Die Parteien und die Überwachung
Im Wahlkampf wird das Thema Überwachung gerne ausgelassen. Wie die Parteien sich dazu positioniert haben, zeigt die folgende Analyse der Wahlprogramme zu der Bundestagswahl 2025. Teil 1 von 2.
Kurz vor der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag sind Themen wie die gestiegenen Lebenshaltungskosten oder die Migrationspolitik omnipräsent. Ein Thema, über das auf offener politischer Bühne nicht so laut gesprochen wird, obwohl es alle Bürger betrifft, ist die Überwachung. In einer Zeit, in der der Internet-Anschluss und digitale Endgeräte aus dem Leben der Menschen nicht mehr wegzudenken sind, kommt auch in der Politik immer wieder der Ruf nach neuen digitalen Befugnissen auf. Eine Analyse der Wahlprogramme für die Bundestagswahl 2025 zeigt, welche der Parteien weiteren digitalen Maßnahmen, zum Beispiel einer biometrischen Erfassung aller Bürger, zustimmen würde und welche Parteien dagegen halten.
Die folgende Analyse zeigt, dass manche Parteien ihre Forderungen nach mehr Digitalisierung und Überwachung nicht gebündelt wiedergeben. An der einen Stelle fordern sie zum Beispiel Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung oder Gesichtserkennung über Videokameras, in einem anderen Dokument ein Digitalministerium für Deutschland, in dem die Entscheidungsbefugnis für die Technologien liegen soll.
Das bedeutet, dass für das Thema des vorliegenden Textes nicht nur die Wahlprogramme und weitere Dokumente analysiert werden, die die jeweilige Partei selbst bereitstellt, sondern auch so manche Äußerung bekannter Politiker. Außerdem wird noch die siebte These zu der automatisierten Gesichtserkennung aus dem Wahl-O-Mat 2025 berücksichtigt: „An Bahnhöfen soll die Bundespolizei Software zur automatisierten Gesichtserkennung einsetzen dürfen.“ Unter dieser Aussage wurden die Begründungen der Parteien in die Rubriken Zustimmung, neutrale Einschätzung und Ablehnung eingeteilt.
Die Parteien
Es gibt, Stand 5. Februar 2025, 114 Parteien und politische Vereinigungen, die bei der Bundeswahlleiterin ihre Unterlagen hinterlegt haben. Davon könnten 41 Parteien an der Bundestagswahl 2025 teilnehmen. Letztendlich sind es 29 Parteien, die bei der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag um die Gunst der Wählerinnen und Wähler buhlen. Aufgrund des Umfangs können in dem folgenden Text nicht alle 29 Parteien berücksichtigt werden. Es werden die Wahlprogramme der Parteien CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Die Linke, das Bündnis Sahra Wagenknecht, Bündnis 90/Die Grünen und Freie Wähler untersucht.
Die CDU/CSU
Derzeit stellen die Christdemokraten im Bundestag die größte Fraktion auf der Seite der Opposition. In ihrem Wahlprogramm und dem Dokument „Sofortprogramm für Wohlstand und Sicherheit“ schlägt die Union vor, die „IP-Adressen“ aller Bürgerinnen und Bürger zu speichern. Auch wenn der dafür viel bekanntere Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ nicht genannt wird, kann es sich nur um diese Maßnahme handeln. Erst im Oktober 2024 haben die Christdemokraten die Vorratsdatenspeicherung explizit gefordert. Die Union ist in ihrem Wahlprogramm der Ansicht, dass sie mit dieser Maßnahme dem „sexuellen Missbrauch von Kindern“ etwas entgegensetzen kann. Wie die Vorratsdatenspeicherung diese schrecklichen Taten verhindern kann, wird nicht erläutert.
Für die CDU und CSU sind „Daten das Gold des 21. Jahrhunderts“. Der Datenschutz sollte „pragmatisch“ sein. Allerdings muss der Datenschutz gegenüber dem „Schutz der Bevölkerung“ wie auch den „Sicherheitsinteressen unseres Staates“ zurückstecken. Denn wer sich über die Vorschriften hinwegsetzt, der darf sich nicht hinter der „Anonymität des Internets“ verstecken.
Die Sicherheitsbehörden bekommen „eine möglichst umfassende Befugnis zur elektronischen Gesichtserkennung“. Sie werden mit „moderner Software“ ausgestattet, mit der sie dann umfangreiche „Datenmengen, polizeiliche(...) Datenbanken und soziale(...)“ Medien analysieren dürfen. Außerdem soll es „für alle Bundessicherheitsbehörden“ Berechtigungen, zum Beispiel eine „Online-Durchsuchung“, geben.
Unter dem Thema Bildung schreiben die Christdemokraten, dass sie für alle Schulkinder „eine ländergemeinsame datenschutzkonforme Identifikationsnummer“ einführen möchten. Diese Nummer wird als „Schüler-ID“ und auch „Statistik-ID“ beworben.
Für die älteren Mitbürger wird die Union die bereits bestehende „BundID (...) zu einer einheitlichen DeutschlandID weiterentwickeln.“ Kurzum: Ein „(d)igitales Bürgerkonto“ für alle. (1)
Mitte Februar 2025 hat die Ampelregierung einen Gesetzentwurf zur Digitalisierung des Straßenverkehrsrechts beschlossen. Das heißt für die Autofahrer, dass sie künftig ihren Führer- wie auch Fahrzeugschein über das Smartphone nachweisen können. Dieses Vorhaben geht auf den damaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zurück und sollte bereits im Sommer 2021 umgesetzt werden. In ihrem Wahlprogramm fordern CDU/CSU nicht nur eine „europaweit(e)“ Ausweisfunktion auf dem Smartphone für den Führerschein, sondern auch für den „Personalausweis“. Was hier nicht erwähnt wird, ist der Umstand, dass dann auch Fingerabdrücke auf dem Smartphone gespeichert werden, weil diese seit August 2021 bei neuen Personalausweisen Pflicht sind.
Was die elektronische Patientenakte betrifft, weicht der Bundesvorsitzende der CDU und Kanzlerkandidat Friedrich Merz von dem Wahlprogramm ab. Denn in dem Programm steht, dass die Union „(di)e Potenziale der elektronischen Patientenakte (...) weiter ausschöpfen“ möchte. Friedrich Merz dagegen ging vor kurzem noch ein Stück weiter. Er sprach sich dafür aus, diejenigen zu belohnen, die einer vollumfänglichen Nutzung ihrer elektronischen Patientenakte zugestimmt haben. Diese Personen könnten „zum Beispiel zehn Prozent niedrigere Krankenversicherungsbeiträge zahlen“ als die Personen, die ihre elektronische Akte nicht (vollumfänglich) nutzen.
Weitere Dokumente
Auf der Webseite der Union werden neben dem bereits genannten „Sofortprogramm“ noch weitere Dokumente vorgestellt. In „Politikwechsel für Deutschland“ wie auch in der Langfassung des Wahlprogramms stellt die Union ein „Digitalministerium für Deutschland“ in Aussicht. Dort möchten CDU und CSU alle „Zuständigkeiten“, die die Digitalisierung mit sich bringt, „bündeln“.
Der 29. Januar 2025 war in den Medien sehr präsent. Denn an diesem Tag wurde die „Brandmauer“ im Bundestag kurzzeitig eingerissen: Die Union hat einen Antrag über die Migrationspolitik eingebracht, die AfD, die FDP sowie einige fraktionslose Mitglieder stimmten mit ihnen mit Ja. Somit hat der Bundestag den 5-Punkte-Plan der Union angenommen. An diesem Tag hat die Fraktion der CDU/CSU noch einen zweiten Entschließungsantrag eingebracht, doch der wurde mehrheitlich abgelehnt. (2,3)
In diesem zweiten Antrag fordert die Union wie in ihrem Wahlprogramm die Vorratsdatenspeicherung — auch wenn sie wieder nicht explizit genannt wird — , einen verbesserten „Daten- und Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden“ — vor allem zwischen dem „Bundeskriminalamt und der Bundespolizei“ —, den Ausbau der „elektronischen Gesichtserkennung (...) an besonders kriminalitätsbelasteten Orten wie Bahnhöfen und Flughäfen“ und die „Analyse großer Datenmengen, polizeilicher Datenbanken und sozialer Netzwerke“. Dafür möchte die Union auch Instrumente wie die „Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung“ bereitstellen. Was in diesem Antrag im Gegensatz zu dem Wahlprogramm neu ist, ist der Punkt, dass die Gesichtserkennung in „Echtzeit“ geschehen soll. Friedrich Pürner, Mitglied des Europäischen Parlaments (fraktionslos, vorher BSW), sieht in diesem Antrag „den Ausbau eines Überwachungsstaates“.
In dem Wahl-O-Mat 2025 stimmen die Christdemokraten für die automatisierte Gesichtserkennung an Bahnhöfen.
In der Begründung wird eine Passage aus dem Wahlprogramm wiedergegeben. In zwei Punkten geht diese Begründung über den Antrag hinaus, den sie vor kurzem im Bundestag eingereicht haben: 1. Fordern sie die Gesichtserkennung nicht nur, wie im Antrag dargelegt, für Bahnhöfe und Flughäfen, sondern auch für alle kriminalitätsbelasteten Orte. 2. Möchte die Union die Videoüberwachung grundsätzlich „an öffentlichen Gefahrenorten“ ausbauen.
Die AfD
Die Alternative für Deutschland „wendet sich (...) gegen jede Anwendung der Digitalisierung, die totalitäre Strukturen befördert“. In ihrem Wahlprogramm kritisiert die AfD weiter die Bevormundung der Bürger durch Technik und den Einfluss, den „nicht-staatliche Akteure“ auf die „Meinungsäußerung“ haben. Die staatliche Finanzierung dieser Akteure wie zum Beispiel „Faktenchecker“ lehnen sie ab, wie auch den „Digital Services Act (DSA)“ und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). So möchte die AfD „die Autonomie der Bürger im digitalen Zeitalter (…) gewährleisten“.
Der DSA, der am 17. Februar 2024 vollständig in Kraft trat, ist im Grunde eine Fortsetzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes aus dem Jahre 2017. Kurz gesagt, verpflichtet das NetzDG beziehungsweise der DSA die Betreiber von Internet-Plattformen dazu, rechtswidrige Inhalte schnell zu löschen, ansonsten müssen sie mit einem hohen Bußgeld rechnen. Das könnte dazu führen, dass die Betreiber lieber mehr löschen, als sie eigentlich müssten. Es ist von „Zensur“ die Rede, weil Aussagen, „die der Regierung unangenehm sind“, als „rechtswidrig“ abgestempelt werden könnten und somit gelöscht werden.
Neben der CDU/CSU ist die AfD die einzige Partei, die die These zu der automatisierten Gesichtserkennung im Wahl-O-Mat bejaht. Das fehlende Personal bei der Polizei will die AfD mit der Gesichtserkennung kompensieren. Ihrer Ansicht nach können „(d)atenschutzrechtliche Bedenken (...) ausgeräumt werden.“
Die Grünen
In dem „Regierungsprogramm“ der Partei Bündnis 90/Die Grünen, soll der Datenschutz „stark vereinfacht“ werden. Sie lehnen Instrumente wie „Vorratsdatenspeicherungen, Chatkontrolle oder die biometrische Erfassung im öffentlichen Raum“ ab. Wie die FDP setzen auch sie auf das „Quick-Freeze-Verfahren“. Außerdem sprechen die Grünen sich dafür aus, dass die Polizei ihre Daten mithilfe einer Künstlichen Intelligenz „schneller und effektiver miteinander (...) verknüpfen“ kann. Ob die Grünen hierbei an alle Sicherheitsbehörden oder nur an einzelne Institutionen denken, wird an dieser Stelle nicht deutlich.
Für den Kampf gegen „Hasskriminalität im Internet und in den sozialen Medien“ verlangen die Grünen explizit, dass die „Medienanstalten der Bundesländer (...) weitere Ressourcen erhalten, um“ den digitalen Hass verfolgen und löschen zu können. Die Hasskriminalität ist auch einer der Gründe, wieso die „polizeiliche(n) Datenbanken“ verbessert werden sollen.
Bei anonymen Accounts wollen die Grünen den Strafverfolgungsbehörden die „Login-Falle“ an die Hand geben und „Accountsperren (...) ermöglichen.“ Wie genau sich dieser Hass beziehungsweise diese Hasskriminalität zeigt und wo die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Verbotenen liegen, wird in dem Wahlprogramm der Grünen nicht erläutert.
Die Grünen wollen außerdem den Digital-Service-Act (kurz DSA, eine Verordnung der EU), der hierzulande durch das sogenannte „Digitale-Dienste-Gesetz“ geregelt wird, „konsequent(...)“ und „beharrlich“ umsetzen.
Im Wahl-O-Mat 2025 erteilen die Grünen der automatisierten Gesichtserkennung eine Abfuhr, weil sie mit dieser Maßnahme nicht die „Freiheit“ der Menschen beschneiden wollen. Allerdings sprechen sie sich, ähnlich wie die Union, für den Ausbau der „Kameraüberwachung an Bahnhöfen und anderen gefährdeten öffentlichen Orten“ aus.
Im zweiten Teil werden die Wahlprogramme von der SPD, den Freien Wählern, der FDP, Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht untersucht.