Die Lückendebatte
Die aktuelle Faschismusdebatte richtet sich einzig gegen die AfD und ignoriert die Verantwortung sowohl der zunehmenden Militarisierung als auch unseres Wirtschaftssystem für die totalitäre Entwicklung.
„Fuck AfD“? Nichts leichter als das! Gegen die AfD zu sein, bedarf nun wirklich keines großen Mutes oder der Bereitschaft zu großer Aufopferung oder einem persönlichen Risiko. Positioniert man sich gegen die AfD, dann weiß man die gesamte Bandbreite der Antifa, der grünen, linken und Sozi-Jugend hinter sich. Aber natürlich auch alle prominenten Gesichter der Political-Correctness-Garde von Böhmermann über Joko und Klaas bis Herbert Grönemeyer.
Die AfD erregt allerorts in Deutschland die Gemüter. Und Gründe hierfür gibt es natürlich zahlreiche. Der der AfD innewohnende Geist ist unumstritten faschistisch. Besieht man sich, wer die früheren Arbeitgeber heutiger AfD-Politiker wie Alice Weidel sind – in ihrem Fall Goldman Sachs – weiß man ganz genau, woher der Wind weht. Das Kapital braucht wieder Krieg. Doch so weit geht die Empörung über die AfD meist nicht, die in Gegendemonstrationen, „FCK AFD“-Stickern und in zu Affengehegen umfunktionierten Lesesälen ihren Ausdruck findet.
Die Afd! Die AfD! AfD!
„Ich wette, die AfD wäre nicht so stark, wenn die nicht so aktiv auf Facebook wären“, raunte mir mal ein sonst eher unpolitischer Freund besorgt zu. Innerlich verzog sich mir dabei das Gesicht vor Schmerz ob der kurzsichtigen, dramatisch unterkomplexen Herleitung der Ursache für den AfD-Erfolg. Man kann Bertolt Brecht nicht oft genug zitieren:
„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden. Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern ihn brauchen.“
Aber so weit reicht die Protestwelle gegen die AfD nicht. Die Kapitalismus- respektive die Systemfrage ist eine Linie in dem Sandstrand, ab dem die Protestwelle wieder zurück in den Ozean des Mainstreams schwappt. Ein Böhmermann, der den Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus aufzeigt? Wo kämen wir denn da hin? Von einem Joko oder einem Klaas brauchen wir solche gedanklichen Verknüpfungen gar nicht erst zu erwarten. Diese beiden Herren leiden ja nun wirklich offenkundig an einer heftigen Form der Schizophrenie, wenn sie auf der einen Seite Fridays-for-Future unterstützen und zum Klimastreik aufrufen, aber dann gleichzeitig Werbung für die dreckigsten Kfz-Drecksschleudern machen. Wer in der Umweltfrage die Systemfrage ganz offensichtlich nicht antastet, wird auch bei der Faschismusfrage schön brav die Finger davonlassen.
Warum „der Kampf gegen den Faschismus“ nicht über das Dauerfeuer gegen die AfD hinausgeht, liegt eigentlich auf der Hand. Es ist relativ ungefährlich und man macht sich im gesellschaftlichen Ansehen nicht die Finger schmutzig.
Im Gegenteil. Gegen die AfD zu sein, ist en vogue. Man kann ein bisschen Geschwister Scholl spielen, nur dass dieses Spiel in etwa mit der gleichen Gefahr verbunden ist, wie wenn man mit Freunden ein bisschen Fifa auf der PlayStation zockt.
Nur ist der Einsatz für eine friedliche, tolerante und von jeglichem Faschismus befreite Welt kein Spiel. Und so ist der Faschismus kein altes Gespenst, welches in Gestalt der AfD im 21. Jahrhundert plötzlich und aus heiterem Himmel ein halbes Jahrhundert nach dem 3. Reich vom Himmel gefallen ist.
Selbst wenn die AfD jetzt allerorten unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen würde, wäre der Faschismus nicht beseitigt!
Der Faschismus konzentriert sich nicht allein in dieser Protestpartei. Diese Protestpartei ist schlicht eine Ausdrucksform desselben. Dieser Faschismus drückt sich in ganz anderen Bereichen aus, die von den Antifaschisten schlicht und ergreifend nicht benannt werden. Mal aus Unwissenheit, mal aus Bequemlichkeit und manchmal, weil es das gesellschaftliche Ansehen schädigen würde, würde man dies laut aussprechen.
Die Kriegsministerin AKK hielt es kürzlich nicht für notwendig, überhaupt noch einen Hehl daraus zu machen, dass sie es für legitim hält, mit militärischen Mitteln deutsche Interessen im Ausland zu verteidigen. Ein Aufschrei der Empörung blieb allerdings weitestgehend – gerade unter jungen Menschen – aus. Doch ist es denn wirklich so schwer zu sehen, dass eine im Ausland ungezügelt agierende Armee ebenso eine Form des Faschismus darstellt wie so manche Aussagen eines Herrn Höcke?
Wo bleiben da die Protestkundgebungen? Wo bleiben die Protestkundgebungen und Gegendemonstrationen, wenn die Bundeswehr wieder nach neuem Kanonenfutter für ihre illegalen Tätigkeiten im Ausland sucht? Wo ist das Zentrum für Politische Schönheit, wenn das Camouflage-Muster Werbeplakate, Public Screens, Trambahn-Karosserien und sogar Pizza-Schachteln „ziert“? Wo sind die lauthals protestierenden Studierenden, wenn es heißt, dass SoldatInnen ab nächstem Jahr kostenlos – in anderen Worten: auf unser aller Kosten – Bahn fahren dürfen, damit sich das Bild des Soldaten wieder „in der Mitte der Gesellschaft“ etabliert?
Wo ist verdammt nochmal der antifaschistische Aufschrei, wenn Deutschland wieder dabei ist, exorbitante Summen in die Rüstung zu stecken, die Straßen und Schienen wieder panzertauglich macht und bereits jetzt schweres Gerät in der Luft und auf der Schiene zu „bewundern“ ist?
Wo sind die Mahner unter den jungen Leuten mit „FCK AFD“-Stickern auf den Jutebeuteln, wenn deutsche (!) Soldaten 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg wieder vor den Toren von Sankt Petersburg stehen? Dabei spielt es keine Rolle, ob man Putin mag oder nicht. So etwas ist vor dem Hintergrund von 27 Millionen ermordeten Sowjets hochgradig geschichtsvergessen und pietätlos.
Und wo ist die ganze antifaschistische Anti-AfD-Fraktion, wenn der Wertewesten – zu dem sich Deutschland ja auch zählt – einen Whistleblower wie Julian Assange inhaftiert und foltert? Wo ist die Antifa bei Sanktionen gegen „Schurkenstaaten“, die langfristig genauso töten wie ihre Kriegshandlungen?
Nein, um in die Fußstapfen der Geschwister Scholl zu steigen, bedarf es schon einiges mehr, als nur ein bisschen gegen die Partei zu wettern, die im links-liberalen Mittelschicht-Milieu sowieso total unbeliebt ist. Den Weg zu beschreiten, den die Scholl-Geschwister gingen, bedeutet, auf den systemimmanenten Faschismus hinzuweisen, der die gesamte Gesellschaft und zahlreiche Institutionen wie ein Virus durchdringt.
Und letztlich beißt sich die Schlange selbst in den Schwanz, wenn alle Energie dafür aufgewendet wird, gegen etwas zu sein.
Die AfD gibt vor, eine Alternative zu sein. Will man wirklich diese Partei und letztlich den Faschismus als Ganzes überwinden, muss man selber die Alternative leben und anbieten, die man haben möchte.
Ein Alternative, eine echte Alternative, keine vermeintliche Alternative, wie sie die AfD zu sein vorgibt, muss gelebt und praktiziert werden. Sie muss so attraktiv sein, dass sie dem Faschismus schlicht das Wasser abgräbt und ihn dadurch entschärft und unschädlich macht, da er für niemanden mehr als attraktiv oder erstrebenswert erachtet wird.
Grau ist alle Theorie, also gehen wir zur Praxis über und setzen unsere gesamte Energie für eine Alternative ein, die Frieden mit allen Menschen und der Natur bedeutet.