Die Normalität des Hasses
Bewegungen wie #wirsindmehr und #unteilbar verstricken sich in dem Widerspruch, Hass mit Hass bekämpfen zu wollen.
Symptomatisch hierfür steht das neue Lied „Alle hassen Nazis“ der Band Kafvka. Sie erklärt Hass zur Normalität und betrachtet Neonazis als das vom Himmel gefallene Böse, ohne die gesellschaftlichen sowie sozio-ökonomischen Umstände zu betrachten, die Menschen erst zu Neonazis werden lassen. Dies spielt der neoliberalen Agenda in die Hände, da diese Haltung spaltet und die Menschen innerlich von sich selber und von anderen trennt, da ihr eigener Hass sie blendet.
Anfang November erschien der Song „Alle hassen Nazis“ der Berliner Band Kafvka. Das dazugehörige Musikvideo entstand im Oktober auf der teilenden #unteilbar-Demo in Berlin. Das Oxymoron der teilenden Unteilbarkeit, also die Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe, wird uns diesen gesamten Artikel hindurch begleiten.
Bevor wir uns jedoch der Forderung widmen, Hass zu normalisieren, soll erst einmal begründet werden, warum ein Musikvideo Gegenstand dieses Artikels ist, welches zum Zeitpunkt dieser Niederschrift nicht einmal zehntausend Klicks auf YouTube verzeichnet hatte. Kafvkas Song spiegelt am allerdeutlichsten ein gesellschaftliches Phänomen wieder, das in Zeiten von #wirsindmehr und #unteilbar vor allem im links-liberalen Milieu der gehobenen Mittelschicht und der Grünen-Wählerschaft Einzug hält: „Wir sind die Guten! Die anderen sind böse Nazis oder provinzielle Proleten. Wir hingegen sind die weltoffenen, kultivierten Bildungsbürger.“
Doch was singt, beziehungsweise schreit Sänger Jonas von Kafvka in dem Musikvideo dem Zuschauer entgegen? Im Refrain heißt es:
„Das ist ja nicht einmal links, was ich sag,
guck mal, wir sind ja nicht einmal links-radikal,
das ist einfach nur normal,
alle hassen Nazis,
alle hassen Nazis.“
Der Refrain ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einerseits maßt sich die Band an, für einen sehr großen Teil der Nicht-Nazi-Bevölkerung – wobei diese Grenze im heutigen Schwarzweißdenken sehr schwammig ist – sprechen zu können. Woher will die Band bitte wissen, dass Millionen Menschen Nazis hassen? Also wirklich hassen! „Hassen“ und „nicht mögen“ ist immerhin noch ein brisanter Unterschied.
Das wirklich Fatale ist am Ende jedoch, dass Hass zur Normalität erklärt wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jeder, der gegen eine gewisse Gruppe von Menschen – Nazis – keinen Hass empfindet, nicht normal sei. Je nach Kontext ist „normal“ oder „unnormal“ entweder positiv oder negativ konnotiert. Jemand, der die Gesellschaft als „krank“ betrachtet, würde den Vorwurf, unnormal zu sein, eher als Kompliment verstehen. Hier ist „normal sein“ jedoch eine erstrebenswerte Eigenschaft.
Vereinfachung und Feindbilder
Soll das nun ein Aufruf sein, mit Nazis zu sympathisieren? Nein! Doch zwischen Antipathie und Hass liegt ein sehr breites Feld. Nur bleibt dieses Feld unsichtbar, wenn man wie auf einem Schachbrettmuster nur schwarze und weiße Felder sieht. Und natürlich erklingt in meinen Ohren beim Anblick eines glatzköpfigen Neonazis nicht der Ohrwurm von John Paul Young: „Love is in the air“. Die Ablehnung des Hassbegriffs bedeutet ebenfalls nicht, dass man Nazis in ihren Taten völlig freien Lauf und Narrenfreiheit gewähren möchte. Wenn Nazis gewalttätig werden, ist natürlich jeder aufgefordert, diese Taten zu verhindern! Wenn es die eigene Physis zulässt, auch mit Körpereinsatz.
Die Band Kafvka macht es sich hier sehr einfach. Hassen kann jeder! Hassen ist einfach! Fühlen und nach Ursachen zu suchen, erfordert hingegen einiges an emotionalem sowie geistigem Einsatz.
An dieser Gefühlsscheu und Denkfaulheit krankt leider jede Band der #wirsindmehr-Chose. Man hackt sich die Nase ab, statt die Erkältung zu heilen. Über die Symptome schreit man sich heiser, zu den Ursachen hüllt man sich in Schweigen. In dieser ganzen Debatte kann man Bertolt Brecht nicht oft genug zitieren:
„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden.“
Und diese Zustände beginnen mit demselben Anfangsbuchstaben wie die Band – Kapitalismus. Der ungezügelte Raubtierkapitalismus, der weltweit Profit aus der Arbeitskraft der Lohnabhängigen schöpft, die Natur vergewaltigt und sie ihrer Rohstoffe beraubt, schafft erst den Boden, auf dem Faschismus gedeihen kann. Und er, der Kapitalismus, ist Bands wie Kafvka dankbar, die über ihn – nahezu – schweigen, aber das Denken in Bevölkerungsgruppen verteufeln und damit implizit auch Staatsgrenzen, die es beispielsweise durch Zölle noch halbwegs vermögen, das Kapital in die Schranken zu weisen.
Widersprüche
Allerdings weiß man bei Kafvka nie so wirklich, woran man ist. Schreien sie bei „Fick dein Volk“ noch: „Es gibt kein Volk, du bist allein!“, wünschen sie sich in „Utopie“, dass „alle Menschen bekommen, was sie wollen, und sie (…) fürs Volk (denken) (und) nicht jeder für sich selbst.“ Ja, was denn nun? Gibt es nun ein Volk oder nicht? Ist man jetzt allein oder gilt: #wirsindmehr?
Beim genauen Hinschauen finden sich zahlreiche Paradoxien und Widersprüche innerhalb vieler #wirsindmehr- und #unteilbar-Teilnehmer, die auf irgendeine Art und Weise auch mit den systemimmanenten Widersprüchen – unendliches Wachstum auf endlichen Raum – korrespondieren. Auf der einen Seite gibt sich diese Bewegung sehr weltoffen, selbstlos und tolerant, brandmarkt aber zugleich all jene als Nazis, die sich auch nur einen Millimeter zu viel dem äußeren Dunstkreis des als rechts deklarierten Epizentrums nähern. Unter diesen befinden sich zahlreiche Bürger, die sich berechtigte Sorgen um ihre Familien, also auch um andere machen, da sie sich in den Innenstädten seit einigen Jahren unsicherer fühlen.
Diesen wirft man nun vor, neidisch auf Flüchtlinge zu stieren und nur ihr eigenes Wohl im Sinne zu haben – während aber ein großer Teil der #wirsindmehr- und #unteilbar-Besucher beim Demonstrieren seinem von Narzissmus getränkten Instagram-Protest frönen und sich in prachtvoller Selfie-Ästhetik beim Kampf gegen den Faschismus von der Handy-Frontkamera ablichten lassen darf.
Wer in seiner Weltsicht nahezu ausschließlich in binären Kategorien denkt, benötigt ein Feindbild beziehungsweise ein Hass-Objekt, das dem Tag Struktur gibt. Das weiß Volker Pispers schon lange. Über den Umgang mit diesem Feindbild des Neonazis ist man sich innerhalb der unteilbaren, mehr seienden Truppe ebenfalls nicht ganz sicher, wie so mancher Laternenpfahl zeigt, auf dem zwei Aufkleber haften: Der erste noch mit dem Schriftzug: „Kein Sex mit Nazis“, der letzte mit der Forderung: „Fuck Nazis!“. Verwirrt? Ich auch!
Scheinbar wird hier auch nie die Frage aufgeworfen, wo Nazis eigentlich herkommen. Und wie ein Mensch – denn Menschen mit Würde sind auch sie – überhaupt zu einem Neonazi wird.
Viele scheinen dem Irrglauben erlegen zu sein, Neonazis kämen bei der Geburt mit der zum Hitlergruß ausgestreckten Hand und den Worten: „Sieg heil, meine Hebamme!“ zur Welt.
Dass sozio-ökonomische Umstände, Traumata- oder Entfremdungserfahrungen die Ursache dafür seien könnten, dass sich Menschen eine Glatze rasieren und Hass auf Fremde entwickeln, scheint Vielen aus dem links-liberalen Spektrum nicht in den Sinn zu kommen.
Teilen, abwerten, töten
Die unbewusste TAT-Formel von Dr. Daniele Ganser lässt sich auch hier wiederentdecken. Zuerst teilt man – auch wenn sich viele das Attribut „unteilbar“ auf die Fahne schreiben. Sie teilen. #wirsindmehr heißt am Ende: „Wir sind mehr als X“. Man schafft hier eine Kluft zwischen einer etwaigen Mehrheit und einer Minderheit. Diese Minderheit wird dann abgewertet.
Sie wird mit Begriffen wie „Pimmel mit Ohren“, so Augstein, „white trash“ oder noch verächtlicheren Bezeichnungen gebrandmarkt. Und dann würde eigentlich die dritte Stufe folgen: Töten! Das Töten von Nazis wäre damit letzte Konsequenz. Ist das den #wirsindmehr-Besuchern bewusst? Wie sonst soll die Endlös… – pardon – die endgültige Lösung für das Problem der Neonazis aussehen? Wo sollen die Neonazis hingehen, wenn man ihnen zuruft, abzuhauen? Schließlich leben wir auf einer Kugel. Vereinfacht gesagt, kommt das, was man nach Osten schiebt, aus dem Westen wieder. Was soll man also mit den Nazis machen? Sie auf einen anderen Planeten zu deportieren, ist technisch nicht möglich. Soll man Nazis so lange hassen, bis sie sich besinnen und auf die andere Seite kommen?
Mit dieser Überspitzung möchte ich aufzeigen, dass der Weg des Teilens und Abwertens in eine tödliche Sackgasse mündet. Kafvka würde nun vielleicht im selbigen Song entgegnen:
„Halt die Fresse, wenn du relativierst
wegen Menschen wie dir hat das fucking Dritte Reich funktioniert.“
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Das Dritte Reich hat natürlich aufgrund der Passivität vieler Leute funktioniert, aber auch zu einem nicht unwesentlichen Teil deswegen, weil viele Leute Hass in sich trugen. Und diesen möchte Kafvka zur Normalität erklären.
Hass und andere Gefühle
Von allen Gefühlen dürfte Hass am leichtesten zu erleben sein. Setzen wir die Nazi-Problematik in eine Herr-der-Ringe-Analogie ein. Hier seien Neonazis Orks, also die Schergen des Bösen. In dieser Erzählung ist es sehr einfach, die Orks zu Abertausenden zu bekämpfen und dabei Figuren wie Legolas und Gimli Spaß haben zu lassen. Doch egal, wie viele Orks niedergestreckt werden – Mordor, das Epizentrum des Bösen, kann nur dadurch zerstört werden, dass man sich in dessen tiefste Herzkammern begibt und mit dem eigenen „bösen“ Anteil in sich selbst auseinandersetzt.
Was bedeutet das nun in der Realität? Einerseits, dass man den einfachen Weg des Hasses verlässt und versucht, den Täter von heute als das Opfer von gestern zu betrachten – und sich umgekehrt dessen gewahr wird, dass die, die heute zu Opfern werden, die Täter von morgen sein könnten. Es könnte helfen, zu versuchen, sich vorzustellen, wie ein Neonazi in seiner Kindheit aussah. Es gilt, die Gewaltspirale zu durchbrechen.
Und andererseits ist es wichtig, sich der eigenen destruktiven, „bösen“ und feindseligen Eigenschaften bewusst zu werden. Den Aussagen der Band in diesem Lied zufolge sind die Bösen nur die anderen. Man selbst ist ein unschuldiges Lamm mit einem Fell so weiß wie die eigene Weste. Dass die Welt gerade so ist, wie sie ist, liegt einfach nur an den bösen Neonazis und nicht auch an dem eigenen Lebensstil. So einfach können Botschaften lauten.
Aber verhalten wir uns als Konsumenten nicht ebenfalls – wenn auch indirekt – ausländerfeindlich? Ist der Kauf eines neuen Smartphones oder eines H&M-Shirts für 9,99 Euro nicht ebenfalls eine ausländerfeindliche Tat? Schließlich zahlen ausländische Kinder und Erwachsene beim giftigen Coltan-Abbau in den Minen des Kongos oder bei der Arbeit in prekären Nähfabriken in Bangladesch mindestens mit ihrer Gesundheit, manchmal sogar mit ihrem Leben. Oder ist das Fliegen – eine für den kosmopolitischen Lebensstil unentbehrliche Fortbewegungsart – nicht ebenso ausländerfeindlich, wenn durch die daraus resultierende Klimaerwärmung der Meeresspiegel steigt und die Heimat vieler Inselbewohner baden geht? So viel zu unserer ausländerfeindlichen Rolle als Konsument, aber blicken wir zurück auf Kafvka.
Ich frage mich, ob der Band eigentlich bewusst ist, dass der Refrain ihres Liedes „Alle hassen Nazis“ nur zwei Wörter von einer Nazi-Parole entfernt liegt. Ersetzen wir doch einfach die Wörter „links“ und „Nazis“ durch „rechts“ und „Ausländern“ und heraus kommt:
„Das ist ja nicht einmal rechts, was ich sag,
guck mal, wir sind ja nicht einmal rechts-radikal,
das ist einfach nur normal,
alle hassen Ausländer,
alle hassen Ausländer.“
Gleicher Hass, nur der Adressat ist ein anderer. Bezeichnenderweise heißt es weiterhin in der originalen Bridge:
„Nazis sind krank, wir müssen die Chemo sein/
ist eine lange Therapie.“
Auch dieses Bildnis hinkt. Nazis werden mit einem Krebsgeschwür gleichgesetzt und Kafvka samt ihrer #wirsindmehr-Avantgarde verstehen sich als eine Chemotherapie. Ein unglücklicher Vergleich, oder? Denn eine Chemo ist eine Behandlung von Krebspatienten mit giftigen Arzneisubstanzen, bei denen als Nebenwirkung die Haare ausfallen, respektive Glatzen entstehen. Ups! Gleichzeitig rückt in diesem Vergleich die Entstehung von Krebs in den Hintergrund. Wir wissen heute, dass Krebs häufig durch unsere Lebensführung entsteht, durch die Art, wie wir uns ernähren, aber auch durch unsere psychische Verfassung. Und Hass, als das destruktivste Gefühl, dürfte denkbar ungeeignet für eine Krebs-Prävention sein!
Besieht man sich den vehementen Versuch Kafvkas und Co, Hass mit Hass zu bekämpfen, kann man eigentlich froh darüber sein, dass die Bandmitglieder sich entschieden haben, Musiker zu werden und nicht zur Feuerwehr zu gehen – bei einem Brandeinsatz würden sie womöglich statt mit Wasserschläuchen mit Benzinkanistern ausrücken.
Ich will hier nicht leugnen, dass ich selbst ebenfalls häufig Hass empfinde. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dieser Gefühlschwall des Hasses noch nie etwas Konstruktives hervorgebracht hat. Noch nie! Meist mündete diese Gefühlslage in Ohnmacht oder Resignation. Wir müssen uns somit der Herausforderung stellen, die Subjekte unseres Hasses zu verstehen und die Täter-Opfer-Dynamik dahinter zu erkennen. Wir werden zweifellos nie einen Zustand einer wir-haben-uns-alle-lieb-Gesellschaft erreichen. Erreichen müssen wir stattdessen ein gesellschaftliches Klima, in dem alle ideologischen Konflikte gewaltfrei und respektvoll ausgetragen werden.
Dass der Knoten des Hasses und der Gewalt gelöst werden kann, zeigen Filme wie American History X. Menschen wie Ex-Nazi-Rocker Philip Schlaffer (https://www.youtube.com/watch?v=BZHP7qLcBms) verdeutlichen uns zudem, wie Menschen in Neonazi-Szenen hineinrutschen, welche Lebensereignisse solche Entscheidungen begünstigen, welche menschlichen Dramen sich dahinter verbergen und wie es möglich ist, aus diesen Kreisen auszubrechen. Wir müssen – so verdammt schwer das manchmal auch sein mag – nach dem Verbindenden statt nach dem Trennenden suchen.
Statt #wirsindmehr muss die Devise trotz zahlreicher Differenzen lauten: #wirsindeins!