Die lockende Zukunft

Es bringt nichts, sich nur am Alten abzuarbeiten — wir müssen im Geist ein Bild jener Welt kreieren, in der wir leben wollen. Teil 1/3.

Journalisten und andere Autoren produzieren eine Menge kritischer Artikel über unsere Gesellschaft, die sie dominierenden Organisationen sowie über einzelne Personen des öffentlichen Lebens. Wir echauffieren uns kurz über deren Benehmen, fühlen uns vielleicht zeitweise moralisch überlegen, doch im Grunde genommen ändert sich dadurch nichts. Es ist empfehlenswert, sich die Nachrichten von vor 30 Jahren anzuschauen — die Parallelen zu heute sind erschreckend. Vielleicht ist es auch deshalb so weit gekommen, weil wir wenig über Alternativen debattieren und kaum aus eingefahrenen Denkmustern ausbrechen. Noch immer hängen wir vielfach dem naiven Glauben an, dass sich irgendetwas zum Besseren wenden wird, wenn wir gemeinsam — gewappnet mit Pappschildern und Parolen — unseren Unmut in den Straßen kundtun. Der Autor möchte mit einer kleinen Serie von Artikeln einen Beitrag dazu leisten, Ideen unter die Menschen zu bringen, die helfen könnten, unsere Gesellschaft zu verändern. Es geht darum, ein Bild der Zukunft zu erschaffen, in der wir leben wollen. Wir haben dann einen Plan im Kopf, ein Ziel, welches es zu diskutieren und vielleicht zu erreichen gilt. Je genauer wir dieses definieren, desto besser werden für uns die Wege sichtbar, die dorthin führen.

Manch einer wird sich dabei vielleicht die Frage stellen: Welche Ziele verfolgen wir jetzt als Gesellschaft und gibt es vielleicht einen Plan, dem wir entgegenarbeiten? Was sind die Ziele für die nächsten zehn Jahre für die Gesellschaft als Ganzes? Mir fallen vor allem Klimaziele ein, die politisch diskutiert werden und ein Interesse repräsentieren, welches im großen Maße überparteilich strukturiert ist. Es ist im Interesse aller Menschen, ein funktionierendes Ökosystem auf unserem Planeten zu haben. Zwar steht dieses Interesse nur allzu oft den vielen privaten Profitinteressen entgegen, doch wird der dahinterstehende, logische Zusammenhang von einer breiten Masse erkannt, nämlich dass ein gesundes Ökosystem zum Wohlbefinden jedes Einzelnen beiträgt.

Haben wir noch mehr gemeinsame Interessen? Selbstverständlich. Jeder von uns möchte gesunde und gleichzeitig schmackhafte Nahrung zu sich nehmen, sich bequem und günstig fortbewegen, am besten mithilfe „grüner Energie“. Wir alle haben ein Interesse daran, unsere Krankheiten mit den bestmöglichen Mitteln zu heilen, und niemand will für den Wohnraum, den er nutzt, Miete zahlen. Auch ist es wichtig für uns, Zugang zu relevanten Informationen zu haben, welche uns erlauben, uns ein adäquates Bild der aktuellen gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Situation machen zu können. Ein weiteres, viel zu sehr marginalisiertes Grundbedürfnis ist dasjenige nach gesellschaftlicher Anerkennung, Akzeptanz und Anschluss, welches zu befriedigen auch zu unseren gemeinsamen Interessen zählt.

„Sicherheit“ ist ein Wort, welches gewiss bei einer Diskussion um die Grundbedürfnisse fallen wird. Auch der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow hat das Wort in sein Modell der Bedürfnishierarchie eingeführt. Dieses Wort bedarf jedoch der genauen Erläuterung. Ein Gefühl von Sicherheit erfahren wir, wenn wir einen gesicherten Zugang zu allen bedürfnisbefriedigenden Mitteln wie Nahrung, Obdach, Gesundheit und Energie haben. Und es drängt sich die Frage auf, ob unsere Gesellschaft diese Sicherheit für all ihre Mitglieder gewährleistet. Die Antwort lautet: Nicht wirklich. Der Zugang wird durch die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung organisiert, in der das Geld als ein, für die überwiegende Mehrheit, knappes Gut die zentrale Rolle spielt.

Ohne Geld bekommt man in der Regel keine Nahrung. Jeder Mensch, der kein Wohneigentum besitzt, ist gezwungen, Miete zu zahlen. Das Bedürfnis nach Gesundheit wird mithilfe des Sozialversicherungssystems befriedigt und über die gezahlten Beiträge finanziert. Ohne Geld ist ein Leben in unserer Gesellschaft nicht möglich. Dies stellt jedoch gar nicht das Problem dar. Das Problem besteht im Aufwand, den viele Menschen betreiben müssen, um dieses Geld zu bekommen. Dieser ist für einen Großteil der Berufstätigen viel zu hoch. Man kann das noch mit anderen Worten ausdrücken: Der Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Produktivität ist für einen Teil der arbeitenden Bevölkerung unattraktiv. Oder noch anders: Das Verhältnis zwischen verdientem Geld und Kosten für Produkte und Dienstleistungen ist ungünstig. All diese Aussagen beschreiben dasselbe Missverhältnis, welches in unserer gesellschaftlichen Formation herrscht.

Grundstrukturen ändern

Wie kann man nun diese Situation verändern? Dazu müssen wir uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Inwieweit wird die Gesellschaft, die wir uns wünschen, sich von der jetzigen unterscheiden? Die Änderungen, die mir vorschweben, sind gravierend, und somit postuliere ich, dass kein Weg daran vorbeiführen wird, Grundstrukturen des Staates sowie der politischen Entscheidungsfindung zu verändern.

Dazu möchte ich zuerst feststellen, dass ich die in diesem sowie in vielen anderen Ländern der Erde lebenden Menschen für mündig genug halte, politische Entscheidungen bezüglich ihrer eigenen Lebensumstände zu treffen und deren Konsequenzen zu tragen.

Doch müssen wir mündigen Menschen uns selbst Strukturen erschaffen, welche uns helfen, uns zu organisieren, die nötigen Informationen zusammentragen, auf deren Grundlage wir Projekte und deren Alternativen entwickeln, und diese zu realisieren.

Wir können an dieser Stelle sogar versuchen, Vorhersagen zu treffen über die Struktur der Interessen innerhalb einer Bevölkerung. Zum Beispiel wird das direkte Umfeld, das Habitat eines Menschen, von größerem Interesse für ihn sein als weit entfernte Orte. Er wird vor allem ein Interesse dafür zeigen, sein eigenes Lebensumfeld so zu organisieren, dass er mit wenig Aufwand all seine grundlegenden Bedürfnisse befriedigt. Dabei müsste er früher oder später erkennen, dass es eine große Schnittmenge von Interessen mit anderen Menschen in seiner Umgebung gibt, und er sich mit ihnen zusammenschließen sollte, um durch Arbeitsteilung produktiver zu werden. Es gibt sogar ein Wort für solche Arten von Organisations- beziehungsweise Verwaltungsformen, nämlich: die Kommune.

Darüber hinaus wird sein Interesse davon geprägt sein, ein erfülltes Leben zu führen, Teil einer Gemeinschaft zu sein und somit anerkannt zu werden, Anschluss zu erfahren und sich zu verwirklichen. Wobei man das auch zu den primären Interessen zählen kann. An dieser Stelle wird noch viel Wissen zusammengetragen werden müssen, denn so einfach man diese Bedürfnisse mithilfe von Worten zusammenfassen kann, so schwierig wird es für den Menschen zu lernen, was es konkret bedeutet, ein erfülltes Leben zu führen und sich zu verwirklichen.

Nichtsdestotrotz könnten wir bei richtiger Organisation mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir könnten unser geistiges Bedürfnis, Teil einer Gemeinschaft zu sein, befriedigen, indem wir gemeinsam unsere physischen Grundbedürfnisse befriedigen. Genau dieses Konzept könnte die Grundlage einer staatlichen Organisation und ihrer Funktionalität sein. Es könnte auch das Grundkonzept der entstehenden Bewegung sein, welches sich in der Gesellschaft manifestieren wird.

Die zu verwirklichende Idee sieht vor, dass ein Staat seine Existenz mit der Fähigkeit begründet, große gemeinsame Interessen zu erörtern, sie zu Projekten zu formen und Möglichkeiten ihrer Realisierung zu erarbeiten. Um diese gemeinsamen Interessen zu definieren, benötigen wir neue Methoden zur Datenerhebung sowie zur Meinungsforschung. Die grundlegende Technologie zur Vernetzung haben wir bereits, nämlich das Internet. Und wir haben schon einige Konzepte beziehungsweise Modelle unserer benötigten Werkzeuge, die wir in den folgenden Teilen erörtern werden.

Akzeptanz, Anerkennung und Anschluss

Wichtig dabei ist, die Empathie für die Menschheit zu bewahren und sich daran zu erinnern, dass der Mensch eine gesellschaftliche Utopie immer einer Dystopie vorziehen wird und seine Entscheidungen somit immer in Richtung einer Utopie gerichtet sein werden. Wir dürfen zuversichtlich sein, sollten aber dafür Sorge tragen, dass der Rahmen, innerhalb welchem wir uns organisieren wollen, stabil und auf das menschliche Wesen zugeschnitten ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir Begrenzungen bei der Informationsverbreitung vermeiden sollten, und alle gesammelten Informationen allen Teilnehmern unbegrenzt und unverfälscht zur Verfügung stehen müssen.

Es bedeutet, dass die drei großen A‘s — Akzeptanz, Anerkennung und Anschluss — kultiviert werden, und vor allem, dass innerhalb der neu entstehenden Bewegung keine Feindbilder entstehen, die dann bekämpft werden müssen. Momentan sehen wir in Bewegungen oft negative Anreize zum Handeln. Bewegungen sind oft gegen etwas oder kämpfen gegen etwas. Auch die Politik bedient sich dieser Denkweise. Die gewählten Überschriften beziehungsweise Leitsprüche legen dazu ihr Zeugnis ab: „Armutsbekämpfung“, „Kampf gegen Drogen“ oder „weltweiter Widerstand“ sind nur einige Beispiele unter vielen. Obwohl vielleicht jemand entgegensetzen wird, dass diese Aussagen metaphorisch zu verstehen sind, ist die Wahl der Worte nicht von der Hand zu weisen. Die Worte spiegeln den dahinter versteckten, geistigen Widerstand zu dem, was ist, wider, weswegen diese Denkart beziehungsweise dieses Prinzip des Handelns von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist.

Widerstand und Kampf erschaffen nichts. Sie bauen nichts auf und sind schlicht ineffektiv. Viel effektiver ist es, ein Ziel zu definieren und anzustreben; je genauer die Definition, desto weniger Energie wird verschwendet, um unüberlegt und unnötig zu handeln.

Uns Menschen täte es gut, wenn wir uns darauf konzentrieren, was wir möchten, und nicht darauf, was wir nicht möchten. Und selbst bei dem, was wir möchten, sollten wir uns über die Konsequenzen im Klaren sein. Es sollte sich jeder selbst fragen, ob er Teil einer Gemeinschaft sein will oder Anspruch auf Privilegien erhebt, was jeder Gemeinschaft schadet und sie zersetzt. Dieser Prozess der Selbstreflexion wird viel Zeit in Anspruch nehmen, weil er in jedem Individuum als auch der Bewegung selbst stattfinden muss. Deswegen können wir mit Bestimmtheit sagen, dass der Prozess der Veränderung von evolutionärem statt revolutionärem Charakter geprägt sein wird. Das bedeutet, dass Änderungen langsam vonstattengehen, was zu begrüßen ist, da wir uns davor hüten sollten, im Chaos zu versinken. Dafür werden die erarbeiteten Lösungen von hoher Qualität sein und uns viel evolutionäre Zeit sparen.

Zudem wird eine weitere Eigenschaft der neu entstehenden Gesellschaft die Dezentralisierung von Macht sein. Die Konzentration von Macht auf eine oder wenige Personen ist für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung bisher eher zum Nachteil gewesen. Einzelne Menschen sind nicht in der Lage, ein komplexes System wie die ganze Gesellschaft zu überschauen, sodass jede Entscheidung aus einer subjektiven Perspektive der Realität heraus geschieht. Die Geschichte zeigt uns leider nur allzu oft, dass die Konsequenzen oft erheblichen Schaden angerichtet haben und vermeidbar gewesen wären.

Des Weiteren sind Menschen in Machtpositionen manipulierbar. Seit Beginn des hierarchischen Machtsystems in der Menschheitsgeschichte war die Nutzung des Informationsflusses zu Entscheidungsträgern ein Instrument zur Manipulation. Gutgläubig, wie viele von uns sind, können wir annehmen, dass die heutigen Regierenden nicht aus Boshaftigkeit zum Schaden für die Gesellschaft handeln, sondern neben einem großen Teil an Angst auch durch Unwissenheit. Die negativen Konsequenzen der Entscheidungen trägt meist der Großteil der Bevölkerung. Ein kleiner Teil hingegen profitiert von diesen Entscheidungen, manchmal sogar erheblich.

Selbst die gut prosperierenden, kapitalistischen Wirtschaftssysteme sind im Vergleich zu den kommunistischen Misswirtschaften zum großen Teil auf die Dezentralisierung von Macht zurückzuführen. Man lässt die wirtschaftenden Subjekte sich selbst organisieren, bietet ihnen nur den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich „frei bewegen“ können. So entstanden viele erfolgreiche Unternehmen und Konzerne, welche mit nichts aus anderen Wirtschaftsordnungen zu vergleichen sind. Doch sehen wir uns die Kehrseite der Medaille an.

Viele, wenn nicht alle diese Konzerne sind selbst kleine Diktaturen oder Imperien, in denen eine absolute Zentralisierung von Macht herrscht. Das ist auch ein Grund, warum ihr Ansehen innerhalb einer Gesellschaft so schlecht ist. Sie erschaffen genau das, was die Menschen letztendlich nicht wollen: eine mächtige, autoritäre Struktur, der man nur wenig entgegenzusetzen hat.

Da wir das Innenleben der entstehenden Bewegung nach demselben Prinzip organisieren möchten, das auch in der Gesellschaft manifestiert werden könnte, wäre von Vorteil, darauf zu achten, dass keine Kumulationen von Macht innerhalb der Strukturen der Bewegung entstehen. Und so werden wir im nächsten Teil damit fortfahren, weiter die Gründe zu erörtern.


In seinem Buch „Wahrheit und Frieden — Wege in die Hochzivilisation“ führt Gustav Viktor Śmigielski seine Ideen weiter aus.