Die Medienlandschaft erblühen lassen
Oppositioneller Journalismus hat schon lange eine kritische Masse erreicht, die auch in der Mehrheitsgesellschaft gehört wird, doch nach drei Jahren des Aufwinds braucht es neue Impulse.
Aufbruchstimmung herrscht in den freien und alternativen Medien seit Corona. Doch was machen die Medienschaffenden aus diesem neuen Potenzial? Sind die neuen Medien ausschließlich dazu da, den alten zu widersprechen, sie in jedem Punkt zu widerlegen? Dies kann nicht zielführend sein. Denn damit würde den Leitmedien weiterhin die Hoheitsmacht über die Themensetzung eingeräumt werden. Es würde der Avantgarde der neuen Medienmacher gut zu Gesicht stehen, wenn sie, statt immer nur zu reagieren, endlich agierte, indem sie selbst eigene Themenschwerpunkte setzt. Die Mittel, der Wille und zunehmend auch die notwendige Professionalität sind vorhanden, um die Medienlandschaft eigenständig zu gestalten.
Seit einigen Monaten beobachte ich ein schleichendes Gefühl medialer Apathie. Es ermüdet zu sehr, sich die immer gleichen Worthülsen gekaufter Journalisten, eingebetteter Satiriker und bezahlter Politiker anhören zu müssen.
Der Informationsgehalt liegt bei null. Schon nach den Teasern und Überschriften durchschaut man die Versuche billigsten Framings und Hetzens und entscheidet sich gegen das Weiterlesen. Das birgt gewisse Probleme: Die Anzahl der Gesprächsthemen mit der Mehrheitsbevölkerung schwinden rapide dahin, wenn man sich der Medienmatrix verschließt, die unser kollektives Weltbild formen soll. Wer sich über Putin, das Klima und die AfD nicht empören möchte, dem bleibt nur das Wetter.
Seit Beginn des Corona-Gehorsamsexperiments ist es mir unmöglich geworden, eine Tagesschau ganz zu Ende zu sehen, geschweige denn einer der „Qualitäts-Talkshows“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken als ein müdes Lächeln über die einseitige Gastauswahl.
Nicht mehr mitreden wollen
Neu ist, dass ich ähnliche Ermüdungseffekte auch in der freien Medienszene, in „meiner“ Bubble feststelle. Die meisten Themen scheinen gesetzt, der Mainstream treibt die freien Medien vor sich her wie der Schäfer seine Herde, und man springt über jedes Stöckchen, das einem hingelegt wird. Bin ich ein medialer Analphabet geworden?
„Der schlimmste Analphabet ist der politische Analphabet. Er hört nicht, spricht nicht, und nimmt nicht an den politischen Ereignissen teil.“ Bertolt Brecht
Die Coronazeit als Segen
Ich muss kurz ausholen. Die freien Medien waren in den vergangenen Jahren ein Anker für mich und haben unglaubliche Aufklärungsarbeit geleistet. Die letzten drei Jahre waren die große Zeit für unabhängigen Journalismus schlechthin, zahlreiche kritische Geister wurden geformt, haben sich untereinander gefunden und vernetzt. Eine anfangs überschaubare Medienszene wurde zu einer diversifizierten Medienlandschaft.
Das vielleicht Wichtigste: Der globale Angriff auf Grundrechte und körperliche Selbstbestimmung hat alte Grabenkämpfe beigelegt. Während sich früher noch viel häufiger über ideologische Fragen gestritten wurde — Stichwort Mahnwachenproteste 2014 — eint man sich heute viel öfter quer durch die Lager.
Ein erfreuliches Beispiel dafür ist die „Sonntagsrunde“ im Kontrafunk. War die Devise vor Corona häufig: „Mit dem rede ich nicht“, spricht heute ein linksliberaler Dirk Pohlmann mit einer AfD-nahen Erika Steinbach und einem klassisch Konservativen wie Peter Hahne. Das ist möglich, weil man seine Differenzen leichter beilegen kann, wenn man einen gemeinsamen Gegner ausmacht.
Und die freien Medien, von links bis rechts, seriös bis unseriös, populistisch bis sachlich-nüchtern, haben einen gemeinsamen Nenner gefunden: Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Gefahr der immer gleichen Erzählung
Bevor ich allerdings zu sehr in Lobeshymnen einstimme, wieder zurück ins Frühjahr 2023 und zu vier Kritikpunkten:
Erstens: Die freien Medien zögern oft, eigene Themen zu setzen. Zu häufig begegnet einem Kommentarjournalismus in Form von Entkräftung und Gegenpositionen zum vom Mainstream gezeichneten Zerrbild der Wirklichkeit. Es überwiegt der Eindruck, man müsse nur den konträren Standpunkt der Tagesschau vertreten, dann käme man der Wahrheit schon relativ nah. Das ist selbstverständlich zu simpel. Es braucht innovative, originelle Themen.
Zweitens: Auch die Oppositionsmedien kennen Plattitüden und Platzhalter: Die Olivgrünen — bitte, ich kann dieses Wortspiel nicht mehr hören, ich plädiere in diesem seltenen Fall für ein Verbot! — wollen Krieg und unseren Wohlstand wegnehmen. Klaus Schwab ist der Teufel, die Geschicke der Welt werden von Davos aus gelenkt. Natürlich denkt jeder Mensch in Schubladen und Vereinfachungen, um nicht bei jeder neuen Information komplett bei null anfangen zu müssen, aber die immer gleichen Gegenspieler und dunklen Akteure zu benennen bringt — ja was denn eigentlich?
Drittens: Auch wenn der sogenannte „Schwurbler“ zur ironischen Eigenbezeichnung unter regierungskritischen Menschen geworden ist — so mancher Schwurbel existiert in den Unweiten der Alternativbubble dann eben doch. Gerade weil alternative Medien größtenteils sauber und seriös arbeiten, sollte thematische Offenheit gewisse Schranken kennen.
Wer sich nicht lächerlich und zu Recht zur Angriffsscheibe machen will, sollte bei Q-Anon, absurden Debatten über Deutschlands konstitutionelle Verfasstheit — „Wir leben eigentlich noch in der Ordnung des Kaiserreichs!“ — oder Lichtnahrung klare Grenzen setzen. Das kann auch durchaus einmal dazu führen, gewisse Gäste nicht in Talkshows einzuladen. Diese haben zwar auch ein Recht auf ihre Meinung, aber auch freie Medien haben das Recht, zu sagen, bestimmte Personen und Themen befänden sich außerhalb ihres Spektrums.
Mein vierter Punkt schließlich ist das Gegenextrem zum vorherigen: Einige Akteure der freien Medien scheinen sich darauf beschränkt zu haben, in der Konkurrenz eine „kontrollierte“ Opposition zu sehen. Sicher ist es naiv zu glauben, dass eine Opposition, die so hart bekämpft wird, nicht auch eingeschleuste Akteure aufweisen könnte, die bewusst desinformieren oder diskreditieren. Es scheint allerdings wahnhaft zu werden, wenn man am Ende in jedem Kollegen einen möglichen Feind sieht. Man möge die Arbeit der anderen an ihren Früchten messen.
Moment, habe ich bei Punkt drei wirklich vom „Mainstream der alternativen Medien“ geschrieben? Ja, das braucht es.
Wer langfristig Themen außerhalb der Blase setzen will, muss Kräfte bündeln und an einem Strang ziehen.
Eine immer heterogenere, breitere und ausdifferenziertere Medienlandschaft profitiert von gewissen Talking Points, Gesichtern und Formaten, auf die man sich geeinigt hat. Auf diese Art und Weise erreicht man mehr als in ewiger Kleinteiligkeit.
Fazit: Breite Brust statt Stagnation
Die Kommentarfunktion unter öffentlich-rechtlichen Videos ist noch häufiger gesperrt als früher, die Talkshows werden noch einseitiger. Das Zwangssystem wankt und wählt den Angriff als Verteidigungsstrategie. Die Entwicklung macht Hoffnung. Wer Dunja Hayali, eine der engstirnigsten Agitatorinnen, zur Nachrichtensprecherin beim heute-journal macht, scheint mit dem Rücken zur Wand zu stehen.
Gleichzeitig sind die freien Medien größer, wichtiger und besser aufgestellt. Obwohl der Regierungsmainstream die Themen meist noch setzt, gibt es auch umgekehrte Entwicklungen. Achtung Reichelt oder BILD-Live sind Feigenblätter eines ewig gestrigen Meinungsmonopols, das den Siegeszug des freien Denkens nicht länger ignorieren kann. Jüngstes Beispiel: Marcus Klöckner bei BILD-Live. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Großartig und herzlichen Glückwunsch, das ist ein echter Erfolg!
Das zarte Pflänzchen des freien Journalismus ist ein kräftiger Baum geworden. Viele großartige Journalisten sind in den letzten Jahren dazugekommen und haben nicht vor, wieder zu gehen. Was fehlt noch? Qualitativ die formalen Standards zu liefern, die der Mainstream vermissen lässt.
Die Coronazeit hat einen Mangel an Personal und gutem Nachwuchs ersichtlich gemacht. Erste freie Medienschulen und Alternativen zu den eingebetteten Universitäten waren die erfreuliche Reaktion darauf. Auch regelmäßige Kongresse und Seminare sorgen für eine informelle Vernetzung und Austausch, der unverzichtbar ist. Größere Studiorunden wie Fair Talk, Die Kontrafunk-Sonntagsrunde, Nacktes Niveau oder Ruderboot sorgen für angeregte Gespräche unter Kollegen, die somit nicht bloß im luftleeren Twitter-Raum und im gegenseitigen Querlesen stattfinden.
All diese Entwicklungen sind begrüßenswert und sollten weiter vorangetrieben werden. Was es jetzt braucht, ist ein selbstbewusstes Auftreten und eine Themensetzung, die auch Grenzen absteckt und aus sich selbst heraus Impulse bringt. Sollte das geschehen, bleibe ich gerne ein politischer und medialer Alphabet.
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