Die Satanismus-Formel
Die sozialdarwinistische und materialistische Agenda des Neoliberalismus ist der Ideologie von Anton LaVeys „Church of Satan“ verteufelt ähnlich.
Wir sind nicht böse, wir stehen über derartigen moralischen Vorurteilen. Wir sind friedlich, aber wenn uns jemand angreift, schlagen wir mit aller Macht zurück. Wir glauben nicht an einen Gott oder an Vergeltung im Jenseits; der Wille des Menschen selbst ist oberster Maßstab. Wir glauben an eine natürliche Rangordnung, die den Menschen aufgrund von Stärke und Leistung ihren Platz in der Gesellschaft zuweist. Wer schwach ist, hat keinen Anspruch darauf, den Starken ihre Energie rauben zu dürfen. Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich, weshalb Mitgefühl nur schadet. Eigentlich ganz „normale“ Ansichten, oder? Diese und andere Leitsätze prägen aber die Weltanschauung des Satanismus nach Anton LaVey. Auch ohne dass der Teufel beschworen wird, ist dies die unausgesprochene Agenda unserer Epoche, besonders des neoliberalen Kapitalismus. Und ihr Siegeszug tritt in diesen Tagen in eine neue Phase ein.
„Ohne künstliche Regeln gibt es eine natürliche Ordnung innerhalb einer Gesellschaft, aber deren Entwicklung wird von den Vorstellungen behindert, dass die Menschen gleich sind, gleiche Rechte hätten und dass die Fähigen eine Art moralische Verpflichtung hätten, die weniger Fähigen und Unfähigen mitzutragen. Dies schränkt nicht nur die Fähigen in ihrer Entfaltung ein, sondern nimmt den weniger Fähigen auch jede Motivation, sich selbst um ihr Leben zu kümmern und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“
So schreibt es Lars Peter Kronlob in „Die Philosophie des Satanismus“.
Es wird im öffentlichen Diskurs selten so klar ausgesprochen, aber diese Sätze umreißen das dominierende Paradigma unserer Epoche. Im ersten Teil dieses Abschnitts wird die Gleichheit der Menschen radikal in Frage stellt, ein Abschied von der Ära der Demokratie und des Sozialstaats. Im zweiten Teil beweinen sich die Systemgewinner selbst als Opfer der Verlierer, ohne dass reflektiert wird, wie es zu ungleicher Verteilung von Geld, Posten und Fähigkeiten kommen konnte. Eine naturgegebene Rangordnung soll nicht künstlich durch falsche Rücksichtnahme eingeebnet werden. Im dritten Teil zeigt sich der quasi pädagogische Anspruch des „Förderns und Forderns“. Soziales Mitgefühl würde den „Unfähigen“ nur die Chance nehmen, selbst eigenverantwortlich ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, und wer schlecht geschmiedet hat — selbst schuld.
Fasziniert las ich im letzten Jahr dieses Buch über den Satanismus, geschrieben nicht von einem Kritiker oder Analysten, sondern von einem Befürworter dieser Geisteshaltung. Ich hatte geglaubt, ich würde von Teufelsanbetung und Schwarzen Messen erfahren, erwartete, in eine Gruselwelt à la „Rosemarys Baby“ einzutauchen. Ich fand eine eher nüchterne Aufzählung von Denkansätzen, die man — stünde nicht „Satanismus“ auf dem Buchumschlag — ebenso gut als Kompendium des Wirtschaftsliberalismus hätte lesen können. Zunächst ein paar Klarstellungen:
Der Teufel — inexistent, aber mächtig
- Es geht mir in diesem Artikel nicht darum, die reale Existenz eines Satans oder Teufels zu behaupten. Ich selbst glaube nicht daran — und Satanisten auch nicht, wie wir noch sehen werden. Also keine „Dämonisierung“ des Neoliberalismus im buchstäblichen Sinn — so als glaubte ich, dass der Teufel einer Angela Merkel, einem Friedrich Merz oder Joe Biden souffliert hätte. Vielmehr geht es mir darum, Merkmale einer ökonomistischen, materialistischen und sozialdarwinistischen Weltanschauung herauszuarbeiten, die ich für bedenklich halte.
- Es geht mir nicht darum, vor dem Satanismus zu warnen. Der Name, den sich die Bewegung gegeben hat, ist für die meisten Warnung genug. Speziell in den sehr aufgeklärten Kreisen, in denen wir uns bewegen, ist die Gefahr, dass jemand zum Satanisten wird, wohl gering. Es wird sich bei näherer Untersuchung eher zeigen, dass Satanismus „normaler“ und uns näher ist, als wir gemeinhin denken.
- Unter Satanismus verstehe ich in diesem Zusammenhang eine Weltanschauung, wie sie Anton LaVey als festes System entwickelt hat. Ich kann in diesem Zusammenhang also nicht jeglichen Teufelsglauben, jede Form von „Teufelsanbetung“ mit einbeziehen, auch nicht abweichende Spielarten wie etwa die Philosophie Aleister Crowleys, die weitaus esoterischer ist — obwohl es da natürlich Ähnlichkeiten gibt wie etwa das Postulat absoluter Freiheit von moralischen Einschränkungen.
Adolfs Traum
Eine Quelle für meinen Artikel ist auch Carl Amerys Begriff der „Hitler-Formel“. Amery versuchte, ein spezifisches Denkmuster aus seinem üblichen Kontext (der Geschichte des Nationalsozialismus) herauszulösen und damit klar zu machen, dass es in weniger offensichtlicher Form auch anderswo herumspukt und zur Bedrohung für die Menschlichkeit werden könnte.
Amerys Buch heißt „Hitler als Vorläufer“. Die „Hitler-Formel“ besagt ungefähr, dass in einer Welt begrenzten Raums und begrenzter Ressourcen nicht genug Platz für die Bedürfnisse aller sei. Daher müsse eine Elite sinnvoll selektieren und dabei notfalls auch überkommene moralische Vorurteile über Bord werfen — im Interesse derer, denen das Lebensrecht zugestanden wird. Man braucht nicht lange zu suchen, um Spuren dieses Denkens bis in die Tagespolitik hinein zu entdecken. Man denke etwa an die „Das Boot ist voll“-Panik, die beim Thema Zuwanderung in fremdenfeindlich denkenden Kreisen aufkommt.
Auch bei der im Neoliberalismus vorherrschenden Ethik der Durchsetzung des ökonomisch Leistungsfähigeren scheint ein entferntes Echo Hitlers hörbar zu sein. Ebenso bedenklich: die „transhumanistische“ Vision einer Überwindung des gewöhnlichen Menschen durch bewusste Steuerung und Beschleunigung seiner Evolution. So sprach sich Hitler in „Mein Kampf“ gegen die „Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen“ aus. Diese widerspreche „dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des Lebens überhaupt“. Und er behauptete kategorisch:
„Der Stärkere hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so die eigene Größe zu opfern.“
Die Formel in Kürze
Die „Satanismusformel“, die ich hier als Begriff vorschlage, besagt in der Kürze folgendes:
- Wir sind nicht böse, wir stehen vielmehr über derartigen moralischen Kategorien.
- In einem gott- und sinnentleerten Universum ist sich der Mensch selbst der einzige ethische Orientierungspunkt.
- Es ist richtig und erlaubt, seinen Egoismus auszuleben, Altruismus ist Heuchelei.
- In einem gesunden gesellschaftlichen Organismus ist die Herausbildung von Schichten und Klassen unvermeidlich.
- Es besteht für den Starken keinerlei Verpflichtung, den Schwachen mit „durchzuziehen“, weil dies beide Seiten in ihrer Entwicklung behindern würde.
- Wir greifen niemanden unnötig an, wenn wir herausgefordert werden, wehren wir uns aber mit aller gebotenen Brutalität.
- Aufgabe staatlicher Institutionen ist es, die Handlungsfreiheit der Starken gegenüber dem Neid der Schwachen zu stützen.
Schon diese kurze Aufstellung macht deutlich, dass die „Satanismus-Formel“ das politische und ökonomische Handeln einzelner „erfolgreicher“ Menschen sowie generell der herrschenden Kräfte unserer Gesellschaft entscheidend bestimmt. Speziell in der Politik der „christlichen“ Parteien findet sich interessanter ein Gutteil davon wieder — nicht offiziell natürlich, aber faktisch.
Allenfalls mag an der Liste überraschen, dass ich dergleichen als „Satanismus“ bezeichne — erscheint es doch eher als blanke Normalität im kapitalistischen Alltag.
Ich werde aber durch Zitate aus „satanistischen“ Quellen belegen, dass es bei derartiger Normalität durchaus mit dem Teufel zugeht.
Jenseits von Gut und Böse
Das erste — und überraschendste — was man in Lars Peter Kronlobs Buch erfährt, ist, dass es im Satanismus eigentlich gar nicht um den Satan geht. Anton LaVey „sah Satan als Prinzip und Metapher, aber auch als die verborgene Kraft in der Natur, die eine ständige Veränderung bewirkt und den Menschen seit Beginn seiner Existenz dazu angetrieben hat, ständig Neues zu entwickeln und den Fortschritt voranzutreiben“. Eine Metapher — kein realer Höllenfürst mit Hörnern, das klingt beruhigend.
Nur allzu vertraut klingt auch die folgende Beschreibung: LaVay „forderte den Satanisten auf, sein eigener Gott zu sein, die eigene Macht nicht länger nach außen abzugeben und die Verantwortung für das eigene Leben in vollem Umfang zu übernehmen“. Wir finden dergleichen sehr häufig in der Selbstermächtigungs- und Selbstoptimierungs-Esoterik. Dort wird Eigenverantwortung gepredigt und eine moderne Spielart der Populärmagie. Man solle sich das Gewünschte — etwa Reichtum oder erfüllende sexuelle Beziehungen — einfach mithilfe seiner Vorstellungskraft kreieren, die Realität folge dann den Gedanken.
Eigenverantwortung ist aber auch das Mantra des Neoliberalismus, der die Daseinsvorsorge für die Bürger individualisieren und einen Entsolidarisierungseffekt erzielen möchte.
Sehr entscheidend im Satanismus ist der Entschluss, keine Maßstäbe für Richtig und Falsch gelten zu lassen, die von außen kommen — zum Beispiel von einem religiösen Regelwerk. Der schwache Mensch findet darin einen Vorwand, „die Verantwortung an andere abzugeben oder die Schuld bei anderen zu suchen, wenn etwas in seinem Leben nicht funktioniert. Die Ablehnung dieser infantilen Verhaltensmuster, die von einer unreifen Persönlichkeit und Opfermentalität zeugen, ist ein wichtiger Teil dessen, was einen Satanisten von anderen Menschen unterscheidet. Es ist ein grundlegender Bestandteil des Satanismus, dass jedes Lebewesen für seine Handlung verantwortlich erachtet wird“.
Wir kennen übrigens einen Begriff wie „Opferbewusstsein“ ebenfalls aus der esoterischen Ratgeberliteratur. Damit sind nicht nur Wehleidigkeit und Passivität gemeint, sondern die Annahme, dass überhaupt irgendetwas anderes als man selbst Ursache der eigenen Lebenssituation sein könne. Insbesondere Elternhaus, Milieu, Vererbung und gesamtgesellschaftliche Umstände dürfen demnach nicht mehr als „Entschuldigungen“ für eigenes Versagen herangezogen werden. Menschen in sozialen und psychischen Notlagen agieren quasi unter einer Käseglocke, die sie von allen äußeren Einflüssen abschirmt. In dieser isolierten Situation haben sie sich für falsche, nicht Erfolg versprechende Verhaltensweisen „entschieden“, weshalb sie die Folgen ihres Versagens auch allein tragen müssen.
Recht auf Leben — unter Vorbehalt
Wichtig ist, festzustellen, dass Satanismus nicht einfach der Glaube an den Teufel als „Gegengott“ ist. Vielmehr repräsentiert er die Abwesenheit einer Religion im herkömmlichen Sinn des Wortes, den radikalen Verzicht auf Glauben und Transzendenz.
„Satanismus ist die einzige Religion der Welt, die vollständig auf das Diesseits ausgerichtet und ausschließlich weltlicher Natur ist. Den zentralen Kern bildet der Satanist als sein eigener Gott und die Hingabe an das Leben im Hier und Jetzt, anstatt der Abgabe der eigenen Macht und Verantwortung aufgrund des Glaubens an ein höheres Wesen und die Befolgung von dessen Regeln und Geboten.“
Das klingt zunächst nachvollziehbar, sogar sympathisch, denn viel Schindluder ist mit der Behauptung getrieben worden, jemand — ein „Prophet“ — wisse genauestens über den Willen Gottes Bescheid. Viel Missbrauch auch mit der Entwertung des Hier und Jetzt zugunsten eines wolkigen „Jenseits“. Es ist interessant, festzustellen, dass uns nicht aus jeder Äußerung von Satanisten sogleich ein abstoßender Schwefelgeruch anweht.
Der Unterschied zu einem humanistischen Atheismus, wie ihn auch viele Linke teilen, besteht jedoch darin, dass Satanisten die Freiheit, die sie sich nehmen, nicht für solidarisches Handeln nutzen, sondern vielmehr als Vorwand für die Verweigerung von Solidarität.
Wir können dies am deutlichsten im Folgenden erkennen: Der Satanist „glaubt nicht an den Mythos der Gleichheit und betrachtet andere Menschen nicht als seine ‚Brüder und Schwestern‘, sondern orientiert sich an den Gesetzen der Natur, in welcher derjenige überlebt und weiterkommt, der seine Fähigkeiten besser zu nutzen weiß“.
Der Werbeslogan des erfolgreichen Folter-Horror-Films „Saw III“ lautete: „Hast du das Leben verdient?“ Ein sadistischer Psychopath erlegt seinen Opfern in diesem Film grausame Prüfungen auf, die nur der „Stärkste“ überleben kann. Eine Werbeanzeige der Turnschuhfirma Nike prunkte mit dem Slogan: „Wer Mitgefühl will, muss woanders suchen.“ Schließlich tat sich Ex-SPD-Chef Müntefering, ganz in „Saw“-Manier mit dem Ausspruch hervor: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Generell zielt der von politischen und ökonomischen Interessengruppen inspirierte Zeitgeist darauf ab, das „Recht auf Leben“, das in zivilisierten Gesellschaften als unantastbar galt, aufzuweichen und durch ein „Recht der Lebensfähigen und Tüchtigen auf Leben“ zu ersetzen. Durch den Rost fällt, wer im „Kampf uns Dasein“ unterliegt — nur gerecht und ganz natürlich, oder? Da war das christliche Abendland doch schon mal weiter — vor allem, nach dem Schock, den die Euthanasieprogramme der Nazis, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bekannt wurden, ausgelöst hatten. „Täglich RM 5,50 kostet den Staat ein Erbkranker“, heißt es auf einem NS-Propaganda-Plakat. „Für RM 5,50 kann eine erbgesunde Familie 1 Tag leben.“
Störendes Mitgefühl
Sehr wichtig ist die Selbstcharakterisierung des Satanismus als „nicht böse, nicht gut, sondern jenseits von Gut und Böse“. Nietzsche gehört nicht umsonst zu LaVeys Gewährsmännern. Statt „jenseits von Gut und Böse“ könnte man sagen: „natürlich“. Die Natur selbst in der sattsam bekannten sozialdarwinistischen Auslegung ihrer „Gesetze“ dient als Vorlage und Rechtfertigungsgrund für satanistisches Denken, wobei andere Aspekte des Natürlichen ausgeblendet werden: etwa die vielen Beispiele für soziales Verhalten und Kooperation im Tierreich oder die Strategien der Konkurrenzvermeidung bei Pflanzen, die zum Beispiel versuchen, Nischen zu besetzen, in denen sie weitgehend „konkurrenzlos“ sind.
Über Bord muss demzufolge auch das Mitgefühl.
„Mit jedem Menschen Mitgefühl zu haben, zu jedem nett zu sein, oder gar jeden zu lieben, wie es der Nazarener von seinen Anhängern forderte, ist auf jeden Fall nicht menschlich, sondern widernatürlich, was sich schon daran zeigt, dass es in den zweitausend Jahren Christentum noch keiner geschafft hat, dessen moralischen Forderungen zu erfüllen. Im Gegenteil ist es natürlich und menschlich, seine begrenzte Zeit, Energie, Aufmerksamkeit, Güte, Freundlichkeit und Liebe denjenigen zukommen zu lassen, die man wertschätzt und die es aufgrund der persönlichen Meinung verdienen. Alles andere ist nur Heuchelei.“
Hierfür könnte man sehr leicht Verständnis aufbringen. Ist diese Selbstbeschränkung auf das Menschenmögliche nicht sympathisch und ehrlich? Ist es nicht einfach wahr, dass niemand ethische Maximalforderungen wie Feindesliebe und Verbrüderung mit der ganzen Menschheit zu erfüllen vermag. Ist es nicht pure Normalität, freundlich zu den Freundlichen zu sein und seine Aufmerksamkeit auf die Menschen zu konzentrieren, die einem wirklich nah sind? Stutzig macht einzig die Andeutung, einige Menschen könnten Liebe und Freundlichkeit nicht „verdienen“. An dieser winzigen Einschränkung kann sich in der Folge viel Krieg und Unmenschlichkeit entzünden. Auch in scheinbar harmlosen Äußerungen wird das Selbstverständnis des Satanismus als Anti-Christentum deutlich. Hatte Jesus doch in der Bergpredigt gesagt:
„Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?“
Feindesliebe — nur für Schwächlinge!
Speziell die Feindesliebe ist somit auch Angriffspunkt der Satanisten: „Satan repräsentiert Vergeltung anstatt Darbieten der anderen Wange.“ Ein Satanist mit dem ansprechenden Namen Ragnar Redbeard wird — und zwar durchaus zustimmend — mit Aussagen wie diesen zitiert:
„Derjenige, der die ‚andere Wange‘ hinhält, ist ein feiger Hund, ein christlicher Hund. Vergelte Schläge mit Schlägen, Verachtung mit Verachtung, Verurteilung mit Verurteilung, mit Zins und Zinseszins.“
Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Weltgeschichte — einschließlich aktueller Ereignisse — zeigt, dass dieses Prinzip wohl fast immer das vorherrschende war. Die Realität der Kriege offenbart die grausige Kehrseite dieser scheinbar „gerechten“ Regel. Eine endlose Kette von Tat, Vergeltung und Gegenvergeltung lässt sich damit rechtfertigen. Es ist die Logik der Blutrache.
Die Geschichte kennt ausschließlich Staatenlenker, die — wie Adolf Hitler zu Beginn des Polenfeldzugs — „zurückgeschlagen“ haben. Hasset und tötet eure Feinde — gerade nach dem 11. September 2001 konnten wir die Wirksamkeit dieses Grundsatzes im „christlich-abendländischen Denken“ bestaunen. Nicht nur dass Osama bin Laden und Saddam Hussein, dass die „Charlie Hebdo“-Attentäter tot sind — auch unzählige Unschuldige wurden in Sippenhaft genommen und im Zuge abendländischen „Zurückschlagens“ als Kollateralschäden ausgemerzt.
Man versteht nun auch teilweise Autor Kronlob, wenn er die unerträgliche Heuchelei der vermeintlich Guten geißelt.
Es wäre ehrlicher für bestimmte Politiker, sich gleich offen zum Satanismus zu bekennen. Das tut aber keiner, weil es einfach scheiße klingen würde.
Die richtige Reaktion auf die Heuchelei vermeintlich christlicher Politiker wäre aber nicht „ehrliche“ Unmenschlichkeit, sondern der Verzicht auf jegliche Unmenschlichkeit, wodurch Sprechen und Handeln dann wieder im Einklang wären.
Demokratie ist Dummenherrschaft
In der Logik der satanistischen Ideologie liegt denn auch die radikale Ablehnung der Demokratie als „indirekte Herrschaft der dümmsten und schwächsten Elemente der Gesellschaft, da diese stets die Mehrheit bilden“. Anton LaVey sagte zu diesem Thema:
„Es darf keinen Mythos der Gleichheit für alle geben; das übersetzt sich nur zu Mittelmäßigkeit, wobei die Schwachen auf Kosten der Starken unterstützt werden.“
Ihre tiefe Aversion gegen Mittelmäßigkeit nutzten Satanisten jedoch nicht dazu, den Durchschnitt durch besondere Menschlichkeit zu überragen, vielmehr geht es um Privilegienerhalt für jene Schicht, die sich selbst zur Elite erklärt hat.
„Es sollte den Leuten erlaubt werden, auf ganz natürliche Weise Schichten zu bilden, ohne Eingriffe durch Verteidiger der Inkompetenz. Niemand sollte vor den Auswirkungen seiner eigenen Dummheit beschützt werden.“
So LaVey.
Natürlich blenden Satanisten — aktuell Neoliberale — gern aus, dass ihre Definitionen von „Leistung“ und „Versagen“ beziehungsweise von „Stärke“ und „Schwäche“ höchst fragwürdig sind. Durch das Zinssystem und andere Ausbeutungsmechanismen wird laufend Geld von den Arbeitenden hin zu unproduktiven Geld- und Anteilseignern „umgeschichtet“. Somit honoriert das Wirtschaftssystem vielfach eher die Dekadenz der untätigen Oberschicht, der Erben und smarten Renditen-Absahner, statt die wirklichen Leistungsträger zu würdigen — etwa die schlecht bezahlte Altenpflegerin.
Die „Gottlosen“ vergöttern jedoch vor allem eines: den faktischen Erfolg. Galten Geld, gut dotierte Posten und gesellschaftliches Ansehen Calvinisten als Anzeichen für die Gnade Gottes, so ebnen sie in der Church of Satan (CoS) den Weg in die höheren Ränge der „Kirche“.
„Des Weiteren erklärte LaVey, dass der Status einer Person innerhalb der CoS deren Status außerhalb der Organisation reflektieren sollte. Wer Erfolg im echten Leben aufgrund der Anwendung satanischer Prinzipien hat, sollte daher auch innerhalb der CoS eine entsprechende Position einnehmen.“
Wie draußen, so drinnen. Der Satanismus, der sich gern als die nonkonformistische Weltanschauung par excellence sieht, spiegelt somit getreulich die Verhältnisse im Wirtschaftsleben wider. Oder spiegelt vielmehr das Wirtschaftsleben satanistische Grundsätze?
Satanisten — reichlich spießige „Rebellen“
Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang noch die Rolle des Staates im Denken LaVeys und seiner Anhänger. Auch hier offenbart sich eine für vermeintliche Rebellen erstaunlich spießige Einstellung:
„Satanismus steht für ein liberales Law-and-Order-System. Satanisten verstehen, dass es keine allgemeingültigen oder gar angeborenen Rechte gibt, sondern dass die Bürger eines Staates genau die Rechte haben, welche ihnen vom Staat zuerkannt werden.“
Vereinfacht gesagt: Es gibt kein Naturrecht mehr. Recht ist, was mächtige Politiker für solches erklären.
„Die Polizei ist jedoch wohlgemerkt nicht dafür zuständig, die produktiven Bürger in irgendeiner Form einzuschränken, sondern ihre Aufgabe liegt darin, zu gewährleisten, dass nicht der Lebensraum der gesetzestreuen Bürger von kriminellen und asozialen Elementen bedroht und verunstaltet wird.“
Oberflächlich betrachtet, kann man diese Haltung nachvollziehen. Es ist die Aufgabe der Ordnungsmacht, wie sie derzeit vom „Mainstream“ überall gesehen wird. Scheinbar geht es im Satanismus nur um das Verhindern von Bagatelldelikten. Eine Zigarette auf die Straße zu werfen, solle mit einem Bußgeld belegt werden. Man kann sich allerdings denken, worauf die Sauberkeitsfanatiker eigentlich hinauswollen. Eine repressive Grundhaltung erzeugt in der Bevölkerung der „Mittelmäßigen“ eine Atmosphäre diffuser Angst vor einer rigiden Obrigkeit. Dies hilft auch, Aufständen gegen die übermäßige Dominanz der „Eliten“ vorzubeugen.
Gesindel soll nicht beim Profitieren stören. Aufgabe des Staates ist es nicht, für Gleichheit zu sorgen, sondern Ungleichheit mit Waffengewalt abzusichern. Nicht Ausbeutung soll eine hochgerüstete Polizei verhindern, sondern mögliche Gegenwehr gegen Ausbeutung. Eine solche dienende Rolle des Staates entspricht ganz der Mentalität der globalen Konzern- und Bankeneliten, die die Masse der „Mittelmäßigen“ unterhalb des Gesetzes, sich selbst aber darüber zu positionieren versucht.
Eine Formel für Menschlichkeit
Nach diesem kurzen Besuch im Gruselkabinett satanistischer Weltdeutung und nachdem wir festgestellt haben, dass uns vieles daran alles andere als fremd und exotisch vorkommt, ist es Zeit, die Gegenfrage zu stellen: Was wäre eigentlich das Gegenteil der Satanismusformel? Man könnte es so zusammenfassen:
- Es gibt klare und universelle ethische Richtlinien.
- Ihre Quelle ist nicht der Mensch selbst, sondern Gott.
- Das Ego sollte seine Bedürfnisse zurückstellen und dem Bewusstsein der Verbundenheit, dem Mitgefühl Platz machen.
- Die Menschen sind von gleichem Wert, krasse Ungleichheit der Besitz- und Machtverhältnisse verbietet sich daher.
- Schwache besitzen ein Recht auf Leben und Würde, sie sollten von den Stärkeren unterstützt werden.
- Man sollte Böses nicht mit Bösem vergelten, damit der Frieden eine Chance hat und man sich dem Niveau der Täter nicht nach unten angleicht.
- Aufgabe staatlicher Institutionen ist es, die Schwachen vor der Dominanz der Starken zu schützen.
Abgesehen von dem Punkt, der Gott betrifft, den nicht alle anerkennen werden, dürften sich die meisten Leser in dieser Weltanschauung wiederfinden. Man kann darin auch die Quintessenz des jüdisch-christlichen Erbes in unserem Kulturkreis sehen.
In ähnlicher Weise interpretierte Carl Amery auch seine „Hitler-Formel“. Er sah im Hass der Nationalsozialisten gegen die Juden auch den Hass gegen ein bestimmtes Prinzip, das sie in diesen verkörpert sahen. Ein Prinzip, das die scheinbar naturnahe sozialdarwinistische Härte ihrer Weltsicht aufzuwiegen versuchte durch Erbarmen und Nächstenliebe. Wenn man hier noch ein bisschen weiterdenkt, könnte man sogar sagen: durch die Tugenden der Friedfertigkeit, der Sensibilität und der Introversion, die Qualitäten vieler jüdischer Helden vom verträumten Lautenspieler David bis zu Jesus, der jeglichen „Richtgeist“ und jede Gegenwehr gegen das Übel verweigerte.
Das anti-christliche Abendland
Amery schreibt über Hitler:
„Er erklärte den Juden zum Erzfeind der Nachhaltigkeit; aber er meinte die jüdisch-humanistische Botschaft schlechthin — die Botschaft von der Friedfertigkeit, von der Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, von der Notwendigkeit der Diskussion und des Kompromisses.“
Nebenbei bemerkt, zeichnet diese Aufzählung ein ansprechendes und berührendes Porträt des jüdischen Geistes, dem das Handeln der derzeitigen israelischen Machtelite teilweise drastisch widerspricht. Das Christliche kann hier tatsächlich in der Kontinuität des Jüdischen gesehen werden. Das Herumreiten auf dem Satz „Auge um Auge, Zahn um Zahl“, der schon in dem Nazi-Propagadafilm „Jud Süß“ gegen die Juden ins Feld geführt wurde, sollte nicht über die große innere Verwandtschaft beider Religionen gerade in ihrer Forderung nach Nächstenliebe hinwegtäuschen.
Interessanterweise nennt die PEGIDA-Bewegung als eines ihrer Ziele „die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“. Was damit wohl gemeint sein kann, wenn gegen die derzeit „unbeliebteste“, am meisten ausgegrenzte Minderheit in Deutschland Front gemachte wird: die Muslime? Was damit wohl gemeint sein kann, wenn gleichzeitig eine Verbrüderung der latent fremdenfeindlichen „Mitte“ unserer Gesellschaft mit Rechtsaußen stattfindet? Bei so viel „Abendland“ sieht man wirklich die Sonne der Vernunft und der Menschlichkeit untergehen.
Letztlich kommt man an der peinlichen Wahrheit nicht vorbei, dass das „Abendland“ sich in seiner dominanten Strömung — dem Wirtschaftsliberalismus und seiner egozentrisch-erbarmungslosen Gewinner-Ethik — weitgehend der Satanismusformel verschrieben hat.
Auch beim derzeitigen „Corona-Regime“ finden sich Anklänge. Zwar scheinen die offiziellen Verlautbarungen der Politik, speziell die Hochbetagten und Krankheitsanfälligen vor dem Virus zu schützen, eigentlich das Gegenteil dessen zu sagen, was Satanisten fordern würden; doch bewirken die unter Berufung auf Covid-19 verhängten „Maßnahmen“ auch eine Verstärkung der ökonomischen Schichtenbildung und eine besonders rigide Spielart des Staatsautoritarismus. Die „Virologen-Herrschaft“ beruht auf einem einseitig materialistischen Weltbild. Wirkliches Mitgefühl müsste die vielen Maßnahmen-Opfer, die seelisch und sozial Misshandelten, mit einbeziehen, was jedoch nicht geschieht. Mit dem unter anderem von Klaus Schwab propagierten „Great Reset“ erreicht transhumanistisch unterfüttertes Elitendenken seinen bisherigen Gipfelpunkt.
Um dieser Agenda einen Strich durch die Rechnung zu machen, werden Knoblauch und Umhänge-Kreuz nicht ausreichen. Wir müssen die „alten“ Werte unseres Kulturkreises — Freiheit und Gleichheit — neu zu denken und zu lieben lernen. Wir sollten vor allem darauf bestehen, Menschen zu bleiben, was angesichts der aufdringlichen Umerziehungsversuche nekrophiler und inhumaner „Höherzüchter“ leider heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Gleichheit, Gerechtigkeit, Mitgefühl, Solidarität mit weniger Leistungsfähigen, Pazifismus, Freiheit vor staatlicher Repression — es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diesen Werten in unserer Gesellschaft nicht wieder mehr Geltung verschaffen könnten.
Quellen und Anmerkungen:
Buchhinweise:
Lars P. Kronlob: Die Philosophie des Satanismus, Edition Esoterick, 132 Seiten, € 16,66
Carl Amery: Hitler als Vorläufer, Sammlung Luchterhand, 191 Seiten, € 10,99
Claus Hant: Hitler — die wenig bekannten Fakten, bookmundo, 596 Seiten, € 26,80