Die Schatten-Welt
Geheimdienste begehen im Auftrag der Machteliten politische Morde, die in aller Regel niemals aufgeklärt werden. Exklusivabdruck aus „Im Spinnennetz der Geheimdienste“. Teil 2/2.
Olof Palme, Uwe Barschel oder der US-amerikanische Regierungsbeamte William Colby — viele werden sich noch an diese Todesfälle erinnern, um die sich einige Rätsel ranken. Wirklich schlüssig aufgeklärt wurden sie nie. Das ist merkwürdig, weil bei den meisten historischen Todesfällen — etwa Walter Rathenau — heute die Mörder bekannt sind. Patrick Baab und Robert E. Harkavy stellen in ihrem jetzt neu aufgelegten Buch eine gewagte These auf: „Tote können nicht mehr sprechen. Das ist in allen drei Fällen der Grund, warum sie sterben mussten.“ Sie beleuchten mögliche Hintergründe dieser und anderer politischer Morde und kommen zu einem erschreckenden Ergebnis: Mitten unter uns und doch von Normalbürgern unbemerkt existiert eine Schattenwelt, in der Recht und Gesetz nicht gelten und unliebsame Personen beliebig „verschwinden“ können, ohne dass Sühne und Aufklärung möglich wären.
Olof Palme, Uwe Barschel, William Colby — drei Männer, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise starben. Und doch: Es gibt viele Gemeinsamkeiten — und einen immanenten Zusammenhang.
Olof Palme wurde auf offener Straße erschossen. Dennoch konnte der Mörder entkommen. Bei Uwe Barschel und William Colby deutet die Indizienkette auf Mord. Doch es fehlen Kettenglieder. Der Grund liegt in einem Umstand, der alle drei Morde verbindet: In allen drei Fällen haben Regierung und Geheimdienste die Ermittlungen massiv beeinflusst. Palme, Barschel, Colby — nach jedem einzelnen Anschlag gab es regierungsamtliche Vertuschungsaktionen. Zahlreiche Belege machen plausibel, dass die Ausführung der Morde an Subunternehmer ausgelagert wurde.
Dokumente und Hinweisgeber aus mehreren Geheimdiensten belasten die CIA schwer: Die Indizienkette — davon sind die Autoren überzeugt — zeigt in Richtung Langley. Wir haben es zu tun mit gezielten Tötungen. Sie waren Teil einer groß angelegten „Säuberungsaktion“, bei der missliebige Zeugen aus dem Weg geräumt wurden, die der Spitze der Befehlskette hätten gefährlich werden können. Interne Dokumente zeigen: Das logistische Zentrum bildeten die Führungsgremien der geheimen NATO-Armee Stay-behind.
Hintergrund 1: Kalter Krieg
Die CIA ist ein Produkt des Kalten Krieges. Sie wurde gegründet mit den Direktiven des National Security Council NSC 4/A vom Dezember 1947, NSC 10/2 und 10/5 von Juni 1948 und Oktober 1951, NSC 158 vom Juni 1953 und NSC 5412 vom März 1954. Damit wurde die Agency in den Propagandakrieg gegen den Kommunismus eingebunden, die verdeckte Kriegsführung definiert, als ihr Ziel die innere Zersetzung der kommunistischen Staaten festgelegt und faktisch der „totale“ Geheimdienstkrieg gegen den Kommunismus verkündet.
Im letzten Jahrzehnt des Kalten Krieges kam diesen Zielen erneut besondere Bedeutung zu. „Der umfassende Auftrag“, so der Zeithistoriker Bernd Stöver, „bestimmt bis heute das Selbstverständnis. Der Kalte Krieg wurde auch und gerade in der CIA als ‚Krieg‘ und damit als Freibrief für den Einsatz (fast) aller Mittel begriffen“ (1). Der Agent der CIA sah sich selbst — so der Titel der Autobiografie von William Colby — als einer der Honorable Men — und nicht so sehr als „Schattenkrieger“. (2).
In der Endphase des Kalten Krieges sahen sich beide Seiten in besonderer Weise als „Schattenkrieger” in einer geteilten Welt. Auf sowjetischer Seite galt die Breschnew-Doktrin: Was wir einmal haben, geben wir nicht mehr her. Auf US-Seite kam es mit dem Amtsantritt von Ronald Reagan zu einer Neuauflage des Rollback. Nach der Reagan-Doktrin sollte die Sowjetunion um fast jeden Preis zurückgedrängt werden: „Die zwei Werkzeuge (…) sind unsere eigene militärische Stärke und die Vitalität unserer Wirtschaft“ (3). Dazu gehörten nicht nur militärische, sondern auch propagandistische und geheimdienstliche Mittel.
Aus den in diesem Buch vorgelegten Dokumenten geht hervor, dass Olof Palme ermordet wurde, weil er diesen Schattenkriegern in die Quere gekommen ist. In ihren Augen waren seine Pläne für ein neutrales Skandinavien eine Bedrohung der NATO-Nordflanke.
Barschel war eingebunden in den Iran-Contra-Waffenhandel und wurde nach seinem Sturz zur Gefahr.
Denn für die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten war Entspannung eine Waffe. Im Ergebnis haben die Vertreter des Rollback den Kalten Krieg gewonnen und vielen Menschen in Osteuropa die Freiheit gebracht. Aber beim neoliberalen Experiment in den Transformationsgesellschaften Osteuropas sind die sozialen Grundrechte vielerorts bis heute nicht erreicht. Palme, Barschel, Colby — drei gezielte Tötungen, deren Motiv aus den verdeckten Operationen der CIA in der Endphase des Kalten Krieges erwächst.
Hintergrund 2: Die Iran-Contra-Affäre
Die Iran-Contra-Affäre bildet die weltpolitische Rahmenhandlung und das verbindende Glied zwischen dem Fall Barschel und dem Fall Palme. In den Jahren 1985 und 1986 erreichten die verdeckten Deals ihren größten Umfang. Der zeitweise Stopp der schwedischen Waffenlieferungen an Teheran, wie ihn Olof Palme angeordnet hatte, gefährdete die millionenschweren Deals von Bofors und Karl-Erik Schmitz sowie die Mitteloststrategie der Vereinigten Staaten.
Im Jahr 1987 setzten die Iran-Contra-Ermittlungen des US-Kongresses die Regierung Reagan erheblich unter Druck. CIA-Direktor William J. Casey, ein enger Freund des Präsidenten, sah sich zum Rücktritt gezwungen. Dennoch blieb ein großer Teil jener Waffentransporte im Dunkeln, welche die Enterprise-Gruppe um Oliver North an ausländische Subunternehmer vergeben hatte. „Der Tower-Bericht war nichts als Augenwischerei (…) Während im Februar 1987 die Tower-Untersuchungskommission einen kleineren Teil der Waffenverkäufe unter die Lupe nahm“, so Ari Ben-Menashe, „organisierte die israelisch-iranische Lenkungsgruppe zusammen mit Robert Gates die größten Waffenlieferungen an Teheran, die es jemals gegeben hat“ (4).
In den Kreis der Beteiligten gehörte nach unseren Recherchen auch das Notariat Barschel-Moll. Wir haben gezeigt, dass Uwe Barschel als Verbindungsmann der CIA sehr hoch angebunden war. Hätte er ausgepackt, wäre auf dem Höhepunkt der Iran-Contra-Untersuchungen in Washington das ganze Ausmaß der Waffenlieferungen an den Iran und an Südafrika öffentlich geworden. William Colby war eine Bedrohung, weil er — neben anderen „dirty tricks” der CIA — die Auftraggeber und die Befehlskette bei beiden Morden kannte. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Iran-Contra-Affäre weisen die Mordfälle Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf.
Gemeinsamkeit 1: Stay-behind
Niemand sonst steht so sehr wie der spätere CIA-Direktor William Colby für den Aufbau der NATO-Geheimarmee Stay-behind. Ihr Ziel war es, bei einem kommunistischen Überfall einen Guerillakrieg hinter den feindlichen Linien zu entfachen. Ihre zweite Aufgabe bestand darin, im Falle eines innenpolitischen Notstandes einzugreifen — was immer das heißen mag. William Colby beschreibt in seinen Memoiren, wie er im offiziell neutralen Schweden diese Geheimarmee organisierte. Auch im Italien der 1950er Jahre war er mit dem Gladio-Netzwerk befasst.
Colbys Verbindungen nach Schweden dürften bis in die 1980er Jahre fortexistiert haben. Das spricht für die Darstellung des CIA-Whistleblowers Gene „Chip“ Tatum, dass Colby beim Mord an Olof Palme Teil der Befehlskette war. Auf die Zusammenhänge zwischen Stay-behind in Schweden und den Schüssen am Sveavägen haben wir hingewiesen.
Die CIA begann mit dem Aufbau der NATO-Geheimarmee unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik. Das geteilte Deutschland war zum Frontstaat auch der Geheimdienste geworden:
„Hier war im Vergleich viel mehr als anderswo möglich, weil sogar Bonn wegschaute. (…) Insofern war die Bundesrepublik auch die beste Basis für Geheimoperationen in Ostmitteleuropa“ (5).
Die Regierung Adenauer ignorierte sogar eindeutige Informationen über Folterungen der CIA in der Villa Schuster in Kronberg. Der Unterstützung des BND durfte die Agency sicher sein, denn er ist bis heute die verlängerte Werkbank der CIA. Dies erklärt, dass in den 1980er Jahren auch heimlich Waffen aus NATO-Lagern teilweise mit israelischen Endverbleibszertifikaten an den Iran verkauft wurden. Genauso werden so Hinweise plausibel, Barschel habe im Auftrag der Bundesregierung verdeckte Waffengeschäfte eingefädelt.
Gemeinsamkeit 2: Covert Action
Seit der Gründung 1947 gehören verdeckte Operationen zur Aufgabe der CIA — wie bei jedem anderen Geheimdienst auch. Organisatorisch angesiedelt sind diese Aufgaben im Operations Directorate, die neben dem Intelligence Directorate, dem Science and Technology Directorate und dem Administrative Directorate eine von vier Hauptabteilungen ist.
Der Deputy Director Operations — von 1976 bis 1979 war dies Ted Shackley — ist zuständig für Agentenführung, Telekommunikations- und Postüberwachung, Satellitenaufklärung, Horchposten, Spionageabwehr und paramilitärische Aktionen. Seine Aufgaben überschneiden sich teilweise mit denen der Defense Intelligence Agency (DIA, der militärische Nachrichtendienst), des National Reconnaissance Office (NRO, heute National Geospatial-Intelligence Agency) und der National Security Agency (NSA, Kommunikationsüberwachung), die dem Pentagon unterstellt sind, sowie dem Bureau of Intelligence and Research (INR), das zum State Department gehört. Die Mitarbeiter des Operations Directorate der CIA tragen den Spitznamen „Animals“ — im Unterschied zu den „Professors“ der Hauptabteilung Intelligence.
Zu ihren Aufgaben gehören auch Sabotage und Subversion — wie der Umsturz im Iran 1953 oder der Putsch gegen Salvador Allende. Sie starteten Mordaktionen wie das Phoenix-Programm in Vietnam, bei dem mindestens 20.000 Menschen getötet wurden und für das William Colby und Ted Shackley mitverantwortlich waren. Sie unterstützen Guerilleros wie die Contra-Rebellen in Nicaragua oder den Iran in den 1980er Jahren durch illegale Waffenlieferungen — was Uwe Barschel als eine Art Treuhänder hinter den Eisernen Vorhang führte.
Sie führten Wirtschaftskriege wie die Einschleusung schadhafter Technologien oder Softwareprogramme in den Ostblock, was die verdeckten Reisen von Barschel nach Jena erklären kann: eine verdeckte Operation zur Schwächung des Ostblocks. Sie setzen Politiker wie den schwedischen Premierminister Olof Palme unter Druck, wenn sie diesen verdeckten Operationen Einhalt gebieten wollen. Sie betreiben Propaganda und versuchen, den Ruf von Whistleblowern und Kritikern zu beschädigen, wie es der ehemalige CIA-Mitarbeiter Oswald LeWinter und einer der Autoren, Robert Harkavy, erlebt haben.
Die CIA wollte über den Secret Operations Planning Staff (SOPS) von Stay-behind verhindern, dass Schweden waffenfähiges Uran an Indien liefert — ein weiterer Grund für den Mord an Olof Palme. Doch wenige Jahre zuvor hatte Washington selbst Saddam Hussein die Grundstoffe für jene Massenvernichtungswaffen geliefert, die 2003, also lange nach dem Kalten Krieg, als Begründung für den dritten Golfkrieg herhalten mussten — Covert Action und ihre Folgen.
Gemeinsamkeit 3: Secret Service Subcontracting
Zu den verdeckten Aktivitäten der CIA zählen auch Kooperationen mit Privatunternehmen oder gar kriminellen Organisationen — das sogenannte Secret Service Subcontracting. Die Auslagerung insbesondere von illegalen Aktivitäten an solche Subunternehmer und Akteure im Ausland dient auch der Abschattung der eigenen Beteiligung und trägt dazu bei, insbesondere Mordanschläge oder Putschversuche jederzeit abstreiten zu können. Gleichzeitig entzieht die CIA solche Aktionen dem Verantwortungsbereich des US-Kongresses.
In allen drei dargelegten Fällen deuten die Fakten darauf hin, dass der Mordauftrag „fremdvergeben“ wurde. So spricht vieles dafür, dass der Anschlag auf Olof Palme von einer Spezialeinheit von Technicians unter anderem aus Südafrika übernommen wurde, während sich in Stockholm eine Gruppe rechtsextremer schwedischer Polizisten um das „Management“ vor Ort kümmerte. Im Falle Barschel nennen Hinweisgeber das Bostoner Unternehmen Adler Research, das als Tarnfirma der CIA ihrem „Blond Ghost“ Ted Shackley eng verbunden gewesen ist.
Das Secret Service Subcontracting ist hochaktuell. Aus dem CIA-Folterreport von 2014 geht hervor, dass die Agency „ab 2008 die Führung von 85 Prozent aller Verhöre privaten Vertragspartnern“ überlassen hat (6). So wird Geheimdienstarbeit jenseits von Recht und Gesetz zu einem profitgetriebenen Gewerbe.
Gemeinsamkeit 4: Plausible Deniability
In letzter Konsequenz, so Bernd Stöver, „meint ‚covert‘ bis heute alles, was der US-Präsident öffentlich überzeugend abstreiten kann“. (7) „Plausible Deniability“ — so steht es wörtlich in einem von uns zitierten Dokument des „SOPS der NATO-Geheimarmee Stay-behind“ vom 15. Dezember 1985, in dem die Planungen für den Mord an Olof Palme dargestellt werden. Die Autoren haben die Quelle geprüft und halten dieses Protokoll für echt. Es geht darum, schmutzige Tricks anzuordnen und gleichzeitig die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. So handelt die CIA bis heute — nicht nur in den drei untersuchten Fällen.
Ähnlich verhielten sich auch Bundesregierung und BND, als es um die verdeckten Waffengeschäfte über die DDR und die heimlichen Reisen von Barschel in den Osten ging. Denn den Eisernen Vorhang zu durchschreiten bedurfte einer geheimdienstlichen Abdeckung — von beiden Seiten. Ohne die klandestine Mitwirkung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und des Bundesnachrichtendienstes sind Barschels Reisen bei Nacht und Nebel in die DDR in dieser Selbstverständlichkeit schlicht nicht vorstellbar. Auch wenn der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl eine Mitwisserschaft noch Jahre später abgestritten hat, so ist doch klar, dass die Bundesregierung davon Kenntnis gehabt haben muss.
Auch heute werden die Aktivitäten der CIA beispielsweise in der Ukraine oder in Syrien schlicht geleugnet, Hinweise von der Mainstream-Presse kaum aufgegriffen.
Gemeinsamkeit 5: Targeted Killings
Gezielte Tötungen gehörten seit ihrer Entstehung zum Standardrepertoire der CIA. Dazu zählten zunächst vor allem Attentate auf missliebige Politiker und Einzelpersonen. Deshalb bilden Palme, Barschel und Colby nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Ungeklärt ist, wie viele Regierungsangehörige, Whistleblower oder Journalisten zum Ziel wurden. Während des Vietnamkrieges stieg seit Mitte der 1960er Jahre im Rahmen der „Operation Phoenix” die Zahl der gezielten Tötungen stark an. Durch CIA-Agenten angeleitete Südvietnamesen folterten und töteten zwischen 1967 und 1973 vermutlich mehr als 20 000 Menschen, um die Vietcong zu schwächen. Einige der Phoenix-Spezialisten wie der verschiedentlich erwähnte Félix Rodríguez wurden weltweit eingesetzt. Er kann dem Secret Team von Ted Shackley zugerechnet werden, dem gezielte Tötungen nachgesagt werden. In allen drei behandelten Beispielen fällt der Verdacht auch auf dieses mutmaßliche „Hit-Team”.
Das Targeted Killing ist hochaktuell, wie man an der — von der CIA geleiteten und längst verfilmten militärischen Operation „Neptun’s Spear” — gezielten Tötung von Osama Bin Laden am 2. Mai 2011 sehen kann. Die Zahl solcher Operationen hat nicht ab-, sondern vielmehr zugenommen. Das zeigen die Drohnenangriffe des US-Militärs in Afghanistan und im Jemen. Hier wird auch das langfristige Problem solcher Maßnahmen deutlich: Finale Lösungen dieser Art produzieren häufig Kollateralschäden, aus denen die Probleme von morgen hervorgehen. In breiterem Maßstab kann man hier an die finanzielle und militärische Unterstützung der Mudschaheddin in Afghanistan denken, aus denen Al-Qaida hervorgegangen ist, oder an den Überfall auf den Irak, der den Islamischen Staat erst möglich gemacht hat.
Solchen gezielten Maßnahmen sind die Bürgerinnen und Bürger schutzlos ausgeliefert. Ein Beispiel ist der deutsche Staatsbürger Khaled al-Masri, der 2003 unschuldig in die Hände der CIA fiel, nach Afghanistan entführt und mehrere Monate misshandelt wurde — möglicherweise mit Hilfe des BND. Die Bundesregierung war frühzeitig informiert, ließ ihren Staatsbürger aber im Stich.
Gemeinsamkeit 6: Clean-up Operations
Die Ermordung von Olof Palme und Uwe Barschel war Teil einer weltweiten Säuberungsaktion, bei der Mitwisser und lästige Verräter der Iran-Contra-Affäre ausgeschaltet wurden. Der „Murder Trail” umfasst nicht nur diese drei Männer. Ihre Leichen sind Teil einer Blutspur, die insgesamt Tausende Menschen und im engeren Umfeld dieser Fälle eine halbe Hundertschaft umfasst.
Es handelt sich um eine Vielzahl mysteriöser Todesfälle, bei denen neben der CIA vermutlich auch andere Geheimdienste die Finger im Spiel hatten: Der Filmemacher Allan Francovich stirbt bei seiner Befragung durch US-Behörden am Flughafen von Houston/Texas. Der Genfer Privatdetektiv Jean-Jacques Griessen stirbt angeblich durch einen Herzinfarkt im Bordell. Die Stockholmer Journalistin Cats Falck wird nach Recherchen zum schwedischen Waffenschmuggel über die DDR in ihrem Wagen auf dem Grund des Hammarby-Kanals gefunden — vermutlich eine Stasi-Aktion.
Der für Rüstungsexporte zuständige Admiral Carl-Fredrik Algernon „stürzt” im Stockholmer Hauptbahnhof vor einen Zug; Zeugen, die Tatverdächtige gesehen haben, ziehen ihre Aussagen zurück. Möglicherweise gehören Agenten des MfS oder der schwedischen Säpo dazu. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Mindestens fünfzig mysteriöse Todesfälle stehen in Verbindung mit dem Iran-Contra-Waffenhandel. Auch beim Mord an William Colby darf man vermuten, dass es darum ging, einen Mitwisser und Kenner der Befehlskette zu beseitigen.
Gemeinsamkeit 7: Coverups
In allen drei hier behandelten Beispielen haben staatliche Stellen — Regierungen und Geheimdienste — massiv die Ermittlungen beeinflusst und im Nachhinein groß angelegte Vertuschungsmaßnahmen ergriffen. Im Falle Palme konzentrierten sich die Ermittler auf die Einzeltäter- und auf die Kurden-Spur. Hinweise auf die Verstrickung von Polizeibeamten oder die Rolle Südafrikas wurden nachrangig oder gar nicht ermittelt. Dies ist auch nicht verwunderlich, gehörte doch Ermittlungsleiter Hans Holmér — ein Mann mit Verbindungen zur CIA — selbst dem Stay-behind-Netzwerk an. Wie Holmérs wahrer Aufenthaltsort wurden die Spuren von der schwedischen Säpo verwischt.
Wir haben dargestellt, dass im Falle Barschel die deutschen Behörden die Ermittler in der Schweiz gedrängt haben, den Toten im Beau-Rivage zum Selbstmörder zu erklären. Von einem früheren Offizier des MfS kam der Hinweis, dass der Genfer Obduzent Oldrich Fryc möglicherweise für die CIA gearbeitet hat. Dies mitbedacht wirken manche „Ermittlungsergebnisse” nicht mehr überraschend. Im Falle Colby folgten die US-Bundesbehörden allzu gerne den Resultaten der Ermittler vor Ort. Wie bereits Jahre zuvor beim Mord an John F. Kennedy gehört das Verwischen der Spuren zum Standard solcher Geheimdienstaktionen.
Gemeinsamkeit 8: CIA-Recruitment
Im Kapitel über die Studienjahre von Uwe Barschel haben wir versucht zu zeigen, wie die CIA an Universitäten Nachwuchskräfte anwirbt. Dies ist auch durch die Biografien zahlreicher CIA-Offiziere wie Duane Clarridge, Philip Agee oder James Angleton belegt. Eine ganze Reihe amerikanischer Universitäten wie die Fletcher School in Boston oder Yale sind dafür auch bekannt. In der Palme-Literatur gibt es Überlegungen, ob der spätere schwedische Ministerpräsident während seiner College-Jahre in den USA von der CIA angesprochen wurde. Wenn ja, dürfte der Versuch wenig erfolgreich gewesen sein.
Die Verlegung der Summer Seminars von Colorado nach Kiel war eine Reaktion auf das Bekanntwerden der CIA-Rekrutierungsbemühungen und der finanziellen Förderung von Seminaren an US-Universitäten. Wie Anwerbungen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel liefen, haben wir am Beispiel Barschel gezeigt. Klar ist, dass Professoren wie Werner Kaltefleiter genauso Geheimdienstkontakte hatten wie Absolventen dieser Universität. Ein Beispiel hierfür ist neben Uwe Barschel der Notar und Barschel-Partner Hans-Michael Moll.
Eine berüchtigte Ausbildungseinheit der CIA trägt den Namen The Farm. Eine Vielzahl von Agenten wurde dort in geheimdienstlichen Fertigkeiten unterrichtet. Ob auch gezielte Tötungen dazu gehören, ist nicht bekannt. Es gibt jedoch Hinweise — von Allan Francovich oder Ole Dammegard —, dass der Mörder von Olof Palme — Deckname Nass Beirut — von der CIA ausgebildet worden ist. Das zeitweilige Verschwinden von Uwe Barschel während eines Treffens der Parlamentarischen Versammlung der NATO 1985 in San Francisco ist ein Hinweis auf ein verdecktes Briefing. Es ist davon auszugehen, dass die CIA an deutschen Universitäten weiter rekrutiert.
Gemeinsamkeit 9: Pegasus
Wir haben am Beispiel des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR versucht zu zeigen, dass Geheimdienste keine monolithischen Blocks darstellen. Wie in allen Bürokratien gibt es auch unter Geheimdienstmitarbeitern Konkurrenten, Seilschaften und Interessengruppen. So existierte bei der Stasi eine Führungsgruppe, die eine Entspannungspolitik zusammen mit der SPD in der Bundesrepublik anstrebte, und eine andere um Alexander Schalck-Golodkowski, die subkutane Finanztransaktionen zusammen mit Franz Josef Strauß und Uwe Barschel bevorzugte.
Die Strategie der klandestinen Pegasus-Gruppe, deren Existenz Chip Tatum bestätigt und belegt hat, darf deshalb nicht mit der Strategie der gesamten CIA gleichgesetzt werden. Dennoch ist glaubhaft, dass die Befehlskette George H.W. Bush, Robert Gates, Oliver North, Ted Shackley, William Colby und ihre Subordinierten auf eigene Faust Operationen durchführen konnte. Die Rolle von Robert Gates in der Iran-Contra-Affäre blieb umstritten. Es gibt aber Hinweise, dass er mit Uwe Barschels Tod zu tun gehabt haben kann. Über William Colby und Oliver North streckte Pegasus seine Tentakel aus nach Schweden und Skandinavien und, wenn man Chip Tatum Glauben schenkt, bis zum Mord an Olof Palme.
Nach dem Kalten Krieg
Olof Palme, Uwe Barschel, William Colby — drei Menschen, die nach unseren Recherchen im Schattenkrieg der Geheimdienste in der Endphase des Kalten Krieges ermordet wurden, damit verdeckte Operationen und ihre Befehlskette vertuscht werden konnten. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges haben diese Beispiele bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren.
Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 stellte die US-Regierung der CIA geradezu einen Freibrief aus. In allen westlichen Ländern wurden die gesetzlichen, finanziellen und operativen Befugnisse der Geheimdienste ausgeweitet.
Mehr denn je gehören heute Covert Action, Secret Service Subcontracting, Targeted Killings, Plausible Deniability, Coverups und Clean-up Operations zu ihrem Werkzeugkasten. Der Schattenkrieg geht weiter. Seit den Morden an Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ist wenig besser, aber Vieles schlimmer geworden.
Dieses Buch haben ein überzeugter amerikanischer Konservativer und ein — nach amerikanischem Sprachgebrauch — überzeugter deutscher Liberaler geschrieben. Aus Respekt, Toleranz, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit wurde eine Freundschaft. Die Autoren sind überzeugt, dass dies der Menschheit mehr dient als die klandestinen Machenschaften entfesselter Geheimdienstler.
Bonity Springs und Kiel, Januar 2011 — September 2017
Quellen und Anmerkungen:
(1) Stöver 2017, S. 18
(2) Ebd., S. 68
(3) Siehe Colby, 1978 und die Biografie von Woods 2011, S. 68. Randall B.,2013
(4) Ben-Menashe 1997, S. 191
(5) Stöver 2017, S. 30
(6) Ebd., S. 27
(7) Ebd., S. 21