Die Schwelle überschreiten
Nur die Bereitschaft, immer wieder in unser inneres Laboratorium hinabzusteigen, gibt uns die Kraft, den Übergang zu schaffen.
Die aktuelle Zeit stellt uns vor allergrößte Herausforderungen. Es ist, als würden wir in Drachenblut baden, um uns für das Kommende zu stärken. Doch wie geschickt und heldenhaft wir uns dabei auch anstellen mögen: Wir bleiben verwundbar. So geht es darum, immer wieder das Gleichgewicht zwischen Stärke und Schwäche zu finden, zwischen Eifer und Ruhe, Tatkraft und Ergebenheit. Immer wieder müssen wir hineinfühlen in uns und uns mit dem auseinandersetzen, was uns darauf vorbereitet, flügge zu werden.
Als Achilles, Held der griechischen Mythologie, dem Styx entsteigt, dem Fluss, der die Unterwelt von der Oberwelt trennt, ist er unverwundbar. Eine einzige Stelle jedoch blieb unbedeckt: seine Ferse. Hier trifft ihn der von Apollon gelenkte Pfeil des Paris. Der Halbgott muss sterben. In der Nibelungensage ereilt Siegfried dasselbe Schicksal: Als er im Blut des von ihm besiegten Drachen badet, legt sich ein Blatt zwischen seine Schultern. Hier wird ihn Hagens Speer durchbohren. Der Archetyp des verletzlichen Helden zeigt: Über welche Kräfte wir auch verfügen mögen, wie furchtlos wir uns auch verhalten – wir sind empfindlich. Das Leben ist zerbrechlich – auch wenn wir nahezu unverwundbar werden, wenn wir in den Fluss steigen, der die Lebenden von den Toten trennt.
Tatsächlich ist die Bedrohung immens: Es geht darum, die gesamte Menschheit in jeder Hinsicht unter Kontrolle zu bringen. Politik, Medien, Finanzeliten und internationale Technologie- und Pharmakonzerne bauen an einer Welt, in der der Mensch nicht mehr ist als eine Ressource, ein Stück Vieh, das in den Schlachthof getrieben wird. So beschreibt es die amerikanische Investment-Bankerin Catherine Austin Fitts (1). In diesem Szenario dient das Coronavirus zunächst als Initialzündung und dann als Schrittmacher. Mithilfe eines unsichtbaren Feindes und auf Eventualitäten basierenden Berechnungen werden Maßnahmen produziert, die die Menschen unter die totale digitale Überwachung bringen und sie daran hindern, sich dagegen zu organisieren.
In Drachenblut baden
Für diejenigen, denen diese Gefahr bewusst ist, gleicht das Leben in dieser Zeit einer Mutprobe, die eines Achilles und eines Siegfrieds würdig wäre. Es scheint, als müssten auch wir wirklich und wahrhaftig in den Fluss tauchen, der die Welt der Lebendigen von der Welt der Toten trennt. Es ist eine Zeit, in der jeder von uns mit seinen tiefsten Ängsten und schwärzesten Dämonen konfrontiert ist. Überwunden Geglaubtes kommt erneut zutage. Unverarbeitete Geschichten tauchen erneut auf, zehren an den Nerven und bringen die Gefühle durcheinander. Alte Narben fangen wieder an zu schmerzen und erinnern uns daran, dass wir, wie mutig wir uns auch erweisen, empfindliche Wesen bleiben.
Kein Weg führt daran vorbei, sich erneut mit den unverheilten Wunden der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und sich dorthin zu tasten, wo es schmerzt.
Als wie stark wir uns auch zeigen mögen: Jeder von uns hat ein Lindenblatt, eine Stelle, an der er tief verletzbar ist. Wir können noch so sehr trainieren, noch so stark und geschmeidig sein, unser Lebensschiff noch so furchtlos durch die Unwetter lenken: Wir sind Menschen, und wir bleiben verwundbar. Kein Grund, das Steuer aus der Hand zu geben, sondern eine Gelegenheit, immer wieder die unerfüllten Bedürfnisse und Wünsche auszuloten.
Raum geben
Wir alle brauchen Anerkennung, Respekt und Wärme, das Gefühl der Verbindung und die Gewissheit, von der Gemeinschaft angenommen zu sein: Ich gehöre dazu. Hier habe ich meinen Platz. Hier hört man mir zu. Hier kann ich mich nützlich machen. Ich darf sein, wie ich bin, darf mich stark zeigen und schwach. Hier erkennt man meinen Wert, hier kann ich zeigen, was ich kann. Meine Gaben und Talente werden geschätzt und dürfen zur Entfaltung gebracht werden. Wir alle brauchen diesen sicheren Ort, an dem sich die Raupe verpuppen kann und der Schmetterling fliegen lernt.
Der Weg aus dem engen Kokon heraus ist anstrengend. Viele Häute müssen durchdrungen und abgelegt werden, bis wir ganz nackt dastehen und alles uns bisher Stützende weggefallen ist. Hierbei kann uns niemand helfen. Wer einem Schmetterling bei der Geburt hilft, der tötet ihn. Erst durch die Anstrengung werden die Flügel flugtauglich. Doch es gibt Geburtshelfer: Menschen, die zuhören und die präsent sind. Menschen mit ausgestreckter Hand und geöffneten Armen, mit einer heißen Suppe oder einem kräftigen Wein. Menschen, vor denen wir ehrlich ausdrücken können, was wir empfinden in dieser Zeit, die uns einen Raum geben, in dem wir in Frieden miteinander austauschen können: Wie geht es dir? Wo ist dein Schmerz, dein Lindenblatt? Wie erlebst du den Prozess des Übergangs? Welche Namen tragen deine Ängste?
Von innen nach außen
Das ist es, was mir in dieser Zeit hilft: ehrlich reden, einander authentisch begegnen. Ich brauche keine Tipps und guten Ratschläge. Ich brauche ein offenes Ohr. Ich wünsche mir, dass die Maskerade in jeder Hinsicht aufhört, dass wir herauskommen aus unseren Verliesen und dass wir einander zeigen, wie wir wirklich sind und was wir der Welt zu geben haben.
Ich wünsche mir, dass die Ängste ausgesprochen werden, alles das, was uns klein und unbedeutend fühlen lässt und hart und abweisend macht.
Ich wünsche mir, dass das Versteckspiel ein Ende hat, das Schweigen gebrochen wird und das Rechtfertigen und Verurteilen aufhört. Ich wünsche mir, dass wir uns trauen, einander wirklich zu begegnen und der Auseinandersetzung nicht aus dem Wege gehen.
Das können wir jetzt tun. Wir können unseren Schmerz zum Ausdruck bringen und ihn mit offenen Armen empfangen. Wir stehen nicht machtlos den Ereignissen gegenüber. Nehmen wir den Faschismus beim Wort und bündeln wir unsere eigenen Möglichkeiten. Warten wir nicht auf Hilfe von anderer Stelle. Machen wir uns nicht abhängig von anderen. Setzen wir selbst die Impulse. Konzentrieren wir uns auf uns: Welche Energien sind in mir aktiv? Was fühle ich? Wie gehe ich mit meiner Verletzbarkeit um? Was kann ich mir geben?
Hierhin lenken die Ereignisse unseren Blick. Die Dinge, die sich im Außen manifestieren, reflektieren unsere innere Zerstreutheit und Orientierungslosigkeit: die Verschlossenheit, die Unbeweglichkeit, das Sichverlieren im Detail, das Kalkulieren von Eventualitäten, den Versuch, das Außen zu kontrollieren, die Angst vor dem Tod und die Bereitschaft, sich das Leben nehmen zu lassen.
Wir sind der Lockdown. Wir selbst tun uns das alles an. Wir verzichten freiwillig auf unsere Rechte und begeben uns, so Catherine Austin Fitts, in die Sklaverei einer digitalen Zentralbankwährung, mit der unser Geld beliebig an- und ausgeschaltet werden kann. Wer sich nicht richtig benimmt, hat keine Chance: kein Kredit, kein Transport, kein Haus, keine Arbeit, keine Ausbildung, keine Familiengründung, keine Veranstaltungen, keine Reisen, keine Restaurant- oder Kinobesuche, kein Leben. Alles wird uns von Technologie und Künstlicher Intelligenz genommen, einschließlich der Kontrolle über unser Denken, Fühlen und Wollen. Fremde Ideen gelangen nicht mehr nur über äußere Manipulation in unsere Köpfe, sondern werden uns physisch eingeimpft.
Die Botschaft im Problem
Doch das Symptom zeigt uns nicht nur, dass etwas nicht stimmt, sondern auch, dass gerade etwas geheilt wird. Anstatt gebannt dorthin zu starren, wo sich das Problem manifestiert, können wir versuchen, die Sprache des Symptoms zu verstehen. Die Erkältungssymptome, die wir heute so sehr fürchten, zeigen uns vor allem, dass sich der Körper gerade von ungeladenen Gästen befreit. So sind auch die Symptome der Technokratitis ein Zeichen dafür, dass sich gerade eine ganze Gesellschaft von ihren Krankheitserregern befreit.
Immer unkoordinierter und erschöpfter wird ihr Agieren. Immer deutlicher zeigt sich die Angst der Eliten. Hier ist niemand in Sicherheit. Denn immer schwieriger wird es, das Offensichtliche unter Verschluss zu halten und die Massen unter Kontrolle. Trotz des immensen Drucks scheren immer mehr Menschen, Instanzen und ganze Länder aus und nehmen sich die Masken vom Gesicht. Unter dem Deckel der Folgsamkeit brodelt es. Wie lange es dauern wird, bis ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt, kann niemand wissen. Doch bis es soweit ist, schauen wir nicht einfach nur zu. Arbeiten wir an uns, so gut wir können.
Steigen wir hinab in unser Laboratorium, den geheimen Ort der Arbeit und des Gebets. Nehmen wir wieder und wieder die kleine Tür, die uns an den einzigen Ort führt, an dem wir etwas verändern können.
Üben wir uns in Ausdauer und Zuversicht gerade dann, wenn alles verloren scheint. Dies ist die Schwelle, deren Übertreten uns zu Helden macht, ob wir es wollen oder nicht. Wer es heute schafft, den Mut nicht zu verlieren, wer jetzt nicht aufgibt und beständig seinen Weg weitergeht, der badet wahrlich in Drachenblut. Wenn es so weit ist, dann werden seine Flügel stark genug sein, ihn in eine neue Zeit zu tragen.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27249