Die Schattenregierung
In den USA gibt es neben der sichtbaren noch eine unsichtbare Regierung, die aus anonymen Technokraten, Geheimdienstlern, Generälen, Bankern, Unternehmern und Lobbyisten besteht.
Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich fest im Griff einer unsichtbaren Regierung, angeführt von den Geheimdiensten des Landes. Chris Hedges zeichnet anhand von Ausschnitten aus dem neuen Buch des Journalisten Stephen Kinzer nach, welche historischen und aktuellen Verbrechen die CIA begangen hat und welche Auswirkungen diese auf die USA und die ganze Welt haben.
In den Vereinigten Staaten gibt es zwei Arten von Regierung: Da ist einerseits die sichtbare Regierung — das Weiße Haus, der Kongress, die Gerichte, die Staatsparlamente und die Gouverneure — und andererseits die unsichtbare Regierung beziehungsweise der tiefe Staat, in dem anonyme Technokraten, Geheimdienstler, Generäle, Banker, Unternehmer und Lobbyisten die Innen- und Außenpolitik steuern, unabhängig davon, welche politische Partei an der Macht ist.
Die mächtigsten und wichtigsten Organe der unsichtbaren Regierung sind die aufgeblähten und nicht rechenschaftspflichtigen Geheimdienste der Nation. Sie sind ihre Vorhut; Überwachen eine riesige Schattenwelt und haben die Aufgabe, die Machtposition der unsichtbaren Regierung aufrechtzuerhalten; Spionieren einheimische und ausländische Kritiker aus und beschmutzen ihre Namen, manipulieren Wahlen, bestechen, erpressen, foltern, ermorden und überfluten die Medien mit „schwarzer Propaganda“; Sind immun gegen das Chaos und das menschliche Leid, das sie hinterlassen. Die unsichtbare Regierung hat demokratisch gewählte Regierungen im Iran, Guatemala und Chile gestürzt sowie die Kriege in Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien vorangetrieben.
Daraus entstanden Katastrophen, soziale Unruhen, wirtschaftliche Zusammenbrüche, massives Elend, Tod und ein fanatischer anti-amerikanischer Widerstand. Die Vereinigten Staaten und der Rest der Welt wären weitaus sicherer, wenn unsere selbsternannten Schattenkrieger, die die iranische Revolution, den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Anschläge vom 11. September 2001 nicht vorausgesehen haben, von dem Nichtvorhandensein irakischer Massenvernichtungswaffen scheinbar nichts wussten und deren umfassender Einsatz von Folter sie zu den effizientesten Anwerbern für radikalen Dschihadismus macht, gegenüber der Öffentlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verantwortlich gemacht werden würden.
Ab und zu erhascht man einen Blick auf die moralische Verwahrlosung und Untauglichkeit, von der die Schattenwelt der USA geprägt ist. So zum Beispiel während der von Senator Frank Church geleiteten Untersuchungen der Aktivitäten von US-Geheimdiensten in den 1970er Jahren oder durch geleakte Fotos von gefolterten Menschen im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak. Doch diejenigen, die versuchen, die perniziösen inneren Abläufe offenzulegen oder sich ihnen zu widersetzen, werden in der Regel diskreditiert, verfolgt, zum Schweigen gebracht und manchmal sogar „verschwunden“. So auch Edward Snowden und Julian Assange. Die unsichtbare Regierung erachtet ihre Heimlichtuerei und ihr kriminelles Verhalten als notwendig angesichts scheinbarer existenzieller Bedrohungen, die zuerst vom Kommunismus und dann vom islamistischen Terrorismus ausgingen. Das Ziel rechtfertigt immer die Mittel. Alles — egal wie unmoralisch oder kriminell — ist erlaubt.
Die besten Einblicke in diese Schattenwelt erlangen wir durch historische Darstellungen über ihre Verbrechen. So schreibt Stephen Kinzer in seinem neuen Buch „Poisoner in Chief: Sidney Gottlieb and the CIA Search for Mind Control“ beispielsweise, dass die von der CIA nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten „Black Sites“ und Foltertechniken ein unverzichtbares Glied in dieser düsteren Kette waren.
Die Nazis führten während des Zweiten Weltkriegs in den Konzentrationslagern medizinische Experimente durch. Dasselbe taten die Japaner in der besetzten chinesischen Region Mandschurei. Dies löste nach Ende des Krieges zwei gegensätzliche Reaktionen aus: Einige Mitglieder der sichtbaren Regierung wollten die Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen, doch viele Anhänger der unsichtbaren Regierung waren dafür, die Ergebnisse der Experimente auszuwerten und die Kriegsverbrecher, die sie durchgeführt hatten, für die US-Geheimdienste und das Militär anzuwerben.
Die Vorgeschichten der Nazi-Wissenschaftler, die chemische und biologische Kriegsführungsprojekte geleitet hatten und Tausende von hilflosen Opfern, darunter auch Kinder, mit Substanzen wie Sarin ermordet hatten, wurden von der unsichtbaren Regierung im Rahmen der so genannten Operation Paperclip bereinigt. Die USA waren sich nicht zu schade, selbst die grausamsten und sadistischsten Kriminellen aufzunehmen und sich zu Nutze zu machen, darunter auch Kurt Blome, der während des Nationalsozialismus die Erforschung der biologischen Kriegsführung leitete.
„Wann immer sich herausstellte, dass es in der Vergangenheit eines Wissenschaftlers, den sie haben wollten, einen Schandfleck gab, schrieben sie seine Lebensgeschichte um“, berichtet Kinzer. „Sie löschten systematisch Hinweise auf eine Zugehörigkeit zur SS, eine Zusammenarbeit mit der Gestapo, den Missbrauch von Zwangsarbeitern und die Durchführung von Menschenversuchen. Bewerber, die als „glühende Nazis“ eingestuft worden waren, erhielten die neue Kategorie „kein glühender Nazi“. Man fügte Verweise auf ihr exemplarisches Familienleben hinzu. Sobald die Vergangenheit der Kriegsverbrecher auf diese Weise „reingewaschen“ war, stellten sie geeignete Kandidaten für einen Paperclip-Vertrag dar.“
Shiro Ishii, der im Auftrag der japanischen Regierung zwischen 1936 und 1942 nicht weniger als 12.000 gefangengenommene chinesische Soldaten, antijapanische Partisanen, Koreaner, Mongolen, Gefangene, geistig Kranke und — einigen Berichten zufolge — US-amerikanische Kriegsgefangene durch medizinische Experimente ermordete, war für die unsichtbare Regierung eine besonders wertvolle Trophäe.
Ishii war Leiter eines 120 Quadratkilometer großen Komplexes mit dem Namen Einheit 731, in dem 3.000 Wissenschaftler und andere Angestellte untergebracht waren. Kinzer beschreibt, welchen Foltermethoden an den Opfern dieses Vernichtungslabors erprobt wurden:
Sie wurden Giftgas ausgesetzt, damit später die Lungen entfernt und untersucht werden konnten; mithilfe von Elektrizität langsam geröstet, um die für das Eintreten des Todes notwendige Spannung zu bestimmen;
Sie wurden kopfüber aufgehängt, um den Verlauf eines natürlichen Erstickungsprozesses zu analysieren; in Hochdruckkammern eingesperrt, bis ihre Augen aus den Höhlen sprangen; in Zentrifugen geschleudert; mit Milzbrand, Syphilis, Pest, Cholera und anderen Krankheiten infiziert; zur Bereitstellung von Säuglingen für die Vivisektion gewaltsam geschwängert; zum Testen von Flammenwerfern an Pfähle gebunden und verbrannt; und langsam eingefroren, um den Verlauf der Hypothermie zu beobachten.
Den Opfern wurde Luft in die Venen injiziert, um Embolien auszulösen; ihnen wurde Tierblut eingespritzt, um zu sehen, welche Wirkung das haben würde. Einige wurden lebendig seziert oder es wurden Körperteile amputiert, damit die Wissenschaftler den langsamen Tod durch Blutungen und Wundbrand nachvollziehen konnten. Laut einem Bericht des US-Militärs, der später deklassiert wurde, fesselte man Gruppen von Männern, Frauen und Kindern mit entblößten Beinen und Gesäßteilen an Pfähle und setzte sie Splittern von Milzbrandbomben aus, die man in einiger Entfernung explodieren ließ. Anschließend beobachteten die Forscher, wie lange die Opfer überlebten — was nie länger als eine Woche war. Ishii benötigte einen konstanten Nachschub an menschlichen Organen, es bestand also ein ständiger Bedarf an „Holzklötzen“, wie die Gefangenen genannt wurden.
Nach jedem Experiment „entnahmen Ishiis Mikrobiologen sorgfältig Gewebeproben und montierten sie für die Untersuchung auf Objektträgern“, schreibt Kinzer.
„Ihre Forschungen nutzten die Wissenschaftler dazu, vergiftete Schokolade und Kaugummis sowie Haarklammern und Stifte für das Töten aus der Nähe herzustellen. In riesigen Labors wurden mit Pest infizierte Flöhe gezüchtet und Tonnen von Anthrax hergestellt, die schließlich in Bombenhülsen eingesetzt und dafür verwendet wurden, Tausende chinesische Zivilisten zu töten.“
Amerikas unsichtbare Regierung unternahm große Anstrengungen, um Ishii zu rekrutieren und die umfangreichen Aufzeichnungen und Präparate seiner grausamen Experimente zu erhalten. Diese Art von Experimenten sollte bald darauf im Rahmen des streng geheimen CIA-Forschungsprogramms MK ULTRA nachgeahmt werden — unter Mitarbeit Ishiis und einer Reihe Ex-Nazis.
Kinzers Buch ist um die Person Sidney Gottlieb aufgebaut, einem schwer fassbaren, eigenwilligen und einflussreichen Agenten der CIA, der auf seiner Mission des Erforschens von Techniken der Gedankenkontrolle — er und andere Agenten der CIA waren davon überzeugt, dass die Sowjets diese bereits beherrschten — medizinische Experimente beaufsichtigte, die von seinen deutschen und japanischen Kollegen entwickelt worden waren. Diese Experimente liefen zunächst unter der Bezeichnung Bluebird und später unter dem Codenamen Artischocke — laut Kinzer eines der „gewalttätigsten Projekte, das jemals von einer Behörde der Vereinigten Staaten gefördert wurde“.
Viele der Versuchspersonen trugen durch die Folter dauerhafte psychische Schäden davon. Bei den Opfern handelte es sich entweder um willkürlich entführte (später wurde das als „außerordentliche Überstellung“ bezeichnet) und in illegale Gefängnisse außerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes — so genannte Black Sites — verfrachtete Personen oder um Insassen sowohl US-amerikanischer als auch ausländischer Gefängnisse.
Zu den zur Teilnahme an den Experimenten gezwungenen Personen zählten beispielsweise verarmte Afroamerikaner aus dem Addiction Research Center in Lexington, Kentucky. Viele der Opfer wurden als „entbehrlich“ eingestuft, was bedeutete, dass man sie nach Durchführung der Experimente ermorden und verschwinden lassen konnte. Die Leichen wurden in der Regel verbrannt. Jeder, der machtlos war oder machtlos gemacht werden konnte, war ein potenzielles Opfer. So erhielten geistig beeinträchtigte Kinder an der Walter E. Fernald State School in Massachusetts Müsli, das mit Uran und radioaktivem Kalzium versetzt war. Die dadurch verursachten Krankheiten wurden anschließend genau überwacht.
Gottlieb beaufsichtigte die Verabreichung von LSD und anderen psychedelischen Drogen im Staatsgefängnis von Alabama und in einer Jugendhaftanstalt in Bordentown, New York. Keine dieser Testpersonen willigte ein, als menschliches Versuchskaninchen zu dienen, und viele von ihnen trugen lebenslange psychische Schäden davon. Dem aus Boston stammenden und in Atlanta inhaftierten Kriminellen James „Whitey“ Bolger wurde gesagt, er werde Teil eines Experiments zur Heilung von Schizophrenie sein. Stattdessen wurde ihm darauf 15 Monate lang fast täglich LSD gegeben, ohne dass er davon wusste. Ebenso führten CIA-Wissenschaftler in einem Nebengebäude des Georgetown University Hospital in Washington, D.C. Experimente an todkranken Patienten durch.
Jahrelang suchte Gottlieb nach einem Drogencocktail, der, wie Kinzer schreibt, „Gefangene von ihrer Identität loslösen und sie dazu bringen würde, Geheimnisse zu enthüllen oder sogar gegen ihren Willen zu handeln“. Die Suche war vergeblich. Doch jeder fehlgeschlagene Versuch spornte Gottlieb und die CIA noch mehr an. Sie arbeiteten eng mit dem ehemaligen deutschen General Walter Schreiber zusammen, der im Zweiten Weltkrieg Generalarzt der Wehrmacht war und in dieser Funktion „Experimente in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Dachau genehmigte, bei denen die Gefangenen eingefroren, ihnen Meskalin und andere Drogen injiziert und sie aufgeschnitten wurden, damit die Ausbreitung des Wundbrands in ihren Knochen beobachtet werden konnte“. Kinzer fügt hinzu, dass die Experimente nach Aussage eines amerikanischen Forschers „in der Regel zu einem langsamen und qualvollen Tod führten“.
Gottlieb hatte die Angewohnheit, heimlich LSD in die Getränke seiner Kollegen zu mischen, um deren Reaktion zu beobachten. Einige erholten sich nie davon. Eines seiner Opfer war Frank Olson, ein CIA-Wissenschaftler, der entsetzt über die brutalen Verhöre war, die er miterlebte, und vorhatte, seinen Dienst bei der CIA zu quittieren. Gottlieb und seine geheime Gruppe von Folterern hatten panische Angst davor, dass Olson an die Öffentlichkeit gehen würde. 1953 wurde Olson tot auf einem Bürgersteig in Manhattan gefunden, nachdem er angeblich durch das Fenster eines Hotels gestürzt war. 1994 ließ Olsons Sohn Eric den Körper seines Vaters exhumieren und übergab ihn James Starrs, einem Gerichtsmediziner an der George Washington University im Regierungsbezirk Columbia. „Starrs fand keine Glasscherben an Kopf und Hals des Opfers, was man nach einem Sturz durch ein Fenster eigentlich erwarten würde“, schreibt Kinzer. „Das merkwürdigste ist, dass Olsons Schädel über dem linken Auge deformiert war, obwohl er angeblich auf dem Rücken landete.“
„Ich stelle die Vermutung an, dass dieses Hämatom ein Beweis dafür ist, dass Dr. Olson möglicherweise vor seinem Sturz durch das Fenster von Raum 1018A von einer Person oder einem Gegenstand einen kräftigen Schlag auf den Kopf erhalten hat“, so die Schlussfolgerung Starrs‘.
Später drückte sich der Gerichtsmediziner deutlicher aus: „Ich glaube, dass Olson heimtückisch und vorsätzlich aus dem Fenster gestoßen wurde.“
Gottlieb beaufsichtigte außerdem die Herstellung einer Reihe von Giften, die an gegenüber den USA „feindselig“ eingestellten Führungspersönlichkeiten und anderen Personen eingesetzt werden sollten, darunter Patrice Lumumba und Fidel Castro. Der „Schwarze Hexer“, wie Gottlieb genannt wurde, und sein Team verfolgten bizarre Pläne und forschten beispielsweise nach einer Chemikalie, die Castros Bart ausfallen lassen würde, sodass der kubanische Staats- und Regierungschef öffentlichem Spott ausgesetzt wäre und gestürzt würde.
Des Weiteren experimentierte die CIA zu Zwecken der Bewusstseinskontrolle mit der Implantation von Elektroden im Gehirn. Kinzer zitiert aus einem Untersuchungsbericht über die amerikanischen Geheimdienste Folgendes:
„‚Im Juli 1968 flog ein Team der CIA nach Saigon; darunter befanden sich ein Neurochirurg und ein Neurologe (…) In einem abgetrennten Bereich des Bien Hoa-Gefängnisses machte sich das Team an die Arbeit. Aus der dortigen Krankenstation waren drei Vietcong-Gefangene ausgewählt worden. Anhand welcher Kriterien oder weshalb sie ausgewählt wurden, ist nicht bekannt. Die Patienten wurden nacheinander unter Narkose gesetzt. Anschließend öffnete der Neurochirurg die Schädel und pflanzte winzige Elektroden in alle drei Gehirne ein. Als die Gefangenen wieder zu Bewusstsein kamen, waren die Verhaltensforscher an der Reihe (…)
Die Gefangenen wurden in einen Raum gebracht, jeder von ihnen erhielt ein Messer. Sie versuchten, die Probanden mithilfe der Steuerungstasten der Mobilgeräte zur Gewalt zu bewegen. Nichts passierte. Eine ganze Woche lang versuchten die Ärzte, die Männer dazu zu bringen, aufeinander loszugehen. Verwirrt über ihren Misserfolg flog das Team zurück nach Washington. Im Vorhinein war vereinbart worden, dass die Gefangenen von der Green Beret-Einheit erschossen und ihre Leichen verbrannt werden würden, sollte das Experiment scheitern. So geschah es.‘“
Das Ausmaß der moralischen Verdorbenheit und der Kriminalität derjenigen, die über unbegrenzte Ressourcen verfügen und deren Aktivitäten keiner Aufsicht oder öffentlichen Rechenschaftsplicht unterliegen, sondern von einer absoluten Geheimhaltung profitieren, ist erschütternd. Gottlieb und sein Team lockten in New York City ahnungslose Opfer in eine „sichere Unterkunft“ in der Bedford Street und gaben ihnen mit LSD versetzte Getränke. Die Auswirkungen wurden von CIA-Agenten unter der Aufsicht des berüchtigten George Hunter White genau überwacht.
Kinzer beschreibt, dass White regelmäßig illegale Drogen zu sich nahm.
„Einen Teil dessen, war er beschlagnahmte, behielt er immer für sich. Sein Alkoholkonsum — oft eine ganze Flasche Gin während des Abendessens — war legendär. Er hatte außerdem einen Hang zu Sadomaso und High Heel-Fetischismus. Seiner zweiten Frau kaufte er einen ganzen Schrank voll davon. Ihm gefielen Prostituierte, die ihn fesselten und auspeitschten. Eine seiner wenigen emotionalen Bindungen bestand zu seinem Haustier, einem Kanarienvogel. Er liebte es, ihn zu halten und zu streicheln. Als der Vogel starb, war White untröstlich. ‚Der arme kleine Kerl hat es nicht mehr gemacht‘, schrieb er in sein Tagebuch. ‚Ich weiß nicht, ob ich mir jemals wieder einen Vogel oder ein anderes Haustier anschaffen werde. Es ist für alle Beteiligten sehr schlimm, wenn sie sterben.‘“
White, der als Drogenfahnder oft Jazzmusiker wie Billie Holiday gejagt und zu Unrecht bezichtigt hatte, wurde später versetzt und arbeitete in einer sicheren Unterkunft, die als CIA-Bordell diente. Kinzer zufolge wollte Gottlieb „systematisch untersuchen, wie Sex, insbesondere in Kombination mit Drogen, Männer zum Reden bringen kann.“ Die prostituierten Frauen wurden von der CIA angeheuert, um Kunden in die mit Fotos von gefesselten Frauen in schwarzen Strümpfen und nietenbesetzten Lederhalsbändern dekorierten Schlafzimmer zu locken und ihnen LSD und andere Drogen in die Getränke zu mischen.
„Wenn seine Prostituierten mit ihren Kunden Sex hatten, sah White auf seiner tragbaren Toilette sitzend hinter einem Einwegspiegel zu“, so Kinzer. Bei seinen Besuchen in der Unterkunft verlangte Gottlieb von den Frauen, mit ihm Sex zu haben, gerade so, als seien sie Teil seines persönlichen Harems.
White wurde in Marin County außerhalb von San Francisco ein weiteres sicheres Haus zur Verfügung gestellt. Dort benutzte er die prostituierten Frauen nicht nur dazu, Männern Drogen zu verabreichen, sondern auch, um an ihnen einige Spielereien à la „Der Kleine Horrorladen“ zu testen: Stinkbomben, Juck- und Niespulver, Durchfallpillen, mit Drogen versehene Trinkhalme und mit LSD gefüllte Sprühdosen waren nur einige davon.
Nachdem die langwierige Suche nach der Droge zur Gedankenkontrolle aufgegeben wurde, zerstörte die CIA die meisten Aufzeichnungen über die durchgeführten Experimente. White schrieb in einem Brief an Gottlieb, in dem er ihm für die Anstellung bei der CIA dankte, Folgendes:
„Wo sonst könnte ein vollblütiger Amerikaner mit dem Segen des Allmächtigen lügen, töten, betrügen, stehlen, vergewaltigen und plündern? Nicht schlecht, Bruder!“
Das wäre ein weitaus zutreffenderes Motto für die CIA als die Bibelstelle aus Johannes 8:32, die in die Mauern ihres Hauptquartiers in Langley, Virginia eingemeißelt ist:
„Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Letzten Endes kam die CIA zu dem Schluss, dass man den Willen von Gefangenen am besten durch extreme Isolation und sensorischen Entzug brechen kann. Diese Techniken wurden durch CIA-finanzierte Forschungen an der McGill University in Kanada entwickelt und 1964 in einem Handbuch mit dem Titel „KUBARK Counter-Intelligence Interrogation“ festgehalten. KUBARK ist das Codewort für CIA. Das 128 Seiten lange Handbuch wurde erst 2014 vollständig deklassiert. In den 1960er Jahren diente es CIA-Agenten unter anderem in Vietnam als Hauptquelle für ihre Verhörmethoden. Dort wurden mindestens 20.000 gefangen genommene Vietnamesen getötet, viele davon wurden zuvor gefoltert.
Eine aktualisierte Ausgabe des Handbuchs erschien 1983 unter dem Titel „Human Resources Exploitation Training Manual“. Die darin beschriebenen Foltermethoden — unter anderem Fesseln, Schlafentzug, Elektroschock, sexuelle und körperliche Erniedrigung, anhaltende Inhaftierung auf engem Raum, Desorientierung durch Verhüllen des Gesichts und sensorischer Entzug — wurden nach dem 11. September in den in- und ausländischen „Black Sites“ des amerikanischen Geheimdienstes zur Routine. Psychologen der CIA überwachen und perfektionieren diese Techniken — wie früher Gottliebs Horde wahnsinniger Wissenschaftler und Folterer —, um den vollständigen psychologischen Zusammenbruch der Opfer und eine kindhafte Abhängigkeit vom Vernehmer zu gewährleisten.
Es wäre naiv, davon auszugehen, dass das Verhalten Gottliebs und der CIA der Vergangenheit angehört, zumal die unsichtbare Regierung die Aktivitäten der Geheimdienste einmal mehr der Kongressaufsicht entzieht und vor der Öffentlichkeit verbirgt sowie eine Befürworterin der Folter, Gina Haspel, als Direktorin der CIA eingesetzt hat.
Wenn ein Geheimdienst zur Folter greift, hat er versagt. Wenn er sich auf Sadisten und Schläger verlässt, hat er versagt. Wenn er sich menschlicher Wesen — einschließlich seiner eigenen Bürger — als Spielfiguren bedient, mit denen man experimentieren und die man ermorden kann, hat er versagt. Wenn er schmutzige Tricks verwendet, Waffen im Milliardenwert für abtrünnige Milizen und islamistische Radikale bereitstellt, Regierungen stürzt und Führungspersönlichkeiten ermordet und dadurch unvorhergesehene Katastrophen und Chaos hinterlässt, dann hat er versagt.
Die Informationsgewinnung ist — genau wie die investigative Berichterstattung — ein Prozess, der immense Geduld erfordert. Man benötigt vertrauenswürdige Quellen, die über lange Zeiträume hinweg gepflegt werden, sowie kulturelle, historische und sprachliche Kompetenzen, die man in jahrelangem Studium trainiert. Diese Arbeit sollte kein Sommercamp für Freaks sein, die sich an menschlicher Erniedrigung, schmutzigen Tricks und Mord ergötzen. Jeder Staat braucht gute Geheimdienstagenten — nicht solche Witzbolde, Gangster, Sadisten und Mörder, wie die CIA sie hat und die uns im Namen der nationalen Sicherheit so viel Leid zufügen.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Our Invisible Government“. Er wurde von Nadine Müller aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.