Die peinliche Marionette
Venezuelas „Übergangspräsident“ Juan Guaidó wurde offensichtlich in Washington gecastet.
Der gewählte Präsident Maduro hat das Ultimatum der EU mit der Forderung nach Neuwahlen als Frechheit bezeichnet und verstreichen lassen. Für eine weitergehende Politik finden die EU-Staaten aber keine gemeinsame Linie. Trump denkt über eine Verschärfung der Sanktionen nach und hält sich militärische Mittel als Option offen. Das erweckt den Eindruck von Entschlossenheit und Kraft. Aber es mehren sich die Zeichen der Ernüchterung.
Der Mann des Volkes?
Die westlichen Medien und Politiker stellen Juan Guaidó als Mann des Volkes dar, dem die Massen zuströmen, was die Bilder „unserer“ Medien auch zu belegen scheinen. An dieser Stelle soll keineswegs bestritten werden, dass es innerhalb der venezolanischen Gesellschaft auch eine große Anzahl von Gegnern Maduros gibt. Dennoch „hatten die wenigsten Venezolaner auch nur seinen Namen gekannt“ (1), als Guaidó vor wenigen Wochen zum Vorsitzenden der Nationalversammlung gewählt worden war.
Zudem überrascht die prompte Reaktion Trumps, der umgehend einen Mann als Übergangspräsidenten anerkennt, der dem eigenen Volk, dem er ja als Präsident vorstehen soll, kaum bekannt ist. Oder wusste man in Washington mehr als in Caracas? „Die amerikanische Regierung schien vorbereitet“ (2). Das verwundert nicht, denn dieser Erklärung Trumps waren „interne Beratungen zwischen dem Nationalen Sicherheitsrat und dem Außenministerium vorausgegangen“ (3).
Bereits am 15. Januar, also gut eine Woche vor der Versammlung, auf der Guaidó sich selbst zum Interimspräsidenten ausgerufen hatte, hatte Senator Marco Rubio der amerikanischen Regierung das Drehbuch der späteren Ereignisse vorgestellt. „Eine Anerkennung Guaidós als Präsident würde das von Washington eingefrorene Auslandsguthaben des venezolanischen Staates, Millionen von Dollar, dem Parlament in Caracas verfügbar machen. Die Gelder könnten eingesetzt werden für humanitäre Hilfe und um Wahlen abzuhalten“ (4).
Für Trump stand von Beginn seiner Amtszeit an fest, „dass Venezuela weit oben auf der Prioritätenliste stehe“ (5). Von langer Hand wurden Vorbereitungen für diesen Schlag gegen Maduro getroffen – in Washington, nicht in Caracas.
„Schon im September 2018 hatte die New York Times über vertrauliche Treffen der amerikanischen Seite mit abtrünnigen Militärs aus Caracas berichtet. Dabei sei darüber geredet worden, ob und gegebenenfalls wie man Maduro stürzen könne“ (6).
Bereits damals war also schon von Sturz die Rede, ehe überhaupt die venezolanische Verfassung als Grundlage und Rechtfertigung des Umsturzversuchs bemüht wurde.
Noch spät in der Nacht vor dessen öffentlichem Auftritt hatte US-Vizepräsident Mike Pence Guaidó angerufen und „Washingtons Unterstützung versprochen, wenn er sich zum amtierenden Staatschef erkläre“ (7). Stammte demnach die Idee und Argumentation weniger aus den Reihen der venezolanischen Opposition als vielmehr aus den Beraterstäben Washingtons?
Und handelte es sich bei diesem Anruf um ein Angebot oder doch eher um eine Aufforderung, nun seinen Teil der Aufgabe zu erfüllen nach all den Vorbereitungen und Vorleistungen, die Washington erbracht hatte? Bedeutete dieser Anruf, dass die Zeit zum Losschlagen gekommen sei? Denn seit Wochen schon hatte es „vertrauliche Gespräche mit der Opposition in Caracas, mit Verbündeten in der Region und mit Außenpolitikern im Kongress gegeben“ (8). Es schien alles gerichtet und in die Wege geleitetet, als Guaidó seine Machtergreifung als Ass aus dem Ärmel zog.
Im Lichte dieser Vorgänge und Vorbereitungen ist es fraglich, ob es sich hier wirklich um die Erhebung eines unterdrückten Volkes gegen seine Tyrannen handelt, wie der Westen sich in der Darstellung der Geschehnisse gefällt.
Das alles erinnert weniger an eine spontane Willensbekundung des Volkes von Venezuela, sondern mehr an die Inszenierung einer weiteren Farbenrevolution, wie man sie zur Genüge kennt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
Und auch der Held und Anführer der Erhebung dürfte wohl mehr in Washington gecastet worden sein als in Caracas. „Die Idee, auf Guaidó zu setzen, soll letztlich von John Bolton (…) und Außenminister Mike Pompeo präferiert worden sein“ (9). Dennoch darf aber trotz all dieser Wühlarbeit amerikanischer Stellen nicht übersehen werden, dass Teile des venezolanischen Volkes Guaidó und seine Pläne unterstützen, ohne vielleicht zu wissen, um wessen Pläne es sich dabei handelt.
Freiheit! Freiheit?
Angesichts dieser Hintergründe seiner Entstehung ist schwer einzuschätzen, wie nachhaltig und durchsetzungsstark dieser Protest gegen Maduro, seine Regierung und die bolivarische Bewegung insgesamt ist. Denn hier handelt es sich nicht um die Armen mit ihren spezifischen sozialen Forderungen nach Arbeit, Brot oder Ähnlichem wie beispielsweise die Gelbwesten in Frankreich, die erklärten: „Wir lehnen uns gegen die hohen Lebenshaltungskosten, die Unsicherheit und die Armut auf“ (10).
Die eher wohlhabend wirkenden Besucher der Veranstaltungen Guaidós (11) fordern in erster Linie „Freiheit“. Aber was immer sie darunter auch verstehen mögen, an Demonstrationsfreiheit scheint es ja nicht zu mangeln, auch wenn die Staatsmacht die Aufmärsche ihrer Gegner behindert. Das tut die französische Staatsmacht gegenüber den Gelbwesten auch, ohne dass deshalb von mangelnder Freiheit in Frankreich gesprochen und Macron von der EU oder Trump zum Rücktritt aufgefordert würde.
Und auch die Meinungsfreiheit Guaidós scheint nicht so sehr eingeschränkt, dass er sich nicht öffentlich erklären dürfte – sogar gegenüber ausländischen Sendern. Es scheint also mit den vonseiten des Westens immer wieder angeführten Einschränkungen der demokratischen Freiheiten nicht so weit her zu sein.
Da gäbe es sicherlich andere Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Bahrein, alle strategische Verbündete des Wertewestens, wo die bürgerlichen Freiheiten in einem erbärmlicheren Zustand sind. Selbst bei den Bürgerprotesten in Bahrein 2011 haben die USA von ihrem dortigen Flottenstützpunkt bei der Massakrierung derer ungerührt zugesehen, die Ähnliches forderten wie die Opposition in Venezuela heute. Trotzdem werden bei diesen strategischen Verbündeten ohne demokratische Legitimation keine Farbenrevolutionen in Gang gesetzt.
Angesichts der offensichtlich sehr tiefen Verstrickung der USA in die neuerliche Belebung der Proteste in Venezuela stellt sich die Frage, inwieweit man diese Proteste als authentische Willenskundgebung der Venezolaner sehen kann? Und diese Frage stellt sich nicht nur für die Beobachter der Vorgänge im Ausland, sondern auch in Venezuela selbst. Wie werden Teile der Opposition reagieren, wenn ihnen offenbar wird, wie sehr sie mit ihren Protesten die Interessen der USA verfolgen?
Um diesen Eindruck nicht erst aufkommen zu lassen und „gewiss auch mit Blick auf die lange, unrühmliche Geschichte von Staatsstreichen in lateinamerikanischen Staaten nach amerikanischem Drehbuch verwies Pence auf einen Passus der venezolanischen Verfassung“ (12). Man ist in Washington offensichtlich sehr bemüht, den Eindruck zu erwecken, dass es bei der aktuellen Auseinandersetzung um die Interessen der Venezolaner geht und nicht um die der USA. Man will wohl unbedingt vermeiden, Guaidó „als Marionette von Gringo-Putschisten“ (13) dastehen zu lassen.
Und die Verfassung?
Zunehmend aber wird gerade diese verfassungsrechtliche Argumentation brüchig. Entweder hat man in Washington schlampig gearbeitet oder man glaubte, die Weltöffentlichkeit hinters Licht führen zu können – mittlerweile kommen Zweifel auf, außer natürlich bei den Grünen und sonstigen Verfechtern „humanitärer Interventionen“, die mit Hinweis auf Menschen- und Minderheitsrechte für jeden Krieg zu haben sind.
Es stellt sich nämlich heraus, dass eben dieses Szenario, das Guaidó für seine Machtergreifung in Anspruch nahm, durch die Verfassung gerade nicht gedeckt ist (14). Es gibt darin überhaupt keinen Passus, der Guaidós Vorgehen absichert. Damit entfällt ein wesentlicher Bestandteil der westlichen Propaganda und Argumentation.
In den Veröffentlichungen der westlichen Medien wird kaum noch unter Hinweis auf die Verfassung argumentiert. Guaidó wird nicht mehr als legitimes Staatsoberhaupt dargestellt.
Nachdem eine gemeinsame Erklärung der EU-Staaten an der Weigerung und den Zweifeln besonders von Italien und Griechenland gescheitert war, hat man das Verhältnis zu Guaidó neu definiert. „Ziel der Erklärung ist keine Anerkennung Guaidós als offizielles Staatsoberhaupt“ (15). Er wird nun herabgestuft auf den Status eines „entscheidenden Ansprechpartners bei dem Bemühen um eine faire und freie Neuwahl des Präsidenten“ (16). Das wäre er aber als Vertreter der Opposition und Präsident der Nationalversammlung vermutlich ohnehin gewesen. Dazu hätte es keines Putschversuches bedurft.
Norbert Röttgen von der CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, spricht gar von einem nur „symbolischen Akt der Unterstützung“ (17) und betont, dass „Guaidó nicht zur Regierung (werde), weil er nicht die faktische Macht hat“ (18). Das macht den Unterschied zu Maduro. Dieser kann Container auf der Brücke zu Kolumbien aufstellen lassen und damit den illegalen Grenzübertritt verhindern. Die Opposition ist aber nicht in der Lage, sie zu entfernen. Es fehlen ihr die Kräfte, die dieses Risiko einzugehen bereit sind.
Mit der Neubestimmung der Rolle Guaidós durch Teile des westlichen Lagers beginnt aber auch schon deren Rückzug aus der Konfrontation mit Maduro. Die Opposition in Venezuela sollte sich allmählich darauf einrichten, dass sie fallengelassen wird wie so viele andere, die den Kopf für die Interessen des Westens hingehalten haben. Es wird sich zeigen, ob sie weiter auf die Unterstützung des Wertewestens setzen kann und ob sie ohne diese Hilfe ihre Position in Venezuela ausbauen und weiteren Zulauf verzeichnen kann.
Neue Deutung
Natürlich kann man vonseiten der westlichen Medien nicht eingestehen, dass man einer falschen juristischen Argumentation aufgesessen ist, ja dass man vielleicht sogar wissentlich ein falsches Bild der Lage gezeichnet hat. Aber es ist ihnen anzumerken, dass sie aufgrund dieser Blamage ordentlich angefressen sind. Man schlägt auf die Unterstützer Maduros ein, die offensichtlich über eine realistischere Einschätzung der Lage in Venezuela verfügten.
Natürlich sind wieder Maduros „Gesinnungsgenossen“ (19) Russland, China, Kuba, die Türkei, aber auch die Fünf-Sterne-Bewegung Italiens diejenigen, denen man wegen der eigenen Blamage und Niederlage grollt. Aber natürlich Putins Russland, Kuba und China halten zu ihm (Maduro). Und der türkische Präsident Erdoğan, auch einer von der Sorte „lupenreiner Demokrat“ (20). Letzterem nimmt man besonders übel, dass er dem Westen – den er aufgrund seiner NATO-Mitgliedschaft eigentlich unterstützen sollte – vorwirft, dass der Westen „ständig von Wahlen und Demokratie rede, dann aber mit Gewalt und List eine Regierung stürze“ (21).
Das trifft sie ins Mark, die Werteorientierten. Da bleibt nur noch Polemik: „Erdoğan fühlt sich wohl im Kreise autoritärer Herrscher. Unter wahren Demokratien ganz offensichtlich nicht“ (22). Nur helfen solche Unsachlichkeit und Giftigkeit nicht weiter, um den Medienkonsumenten von der Rechtmäßigkeit des westlichen Handelns zu überzeugen. Eine neue Sichtweise, eine neue Rechtfertigung muss her.
Und so war der Versuch der Machtergreifung durch Guaidó nicht die Aussetzung der Verfassung durch Betrug an der Verfassung. Nicht Guaidó ist der Putschist, sondern Maduro, der aus Sicht des Kommentatoren durch sein politisches Handeln die Verfassung außer Kraft setzte. Denn „bei Guaidós Vorgehen handelt es sich eben nicht um einen kalkulierten Putschversuch, sondern um den Versuch, zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren“ (23). Und einen solchen Mann gilt es im Sinne der westlichen Werte zu unterstützen.
„Es stünde den westlichen Demokratien nicht gut zu Gesicht, wenn sie sich in einer so zugespitzten Lage nicht auf die Seite derer stellen, die für Recht und Freiheit eintreten“ (24). Denn ein Führer wie Maduro, „der in einem solchen Maße Elend und Unrecht über sein Land bringt, hat seine Legitimität verspielt“ (25).
Wäre das aber nicht auch eine Argumentation, die ebenso auf Macron und die Gelbwesten zutreffen könnte oder auf jede Opposition, die die Leistungen der herrschenden Regierung ähnlich einschätzt – selbst in Deutschland? Mit dieser Argumentation öffnen die Hohepriester des Rechtsstaats den Putschisten Tür und Tor.
Weitere Informationen zum Thema:
Veranstaltung der Jenny-Marx-Gesellschaft in Trier: „Venezuela – Ansichten eines Konflikts“
Mittwoch, 27. Februar 2019 um 19:30 Uhr, Gasthaus Ternes, Trier, Domänenstr. 54
Quellen und Anmerkungen:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.1.2019: „Venezuela am Abgrund“
(2) FAZ vom 25.1.2019: „Der Machtkampf“
(3) ebenda
(4) ebenda
(5) FAZ vom 28.1.2019: „Anruf aus Washington“
(6) ebenda
(7) ebenda
(8) ebenda
(9) ebenda
(10) Aufruf der ersten Generalversammlung der gelben Westen
(11) https://linkezeitung.de/2019/01/29/die-geier-von-caracas/ leider verliert die eigentlich sehr aufschlussreiche analytische Sichtweise des Beitrags an Qualität durch den unnötigen und übertrieben wortradikalen Stil
(12) FAZ vom 28.1.2019: „Anruf aus Washington“
(13) FAZ vom 25.1.2019: „Venezuela am Abgrund
(14) “http://www.antikrieg.com/aktuell/2019_02_03_moralische.htm
(15) FAZ vom 5.2.2019 :“Die Frist ist abgelaufen“
(16) ebenda
(17) ebenda
(18) ebenda
(19) FAZ vom 6.2.2019: „Gesinnungsgenossen“
(20) ebenda
(21) ebenda
(22) ebenda
(23) FAZ vom 8.2.2019: „Wer ist der Putschist?“
(24) FAZ vom 5.2.2019: Für Guaidó
(25) ebenda