Die Salonlinken
Die deutsche Intelligenzia versagt großenteils als kritische Instanz und zeigt unverblümt ihre Verachtung für Corona-Skeptiker, die sie als ästhetisches Ärgernis empfindet.
Muss man ein dummer Mensch sein, um den Corona-Lügen des Establishments aufzusitzen? Nicht unbedingt. Man kann auch sehr intelligent sein, jedoch uninteressiert am Alltag „einfacher“ Menschen. Oder interessiert daran, sich beim Betrachten des Spektakels einer sterbenden Demokratie ein bequemes Logenplätzchen zu sichern. Wir kennen das Phänomen bei vielen Linken schon aus der 68er-Zeit. Nach außen hin der Arbeiterbewegung verpflichtet haben viele noch nie eine Fabrik von innen gesehen. Die geschliffenen Werkzeuge der Analyse und Ironie, wie geschaffen dafür, die Macht anzugreifen, werden nun in der Corona-Krise vielfach ausgerechnet gegen die Kritiker der Macht angewandt. Wie selten zuvor zeigt sich in diesen Tagen die Arroganz von Saturierten, die die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft aufgegeben haben und nun im Chor mit Neoliberalen gegen die sich formierende Freiheitsbewegung anstänkern.
Viele werden das Buch „Die Rückkehr nach Reims“ des französischen Autors und Sozialwissenschaftlers Didier Eribon gelesen oder zumindest davon gehört haben. Darin schildert Eribon anhand der eigenen Biographie das Elend der heutigen Linken, die sich von ihrem historischen Subjekt, der Arbeiterklasse, von den Menschen, für deren Befreiung und Emanzipation sie angeblich kämpfen, inzwischen völlig entfremdet haben. Der unglaubliche Text „Hipster sind es wohl nicht“ von Gerhard Hanloser in der Ausgabe 32 des Freitag, erscheint hier wie eine geradezu idealtypische Illustration dieser Entwicklung.
Unter dem Deckmantel einer vorgeblichen soziologischen und psychologischen Analyse der Teilnehmer an der Corona-Demo vom 1. August in Berlin, schüttet der als Soziologe, Historiker und Germanist vorgestellte Autor, Kübel von Häme und intellektueller Verachtung über die Menschen aus, die ihr Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen und gegen die autoritäre Verfestigung des Corona-Regimes protestieren.
Hauptkritikpunkt ist deren, nach Meinung des Autors, mangelnder Sinn für Ästhetik und coolem Auftritt. Hanloser formuliert das wie folgt:
„Ansonsten alles sehr bürgerlich, allerdings ästhetisch ärmlich. Mittvierziger mit Sandalen und komischen Hosen, Pegida-Style. Mit dem Soziologen Pierre Bourdieu könnte man sagen, dass hier ein Milieu mit geringem kulturellen und besonders wenig ästhetischem Kapital unterwegs ist. Es hat wenig Möglichkeiten, sich den Anschein von Hipness oder modischer Coolheit zu geben. Vieles erinnert an die Gelbwestenbewegung in Frankreich. Auffällig ist die rein weiße, hier sehr deutsch-kartofflige Zusammensetzung der ‚Corona-Rebellen‘.“
Hier manifestiert sich das ganze Elend linker Intellektueller, die etwas von Klassenkampf schwafeln, aber noch nie eine Fabrik von innen gesehen haben und sich für die Lebensumstände derer, deren Fürsprecher sie vorgeblich sind, im Grunde noch nie interessiert haben.
Richtig intellektuell unredlich wird es aber, wenn sich der Autor für seine „Analyse“ auf einen Klassiker der Sozialwissenschaft, den französischen Soziologen Pierre Bourdieu bezieht. Wer sich auch nur rudimentär mit Bourdieu und dessen Konzept des kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapitals auseinandergesetzt hat, sollte wissen, dass es Bourdieu, anders als Hanloser, nie darum ging, die Objekte seiner Analyse zu denunzieren und herabzuwürdigen. Im Gegenteil, ein wesentliches Moment der Forschungsarbeit Bourdieus war zu ergründen, wie Klassengesellschaft funktioniert und wie es der herrschenden Klasse und ihren Funktionseliten gelingt, die unteren Klassen auf Dauer unten zu halten. Eine Frage, die sich große Teile der heutigen Linken nicht mehr stellen. Auch dafür ist der Artikel im Freitag ein Beispiel, wenn er den unteren Klassen sogar abspricht, sich richtig artikulieren zu können und diese stattdessen nur „Gestammel“ hervorbringen sollen.
Bourdieu als Vorlage für die Herabsetzung und Denunziation der Teilnehmer der Corona-Demonstration heranzuziehen, ist nicht nur aus methodischer Perspektive absurd, sondern stellt Bourdieu geradezu auf den Kopf. Man darf, bei Wissen über Bourdieus politisches Engagement gegen den Neoliberalismus, sicher sein, dass Pierre Bourdieu den erwähnten sozialen Aufstand der Gelbwesten in Frankreich unterstützt hätte und den Protestierenden nicht wie das Gros der heutigen Linken mit Verachtung gegenübergetreten wäre.
Allerdings bietet Bourdieus soziologische Analyse gerade gegenüber den sich als „linke Intellektuelle“ begreifenden Figuren sehr interessante Ansätze. Bourdieu rechnet dabei die Intellektuellen, entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis, zur herrschenden Klasse.
Bourdieu zufolge ist die Selbstwahrnehmung gerade linker Intellektueller als Widersacher der Macht, soziologisch betrachtet, nichts anderes als ein Mythos.
Das bestätigt sich darin, dass ein nicht unerheblicher Teil der „Linken“ die Corona-Repression unterstützt. Vielleicht aus dem unbewussten Wunsch heraus, einmal auf der „richtigen Seite“ zu stehen und vielleicht auch aus dem Impuls heraus, einmal seiner immer schon vorhandenen Verachtung gegenüber den arbeitenden Menschen endlich freien Lauf lassen zu können. Dabei fehlt jedes Verständnis für die Situation arbeitender Menschen vor dem Hintergrund der massivsten wirtschaftlichen Rezession seit Ende des Zweiten Weltkrieges, die durch einen Lockdown verursacht wurde, den die politische Elite in nackter Panik durchgesetzt hat.
Muss man sich dann noch wundern, dass die massivsten Grundrechtseinschränkungen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, allein auf Basis behördlicher Notverordnungen, ohne jede parlamentarische Legitimation und Kontrolle, dem Autor wie vielen anderen Linken ebenfalls keine Silbe wert sind?
Irrationaler Hass
Selbstverständlich darf auch die übliche Pathologisierung von Protest nicht fehlen, wenn Hanloser den Demonstranten bescheinigt, sie wirkten „psychisch tangiert“. Wer dem Regierungsnarrativ also nicht folgen will, der ist nicht ganz richtig im Kopf, so die suggestive Botschaft. Die Psychopathologisierung von dissidenten Positionen war dabei immer schon ein Charakteristikum von Diktaturen. Auch die Kritik an der „differenziert und ausgiebigen“ Berichterstattung der Mainstream-Medien kann nur „irrationalem Hass“ entspringen.
Wer nun aber glaubt, das sei nun schon der Tiefpunkt der Anbiederung an die politische und ökonomische Elite, hat noch nicht die Statements der Vorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping, in der ZDF-Sendung „Dunja Hayali“ zum Thema „Leben mit der Pandemie“ gehört. Dort stimmte Kipping in den Chor derjenigen ein, welche die Corona-Proteste als Ansammlung abseitiger Spinner, Verwirrter, Rechter und wie Hanloser psychisch Gestörter diffamieren.
Kipping rief in der Sendung zu „verantwortungsvollem Verhalten“ auf, was nicht anders gedeutet werden kann als eine Metapher für die Aufforderung, den Anordnungen der Regierung Folge zu leisten. Dann brilliert sie noch mit dem Vorschlag, überall Maskenautomaten aufzustellen, „damit, wer die mal vergessen hat, die schnell nachkaufen kann“. Sieht so eine radikale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen aus? Hat Kipping die jetzt schon fatalen sozioökonomischen Folgen des Lockdowns gerade für die ökonomisch Schlechtergestellten überhaupt im Blick? Regierungskonformer war wohl in Deutschland eine sich als links bezeichnende Partei noch nie. Wie sagte schon Wilhelm Zwo:
Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Covid-19.
Wut über die gesellschaftlichen Verhältnisse
Auch Kipping steht so geradezu paradigmatisch für das aktuelle Elend der gesamten Linken. Die soziale Frage scheint für die politische Linke nicht mehr zu existieren. Stattdessen beschäftigt man sich nur noch mit Identitätspolitik und „Cancel Culture“. Hätte man in der Linken auch nur noch einen Funken eines gesellschaftspolitischen Verstandes, sollte einem dämmern, dass hinter den Corona-Protesten mehr steckt.
Denn die Corona-Zwangsmaßnahmen sind zuerst als der Auslöser der Proteste anzusehen und nicht als deren tieferer gesellschaftlicher Hintergrund. Hier scheint, in gewisser Parallelität zur französischen Gelbwestenbewegung, eine seit langem angestaute, tiefgehende Wut über die gesellschaftlichen Verhältnisse im neoliberal brutalisierten Kapitalismus an die Oberfläche zu dringen. Dies nicht zu erkennen und aufzugreifen ist ein Armutszeugnis für die deutsche Linke.
Denn, wäre es nicht die Aufgabe der Linken diesen, sicher zuerst von einer diffusen Wut auf die herrschenden Verhältnisse, aber auch von konkreten existenziellen Ängsten angetriebenen Protest aufzugreifen? Den Protestierenden das intellektuelle Rüstzeug mitzugeben? Die ökonomischen Macht- und Besitzverhältnisse zu erkennen und in Frage zustellen, anstatt naserümpfend am Straßenrand zu stehen oder sich in kultur- und identitätspolitischen Themen zu verzetteln?
Die aktuelle Dominanz des identitätspolitischen Diskurses verschärft die grundsätzlich schon immer vorhandene Distanz linker Intellektueller zu den Menschen, als deren Fürsprecher sie sich lange Zeit sahen.
Wer die Sprachcodes und komplizierten Regeln der in den akademischen Elfenbeintürmen der Sprach- und Geisteswissenschaften konstruierten Political Correctness nicht beherrscht, sieht sich heute schnell mit der Verachtung und moralischen Abwertung durch das links-intellektuelle, urbane Milieu konfrontiert.
In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass etwa die „Black Lives Matter“-Demonstrationen auf breite und ungeteilte Zustimmung sowohl in den Mainstream-Medien, als auch bei der politischen und ökonomischen Elite stießen. Sollte diese Beobachtung nicht einmal Anlass zu einer tiefergehenden politischen Analyse sein? Vielleicht ausgehend von der Überlegung, dass die herrschenden Eliten in der Öffentlichkeit kaum Zustimmung für eine Bewegung äußern würden, die ihren Machtinteressen entgegensteht.