Die Presse-Unfreiheit
Glenn Greenwald, Mitgründer des Magazins „The Intercept“, kündigte, nachdem ein kritischer Artikel von ihm unterdrückt werden sollte.
Die freie Presse war einmal dafür geschaffen worden, die Politik zu kontrollieren und sie im Fall unlauterer Machenschaften zur Rechenschaft zu ziehen. Aber wer kontrolliert die Kontrolleure? „The Intercept“ wurde von dem Journalisten Glenn Greenwald mit dem erklärten Ziel mitbegründet, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Nun zeigt sich, dass — nach einem schleichenden Umwandlungsprozess, dem das Magazin offenbar unterlag — nicht einmal mehr dieser Gründervater dort redaktionelle Freiheit genießt. Unlängst ist Greenwald deshalb unter öffentlichem Protest beim „Intercept“ ausgestiegen. Wer bleibt noch, wenn die Besten gehen? Und was sagt uns dieser Vorgang über den Zustand der Medienlandschaft im Jahr 2020?
Der Journalist Glenn Greenwald hat in den Mainstream- und Alternativmedien große Wellen geschlagen, indem er The Intercept kündigte, einem Online-Medium, das er 2014 mit der erklärten Zielsetzung mitbegründet hatte, die Machthaber mit der Macht des uneingeschränkten Journalismus zur Rechenschaft zu ziehen.
Greenwald sagt, er sei zurückgetreten, weil die Redakteure von The Intercept ihm die Veröffentlichung eines Artikels verweigerten, an dem er gearbeitet hatte und in dem es um die Rolle der Massenmedien bei der Vertuschung der überraschenden Hunter-Biden-Enthüllungen vom Oktober 2020 und die Verschleierung deren Charakters ging, was laut Greenwald eine Verletzung der Bedingungen für redaktionelle Freiheit in seinem Vertrag darstellt. Er veröffentlichte auch einen Teil der E-Mail-Korrespondenz, die er mit den Redakteuren im Vorfeld seiner Rücktrittserklärung geführt hatte.
Mein Rücktritt von The Intercept
Die gleichen Tendenzen der Unterdrückung, Zensur und ideologischer Homogenität, die die nationale Presse plagen, haben generell das von mir mitbegründete Online-Medium verschlungen und gipfelten in der Zensur meiner eigenen Artikel. https://t.co/dZrlYGfEBf
— Glenn Greenwald (@ggreenwald), 29. Oktober 2020.
Der E-Mail-Verkehr macht ziemlich deutlich, dass die Intercept-Redakteure Greenwalds Analyse der Anschuldigungen gegen Joe Biden und seine Familie auf einem viel höheren Evidenzniveau hielten als jeden Journalisten, der Trump kritisieren oder fadenscheinige russische Verschwörungstheorien auf der Plattform verbreiten will, und auch generell Druck sowie eine gewisse Beharrlichkeit erzeugten, alles aus dem Artikel zu entfernen, was Bidens Wahlchancen schaden könnte. Der Journalist Matt Taibbi hat einen eigenen Artikel über Greenwalds Rücktritt herausgegeben, der mehr Informationen über den E-Mail-Verkehr enthält und der sehr lesenswert ist.
Aufschlussreicher als die E-Mails sind die Informationen von Greenwald in einem Substack-Artikel (1) über seinen Rücktritt, in dem er erklärt, dass The Intercept in Bezug auf die Verantwortlichen für das Debakel um (Whistleblowerin) Reality Winner sowie die Vorgänge, die zu ihrer Verhaftung führten, weil sie der Nachrichtenwebsite NSA-Dokumente zugespielt hatte, bewusst intransparent war. Greenwald zufolge hätten die Herausgeber die Veröffentlichung der Dokumente überstürzt, „weil sie den Massenmedien und führenden Liberalen beweisen wollten, dass The Intercept bereit war, auf den Russiagate-Zug aufzuspringen“. Er sagt weiterhin, ihr Schweigen habe es ermöglicht, ihm die Schuld für die Inhaftierung von Winner zuzuschieben, obwohl er nichts mit der Tragödie zu tun hatte.
Greenwald enthüllt auch, dass The Intercept sich weigerte, über den täglichen Verlauf der Anhörung zur Auslieferung von Julian Assange zu berichten, „weil der unabhängige Reporter, der eine hervorragende Arbeit leistete, politisch missliebig war". Unklar ist, was genau er damit gemeint hat; Greenwald hat die hervorragende Berichterstattung über den Assange-Prozess durch Kevin Gosztola von Shadowproof und Richard Medhurst, der jetzt bei Press TV ist, in der Vergangenheit gelobt; sie sagten beide, dass gar nicht wüssten, auf wen er sich bezog. Ungeachtet dessen, was er wohl gemeint hat, ist es geradezu skandalös, dass ein Medienunternehmen, dessen Motto „Furchtloser, kontroverser Journalismus“ lautet, sich weigert, über den weltweit bedeutendsten Prozess gegen journalistische Freiheit zu berichten.
Die Intercept-Chefredakteure bezeichneten Greenwalds Kritik in einer bemerkenswert höhnischen Stellungnahme auf ihrer Website als „den Trotzanfall einer erwachsenen Person“ und behaupteten scheinbar ohne jegliche Grundlage, ihr Mitbegründer habe „versucht, die fragwürdigen Behauptungen einer politischen Kampagne zu recyceln — die Trump-Kampagne“.
„Wir haben den größten Respekt vor dem Journalisten, der Glenn Greenwald einmal war, und wir sind nach wie vor stolz auf den Großteil der Arbeit, die wir in den vergangenen sechs Jahren mit ihm geleistet haben“, schrieb die Redaktion. „Es ist Glenn, der sich von seinen ursprünglichen journalistischen Wurzeln gelöst hat, nicht The Intercept.“
Diese Anschuldigungen stimmen voll und ganz mit den Verleumdungen der von Twitter verifizierten Kommentatoren überein, die zu lesen sind, wenn Sie Greenwalds Namen täglich in die Suchleiste von Twitter eingeben. Seit der preisgekrönte Journalist damit anfing, das offizielle Russland-Narrativ infrage zu stellen, haben die Meinungsmacher des Establishments Greenwald als einen heimlichen Trump-Anhänger dargestellt, der sich in für den Kreml nützliche Hirngespinste verstrickt habe, und diese Behauptung ist offensichtlich sowohl von den Gefolgsleuten dieser Verleumdungskampagne inspiriert als auch dazu bestimmt, Sie anzusprechen.
Entgegen der Behauptung, an ihren „journalistischen Wurzeln“ festzuhalten, geht The Intercept in Wirklichkeit schon so lange den Bach runter, wie ich diesen Kommentatoren-Job ausübe. Die Berichterstattung über Syrien war eine offenkundige Stenografie des Sicherheitsstaates, sie veröffentlichten Hit Pieces (2) über Assange, ihre Informanten werden immer wieder verhaftet, und sie agitieren für das Russiagate mit dem vollen Eifer eines landläufigen liberalen Schmierblattes. Daher ist es nicht sonderlich überraschend, dass sie sich der auffallend einheitlichen Kampagne des narrativen Managements der Hunter-Biden-Berichterstattung angeschlossen haben, und sich dabei nun auf unbegründete Behauptungen von US-Spitzeln berufen.
The Intercept ist der gleichen Fäulnis anheimgefallen wie alle anderen Medien ab einer bestimmten Größe und Finanzlage. Matt Taibbi sagt, er habe mit „mehreren bekannten Journalisten" gesprochen, die einem ähnlichen Druck ausgesetzt gewesen seien wie Greenwald im Vorfeld der US-Wahl. Er schrieb in seinem oben erwähnten Artikel:
„Die traditionelle Methode zur Kontrolle der Presse — wie sie von legendären Investigativjournalisten wie etwa I. F. Stone beschrieben wurde — war ein stilles Wort vom Chefs, „ein kleines Einzelgespräch“, bei dem eine „Andeutung darauf, dass der Reporter unverantwortlich sei oder ein bisschen radikal erscheine“, fallengelassen wurde. Da der Reporter die Ansage versteht und um seinen Job fürchtet, zieht er sich zurück. Oder, wie im Vorfeld des Irak-Krieges, die strategische Entlassung oder Nicht-Einstellung großer Namen mit den falschen Ansichten — Phil Donahue, Jesse Ventura — dafür sorgt, dass der Rest der Mitarbeiter die Ansage versteht.
Greenwald, Mitbegründer von Intercept mit genau diesem Szenario im Hinterkopf, baute eine Struktur auf, in der solche „kleinen Einzelgespräche“ mit den Chefs niemals stattfinden können und es keine solchen Entlassungen aus ideologischen Gründen geben sollte.
Was er nicht ahnte, war, dass selbst in einer Atmosphäre, in der die Einmischung des Managements gegen null geht, ein Kollektiv unabhängiger Journalisten selbst zu Zensoren und Vollstreckern der offiziellen Orthodoxien werden kann. In einigen Fällen werden Journalisten zu noch vehementeren Propagandisten und Unterdrückern der Redefreiheit als die Behörden, vor denen sie angeblich geschützt werden müssen. Genau das ist bei The Intercept geschehen.“
Ich habe meine dreistündige Diskussion gestern mit @joerogan wirklich genossen — eine breite Palette von Themen: Medienzensur im Allgemeinen und bei Biden, Einschränkung der Meinungsfreiheit, Überwachung und Datenschutz, welche Verantwortlichkeiten mit einer öffentlichen Plattform verbunden sind, nur offener und ehrlicher Diskurs: https://t.co/X6gIDwVkcz
— Glenn Greenwald (@ggreenwald), 28. Oktober 2020.
Man wird alle möglichen Gründe dafür anführen, dass The Intercept Geheimdiensten und mächtigen Politikern den Rücken freihält, unter anderem die Finanzierung durch Omidyar und die Möglichkeit der Infiltration durch die Regierung. Aber ich denke, die Hauptursache für den Verfall von The Intercept ist viel tief greifender: Große, gut finanzierte Nachrichtenmedien zu haben, ist einer guten Berichterstattung einfach nicht förderlich.
Die Mächtigen stecken so viel Energie in die Manipulation des Denkens, Handelns und der Stimmabgabe der Massen, und Nachrichtenreporter sind ständig mit diesem stark kontaminierten Informationsstrom konfrontiert. Aus diesem Grund sind die am stärksten manipulierten Menschen in der Welt diejenigen, die für die Verbreitung von Propaganda verantwortlich sind, nämlich die Nachrichtenmedien. Als letzte Hüter des unglaublich schrumpfenden Overton-Fensters der Gesellschaft sind die Reporter zwangsläufig die Gruppe, die am aggressivsten in dieses Fenster gedrängt wird.
Wenn es, wie Upton Sinclair sagt, schwierig ist, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht, dann trifft das sicherlich besonders auf diejenigen zu, die ihr Arbeitsleben damit verbracht haben, zu lernen, welche Rahmenbedingungen des Verstehens ihnen helfen, in der Journalismus-Szene in den Vordergrund zu rücken. Dies hat sie geprägt, lange bevor sie bei irgendeiner Agentur gelandet sind, die vorgibt, „furchtlosen, kontroversen Journalismus“ zu fördern, und es wird sie auch weiterhin im Umgang mit anderen Journalisten prägen.
In Kombination mit einem dominanten plutokratisch finanzierten Mediensystem, das darauf ausgerichtet ist, journalistisches Denken in die Orthodoxien des Mainstream-Establishments einzugliedern, schafft dies eine Art Fließband der Konformität, über das die Journalisten wie die Schulkinder in dem Pink-Floyd-Video „Another Brick in the Wall“ laufen.
Die dominierende Weltanschauung in jedem Journalistenkollektiv ist statistisch gesehen wahrscheinlich eine Mainstream-Weltanschauung, einfach weil sie ihrem Wesen nach häufiger vorkommt. Mainstream-Weltanschauungen sind nur deshalb Mainstream, weil Unmengen an Vermögen und Anstrengungen darauf verwendet wurden, sie mit bloßer Gewalt in den Mainstream zu drängen, zum Nutzen der Reichen und Mächtigen, deren Herrschaftssysteme auf dem kapitalistisch imperialistischen Status quo aufgebaut sind. Wenn Sie nur einen Haufen Journalisten einstellen wollen, die Ihnen gut erscheinen, werden Sie zwangsläufig eine Menge Leute erhalten, die unwissentlich die Interessen der Reichen und Mächtigen fördern, schon aufgrund der bloßen statistischen Wahrscheinlichkeit.
Nimmt man all diese Faktoren zusammen und wirft sie in ein großes Medienunternehmen voller Journalisten, dann werden unsere primitiven Impulse zur Konformität mit der Masse wach und die Weltsicht des Konsenses hat es viel leichter, kritisches Denken noch weiter zu verdrängen, als es ohnehin schon der Fall ist.
Wenn Sie zudem Nachrichtenreporter in einer großen Agentur zusammenbringen, werden Sie die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf sich ziehen, die ein persönliches Interesse daran haben, die Art und Weise der Berichterstattung zu kontrollieren. Wenn Sie Ihre Druckmittel und/oder Ihr Ressourcen einsetzen können, um die Art und Weise zu manipulieren, in der die gesamte Agentur berichtet, dann ist diese Energie gut investiert.
Mit all dem möchte ich deutlich machen, dass Dezentralisierung der Weg für einen guten kritischen Journalismus sein muss. Es gibt so wenige Reporter, die noch nicht vom Fließband der Konformität einverleibt worden sind, und wenn man Sie sie in der Groupthink-Herde hält, werden sie so lange bedrängt, bis sie sich entweder anpassen oder gehen. Hören Sie auf, die wenigen Lebendigen mit den Zombies in einen Topf zu werfen, sondern lassen Sie sie allein oder in kleinen Gruppen losziehen; sie werden so viel schwerer zu beeinflussen sein und können der Lügenfabrik viel eher Schaden zufügen.
Ich weiß nicht, ob man dabei am besten mit bezahlten Substack-Abonnements wie Greenwald und Taibbi oder eher mit meinem eigenen, auf Patreon basierenden Modell seinen Lebensunterhalt verdient, oder eventuell mit einem anderen Ansatz, an den wir noch nicht gedacht haben. Ich weiß nur, dass wir uns jedes Mal verzetteln, wenn wir uns in Gruppen zusammenschließen, und uns zu einem leichten Angriffsziel für die Maschinerie machen. Mit dem Verfall von The Intercept ist klar, dass wir besser Wege finden sollten, um uns von unseren eigenen Fähigkeiten und Erkenntnissen leiten zu lassen, während die Konformitätsdrohnen in ihren gut finanzierten Online-Medien verrotten. Die User werden da sein. Die Wahrheit ist für die Menschen attraktiv, der Macht zu dienen, ist es nicht.
Ich weiß nicht, ob die Hunter-Biden-Enthüllungen vom Oktober etwas Skandalöseres zeigen, als man bei jedem wichtigen US-Präsidentschaftskandidaten erwarten würde. Jedoch weiß ich, dass die Gleichschaltung des Schweigens und der Verschleierung durch die Massenmedien darüber einzigartig skandalös ist und ein schlechte Auswirkungen auf die Zukunft des Journalismus in den westlichen Nachrichtenmedien hat. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Drastische Veränderungen sind dringend erforderlich.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien unter „Greenwald’s Intercept Resignation Exposes The Rot In All Mass Media“ zuerst auf caitlinjohnstone.com. Er wurde von Sabine Amann vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzerteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Anmerkung der Übersetzerin: substack.com ist Greenwalds aktuelles Online-Medium.
(2) Anmerkung der Übersetzerin: Die englische Bezeichnung „Hit Piece“ adäquat ins Deutsche zu übersetzen, ist nicht einfach. Bei den Wörtern wie „Hetzschrift“ oder „Hetzartikel“ fehlt die Anspielung auf den „Hitman — Auftragskiller“. Ein Hit Piece ist demnach ein Artikel mit dem Ziel, eine bestimmte Person im Diskurs zu erledigen — die Wahl der Mittel ist dabei zweitrangig.