Die Macht der Konzerne

Agrar- und Lebensmittelunternehmen gestalten die Regierungspolitik afrikanischer Staaten und lenken die Forscher von lokalen Prioritäten ab.

Das African Centre for Biodiversity (ACB) ist eine Forschungs- und Advocacy-Organisation, die sich für Ernährungssouveränität und Agrarökologie in Afrika einsetzt, wobei der Schwerpunkt auf Saatgutsystemen und landwirtschaftlicher Biodiversität liegt. Das Zentrum veröffentlichte 2024 eine ausführliche Serie, die sich mit ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln (Ultra-Processed Foods, UPF) auf dem afrikanischen Kontinent befasst. In diesen Informationsblättern werden die Veränderungen im Ernährungsverhalten und die zunehmende Abhängigkeit von UPF untersucht. Die geschäftsführende Direktorin des Zentrums, Mariam Mayet aus Südafrika, analysiert die von der Lebensmittelindustrie orchestrierten Machtverhältnisse über Politik und Forschung.

Emilie Langlade: Wie können wir die Einflüsse und Abhängigkeiten, die in Afrika auf den Forschungseinrichtungen lasten, besser verstehen?

Mariam Mayet: Die afrikanische Forschung in den Bereichen Naturwissenschaften, Physik, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik macht nur 29 Prozent des weltweiten Forschungsoutputs aus. Die Wurzeln dieses Problems reichen bis in die späten 1970er und 1980er Jahre zurück, als die Hochschulbildung durch die neoliberale Wirtschaftspolitik der afrikanischen Regierungen vernachlässigt wurde.

Der Schwerpunkt wurde von der akademischen Bildung auf die Grundschulbildung verlagert, was zu einem Rückgang der Forschungskapazitäten, mangelnder politischer Unterstützung, unzureichender Infrastruktur, Brain Drain und vor allem zu einem Rückgang der öffentlichen Finanzierung führte. Obwohl die Afrikanische Union vor einigen Jahren eine Resolution verabschiedet hat, die jedes afrikanische Land dazu verpflichtet, 1 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung auszugeben, liegt der Kontinent mit 0,4 Prozent noch weit zurück.

Dies hat zu großen finanziellen Defiziten in den Forschungs- und Innovationssystemen geführt, die von externen Finanzierungen sehr abhängig sind, insbesondere in den Bereichen Landwirtschaft und Gesundheit. Westliche Geber beeinflussen jedoch stark die Forschungsagenden und lenken afrikanische Forscher von den lokalen Prioritäten ab.

Wie können Hersteller von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln Studien beeinflussen, die sich mit Ernährungssystemen beschäftigen?

Die Unternehmen für ultrahochverarbeitete Lebensmittel (UPF) gehören zu den mächtigsten Lebensmittelkonzernen der Welt. Es handelt sich dabei um mega-multinationale Konzerne, darunter Nestlé, PepsiCo, Unilever, Coca-Cola, Mondelez und Kraft Heinz Company, die seit Jahrzehnten auf dem afrikanischen Kontinent tätig sind. Diese Lebensmittelgiganten verfügen über beträchtliche globale Vermögenswerte und üben in Afrika einen erheblichen Einfluss auf das prekäre Umfeld für Forschung und Entwicklung im Bereich Lebensmittel und Ernährung aus.

Diese Unternehmen nutzen häufig Strategien, um wissenschaftliche Beweise zu kooptieren und zu verzerren, um ihre Produkte zu legitimieren und deren Gesundheitsrisiken zu minimieren. Dazu gehören die Finanzierung der Ernährungsforschung, das Sponsoring nationaler und globaler Ernährungsorganisationen, die Beteiligung an Standardisierungsgremien und die Durchführung von Ernährungsprogrammen. Davon zeugen zum Beispiel die Nährwertprofilsysteme von Nestlé, Mars und Unilever zur Erfüllung der freiwilligen Standards für nährwertbezogene Angaben. Nestlé finanziert auch zahlreiche wissenschaftliche Artikel, Seminare und Berichte über die „ersten 1.000 Lebenstage“, um seine ultrahochverarbeiteten Milchprodukte zu bewerben.

So wurden wissenschaftliche Experten von den UPF-Herstellern kooptiert, um evidenzbasierte Gesundheitsbedenken gegen den Verzehr ultrahochverarbeiteter Lebensmittel zu verschleiern. Beispielsweise wurden bei einer Tagung des britischen Science Media Centre im Jahr 2023 drei der fünf Diskussionsteilnehmer, die UPF verteidigten, von Herstellern wie Nestlé, Mondelez, Coca-Cola, PepsiCo, Unilever und General Mills finanziert. Eine von ihnen, Professor Janet Cade von der Universität Leeds, ist zudem Vorsitzende des Beratungsausschusses der British Nutrition Foundation, die McDonald’s, British Sugar und Mars zu ihren Mitgliedern zählt und unter anderem von Nestlé, Mondelez und Coca-Cola finanziert wird.

Die Hersteller von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln sind auch dafür bekannt, dass sie wissenschaftliche Ergebnisse, die die öffentliche Gesundheit betreffen, verschleiern oder verwässern.

In China hat das International Life Sciences Institute beispielsweise die Regierung beeinflusst, ihre Politik zur Bekämpfung von Fettleibigkeit auf körperliche Aktivität statt auf Ernährung auszurichten. Die Fähigkeit dieser Lebensmittelkonzerne, Standards für Lebensmittelsicherheit und Ernährung zu beeinflussen und festzulegen, kann auch dazu genutzt werden, kleinere Akteure zu verdrängen, indem diese Standards so teuer und aufwendig gemacht werden, dass nur die großen Unternehmen die Fähigkeit und die Ressourcen haben, sie einzuhalten. In Brasilien mussten Tausende von Milchbauern ihre Betriebe aufgeben, weil Nestlé und Parmalat, eine Tochtergesellschaft des französischen Lactalis-Konzerns, private Standards für die Verwaltung und Lagerung von Milch festgelegt hatten.

Wenn diese Unternehmen in nationalen Ernährungsinstitutionen Sitze erobern oder Einfluss erwerben, Druck auf Regierungen ausüben oder sich an öffentlich-privaten Partnerschaften beteiligen, können sie Schlüsselaspekte der nationalen Gesundheit wie Ernährungspolitik und -strategien, Reformulierung und Anreicherung von Lebensmitteln, Kennzeichnungsgesetze, Forschung und Verbraucheraufklärung gestalten. Dies führt zu einer Entpolitisierung des Lebensmittelumfelds, indem die Aufmerksamkeit von den entscheidenden strukturellen Faktoren ungesunder Ernährungsweisen abgelenkt wird.

Wie kann die Politik darauf ausgerichtet werden, besser zwischen bestimmten Lösungen zu unterscheiden, die von der Biotechnologie versprochen werden wie gentechnisch verändertes Saatgut und synthetische Proteine, und solchen, die eine echte Widerstandsfähigkeit ermöglichen?

Einige Unternehmen üben einen erheblichen Einfluss auf die Regierungspolitik, den Markt und unsere Ernährungsgewohnheiten aus. Sie gestalten diese auf Kosten des Rechts auf Nahrung, Ernährung und Gesundheit, auf Kosten der Rechte von Kleinbauern, Arbeitern und Händlern sowie auf Kosten der Umwelt.

Ein nachhaltiges und widerstandsfähiges Ernährungssystem sollte das Recht auf Nahrung in den Mittelpunkt seiner Ziele stellen. Nahrung ist ein öffentliches Gut und das Recht auf Nahrung bedeutet, dass jeder Zugang zu den Lebensmitteln hat, die er täglich braucht, unabhängig davon, ob er sie sich leisten kann oder nicht. Dieses System sollte Lebensmittelvielfalt und Ernährung einschließen und die Produktion und den Vertrieb von agrarökologischen Lebensmitteln durch lokale Gemeinschaften und Kleinbauern fördern.

Die kommerzielle Massenproduktion verursacht erhebliche Umweltschäden, die sehr allgemein anerkannt sind: übermäßiger Wasserverbrauch und giftige Chemikalien, die Wasser, Boden, Biodiversität und Gesundheit schädigen. Andere Umweltschäden werden weniger erkannt, wie zum Beispiel Treibhausgasemissionen und Schäden an Ökosystemen im Allgemeinen. Der ökologische Fußabdruck von Kleinbauern und lokalen Landwirten ist zudem viel geringer. Umweltfreundliche Praktiken werden jedoch nicht ausreichend unterstützt.

Die Agrarökologie spricht alle Dimensionen des Ernährungssystems an, die es ermöglichen, umweltfreundliche und nachhaltige Produktionspraktiken einzuführen und einen schrittweisen sozialen und wirtschaftlichen Wandel herbeizuführen. Sie ist eine integrierte Antwort auf den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität, die Verschmutzung und Degradierung von Böden und Wasser. Sie zielt auf Müllvermeidung durch Recycling und eine Kreislaufwirtschaft.

Das scheinbar „unproduktive“ Land auf dem afrikanischen Kontinent wird nun als die letzte Grenze für die Agroindustrie angesehen. Dennoch entwickeln Kleinbauern innovative Ideen, um die Agrobiodiversität und das Saatgut zu erhalten und ganz allgemein ihre agrarökologischen Ansätze anzupassen, um ohne schädliche Inputs genügend Nahrungsmittel zu produzieren.

Diese Ansätze sind jedoch bisher kaum dokumentiert.

Was sollten die Prioritäten der afrikanischen Agrarforschung sein?

Wenn Forscher die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung ernst nehmen, sollten sie die Agrarökologie unterstützen. Dies erfordert jedoch ein systemisches Verständnis der Rolle, die die Agrarökologie in den größeren sozialen, politischen, landwirtschaftlichen und ökologischen Systemen spielt.

Es gibt reichlich Raum für Vernetzungen zwischen westlicher Wissenschaft und traditionellem Wissen, die neue Wege im Ernährungssystem aufzeigen, insbesondere wenn Forscher die Landwirte in den Mittelpunkt der Forschung stellen, vor allem Frauen und junge Menschen. Landwirte sollten in den gesamten Lebenszyklus eines Forschungsprojekts einbezogen werden, einschließlich der Festlegung der Forschungsziele.

Die Landwirte von Anfang an einzubeziehen, hilft den Forschern, Probleme besser zu verstehen, sodass sie für den Landwirt nützliche Forschungsziele mitgestalten können. Die Vertrauensbildung zwischen Landwirten und Wissenschaftlern ist von größter Bedeutung, und die Zusammenarbeit mit etablierten Agrarforschungsnetzwerken wird wesentlich zum wissenschaftlichen Verständnis von bauerngeführten landwirtschaftlichen Praktiken beitragen, um gesunde agrarökologische Systeme der Ernährung zu etablieren.


Mariam Mayet, Geschäftsführerin des afrikanischen Zentrums für Biodiversität



Emilie Langlade ist eine französische Wissenschaftsjournalistin und moderierte das Xenius-Programm für Arte. Sie ist Spezialistin für deutsch-französische Zusammenarbeit, Moderatorin von Konferenzen und Debatten sowie Autorin von „Climate Solutions Explained, Episode one: The Exponential Roadmap“ für We don't have time. 2023 erschien ihre Podcast-Reihe „Food Revolution“ auf Französisch und auf Deutsch. Heute arbeitet sie für Grain de Sel, eine halbjährlich erscheinende Zeitschrift von Inter-réseaux Développement rural, ein Netzwerk im Dienste seiner Mitglieder und nützlich für Akteure, die sich für die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung vor allem in Afrika einsetzen.


Redaktionelle Anmerkung : Dieser Text ist die deutsche Version eines am 30. September 2024 auf Französisch erschienen Interviews von Emilie Langlade für die neueste Ausgabe von Grain de Sel. Alle Artikel sind unter Angabe von © Grain de sel lizenzfrei zur Weiterverbreitung verfügbar. Das Interview wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom Manova-Korrektoratsteam lektoriert.