Die Mitwisserin
Die britische Justiz foltert den Whistleblower Julian Assange — hohe EU-Funktionäre wie Ursula von der Leyen dürften mitverantwortlich sein.
Mediziner haben in The Lancet gegen die Folter von Julian Assange durch die Briten protestiert. Alle Verantwortlichen, die sich dazu in Schweigen hüllen und nicht einschreiten, machen sich mitschuldig. Dazu könnte neben der Londoner Justiz und Regierung auch die dauer-fröhliche EU-Chefin von Merkels Gnaden gehören. Müsste demnach auch Ursula von der Leyen als Folter-Verantwortliche vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag?
In der weltweit führenden medizinischen Fachzeitschrift The Lancet warnen erneut mehr als 200 angesehene Ärzte und Psychologen aus 33 Ländern, dass Verantwortliche in Großbritannien für die Folter zur Verantwortung gezogen werden können (1). Ein sehr ungewöhnlicher Schritt: Fachzeitschriften halten sich normalerweise aus der Politik heraus. Doch das zynische Schweigen der sich selbst als „freie Medien“ feiernden Mainstream-Berichterstattung des Westens wollen viele Mediziner nicht mehr tolerieren. Die EU, ihre Politiker und Journalisten schwingen sich in aller Welt zum Lehrmeister in Sachen Menschenrechte auf, aber der Skandal der fortgesetzten Folter von Julian Assange wird nur alle paar Monate mit halbherzig erwähnt und seine Behandlung kritisiert.
Bedeutsame Fakten werden verschwiegen: Etwa die Enthüllung von UNO-Folterexperten Nils Melzer (2), der ursprünglich als Haftgrund vorgeschobene „Vergewaltigungsverdacht“ basiere auf manipulierten, gefälschten und erpressten Aussagen: Den angeblichen Aussagen der beiden Schwedinnen, die zehn Jahre lang der Weltöffentlichkeit als angebliche Opfer von Assange präsentiert wurden.
„Assange ist an einem chronischen Lungenleiden erkrankt. Nach Jahren in der ecuadorianischen Botschaft und der psychologischer Folter im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sei es „sehr wahrscheinlich“, dass Assanges Immunsystem „ernsthaft geschwächt“ ist. Und das erhöht tödliche Gefahren bei einer Coronavirus-Erkrankung deutlich, die Pandemie hat sich auch in britischen Gefängnissen ausgebreitet“, so Ralf Streck (3).
„Das Schweigen muss gebrochen werden“, fordern die Ärzte und Psychologen.
Julian Assange wurde mit der „Vergewaltigungs“-Beschuldigung über Nacht zur Unperson gemacht, man wandte sich ab, Spekulationen über „die beiden Schwedinnen“ ersetzten die Debatte der Enthüllungen von Wikileaks. Eine klassische CIA-Medienmanipulation hatte die Kriegsverbrechen der USA in den Augen der Weltöffentlichkeit hinter einer gefaketen Untat des Whistleblowers verschwinden lassen. Wikileaks hat Jahre ums Überleben kämpfen müssen und sich nie wieder völlig erholt, während Julian Assange angeklagt, verfolgt und von den Medien verleumdet wurde.
Heute kerkert die EU-Regierung in London den Wikileaks-Gründer unter unmenschlichen Bedingungen im Hochsicherheitsknast Belmarsh ein. Aber hunderte Ärzte protestieren, wo unsere heuchelnde Journaille verbissen schweigt — statt jeden Tag das Ende der Folter eines Mannes zu fordern, den sie selbst ein Jahrzehnt unter falschen „Vergewaltigungsverdacht“ stellten, und damit halfen, seine brutale Behandlung vorzubereiten und zu decken.
Am Tag des Folteropfers: Protest gegen EU-Regierung in London
In einer Pressemitteilung warnte Lissa Johnson, Führungsmitglied der „Doctors for Assange“, die sich für den Journalisten Julian Assange einsetzt, dass sich die Verantwortlichen auch strafbar machen:
„Nach der Konvention gegen Folter sind diejenigen, die in offizieller Eigenschaft handeln, nicht nur für die Verübung von Folter, sondern auch für ihre stillschweigende Duldung und Zustimmung mitschuldig und können zur Rechenschaft gezogen werden“ (4).
Die britische Regierung und Justiz, doch weil Großbritannien derzeit noch EU-Mitglied ist: Auch Ursula von der Leyen?
Schon im Februar 2020 hatten 117 Ärzte und Psychologen aus 18 verschiedenen Ländern in einem Schreiben in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet die „Beendigung der psychologischen Folter und medizinischen Vernachlässigung“ am WikiLeaks-Begründers Julian Assange gefordert (3): Nun haben 216 Ärzte und Psychologen am Freitag, dem internationalen Tag zur Unterstützung der Folteropfer, in The Lancet nachgelegt und erneut „andauernde Folter und medizinische Vernachlässigung“ angeprangert (1).
Mehr als 200 angesehene Ärzte aus der ganzen Welt haben ihre Forderung nach einem Ende der psychologischen Folter des WikiLeaks-Gründers Julian Assange und nach seiner sofortigen Freilassung aus Belmarsh erneuert. Die Mediziner beziehen sich dabei auch auf den UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer, dessen Enthüllung der heimtückischen Beweisfälschung gegen Assange auf Rubikon (5, 6) und Scharf-links.de (7) mehrfach dokumentiert wurde.
Die Mediziner haben über sechs Monate die Misshandlung von Julian Assange dokumentiert und erklären, dass die psychologische Folter sogar noch intensiviert worden sei: Sie habe zum Ziel, den Dissidenten Assange als Persönlichkeit zu zerstören. Die britische Regierung orientiert sich dabei offenbar am totalitären Folterregime aus Orwells „1984“, das auch in London angesiedelt war. Der Journalist Assange sei, so die Mediziner, isoliert und 23 Stunden eingeschlossen. „Isolation und Reizarmut sind zentrale psychologische Foltertaktiken, die schwere Verzweiflung hervorrufen können, Orientierungslosigkeit, Destabilisierung und Zerfall wichtiger geistiger Funktionen”, heißt es in dem Brief. Die brutalen Menschenrechtsverletzungen schaffen einen „Präzedenzfall” von internationaler Bedeutung, stellen die Ärzte und Psychologen fest:
Das Vorgehen gegen den Journalisten und Verleger Julian Assange sei auch ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit.
Wie erbärmlich ist es, dass dies von unserer Presse nicht täglich angeprangert wird? Dass erst Ärzte es unseren Mainstream-Journalisten unter die Nase reiben müssen?
Unrechtsjustiz in einem politischen Schauprozess
Die Isolationsfolter habe sich, so die Mediziner, im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus in Belmarsh sogar noch verschärft — den lungenkranken Assange im Rahmen einer Haftverschonung zu entlassen, lehnte die britische Justiz ab — als wäre er ein gefährlicher Terrorist. Gleichzeitig würden Verteidigungsrechte von Assange darüber grob verletzt, im Verfahren um seine Auslieferung in die USA werde ihm sogar zum Teil der Kontakt mit seinen Anwälten verweigert. Er konnte zum Großteil an den Anhörungen nicht teilnehmen. Wenn er anwesend sein konnte, saß der Mann, der niemanden angegriffen oder ermordet hat, sondern vielmehr staatlichen Mord aufgedeckt hat, zum Teil mit Handschellen gefesselt in einem „kugelsicheren Glaskäfig“ im Gericht.
Darin konnte der geschwächte Dissident den von erlogenen Beschuldigungen, immer neuen Diffamierungen und selbstgerechten Schutzbehauptungen nur so strotzenden Ausführungen seiner Verfolger aus den USA allein akustisch nicht angemessen folgen. Treffen mit Anwälten würden ihm genauso verweigert wie eine unzensierte und unkontrollierte Aussprache mit seinen Verteidigern.
Dies ist kein normaler Prozess: Es ist Unrechtsjustiz, wie man sie nur aus totalitären Regimen kennt. Bezweifelt wird, dass er an den abschließenden Anhörungen im September 2020 teilnehmen kann, auf die er sich real unter diesen Bedingungen auch nicht vorbereiten kann.
So wird auch in dem Brief darauf hingewiesen, dass von Assange keinerlei Gefahr ausgeht, er lediglich in Untersuchungshaft sitzt und keine Strafe für ein Verbrechen verbüßt; Inhaftierung ist in diesem Fall eigentlich die Ausnahme und nicht die Regel. Für die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung — und wer sollte dies besser beurteilen können als sie? — ist Assange offensichtlich willkürlich inhaftiert. Allein das müsste ausreichend Grundlage dafür sein, Assange endlich auf Kaution freizulassen, doch dies wird auch trotz des bedrohlichen Gesundheitszustands des Journalisten verweigert.
„Wir haben die berufliche und ethische Pflicht, uns gegen Folter auszusprechen, über Folterungen in der Vergangenheit zu berichten, gegenwärtige Folterungen zu beenden und zukünftige Folterungen zu verhindern“, heißt es in dem veröffentlichten Brief. Verwiesen wird auch darauf, dass zwischenzeitlich auch davor gewarnt worden war, dass die Maßnahmen zum Tod von Assange führen könnten. „Das Schweigen muss gebrochen werden“, fordern die Ärzte und Psychologen.
Einseitige Kritik
Am Tag des Folteropfers, am 26. Juni 2020, haben sich unsere Politiker erwartungsgemäß gegen Folter ausgesprochen. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Brand, meint zwar:
„Der Kampf gegen Folter ist lange nicht vorbei.“
Doch er hatte dabei natürlich nicht die USA, die Briten oder die EU im Sinn, sondern wieder einmal nur Syrien, China und — dank westlicher Medienkampagnen — Venezuela. Sogar die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert, „Verantwortliche nicht ungestraft davonkommen lassen“ und dass die Weltgemeinschaft nicht wegschauen dürfe. Angeblicher Einsatz für Folteropfer wird missbraucht, um gegen geopolitische Konkurrenten zu hetzen — statt den größten Folterskandal unserer Zeit, die an Julian Assange begangenen und weiter fortgesetzten Verbrechen, zu beenden.
„Und tatsächlich liefert auch Deutschland immer wieder Folteropfer an Folterstaaten wie die Türkei aus. Man drückt vor allem bei derlei Vorgängen auch noch die Hühneraugen zu, wenn sich die Vorgänge in der EU wie in Spanien abspielen. So wird keinerlei Druck auf Spanien ausgeübt, die sogar bestialische physische Folter, die nach Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg auch Journalisten trifft, zu beenden. Von den Verbrechen der staatlichen Todesschwadronen soll nicht einmal gesprochen werden, die Menschen zum Teil zu Tode gefoltert haben. Auch diese Vorgänge werden in Spanien noch immer unter den Teppich gekehrt und auch die EU schaut geflissentlich weg“, so Ralf Streck (3).
Quellen und Anmerkungen:
(1) William Hogan und andere: The ongoing torture and medical neglect of Julian Assange, The Lancet, 25. Juni 2020, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31444-6/fulltext
(2) Nils Melzer: State responsibility for the torture of Julian Assange—speech by UN Special Rapporteur on Torture, at the German Bundestag in Berlin, 27. November 2019, 16. Dezember 2019, https://medium.com/@njmelzer/state-responsibility-for-the-torture-of-julian-assange-40935ea5d7c3
(3) Ralf Streck: „Andauernde Folter und medizinischen Vernachlässigung von Julian Assange”, Telepolis 28. Juni 2020, https://www.heise.de/tp/features/Andauernde-Folter-und-medizinischen-Vernachlaessigung-von-Julian-Assange-4797315.html
(4) Lissa Johnson: Psychological torture, coronavirus, and Julian Assange, Concurrent Disorders, 2. April 2020, https://concurrentdisorders.ca/2020/04/03/psychological-torture-coronavirus-and-julian-assange/
(5) Hannes Sies: Konstruierte Vergewaltigung: Die Vorwürfe gegen Julian Assange basieren auf gefälschten Beweisen — darüber herrscht jedoch Schweigen in den etablierten Medien, https://www.rubikon.news/artikel/konstruierte-vergewaltigung
(6) Hannes Sies: Der Schauprozess. Mit der juristischen Verfolgung von Julian Assange enthüllt die neoliberale Globalisierung ihr totalitäres Gesicht, https://www.rubikon.news/artikel/der-schauprozess
(7) Hannes Sies: Assange in Großbritannien: Immer noch grausame Haft für kritischen Journalisten, http://www.scharf-links.de/47.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=70821&cHash=341bfbe79a
Council of Europe: Continued detention of WikiLeaks founder and publisher Julian Assange, 7. Januar 2020, https://go.coe.int/WIMX9
Reporters Without Borders. UK: Adjournment of Julian Assange's US extradition hearing considered amidst coronavirus concerns. 27. April 2020, https://rsf.org/en/news/uk-adjournment-julian-assanges-us-extradition-hearing-considered-amidst-coronavirus-concerns
United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights United Kingdom: Working Group on Arbitrary Detention expresses concern about Assange proceedings, 3. Mai 2019, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24552
International Bar Association's Human Rights Instititute: IBAHRI condemns UK treatment of Julian Assange in US extradition trial, 10. März 2020, https://www.ibanet.org/Article/NewDetail.aspx?ArticleUid=C05C57EE-1FEE-47DC-99F9-26824208A750
Hannes Sies, WDR/NDR-Doku erklärt Julian Assange „ausgewogen“ zum Staatsfeind, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26658