Die Maske des Kults

Schon lange vor Corona haben Menschen ihr Gesicht verhüllt — die Gründe, warum dies geschah, sind für den heutigen Kontext höchst aufschlussreich.

Nach über eineinhalb Jahren Coronapolitik und AHA-Regeln mögen die meisten von uns das Symbol der Maske fast schon reflexartig mit dem Gesundheitsschutz assoziieren. Doch der kulturelle Kontext, in dem Masken vor 2020 getragen wurden und anderswo auch noch werden, gibt viel Aufschluss über die Pathologie der aktuellen Situation. Er führt weg von der Ästhetik der Hospitalisierung des Alltags, wie wir sie derzeit erleben. Dazu gehören sowohl kultisch-rituelle Masken, die in stammesgesellschaftlichen Zeremonien Anwendung fanden, als auch innerpsychische emotionale Masken wie beispielsweise die des Narzissten. Interessant dabei ist die Präzision, mit der die persönlichen Muster des Einzelnen analog auf die gesellschaftliche Ebene übertragen werden können. Erneut wird deutlich, wie wichtig persönliche Reflexion ist, um politische Veränderungen zu bewirken.

Kultische und medizinische Masken

Seit gut eineinhalb Jahren gehört ein Stück Stoff im Gesicht zu unseren präsentesten Alltagserfahrungen. Masken stellen ein neues und gleichzeitig uraltes Phänomen der Menschheitsgeschichte dar. Während sich die meisten von uns erst mit Beginn der Coronakrise entscheiden mussten, ob sie bereit sind, die Bedeckung ihrer unteren Gesichtshälfte als beklemmendes Zwangsmoment oder Zeichen individueller Freiheit zu interpretieren, ist das Phänomen des Maskierens kulturgeschichtlich tief in uns verankert.

Erste Belege für die Existenz kultisch-ritueller Masken stammen aus dem heutigen Israel und werden auf ein Alter von gut 11.000 Jahren datiert. Ihr Ursprung steht in engem Zusammenhang mit der menschlichen Idee des Übernatürlichen, eingebunden in einen Kontext von Ritual, Spiritualität, Stammesgesellschaft, Vision und Rausch — immer im Spannungsfeld weltlicher und kultischer Realität.

Die seit 2020 in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens zu tragenden FFP2-, Stoff- und OP-Masken scheinen auf den ersten Blick nicht sehr viel mit dieser Art ritueller Artefakte zu tun zu haben und doch reichen ihre Gemeinsamkeiten so weit, dass es sich lohnt, einen Blick auf die beiden zugrunde liegenden Eigenheiten zu werfen — sind es doch gerade die Momente, in denen man kaum eine mimische Regung seines Gegenübers zu erkennen vermag, in denen sich viele von uns vorkommen wie bei einem riesigen zeremoniellen Kult.

Zwar erfüllen medizinische und rituelle Masken oberflächlich betrachtet nicht denselben Zweck, aber sie sind doch in ein ähnliches Gefüge von Ursache und Wirkung eingebunden. Beide verhüllen etwas und stellen gleichzeitig etwas dar. Waren auf den Masken der Naturvölker ganz bestimmte Gesichtszüge abgebildet, ist der medizinische Mund-Nase-Schutz blank. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er nichts darstellt. In seinem Fall ist es nicht die ritualisierte Beschwörung von etwas Übermenschlichem, sondern die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten und denjenigen gehorsam zu sein, die diese Regeln erlassen haben.

Äußere und innere Konformität

Dabei spielt es keine besondere Rolle, ob der Betroffene die Maske aus Überzeugung, Angst vor Bestrafung oder infolge ökonomischer Erpressung trägt. Von außen ist nicht mehr zu erkennen, wer sich der Gruppe freiwillig und wer sich ihr aus Zwang angeschlossen hat.

Es ist sogar möglich, dass jemand, der die Maske zu Beginn der Pandemie noch mit Widerwillen trug, allein durch die Gewöhnung an den Vorgang selbst immer weniger Unbehagen dabei empfindet und ihn schließlich überhaupt nicht mehr als Bürde wahrnimmt, sondern am Ende sogar für angemessen oder notwendig hält.

In der Soziologie spricht man von einer Entwicklung von sogenannter public compliance hin zu private acceptance. Äußere Konformität besitzt die Eigenschaft, sich mit der Zeit ganz automatisch über den Umweg Gehorsam, Anpassung, Akzeptanz und Verinnerlichung in innere Konformität zu verwandeln. Eine Maske zu tragen und nach einem Jahr noch immer das gleiche Maß an Unbehagen dabei zu empfinden, erfordert enorme Willensstärke.

Das objektivierte Gesicht

Doch genauso wichtig wie der Aspekt des Darstellens mittels Masken ist der des Verhüllens. Die Verhüllung des Gesichts hat für unsere soziale Realität weitreichende Folgen. Der Philosoph und Publizist Reinhard Olschanski beschreibt die Bedeutung des Gesichts in seinem 2001 erschienenen Buch Maske und Person — Zur Wirklichkeit des Darstellens und Verhüllens wie folgt:

„Das Gesicht ist ein Grundelement unserer Bilderwelt. Die anderen sind uns und wir sind ihnen als dieses Gesicht oder dieser Ausdruck gegeben. Doch ebenso intensiv wie zu den Bildern erscheint der Kontakt zur belebten Fläche (…) Selbst dort, wo es nicht zum Gegenstand gerichteter Aufmerksamkeit wird, ist es uns als besonderer Aspekt des Körperempfindens präsent. In allen wach-bewussten Momenten existieren wir auch als Innenanspannung des Gesichts“ (1).

Das Gesicht als wesentlicher Ort unserer Sinne und Hauptidentifikationspunkt mit uns selbst und anderen ist also ebenso verletzlich wie essenziell. Eine dauerhafte oder immer wiederkehrende Verhüllung bleibt dementsprechend nicht ohne Folgen.

Doch nicht nur äußere Bedeckungen können Ursache für eine Maskenerfahrung sein. Auch psychisch ist es möglich, dass wir ein bestimmtes Bild unseres Selbst als starre Maske über unser Inneres und unser Gesicht legen. Laut Olschanski können schon kleine, innere und äußere Erfahrungen wie Scham, Wertungen anderer, Hitze, Kälte oder Verletzungen Anlass dafür sein, dass die Einheit von Körper und Gesicht aufgetrennt wird und eine Art objektiviertes Gesicht als Darstellung nach außen vor das echte tritt. Dafür reicht ein kleiner gedanklicher Schnitt, ein kurzes Gefühl von Schmerz oder Bloßstellung. Olschanski schreibt:

„Das objektivierte Gesicht erscheint wie eine Maske, ein einheitliches, für sich stehendes Gebilde, das ein Gesicht darstellen soll.“

Dabei ist es keineswegs so, dass ein dahinterliegendes wahres Gesicht verdeckt wird. Das Gesicht wird vielmehr in dem Moment eins mit der Maske, in dem der Betroffene diese aufsetzt.

Entfremdungserfahrungen haben immer etwas mit dem eigenen Gesicht zu tun und spiegeln sich in diesem wider. Das Gesicht ist von besonderer Bedeutung für die Selbstwahrnehmung. Jeder Sekunde der Interaktion mit der Mimik eines anderen liegt ein komplexer Identifikationsvorgang zugrunde.

Wir sind schnell bereit, dort wo wir auch nur ansatzweise die Anordnung zweier Punkte und eines Striches erkennen, ein Gesicht zu erkennen und somit diese Gegenstände unbewusst zum Objekt unserer lebendigen Identifikation zu machen; einzig und allein aufgrund der herausragenden Bedeutung des Gesichts. Es wird als Ausdruck der Individualität einer Person gewertet, ist in der Lage, durch Mimik und Blicke Atmosphäre, Befindlichkeiten, Beweglichkeit und Vitalität auszudrücken. Die Maske hingegen ist starr und unbeweglich; ein Standbild, vielleicht nicht tot, aber doch frei von jeglicher Vitalität. Die Starre ist hier kein Symbol des Lebens, sondern des Überlebens.

Omnipräsente Erstarrung

Olschanski erläutert darüber hinaus, dass die von ihm beschriebene Starre des Gesichts auch durch eklatante Schockzustände und Erfahrungen, die die Kontinuität der eigenen Lebensgeschichte durchbrechen, entstehen könne. Die Ereignisse der zurückliegenden beiden Jahre können zweifelsfrei als gesamtgesellschaftliche Starre bezeichnet werden.

Der Lockdown als Inbegriff des Stillstandes führt zu einer psychischen Starre, einem Schockmoment, der sich in maskenhafter Starre des Gesichts niederschlägt, schlussendlich untermauert durch die Pflicht, diese Starre durch das Tragen einer physischen, medizinischen Maske zu manifestieren.

All dies ist nichts anderes als die erstaunlich endlos anmutende Ausweitung eines traumatischen Erstarrungsmoments.

Die Lockdownpolitik nimmt den Betroffenen ganz real alle weiteren Traumabewältigungsmechanismen. Weder die Flucht über Landesgrenzen — nicht einmal die zeitweilige aus der eigenen Wohnung — noch ein wirklich kämpferisches Aufbegehren gegen die übermächtige Staatsgewalt schienen möglich. Der Stillstand ist sowohl Ursache als auch Resultat des Traumas und jederzeit reaktivierbar.

Das teilweise Bedecken des Gesichts erschwert Identifikationsprozesse und somit das Entstehen von Bindung. Es ist also durchaus möglich, dass auch kleine Kinder, insofern sie sich dauerhaft in einem maskierten Umfeld aufhalten, durch das Fehlen von Mimik in ihrer spiegelneuronalen Entwicklung von Empathie behindert werden. All das verhält sich kohärent zu den gesellschaftlichen Entwicklungen seit Beginn der Pandemie, denn die Reduzierung von Bindungen und Begegnungen ist ja gerade das, was uns abverlangt wurde und zum Teil noch immer wird.

Man könnte sogar so weit gehen zu sagen: Die erfolgreiche Durchsetzung der Maßnahmen und die Tatsache, dass so viele Menschen diese widerspruchslos mittragen, sei gerade deshalb ungehindert realisierbar gewesen, weil körperliche und soziale Distanz geschaffen wurde. Bei gleichbleibender emotionaler Intensität des Beziehungsempfindens wäre der Leidensdruck der Isolation im Lockdown wohl kaum auszuhalten gewesen. Doch nach 19 Monaten scheinen sich viele in der Vereinsamung geradezu eingelebt zu haben.

Trauma und Besessenheit

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Tragens medizinischer Masken ist, dass wir diese niemals freiwillig oder von uns aus aufsetzen. Entweder fühlen wir uns vom Staat dazu gezwungen oder wir gehen davon aus, wir müssten sie tragen, um von uns und anderen Gefahr abzuwenden. Auch hierin liegt eine besonders interessante Parallele zum Einsatz kultisch-ritueller Masken im Kontext von Beschwörung und Besessenheit. Die Maske ist kein Ausdruck von Selbstbestimmung, kein „Symbol der Freiheit“, sondern Ausdruck von Hilflosigkeit und Kapitulation vor etwas nicht greifbar Überwältigendem, etwas fast Gottähnlichem im Außen.

Maßnahmenbefürworter und Kritiker unterscheiden sich hierbei gar nicht so sonderlich. Beide sehen sich mit der Präsenz von etwas Übermächtigen konfrontiert, das sie existenziell bedroht: entweder dem Staat oder dem Virus. Der Gott des einen ist hierbei nicht selten der Teufel des anderen. Man ist überwältigt, hat kein Vertrauen mehr in die eigene Wahrnehmung. Die Annahme, in einer sicheren Welt mit geltenden moralischen Normen und Absehbarkeiten zu leben, ist zerstört. Es ist diese Art der Überwältigung, die anscheinend nicht nur Schock und Traumazustände bedingt, sondern auch die Wahrnehmung weltlicher Realität dermaßen aus den Angeln hebt, dass viele beginnen, diese durch eine kultisch visionäre, eigene Wirklichkeit zu ersetzen. Olschanski schreibt:

„Der in dieser Weise Überwältigte ist von inneren Vorgängen absorbiert. Das Besondere in seiner Verbindung zur Welt besteht in einer Desituierung — er wird von ihr kaum mehr erreicht und er greift auch nicht mehr auf sie aus, er ist abwesend und fällt aus dem alltäglichen Weltbezug heraus.

Ähnliches gilt für den Besessenen. Er kann sich der unterstellten Gegenwart eines dämonischen Wesens nicht ohne Weiteres entziehen. Auch dabei handelt es sich um die Präsenz eines Übermächtigen, das momentan die eigenen Handlungsfähigkeiten übersteigt. Die Starre des Gesichts wird zum Ausdruck der Fremdheit im eigenen Körper.“

Und tatsächlich trägt auch die politische Situation, sowohl auf individueller wie auf kollektiver Ebene, kultartige Züge. Etwas vermeintlich Heiliges wird in Kontrast zu etwas Diabolischem gestellt: die heilige Gesundheit beziehungsweise Infektionsfreiheit gegen die widerwärtigen, bösen und empathielosen Impfverweigerer, Maskenmuffel und Querdenker oder eine teuflische, für alles Destruktive ausnahmslos planerisch verantwortliche Elite gegenüber der rettenden Allianz, verkörpert durch Personen, alternative Gurus, neue Parteien oder einen ehemaligen US-Präsidenten.

Wenn wir mit der Gruppe, zu der wir uns zugehörig fühlen, genauso identifiziert sind wie Angehörige einer kultischen Zeremonie im Moment des spirituellen Rauschs, diesen aber nicht selbsterfahrend und ermächtigend erleben, laufen wir Gefahr, hilflos und manipuliert in der Starre des eigenen Körpers zu versinken.

Narzisstische Masken

Doch neben den Ähnlichkeiten zu den in archaische Riten eingebundenen Artefakten gibt es noch einen weiteren wissenschaftlichen Kontext in dem wir bereits vor Beginn der Coronakrise von Masken sprachen: die sogenannte narzisstische Maskierung in der Psychologie. Im alltäglichen Empfinden war das Aufsetzen einer emotionalen Maske mit dem unauthentischen Verstellen der eigenen Persönlichkeit assoziiert und dementsprechend negativ konnotiert. Der Ausspruch „refuse to wear a mask“ stand umgangssprachlich für die Weigerung, das eigene Selbst gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen unterzuordnen.

Die Gesellschaft, der Kult, besteht letztlich aus Individuen, welche die pathologischen Strukturen, die sich jetzt in extremer Art und Weise gesellschaftlich manifestieren, auch vorher schon in sich getragen haben müssen.

Ein besonders präsentes Phänomen unserer postmodernen Konsumgesellschaft ist der kollektive Narzissmus, dessen Pathologie und Destruktivität sowie deren Auswirkungen uns aufgrund seiner immensen Verbreitung oft vollständig verborgen bleiben oder als Randphänome bagatellisiert und beiseitegeschoben werden. Hans Joachim Maaz schreibt hierzu:

„Die Grenzen zwischen ‚noch normal‘ und ‚schon pathologisch‘ sind fließend, und durch das, was alle machen, ist ihre Bewertung verzerrt. So kann die Mehrheit einer Bevölkerung extrem selbstentfremdet und hoch pathologisch leben, ohne dass das wahrgenommen wird, weil eben alle so sind. Der eine hingegen, der authentisch lebt, sich selbst gut verwirklicht und Begrenzungen akzeptiert, die Realität erkennt und der Wahrheit nahe ist, wird abgelehnt, verfolgt und womöglich aus der Gemeinschaft entfernt“ (2).

Die Reaktionen einer pathologisch narzisstischen Gesellschaft auf die Einführung restriktiver, die eigene Freiheit enorm einschränkender Maßnahmen unterscheidet sich grundlegend von denen einer weitgehend gesunden. Während der Gesunde in der Lage ist, Situationen realistisch und sachgerecht einzuschätzen und auch Ungereimtheiten und Manipulationen zu erkennen, reagiert der Narzisst grundsätzlich aus Mangel und Selbstbezogenheit heraus. Der Weg der Erkenntnis über unverzerrte Wahrnehmung steht ihm nicht offen. Das Phänomen des Maskierens ist ihm innerpsychisch hingegen durchaus bekannt. Bianca Olesen schreibt in ihrem Buch Der Mensch hinter der Maske – vom Umgang mit narzisstischen Klienten in Coaching und Beratung:

„Von der Ablehnung der lebendigen Impulse durch das Beziehungsumfeld zutiefst verunsichert, gestaltet der Narzisst früh im Leben eine Maske von sich, um den Vorstellungen seines Umfeldes gerecht zu werden. Und er glaubt, diese Maske sei er selbst. Der Fluch der Narzissten besteht also in dem Zwang, stets die Maske, das Bild von sich, im Fokus behalten zu müssen, die Maske immer aufrecht zu erhalten“ (3).

Das Nähe-Paradoxon

Die Maske stellt hierbei eine Art Ersatzpersönlichkeit dar, in der sich irgendwo verborgen die wahre Persönlichkeit, das lebendige Selbst befindet. Das eigentliche, durch frühkindliche Bindungsstörungen entstandene, gravierende Defizit der Narzissten, ihre tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit und Nähe, bleibt jedoch ungestillt. So verhält es sich auch in Bezug auf die Coronapolitik. Während wir versuchen, brave Staatsbürger zu sein, die Maske tragen und auf Distanz gehen, um andere zu schützen, sehnen wir uns eigentlich nach Nähe.

Da wir diese Nähe im Moment und insbesondere in Zeiten des Lockdowns real nicht leben dürfen, müssen wir versuchen, uns eine Art Fake-Nähe zu schaffen, entweder durch konformes Verhalten, Anerkennung und Lob oder dem aus empfundener Gruppenzugehörigkeit resultierendem Überlegenheitsgefühl. Um diese Anerkennung, diese Fake-Nähe zu bekommen, müssen wir weiter auf Distanz bleiben und unsere Sehnsucht nach echter Nähe unterdrücken. Die jedoch steigt ins Unermessliche. Es entsteht ein gefährlicher Teufelskreis, aus dem wir nur herauskommen, indem wir Situationen echter Nähe und Begegnung erfahren und somit einen emotionalen Wert gegen die Konditionierung setzen.

Zu unserer Grundbeschaffenheit als Menschen gehört, den Wunsch nach Wahrhaftigkeit zu empfinden, danach, sein zu können und auch als derjenige gesehen zu werden, der man wirklich ist. Umso weiter wir diesen Wunsch ins Unbewusste verdrängen, umso leichter fällt es uns, eine Scheinpersönlichkeit zu etablieren, eine Maske unserer selbst.

Wenn wir daran gewöhnt sind, diese psychische Maske regelmäßig zu tragen, um Anerkennung zu generieren, fällt uns das Tragen einer physischen Maske unter Umständen sogar leicht, weil sie uns Sicherheit gibt, die Bedrohung der Lebendigkeit lindert und uns erlaubt, unser wahres Selbst hinter ihr zu verstecken, auch wenn uns dieser Kampf um die eigene Existenzberechtigung auf Dauer nie wirklich satt machen wird.

Neurotische Maskierung

Narzissten sind hin und her gerissen zwischen grandiosen, selbst überschätzenden, allein auf Anerkennung ausgerichtetem Auftreten und depressiven, von Selbsthass gequälten Strukturen.

Dieses Spannungsfeld finden wir auch in der aktuellen gesellschaftlichen Situation: Auf der einen Seite ist die totale Selbstüberschätzung und Suche nach Anerkennung, der Versuch, alles brav mitzumachen, sich impfen zu lassen und mit Arroganz und Verachtung auf die weniger grandiosen Gestalten zu blicken, die es wagen, die eigenen Überlebensstrategien infrage zu stellen. Und auf der anderen Seite: die depressiven, von Schuldgefühlen geplagten Anteile, genährt von ständiger Furcht, selbst zum Täter werden zu können, mit jedem infektiösen Atemzug potenzieller Mörder zu sein, immer die Schuld der bloßen Existenz zu spüren, bei jedem noch so kleinen sozialen Bedürfnis, das man sich erfüllt. All diese Dynamiken führen dazu, dass wir uns längst verhüllt haben, bevor wir auch nur daran dachten, zu einer medizinischen Maske zu greifen.


Anmerkungen und Quellen:

(1) Reinhard Olschanski, Maske und Person: Zur Wirklichkeit des Darstellens und Verhüllens, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2001.
(2) Hans Joachim Maaz, Das falsche Leben; Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft, C. H. Beck, 2017.
(3) Bianca Olesen, Der Mensch hinter der Maske: Vom Umgang mit narzisstischen Klienten in Coaching und Beratung, Junfermann Verlag, Paderborn, 2016.