikkritikerInnen war die Kritik „bizarr“, „wirr“, „unverständlich“, „nicht nachvollziehbar“. Weitere Formulierungen: „Kann ich null nachvollziehen“, die SchauspielerInnen „üben offenbar ... Kritik“.
Diktatur hat den Vorteil, dass sie nicht selten ausspricht, was sie nicht beabsichtigt. Sie ist - weil in sich unkritisch - kindisch und sieht den Fehler für das ausformulierte Selbstversagen beim Feind. Und spricht sie nicht zur eigenen Community, so spricht sie zum Feind. Dazwischen gibt es nichts. Und so war die Kritik der SchauspielerInnen im Urteil des Systems „bizarr“, „wirr“, „unverständlich“, das eigene Defizit Maßstab für das apodiktische Urteil. Bizarr und wirr ist, was man nicht versteht, also die Welt, die so ist, wie man nicht will, dass sie ist.
Ein historisch bekanntes totalitäres System hat hierfür nicht den Begriff des Bizarren verwendet, sondern des Entarteten. Es gibt die Art und es gibt das, was daneben liegt: die Un-Art oder eben das Ent-Artete. „Bizarr“ ist ein Synonym dafür.
Das Unverständnis wird so zur Grundlage einer normativen Setzung beziehungsweise zur weiteren Zementierung dieser Setzung, welche exakt die Setzung ist, auf welche die Kritik, die die Repräsentanten des Systems in der Sache nicht verstehen, zielt. Eine Diktatur aber — kraft ihrer Geltung beziehungsweise ihrer institutionellen Macht — muss eigenes Unvermögen nicht rechtfertigen. Ihr Unvermögen wird vielmehr zum Anlass, das Unverstandene zu entwerten.
Auf diese Weise wird das Defizit im eigenen Kopf in den Kopf der Kritiker verschoben. Psychologisch gesehen wird so das Defizitäre — Kranke, Pathologische — der Kritik beziehungsweise der Kritiker herbeigeführt, ein Defizitäres, das man braucht, um das System als Gesundes davon abzusetzen.
Muster: Systembedingte Fehldeutung oder was man als Defizit beim andern entdeckt, erweist sich als Muster des Systems.
Während das soeben besprochene Muster von allem Anfang an und ohne argumentative Rechtfertigung das eigene Unverständnis als Unvermögen der Gegenseite postuliert, nimmt die Fehldeutung eine sachliche Einordnung der Kritik in Ansätzen vor, allerdings aus der eigenen Perspektive. So wird die Kritik wie folgt scheinbar sachlich gekennzeichnet: „Satirische Videos“.
Satire sind diese Videoclips überwiegend nicht, weil die Sprache des Systems ungebrochen Verwendung findet. Wenn überhaupt Satire, so wäre es eine Realsatire. Allerdings eine künstlich geschaffene, also doch nicht „real“. Allein die Intention der Kritik beziehungsweise das Setting, worin die Kritik einlagert - eben diese Zusammenstellung von Videoclips -, trennt die Beiträge von solchen ab, die wortwörtlich so auch auf einer Zero Covid-Website aufgeführt sein könnten.
Kann der ohnehin unscharfe Begriff der Satire allerdings noch als halbrichtig eingestuft werden, so ist die mehrfach erfolgte Einstufung als Zynismus falsch. Die Kritikkritiker schrieben: „mit zynischen Mitteln“, „strotzen vor Zynismus“, die Kritik „ist derart zynisch, menschenverachtend und Argument-frei, dass sie mich vom Style her klar an einen erinnert“.
Der Zynismus, der für die Kritik reklamiert wird, ist der Zynismus des Systems
Das ist keine Frage der Deutung, es ist eine sachliche Feststellung. Denn was vorgesetzt wird in den Clips, ist das System mit seiner Sprache. Die Diktatur verschiebt nun den in der Tat enthaltenen Zynismus, der ihr eigener ist, ihre Sprache, ihre Maßnahmen — die Videos fungieren als Spiegel — in die Kopie, weitgehend ohne den Spiegelcharakter zu erkennen. Dass die Videos nicht auf der inhaltlichen Ebene brechen, sondern, falls man es erkennt, erst auf der Ebene der Absicht, ist Teil ihrer Verstörung und evozieren das Unverständnis.
Nur in diesem Sinne sind sie sarkastisch, allerdings — und das entgeht der Kritikkritik und muss ihr entgehen — ist die Brechung darauf gerichtet, den Zynismus des Systems freizulegen. Das gelingt den Videos mühelos, sonst würde die Diktatur keinen Zynismus erkennen. Die Brechung, also der Sarkasmus, ist durch das Aufschalten der Videos in diesem Setting gegeben, der ungebrochene Zynismus beim Inhalt, den sie kritisieren, indem sie ihn spiegeln.
Ungewollt verfährt die Kritik, die von Zynismus und Menschenverachtung spricht, also durchaus richtig: Die Videos qua Spiegel legen Menschenverachtung und Zynismus bloß. Ein Fehlverständnis seitens der Diktatur liegt allerdings insofern vor, als sie die Menschenverachtung als genuine Eigenschaft dieser Clips erkennen und die Spiegelfunktion übersehen.
Die gleiche Kritikkritik, die von Menschenverachtung spricht, führt das Muster explizit zu Ende, indem sie ausführt: „Ich vergleiche nicht die Schauspieler mit Goebbels, sondern sehe Parallelen in der von der #allesdichtmachen-Kampagne angewendeten Technik.“ Auch das ist richtig, abgesehen davon, dass der Kritikkritiker den objektiven Sachverhalt der Spiegelung außen vor lässt. Durch dieses Übersehen legt er Muster des eigenen Verhaltens im Verhalten des Gegenübers frei. Die explizite Erwähnung der anderen Diktatur, welche dazu dient, die eigene davon abzusetzen, führt die Verschränkung des Fehlverständnisses mit der ungewollten Freilegung eigenen Verhaltens zu Ende.
Auf der Sachebene ist die behauptete Gleichsetzung der Videoclips mit Goebbels-Propaganda leicht zu widerlegen. Exakt die Brechung, welche die Videos auf eine teilweise verstörend subtile Weise vollziehen, ist bei Goebbels nicht enthalten. Brechungen kommen in einer Diktatur grundsätzlich kaum vor. Eine Analyse der Sportpalastrede Goebbels‘ (2) ergibt: Sie ist zynisch und enthält weder nach Inhalt noch durch den Rahmen, in den sie gesetzt ist, eine intendierte Brechung.
Die Opfer an der Front, auf die sich Goebbels als „Argument“ beruft, sind in seinen Augen nicht Opfer, die das System herbeiführt, sondern sie sind dem System vielmehr von außen als Notwendigkeit auferlegt. Die Lage ist bei Corona identisch. Die Toten werden dem System von außen abverlangt, vom Virus angeblich — und das Handeln des Systems führt dazu, dass am Ende dank des Systems weniger Tote zu beklagen sind (zu Diktatur und Moral später).
Was den Zynismus dekonstruiert — und die Videos sind im besten Sinne eine Dekonstruktion, man kann sie gänzlich im Sinne Derridas als Re-Lektüre verstehen —, ist nicht zynisch. Man mag die Dekonstruktion als handwerklich mangelhaft einstufen, das indes ändert nichts daran. „Argument-frei“ und richtig zugleich ist also die Behauptung, sie seien zynisch. Für den, der die Brechung nicht erkennt, also für die meisten Kritikkritiker, werden nur Worte des Systems wiederholt. Und weil der Systemrepräsentant weiß, dass es Kritik ist — aber nicht weshalb —, ist die Kritik selbst qua Inhalt für ihn nur Rauschen. Muss Rauschen sein, sonst käme er ja zur Erkenntnis: Das System ist zynisch.
Und so schließt sich der Kreis zu Wertungen wie „bizarr“ und „wirr“. Dass der System-Repräsentant die gleichen Worte, die er aus staatstreuen Kanälen wie ARF und ZDF als gut empfindet, von solchen ausgesprochen, die als Feinde markiert sind („Querdenker“ — dazu später), als böse einstuft, wirft ein besonderes Licht auf die Bedeutung von Inhalten in einer Diktatur.
Sich lustig machen: Verwandt mit dem Zynismus-Vorwurf ist die Aussage: „Sie machen sich lustig über die Maßnahmen“. Auch das ist falsch. Die Fehldeutung fußt auf dem systemisch bedeutsamen Muster des Spaßes, der — so der Vorwurf — an falscher Stelle bemüht wird. Auch hier: Würde der Spiegel erkannt, wäre eine solche Fehldeutung ausgeschlossen.
Es geht in diesen Videos — basierend auf der Spiegelfunktion — nicht nur nicht um „lustig“, sondern um das Ende des „Lustig-Seins“ überhaupt. Fundamentaler kann ein Missverständnis nicht sein. Und das lässt sich völlig losgelöst von jeder ideologischen Positionierung so festhalten. Denn die, die hier aufstehen und kritisieren, erleben das, was sie kritisieren — sonst würden sie nicht kritisieren und damit ihre Karriere aufs Spiel setzen — in keiner Weise als Spaß.
Bei der Formulierung „sich lustig machen über“ liegt indes auch eine Verschränkung mit einem anderen genuin diktatorischen Muster vor: demjenigen des Moralisierens und damit verwandt: des Einsatzes von Kitsch. Die Unterstellung des „Sich-Lustig-Machens“ braucht es, um dagegen die vielen Toten und den Kampf der Pfleger in Szene zu setzen. Das führt sodann zum zentralen Muster einer jeden Diktatur, die eigenen Opfer als „moralisches Argument“ zu eigenen Gunsten zu verwenden, also zum Opfermissbrauch, der, insofern es Opfer des Systems sind, ein potenzierter ist. Kurz: Die Diktatur füttert sich mit Verbrechen, die sie selbst produziert, und spuckt sie als Moral wieder aus - dazu später mehr.
Muster: Die kindische Gegendidaxe
Neben dem ausformulierten Unverständnis und dem, ausgehend von der Logik einer Diktatur, zwingenden Fehlverständnis lässt sich die didaktische Entschärfung als weiteres Muster auf der Sachebene anführen, obgleich in ihr oftmals die vorangehend angesprochenen Muster ebenso einlagern. Bei der Didaxe haben die Repräsentanten des Systems, die Kritikkritiker, mehr noch die möglichen Rezipienten einer Kritik im Kopf. Ihnen wird „todsicher“ vorerklärt, was da gemacht wird und wie das, was gemacht wird, zu verstehen und zu bewerten sei.
Ein Beispiel einer solchen Didaxe im vorliegenden Fall: „Die Videos sind alle gleichgestrickt: Die beteiligten Prominenten tun so, als unterstützten sie die Maßnahmen und wollten noch strengere, machen sich in Wahrheit darüber lustig. Der Schauspieler Volker Bruch appelliert an die Bundesregierung: ‚Macht uns mehr Angst.‘ Ulrich Tukur fordert, endlich auch die Supermärkte zu schließen. Denn sobald alle Menschen verhungert seien, könne sich das Virus nicht mehr verbreiten. Haha.“
Das „Haha“ zeigt an, dass hier kein Grund zum Lachen vorliegt
Das ist die Brechung in der Kritik der Kritik, die, genauer betrachtet, keine Brechung ist — sonst wäre es ja auch keine todsichere, also kindische Didaxe —, denn das „Haha“ signalisiert den unterstellten Spaß, heißt: den durch die Kritik angeblich angepeilten Witz, um ihn sodann zu streichen. Es wird stellvertretend für den Rezipienten „vorge-nicht-lacht“ (den Spaß als unlustig „entlarvt“) und damit die Kritik vermeintlich — sie soll im Verständnis der Kritikkritiker ja lustig gemeint sein gewesen — eben nicht nur gestrichen, sondern als Ausdruck eines deplatzierten, also moralisch fraglichen Verhaltens angeführt.
Dass davor mit der Wendung „tun so, als“ auf einem — man kann das nicht anders nennen — Niveau für Siebenjährige verhindert wird, dass mögliche Videoclipsbetrachter ein falsches Verständnis entwickeln würden, ist symptomatisch für den geistigen Level, auf dem Diktaturen operieren. Kinder passt auf: Die Feinde tun so, als ob sie uns unterstützen würden. Verstanden? Ihr dürft das denen aber nicht glauben. Noch Fragen?
Im Grunde ist das obige Zitat mit dem abschließenden „Haha“, also diese Kritik der Kritik ein weiterer Clip, den man der bisherigen Sammlung hinzufügen könnte. Er spiegelt die Diktatur gerade auch hinsichtlich des Ausmaßes der Erosion an Gehirnsubstanz, die mit einer Diktatur einhergehen muss. Und naturgemäß beruht die Didaxe (Achtung: Der Feind tarnt sich!) auf einem Fehlverständnis: Die Kritiker tun nicht „so, als ob ...“ Sie halten einen Spiegel hin. Das ist ein grundsätzlich anderes Verfahren.
Eine weitere Didaxe vereinfacht abermals, indem sie radikal verkürzt. Herausgekommen sei ein „Leugnen der Gefahren dieser Pandemie“. Damit wird jedem möglichen Verständnis aufseiten eines Rezipienten vorgegriffen und die Kritik mit der bereits bekannten Litanei des Leugnens vorzeitig entschärft und mehr noch: in die Nähe des Verbrechens geschoben, denn das Leugnen entstammt immerhin einer Tradition mit Scheiterhaufen. Hexenglauben ist angesagt. Und hören Kinder das Wort „Leugnen“, hört der Ausbruchversuch auf und sie suchen Schutz unterm Mantel von Vater oder Mutter Staat.
Muster: Simulation von Argumentation
Diktatur simuliert den Diskurs, den sie auf der Sachebene nicht führt und nicht führen kann. Sie arbeitet mit Elementen eines Pseudodiskurses. Zwei Beispiele aus den Kritikkritiken:
„Die Prominenten, allen voran Jan Josef Liefers, begehen zudem einen Logikfehler, den man ebenfalls von der Querdenken-Fraktion kennt: Sie unterstellen, die Befürworter der Sicherheitsmaßnahmen seien regierungstreu, ja untertänig. Das ist grob falsch.
Die Regierenden werden - zu Recht - ständig und heftig kritisiert. Wegen des Impfdesasters, wegen uneinheitlicher Regelungen, wegen inkonsequenter Maßnahmen und voreiliger Lockerungen. Aber eben nicht, weil man angeblich nicht mal mehr dem Pizzaboten die Tür öffnen dürfe.“
Durch den Begriff der „Logik“ wird Sachlichkeit suggeriert. Was die Kritikkritik als Aufzeigen eines Logikfehlers zu leisten vorgibt, hat mit der Logik der Kritik — um die geht es ja - allerdings nichts zu tun. Um einen Logikfehler aufzuzeigen, müsste man die Logik, die widerlegt werden soll, jedoch zuerst begreifen. Die Logik, genauer gesagt: die in den qua Spiegeln vorgehaltenen Videoclips enthaltene Botschaft ist aber nicht die nach einer anderen Impflogistik.
Die Logik, die den Videoclips inhärent ist, peilt die Brechung der ganzen Inszenierung an. Die Diktatur erkennt zwar die Gegnerschaft, kann aber rein technisch das Verfahren nicht nachvollziehen und unterlegt ihre eigene Logik.
Man kann selbstverständlich inhaltlich die geforderte Totalbrechung kritisieren, man muss aber logisch die Intention der Kritik verstehen, um von einem Logikfehler sprechen zu können.
Streit um den radikaleren Vollzug der Ordnung hat es auch in Hitlers Deutschland unter Nazis gegeben. Was diese Kritikkritik als logische Widerlegung des Argumentes von der fehlenden Kritik und also von der totalen Gleichschaltung anführt, ist deren Zementierung. Sollen Lager gebaut werden? Wie schnell? Wie viele? Wie große? Das ist die „Demokratie“, von der diese Kritikkritik zwecks Aufzeigens eines postulierten Logikfehlers ausgeht.
Eine andere häufig - allerdings nicht nur im Rahmen eines diktatorischen Diskurses — angewandte Simulation von Argumentation besteht in der Postulierung des Vorwurfes, es seien keine Gegenvorschläge in der Kritik enthalten. Im Zusammenhang mit den Videoclips erweist sich diese Kritikkritik als eine Variation des zuvor besprochenen Beispiels: Wenn ich ein Gefängnis per se und nicht in der Ausführung spiegle und dabei realsatirisch breche, so ist die Alternative in dieser Kritik per se enthalten. Sie heißt: Kein Gefängnis. Sie heißt: Freiheit.
These 2
Diktatur nimmt Kritik emotional auf. Sie antwortet mit Diffamierung und Entwertung und hat es auf Empörung abgesehen. Die Moral, die hierfür das Fundament bildet, wird durch die Empörung in einer Rückkopplung zementiert. Die Diktatur fungiert dabei als moralischer Maßstab, Wächter und Anwender in einem. Naturgemäß funktioniert die Empörungsbewirtschaftung wesentlich dadurch, dass sie auf Personen zielt. Allein auf der Sachebene lässt sich Empörung und die an sie gekoppelte Moral nicht entzünden. Bei der Zersetzung der Kritiker verbucht die Diktatur ihre Opfer als moralisches „Argument“ für sich. Das garantiert, dass der Moralfundus nie austrocknet. Psychologisch und stilistisch operiert die Diktatur bei ihren Moralerzählungen im Bereich der Klischees und des Kitschs.
Muster: Emotionalisierung — Entwertung — Diffamierung
Untermuster: Das Unnatürliche, Kranke, Unsaubere, Katastrophale ist der Feind der Diktatur.
Die SchauspielerInnen, indem sie kritisieren, „lästern“, „ventilieren“, „raunen“, „ätzen“. Die Clips „fluten das Internet“. Von allem Anfang an ist der Vorgang des Kritisierens selbst gestempelt. Kritisieren per se wird zu einem unnatürlichen, krankhaften, spinnerhaften Vorgang konnotiert. Dass dabei Eigenschaften der Diktatur ins Gegenüber verlegt werden, lässt sich unschwer erkennen. Event 201, die Übung zur Pandemie im November 2019, die sich als Drehbuch liest, forderte zur Pandemiebekämpfung explizit: Das Internet sei mit Informationen zu fluten.
Zentral ist die Korrektion, welche über die diffamierenden Begriffe und ihre Bedeutungsfelder zustande kommt und stets aufs limbische System (3) zielt. Sie erfolgt postwendend, Zeit für Reflexion ist in einer Diktatur nicht vorgesehen. Kaum ist Kritik sichtbar, wird aus allen Rohren geschossen.
„Sie erzählen schlicht dummes Zeug“ — Anmerkung: Es ist der Spiegel, den die Videoclips vorhalten, die Sprache der Diktatur …
„Was soll diese Scheiße?“
„Eklig“ — Anmerkung: es klingt auf konnotativer Ebene das Ungeziefer mit an, das Unsaubere, vom dem aus es ein Katzensprung zum Kranken ist und zur Entartung; in einem Tweet, in dem die Kritik der SchauspielerInnen mit „durchseuchen“ parallel gesetzt wird, findet dieses faschistische Konzept seine Bestätigung: Die Juden als Seuche, der man mit harten Maßnahmen begegnen musste …
„Das ist grauenhaft.“
„So schäbig, dass es weh tut.“
„Unverschämtheit.“
„Entsetzen in der Branche“ — als Reaktion auf die Unverschämtheit.
So die schäumenden Variationen über dem Thema. Alles ganz „Argument-frei“. Eine kumpelhafte Version schließt den Reigen: „Come on, das ist doch Blödsinn. (...)“ Will heißen: „Komm schon, Kumpel, nimm unsere Vernunft an, sei wieder einer von uns.“ Wer Reue zeigt, dem wird vergeben. Diktatur kann auch menschlich sein.
Noch spezifischer der Diktatur zugehörig sind Diffamierungsbegriffe, welche das System selber anfertigt oder zumindest neu belebt. Die „Covidioten“ fehlen zwar für einmal in den Kritikkritiken, die ich gelesen habe, dafür wird mit „Schwurbel“ gearbeitet. So „schwurbeln“ die Schauspieler, wenn sie kritisieren (vergleiche auch raunen, ventilieren). Weiter:
„Querdenker und Coronaleugner feiern die Clips als ihren Erfolg“, „Die Videos enthalten Botschaften, wie man sie von Querdenken-Demos kennt“, „Zu diesen neuen Querdenkern der Republik gehören erschreckenderweise bekannte Namen wie Ulrike Folkerts, Ulrich Tukur, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Kostja Ullmann oder Volker Bruch.“
Vorgeframte Begriffe fokussieren auf Kritiker ad personam, um sie in negativen Schubladen einzusortieren. Rationales Argumentieren ist damit per se ausgeschlossen, vielmehr ersetzt die Kennzeichnung die Argumentation.
Angepeilt ist die Ausgrenzung derer, die nicht Reue zeigen. Hier schließen die Listen an und die Forderung nach Berufsverbot — dazu später.
Eine Ausgrenzung kann — im Begriff des Leugners und seiner Geschichte ist es enthalten — tödlich verlaufen. Implizit wird also auch gedroht. Drohungen richten sich per se an Personen: Die Personalisierung verschränkt sich nicht nur mit der Diffamierung, im diktatorischen Diskurs geht das eine im andern auf. Das nachfolgende Muster bringt es auf den Punkt.
Muster: Kritik wird über die Zersetzung der Kritiker mittels empörungsträchtiger Klischees entschärft.
„Privilegierte Schauspieler mit fettem Bankkonto und dicken Anwesen sind ja wohl die letzten, die sich über irgendwelche Corona-Maßnahmen beschweren sollten.“
Das ist ein soziologisch gesehen klassisches Argument der Diktatur. Eins zu eins „argumentierten“ so Nationalsozialisten, um die Masse in Stellung zu bringen gegen Juden und gegen Intellektuelle, die sich damals gegen die Diktatur querstellten.
„Volle Intensivstationen und tausende Tote schön und gut. Aber hat mal wer an die Situation unserer armen Schauspieler gedacht? Die müssen schon seit Monaten in ihren Mitte-Lofts ganz ohne Applaus überleben.“ Von der Machart her eine Stufe höher — Brechungen gehören selten zur Diktatur, wenn sie genügend sicher geframt sind, können sie schon mal eingesetzt werden —, wird hier das gleiche Muster wie im vorangehenden Beispiel bedient. Das gilt auch, wenn Schauspieler gegen Pfleger ausgespielt werden, indem Schauspieler — Ausnahme: wenn sie kritiklos ihren Tatort abliefern, den braucht das System — als reiche Nichtsnutze gezeichnet werden, wohingegen Pfleger an der Front kämpfen.
Klischees sind in sich pervertiert. Im konkreten Fall: Nicht nur, dass viele Schauspieler am Existenzminimum leben, vielmehr ist es auch so, dass die Pfleger, die hier gegen die Schauspieler in Stellung gebracht werden, in der Wirklichkeit vom System systematisch ausgebeutet werden. Die Ausgebeuteten, deren Arbeitsbedingungen das System in einem fort verschlechtert — auch während Corona —, fungieren als moralische Kanonen gegen Kritiker. Alles weitab einer sachlichen Argumentation.
Der Missbrauch der Pfleger — in Frankreich, wo die Bedingungen im Gesundheitswesen noch prekärer und also für eine Pandemie noch idealer sind, gehören Pflegerinnen und Pfleger längst zu den Berufsgruppen, welche die Maßnahmen am deutlichsten kritisieren — stellt die Moral der Diktatur anschaulich heraus.
Muster: Kritik durch Verweis auf Zustimmung von Stigmatisierten entschärfen.
Folgemuster: Kritik als Aktion des Feindes zeichnen.
Die durch die Stempelung produzierten Schubladen - Leugner, Querdenker et cetera: dabei ist stets die über die Konnotation herbeigeführte Diffamierung entscheidend - lassen sich sodann auch umgekehrt anwenden. Die Kritik wird als falsch „entlarvt“, indem auf die Zustimmung („Applaus“) von falscher Seite verwiesen wird. Soll heißen: Die Zustimmung von Leugnern macht euch zu Leugnern.
Das Muster ist bekannt aus der Nazizeit: Die Festlegung des Systems, eine Kritik bekäme die Zustimmung von Juden, war die Rechtfertigung dafür, gegen Kritiker wie gegen Juden vorzugehen. Nicht zu vergessen dabei: Leugner verstehen sich nicht als Leugner, Querdenker verstehen sich nicht im Sinne der Stempelung durch das System als Querdenker, Juden verstanden sich nicht im Sinne der Stempelung durch das System als Juden. Die Stempelung, als ein Gewaltakt, macht sie dazu.
Die Freund-Feind-Konstellation wird insofern sichergestellt, als die benutzten Diffamierungskategorien vom System selber geschaffen sind. Die Kritiker der Videoclips wissen genauestens, was ein Querdenker ist. Sie benutzen den Maßstab des Systems. Und so schreiben sie über die Videoclips:
„Der größte Erfolg der Querdenkerszene.“
„Querdenker und Coronleugner feiern die Clips als ihren Erfolg.“
„Ken Jebsen hätte es nicht schöner sagen können.“
Spätestens bei Jebsen liegt es auf der Zunge: „Der Jude hätte es nicht schöner sagen können.“ Wie es eine Kritikkritik sagt: „Argument-frei.“ Richtig erkannt, die Clips spiegeln.
Wo Argumente generell fehlen oder nur simuliert werden, sucht man vergeblich nach einer Reflexion über die verwendeten Begriffe. Auch bloß leiseste Ansätze in dieser Hinsicht: Sie fehlen. Versteht eine Diktatur die Zusammenhänge auch nicht („unverständlich“, „bizarr“, „wirr“: so kommt es ihr vor, wenn sie in den Spiegel schaut), so sind ihr die Begriffe, mit denen sie urteilt, umso klarer. Logisch für einmal. Denn sie bestimmt die ja.
Muster: Mit Toten auf alles einschlagen.
Untermuster: Kitsch.
Mehrfach wird in den Kritikkritiken auf eine Zahl verwiesen. In einer Variante nicht direkt, sondern über die Empfehlung, eine Website der Charité anzuklicken, um zur richtigen Wirklichkeit zu gelangen. Zu den 80.000 Toten. Als weise, dem Ernst der Situation angepasst wird dieser Verweis kommentiert und von der „Häme“ der Clips abgesetzt.
Woher die Toten genommen werden, wie die Zahl sich ausweist: kein Wort dazu. Das ist auch nicht nötig, denn 80.000 Tote erlauben keinen Widerspruch. 80.000 Tote sind der Hammer. Ihre Wirklichkeit ergibt sich aus der Wucht. Und so setzt die Diktatur alsdann Opfer, die ihr genehm sind, gegen Kritiker ein. Die Toten an der Front: Sie lassen nichts zu. Schon gar nicht die Frage, ob die Toten, die das System als Argument für sich einsetzt, nicht am Ende dem System geschuldet seien.
Wenn Goebbels die Toten, die das System produziert, als Argument für Solidarität mit diesem System einbringt — in der Sportpallastrede (2) —, so zeichnet er nicht nur das Muster jeder Diktatur, sondern eben gleichzeitig auch Kitsch. Den aufopferungsvollen Kampf für Deutschland, gegen das Virus, für die Solidargemeinschaft: Tränen dürfen da nicht fehlen. Kitsch ist das Darstellungsmittel der Diktatur. Was auf der Vorderseite als Träne durchfließt mit Sonnenuntergang, ist auf der Rückseite der Produktionsbedingungen Brutalität. Der Krieg, zu dem man Menschen zwingt. Arbeitsbedingungen, die immer unmenschlicher sind. Kitsch blendet diese Rückseite aus. Dieses Ausblenden macht den Kitsch aus.
Spiegel, WDR, TAZ und viele mehr mussten die Toten und den Kampf — martialische Bilder evozierend - gegen diese Kritik in Stellung bringen. Und hätte es also eines Beweises dafür, dass in Deutschland wieder ein diktatorischer Geist herrscht, noch bedurft, die Kritikkritiken hätten ihn eindrücklich erbracht. Die Toten und der Kampf der Menschen in den Gesundheitsberufen, in den Kliniken: das ist die Front des Krieges, der explizit ausgerufen worden ist. Die Kritikkritik mündet in den Satz:
„Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die Solidargemeinschaft Deutschland.“
Die Solidargemeinschaft ist die Diktatur. Eine Klischee-Kitsch-Gemeinschaft. Gute Nacht Deutschland.
III. Intermezzo
„Es ist verstörend, wie Meret Becker in ihrem Beitrag das Maskentragen verhöhnt. Was möchte sie damit sagen?“
Zuweilen neige ich zu Mitleid. Wenn ich das lese, so erkenne ich neben Brutalität und Durchseuchungsängsten so viel Unbeholfenheit und Unvermögen, dass ich die Kritikkritiker innerlich frei spreche, frei von jeder Schuld.
„Allein zur aktuellen ‚Tatort‘-Riege gehören 42 Hauptdarsteller, die große Mehrzahl ist nicht dabei. Danke, Maria Furtwängler. Danke, Fahri Yardim. Danke, Nora Tschirner. Danke, Christian Ulmen. Danke, Axel Prahl. Und so weiter …“
Fußballspiel. 4:1. Die Richtigen haben gewonnen. Wir sind Wir.
„Dass man in der Pandemie angeblich nicht mal mehr Paketboten und Pizzalieferanten die Tür öffnen solle. Das ist natürlich Unsinn, doch Heike Makatsch suggeriert, Maßnahmen-Befürworter strebten genau dies an.“
Man darf den Pizzaboten die Tür öffnen, ergo: es herrscht Freiheit! Hier ist ein Mensch, er will zu dir, du hast ein Haus, öffne die Tür. Sang Peter Alexander. Geht doch. Okay, Zero Covid - da bleibt dem Pizzaboten die Tür verschlossen. Soll er die Pizza doch ablegen und verschwinden. Wo ist das Problem? Was hat die Makatsch denn gemeint?
Diktatorische Gehirne sind orbitofrontal abgebaute und limbisch aufgemotzte Gehirne. Aber genau das wird sie nicht milde stimmen. Ich kann auf Gegenmitleid nicht hoffen, wenn ich abgeholt werde. Denn: Uneindeutiges verunsichert die Diktatur. Eine Verunsicherung ist in einem diktatorischen Framing nicht vorgesehen. Tritt es auf, so wird die Ursache dafür als Versagen des Gegners gezeichnet. Das glättet die Verunsicherung. Und doch bleibt Wut zurück. Auf Entartetes, Bizarres, Wirres wird besonders vehement eingeschlagen. „Was soll diese Scheiße?“ Zuerst verbal. Dann folgen die Handlungen.
IV. Für das Lehrbuch
Zusammenhängend nun die Kritik des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Es handelt sich um eine reichhaltige Sammlung von Mustern diktatorischer Diskursgestaltung. Vom Unverständnis und Fehlverständnis, je als Schwäche des Gegners gewertet, über Didaxe und Simulation von Argumentation bis zum geballten Fokus auf Moral auf der Grundlage von emotionaler und diffamierender Kennzeichnung mit fast durchgehender Personalisierung der Kritik und einer klischeehaften und kitschigen Bildlichkeit ist alles enthalten. Die Didaxe hält auch kleine einfache Witze bereit, Sprachspiele, zwecks Verächtlichmachung der Gegenseite. Ein Text für Lehrbücher.
„Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die Solidargemeinschaft Deutschland. Und es ist eine Unverschämtheit.
In 53 kurzen Videos lästern die Damen und Herren zu leiser Klaviermusik über die Angst vor dem Virus. Sie raunen Wirres. Sie machen sich lustig über Menschen, die vor Erschöpfung am Gitterbett ihres Kindes hängen und weinen. Sie mokieren sich voller Häme über jene, die die Maßnahmen gegen Corona möglicherweise auch nicht durchgehend logisch, verständlich, supertoll und wirkungsvoll finden, die aber immerhin bereit sind, ihr Ego für ein paar Monate zurückzustellen.
Es sind nicht irgendwelche Gernegroße
Es sind nicht irgendwelche Gernegroße auf Rampenlichtsuche, die sich da in überraschend schlecht geschriebenen Texten am Corona-Alltag abarbeiten. Es sind Stars der Zunft darunter wie Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Meret Becker und Volker Bruch. Sie bedanken sich ironisch dafür, dass in dieser Zeit nur noch ‚einfache Wahrheiten‘ gälten. Sie erzählen schlicht dummes Zeug (‚eine eigene Meinung zu haben ist gerade krass unsolidarisch‘). Sie ätzen gegen die Medien, sie unterfüttern munter den saublöden Irrtum, es sei unmöglich in diesem Land, eine eigene Meinung zu entwickeln. Kurz: Sie bedienen vollständig und vorsätzlich das Narrativ all der Schwurbler und Verschwörungstheoretiker, die die Tatsache, dass sie ihren Egoismus kurz mal beiseiteschieben sollen, mit einer Grundrechtsverletzung von epischem Ausmaß verwechseln.
Auch Liefers ventiliert die uralte Mär von den gleichgeschalteten Medien, die während der Corona-Zeit nur Einseitiges angeboten hätten. ‚Habt ihr euch rundherum gut informiert gefühlt?‘, raunt er in bestem Wutbürgerparlando. Seit über einem Jahr sorgten die Medien dafür, ‚dass der Alarm da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben‘. Dazu nur ein Satz: Wer so redet, offenbart lediglich, dass er offenbar seit Monaten darauf verzichtet, auch all die nachdenklichen, selbstkritischen und abwägenden Berichte in klügeren Blättern zur Kenntnis zu nehmen, die es zuhauf gegeben hat.
Können gute Leute derart irren?
Zu besichtigen sind in den 53 Clips all die alten, öden Vorurteile von ‚Diktatur!‘-Schreihälsen, die sämtliche Medien pauschal in einen Topf werfen, weil sie es nicht besser wissen. Corona ist eben auch eine Übung in Medienkompetenz. Um nicht zu sagen: in Klugheit.
Es gibt keine Kritik in den Mainstreammedien an der Regierung? Niemand traut sich mehr, seine Meinung zu sagen? Das ist absurd. Das halbe Land diskutiert seit Monaten über ‚Staatsversagen‘, Impfpannen, eitle Ministerpräsidenten, notleidende Familien und inkonsistente bis hirnrissige Coronamaßnahmen. Man muss das nur eben auch zur Kenntnis nehmen.
Können gute Leute derart irren? Können sich verdiente Künstler so dermaßen in wattigen Gedankengebäuden verirren? Es gibt nur zwei Möglichkeiten, warum man als privilegierter Star den Applaus von Schwurblern und Spinnern in Kauf nimmt: Entweder, man ist gelangweilt, naiv und schlecht informiert. Oder man denkt genauso wie sie. Beides wäre verheerend und ist dieser Teilelite der deutschen Schauspielzunft unwürdig.
Wer in den letzten Monaten ernsthaft den Eindruck gewonnen hat, es habe keinerlei Medienkritik mehr gegeben und die Berichterstattung sei einer komplett einseitigen — um nicht zu sagen: von der Regierung gesteuerten — Agenda gefolgt, der hat erstens keine Ahnung von den Medienmechanismen der Gegenwart, und er muss sich längst in hennafarbenen Echokammern verlaufen haben, schimpfend auf eine ‚pöhse‘ Mainstreamwelt, die er nur noch als Zerrbild wahrnimmt.
Die Aktion ist ein Schlag ins Gesicht der erschöpften Pfleger
Dass derlei Merkwürdigkeiten von gestandenen Heroen der Unterhaltung kommen, ist eine große Enttäuschung. Denn diese Aktion ist ein Schlag ins Gesicht der erschöpften Pfleger und Ärzte, die seit Monaten auf der letzten Rille laufen. Es ist eine Verhöhnung der Hinterbliebenen von mehr als 80.000 Corona-Toten und derer, die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen. Es ist eine zynische, kaltherzige Demonstration von Borniertheit aus den klimatisierten Türmen der Elfenbeinkultur, vorgetragen auch von jenen, die durchaus gut bezahlter Arbeit nachgegangen sind in den letzten Monaten.
Das Erschreckende ist: Die Popularität der Aktionsteilnehmer sorgt automatisch für tosenden Applaus von rechts außen. ‚In Deutschland gibt es tatsächlich noch regierungskritische Satire‘, staunt ‚Tichys Einblick‘. Die AfD schert in den Jubelgesang ein. Die üblichen Verdächtigen verneigen sich in Bewunderung vor den Granden der Kultur, die den ‚Mut‘ hätten, auch mal etwas gegen die Regierung zu sagen. Man fragt sich ernsthaft, unter welchem Stein diese Jubelperser in den letzten Monaten geschlafen haben.
‚FCKNZS‘ (Fuck Nazis) steht anlasslos, einsam und winzig klein am unteren Ende der Website mit den Videos. Es wirkt wie ein typografisches Feigenblättchen. Ganz so, als habe man am Ende doch irgendwie geahnt, wessen Ungeist man mit dieser gratismutigen Aktion beschwören könnte, die wenig mit legitimer Kritik an den Corona-Maßnahmen zu tun hat, sondern vor allem die Legende von der machtgeilen Regierung nährt, für die Corona nur ein Vorwand sei, uns alle zu knechten.
Was für ein kommunikativer Fehlschlag, wenn man sich schnell noch von Nazis distanzieren muss, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Gleich mehrere Videos sind auf dem Youtubekanal #allesdichtmachen bereits nicht mehr zu finden, darunter das von Heike Makatsch. Man versteht das in der Querdenkerblase selbstverständlich als ‚Zensur‘, als Gegenschlag der Mainstreamwelt und Bestätigung für die Notwendigkeit dieser ‚mutigen‘ Aktion. Dabei ist manchem der Beteiligten einfach ein Licht aufgegangen.“
V. Nemesis
Es folgen Forderungen nach Listen und Berufsverbot. Sie müssen folgen. Damit noch mehr Lichter aufgehen.
„Wer von den Schauspielern ist auf Twitter? Und wem folgen die da alle? Und von wem werden die gefolgt? Wenn jemand eine Liste machen will, hier drunter gecrowdsourct? @pkreissel kann sowas gut analysieren. Wer hat die ersten Tweets mit Hashtag dichtmachen geschrieben? Rosenfelder von der Welt war sehr schnell dabei. Über die ersten Tweets bekommt man raus, wer eingeweiht war. Unter den ersten Tweets mit dem Triple-Hashtag waren führende Twitter-Querdenker und Durchseucher. Es ist also völlig klar was das Ziel war und welche Gruppe als Amplifikator genutzt werden sollte.“
Ein WDR-Rundfunkrat ruft dazu auf, den betreffenden Schauspielern keine Verträge mehr anzubieten. Berufsverbot nennt sich das. Als Ironie in sich zu lesen: Minister Spahn findet die Kritik normal. Er wäre bereit, mit den Schauspielern darüber zu reden. Ist der Geist der Diktatur vollends angekommen, kann er mit aller Bestimmtheit auf seine Unterhunde abstellen, so können es sich die im oberen Gebälk durchaus erlauben, einmal etwas jovialer aufzutreten.
VI. Die Justiz lichtet mit
Vor dem Familiengericht in Leipzig wurde die Maskenklage einer Mutter verhandelt. Die Klage wurde nicht nur abgewiesen. Das Gericht schraubte den Verhandlungswert vielmehr in alle Höhen, so dass an der alleinerziehenden Mutter über 18.000 Euro Kosten hängen blieben. Der Richter machte keinen Hehl daraus, dass er damit über das Urteil hinaus andere Eltern davon abhalten wollte, überhaupt erst zu klagen.
Strafe einen, erziehe 100. Mao. Strafe, weil sich jemand getraut hatte, den Rechtsweg einzuschlagen. Außerdem drohte der Richter mit dem Sorgerechtsentzug für die Tochter, weil die Mutter gegen die Maskenpflicht geklagt habe. Die anerkannten Medien zeigten Respekt für das Urteil. Allein schon die Schlagzeile „Querdenkerin am Familiengericht“ macht deutlich, wie die oben herausgestellten Muster auch bei der Berichterstattung im Bereich der Justiz funktionieren. „Jude am Familiengericht“ ist die Parallele — nein, nicht „Jude“ und „Querdenker“, sondern die Weise, wie Diffamierungsbegriffe operational eingesetzt werden.
Steht ein Querdenker dort, steht kein Mensch — und ist es kein Mensch, braucht auch niemand die Tür zu öffnen. Und wundern soll er sich auch nicht, wenn an ihm ein Exempel statuiert wird.
Alles ganz normal. So die Berichterstattung zu diesem Vorgang, bei dem die Justiz gänzlich und ganz ausdrücklich zum Instrument der Macht geworden ist. Der Richter in Weimar dagegen, der einer in der Sache ähnlich gelagerten Klage stattgegeben und die Coronamaßnahmen als aus rechtstaatlicher Sicht unverhältnismäßig eingestuft hatte, wurde von Polizei und Staatanwaltschaft überfallen. Sein Büro, sein Auto durchsucht, seine IT-Geräte abgeführt. So trägt auch die Justiz dazu bei, dass Lichter aufgehen und die Katastrophe für die Solidargemeinschaft, vor der die RND-Kritik warnt, nicht eintritt (4).
Deutschland? Alles andere als eine Diktatur. Danke Heike Makatsch (5), danke ihr KünstlerInnen. Und das Reuezeigen ist die Fortsetzung. Die Kritikkritiken sowieso. Die Diktatur produziert Clips in einem fort. Das ist das Geniale an ihr. Hat Brecht schon erkannt.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Die zitierten Passagen stammen aus:
https://www.dwdl.de/meinungen/82473/allesdichtmachen_53_schauspielerinnen_outen_sich_als_populisten/
https://www.rnd.de/medien/stars-gegen-den-lockdown-warum-die-aktion-alles-dicht-machen-ein-verhohnung-der-coronatoten-ist-RKIJZZ5B45F77FSSJHASP7FF5M.html
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/schauspieler-und-ihre-corona-kritik-alles-dicht-machen-ist-so-schaebig-dass-es-weh-tut/27124112.html
https://www.focus.de/kultur/kino_tv/allesdichtmachen-deutsche-schauspiel-stars-starten-bizarre-kampagne-gegen-medien-und-bundesregierung_id_13221434.html
Zitierte Twitter-Einträge von Stefan Niggemeier, Jan Böhmermann, Olaf Storbeck, Claus Römer wie die Aussage von Garrelt Duin abgerufen über https://de.rt.com/gesellschaft/116520-allesdichtmachen-das-mainstream-imperium-schlaegt-zurueck/ bzw. https://de.rt.com/inland/116563-teilnehmer-von-aktion-allesdichtmachen-vorschlag/
(2) Sportpalastrede Goebbels vergleiche https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0200_goe&object=translation; angeführt seien beispielhaft folgende Passagen:
„Wiederum muß ich hier betonen, daß, je schwerer die Opfer sind, die das deutsche Volk zu bringen hat, um so dringender die Forderung erhoben werden muß, daß sie gerecht verteilt werden. Das will auch das Volk. Niemand sträubt sich heute gegen die Übernahme von auch schwersten Kriegslasten. Aber es muß natürlich auf jeden aufreizend wirken, wenn gewisse Leute immer wieder versuchen, sich an den Lasten überhaupt vorbeizudrücken. Die nationalsozialistische Staatsführung hat die moralische, aber auch staatspolitische Pflicht, solchen Versuchen mannhaft, wenn nötig mit drakonischen Strafen entgegenzutreten. (...)
Die Front hat angesichts der übermenschlichen Opfer, die sie täglich zu bringen hat, ein elementares Anrecht darauf, daß auch nicht ein einziger in der Heimat das Recht für sich in Anspruch nimmt, am Kriege und seinen Pflichten vorbeizuleben. (...)
Wir haben beispielsweise die Schließung der Bars und Nachtlokale angeordnet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es heute noch Menschen gibt, die ihre Kriegspflichten voll erfüllen und gleichzeitig bis tief in die Nacht in Amüsierlokalen herumsitzen. Ich muß daraus nur folgern, daß sie es mit ihren Kriegspflichten nicht allzu genau nehmen. Wir haben diese Amüsierlokale geschlossen, weil sie anfingen, uns lästig zu fallen, und das Bild des Krieges trübten. Wir verfolgen damit durchaus keine muckerischen Ziele. Nach dem Kriege wollen wir gern wieder nach dem Grundsatz verfahren: Leben und leben lassen. Während des Krieges aber gilt der Grundsatz: Kämpfen und kämpfen lassen! (...)
Wenn an der Front unsere kämpfenden Truppen vom Grenadier bis zum Generalfeldmarschall aus der Feldküche essen, so glaube ich, ist es nicht zu viel verlangt, wenn wir in der Heimat jeden zwingen, wenigstens auf die elementarsten Gebote des Gemeinschaftsdenkens Rücksicht zu nehmen. (...)
Wir wollen lieber ein paar Jahre geflickte Kleider tragen, als einen Zustand heraufbeschwören, in dem unser Volk ein paar Jahrhunderte in Lumpen herumlaufen müßte. Was sollen heute noch Modesalons, die Licht, Heizung und menschliche Arbeitskraft verbrauchen. Sie werden nach dem Kriege, wenn wir wieder Zeit und Lust dazu haben, neu erstehen. Was sollen Frisiersalons, in denen ein Schönheitskult gepflegt wird, der ungeheuer viel Zeit und Arbeitskraft beansprucht, der für den Frieden zwar sehr schön und angenehm, für den Krieg aber überflüssig ist.
(3) Als limbisches System werden im Gehirn die neuronalen Netzwerke verstanden, welche fokussiert (aber nicht allein) für emotionale und affektive Steuerungen verantwortlich sind.
(4) für den Justizfall vergleiche https://reitschuster.de/post/schock-beschluss-in-leipzig-familienrichter-verhaengt/; https://www.l-iz.de/leben/faelle-unfaelle/2021/04/querdenkerin-am-familiengericht-leipzig-wenn-ein-richter-das-kindeswohl-gefaehrdet-sieht-386449
(5) Makatschs Clip ist einer jener, die aus der Sammlung verschwunden sind. Sie hat Reue gezeigt. Dass soll hier nicht hämisch angemerkt sein. Ihr Beitrag war genial. Dass sie der „Wucht der Solidarität“ nicht standgehalten hat, ändert daran nichts. Wer von uns kann sicher sein, dass es ihm nicht gleich ergeht?