Die Krim vor Ort

Über die heute russische Halbinsel wird viel geredet, mit den Bewohnern der Krim selbst nur wenig. Ein Reisebericht dokumentiert die Veränderungen seit 2014.

Dieser Bericht fasst die persönlichen Wahrnehmungen des Autors während seiner Reisen auf die Krim in den Jahren 2014 bis heute zusammen. Eigene Beobachtungen der Ereignisse des Maidan 2013/14, Analysen und Wertungen sowie mehrere Besuche in die beiden von der Ukraine abgespaltenen Donbass-Republiken von Lugansk und Donetzk flossen mit in den Text ein. Das Ergebnis: Vieles läuft in den Regionen heute besser. Und die Bewohner möchten sich nicht vom Westen diktieren lassen, wie und mit wem sie zusammenleben wollen.

Ich hatte und habe in vielen Fällen durch besondere Umstände die Möglichkeit, gut in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen in dieser Region zu schauen. Dafür möchte ich mich speziell bei Andreas, meinem politischen und auch menschlichen Freund bedanken. Da er plötzlich Anfang dieses Jahr erkrankt ist, wünsche ich ihm schnelle Genesung und dass er bald seine politische Arbeit wieder aufnehmen kann.

Für die Leser, die mit der politischen Entwicklung seit 2014 in dieser Region nicht so vertraut sind, möchte ich eine kleine Einleitung einfügen.

Die Vorgänge, die auf der Krim zur Sezession von der Ukraine und dann zur Wiedervereinigung mit der russischen Föderation führten, hängen natürlich mit dem gewaltsamen Sturz der Regierung Janukowitsch im Februar 2014 zusammen. Ab November 2013 wurden auf dem Maidan in Kiew mit massiver westlicher Unterstützung radikal-nationalistische Kräfte freigesetzt, die sich später zu paramilitärischen Freikorps zusammenschlossen. Sie werden finanziert aus Geheimdienstmitteln transatlantischer Organisationen.

Der ukrainische Geheimdienst wurde mit radikalen Kräften schleichend unterwandert, die dann bereit waren, die geopolitischen Interessen des transatlantischen Bündnisses zu bedienen. Diesen radikalen Nationalisten waren die widerspenstigen Einwohner der Krim und des Donbass ein Dorn im Auge, man wollte die Bürger der Ukraine auf Linie bringen.

Sie sollten im Sinne eines kruden und gefährlichen Nationalismus umerzogen werden.

Dies löste in den Tagen nach dem Sturz Janukowitschs massive Ängste in den östlichen und südlichen Landesteilen der Ukraine aus. So kamen sehr schnell Sezessions-Bewegungen in Fahrt. Daraufhin wurde der Baptisten-Pfarrer Oleksandr Walentynowytsch Turtschynow in Kiew als neuer Parlamentspräsident unter massiver Manipulation von der Rada eingesetzt, der gleich mit Gewalt antwortete und damit das ukrainische Militär völlig überforderte. Soldaten und Kampfflugzeuge wurden gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und brachten die Lage völlig außer Kontrolle.

Russland stand in dem Dilemma, was es tun sollte, um die ethnisch russischen Bürger der Ukraine gegen die aus rassistischen Motiven gegründeten, paramilitärisch organisierten Mörderbanden zu schützen. Wie sollte es zudem auf die von Kiew eingesetzten ukrainischen Streitkräfte reagieren, die eigenen elementaren Sicherheitsinteressen auf der Krim sowie in der gesamten Ukraine sichern?

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die Ukraine ein wirtschaftlicher und politischer Partner der Russischen Föderation. Darüber hinaus binden die jahrhundertelange gemeinsame Geschichte beide Länder eng aneinander.

Nach dem Umsturz im Februar 2014 und den darauf folgenden Ereignissen, insbesondere der Entsendung eines radikalen, nationalistischen Mob auf die Krim, der dann in Bussen und Zügen unterwegs auf die Halbinsel war, wurde auf der Krim die Notbremse gezogen. Alle Zufahrtsstraßen wurden mit Barrikaden gesperrt, die Bahnverbindung blockiert und der Flughafen in Simferopol unter Kontrolle des Krim-Selbstschutzes gestellt, damit dieser Mob nicht auf die Insel kam. Dazu wurde das ukrainische Militär in seinen Kasernen blockiert und isoliert.

Die Krim war die einzige Region in der Ukraine mit einem autonomen Status. Es wurde daraufhin im Parlament in Simferopol die Sezession von der Ukraine beschlossen und die Unabhängigkeit von der Ukraine verkündet. Das war im klassischen Sinne eine Notwehr-Reaktion. Wenn man die radikalen Kräfte nicht daran gehindert hätte, auf die Insel zu gelangen, wäre es zu großem Blutvergießen gekommen und der Krieg, der schon im Donbass ausgebrochen war, wäre von Kiew ebenso auf die Krim getragen worden.

Im Sommer 2014

Ich landete von Moskau kommend an einem frühen Mittag in Simferopol, der Hauptstadt der Krim. Das Wetter war sehr schön und nach der Landung schaltete ich mein Telefon an. Es erschien im Display: „Willkommen in der Ukraine.“ Ich musste etwas schmunzeln, dachte mir aber nichts dabei. Danach erschien über ein System, das ich bis heute nicht nachvollziehen kann, eine Nachricht auf Englisch, die jedoch sofort wieder verschwand, bevor ich sie speichern konnte. Ihr Inhalt:

„Warum reisen Sie auf die Krim? Sie unterstützen den Krieg Russlands gegen die Ukraine.“

Im Flieger nach Simferopol meinte ich damals, ich wäre der einzige Ausländer im Flugzeug. Wir stiegen aus dem Flieger, ich hatte nur mein Handgepäck, in die Flughafenhalle musste ich also nicht mehr. Ich steuerte daher direkt zum Flughafentor, ohne nur einen Uniformierten zu sehen. Das Tor stand ähnlich offen wie in einer deutschen Kleingartensiedlung. Danach befand ich mich auf dem kleinen Vorplatz des Flughafens.

Der Flughafen ähnelte einem deutschen vernachlässigten Provinzbahnhof. Ich kaufte mir ein Ticket mit dem Trolleybus nach Jalta für umgerechnet 1,60 Euro für circa 100 Kilometer. Eine energische ältere Dame, die mir vorkam wie eine Mischung aus Schaffnerin und Gefängnisbeamtin, forderte erstmal im Kommandoton alle Fahrgäste auf, auf die Toilette zu gehen, denn später würde es keine Gelegenheit mehr dazu geben. Die Fahrzeit würde drei Stunden dauern.

Es handelt sich hier um die längste Trolleybus-Strecke der Welt. Die Landschaft, die sich von Simferopol aus in Richtung Jalta ausbreitet, ist hügelig und der Boden sieht trocken aus. Auf der Fahrt durch diese hüglige, bergige Landschaft musste der Bus oft anhalten, da das Kabel für die Oberleitung sich abgehängt hat und der Fahrer es wieder einhängen muss. Es ging lange Zeit bergauf, bis wir dann wohl den Gipfel der Bergfahrt erreichten, von da an ging es nur noch bergab. Die Landschaft wurde grüner und mediterraner. Jeder spürte, wir fahren Richtung Meer. Die Menschen im Bus schwiegen größtenteils, ein paar Fahrgäste mit Koffern besuchten wahrscheinlich Verwandte. Ansonsten hielt der Bus oft an, und Menschen stiegen aus oder zu.

Wir fuhren an geschlossenen ukrainischen Tankstellenketten und Telefonkartenläden vorbei, die im Rahmen der Wiedervereinigung der Krim mit Russland ihren Betrieb wohl auf Druck aus Kiew einstellen mussten. Ansonsten verhielten sich die Menschen erstaunlich „normal“ und ruhig. Nach drei Stunden Trolleybusfahrt erreichte ich den Busbahnhof von Jalta.

Dort herrschte reges Treiben, die Sonne strahlte, die Temperatur lag um die 30 Grad. Klassische Touristen oder gar Ausländer hatte ich bis jetzt nicht wahrnehmen können. Ich suchte mir ein Taxi und die Fahrt ging in das reservierte Hotel Intourist Yalta, einen Komplex gigantischen Ausmaßes etwas abseits des Zentrums, in eine Hügellandschaft eingebettet. Der erste Eindruck erschlug mich: Ich stand vor einer noch nach sozialistischen Vorstellungen erbauten Touristenstadt mit 3.000 Betten.

Das Innere des Monsterhotels war allerdings besser als mein Eindruck von außen. Die Hotellobby war hell und freundlich eingerichtet mit modernen Möbeln — es herrschte eine angenehme Atmosphäre. Das Hotel war sichtlich nicht ausgebucht, aber das hatte ja auch seine angenehmen Seiten. In den folgenden Jahren sollte sich das grundlegend ändern.

Ich bekam mein Zimmer, das ich damals noch ohne Probleme mit einer deutschen Kreditkarte bezahlen konnte. Ein Jahr später war das nicht mehr möglich. Das Standardzimmer für rund 60 Euro inklusive Frühstück und die umfassende Infrastruktur der Anlage gefielen mir ganz gut. Ich hatte alles, was ich brauchte, und genoss den schönen Blick vom Balkon auf Jalta und das Meer.

Ich erkundete die Anlage, die aus mehreren Pools, Bars, Fitnessanlagen, einem Zoo und unzähligen Restaurants bestand. Mit einem Fahrstuhl konnte man direkt an den hoteleigenen Strand fahren. Ich dachte, wer hier Urlaub macht, der braucht diese Anlage eigentlich überhaupt nicht zu verlassen. Man braucht schon eine Woche, um alles hier zu erkunden. Aber ich wollte ja keinen Urlaub machen, sondern mir die Situation und das Leben der Menschen auf der Krim anschauen.

Am ersten Abend im Hotel telefonierte ich mit meinen Angehörigen. Sie waren von der westlichen Hysterie angesteckt, hatten Angst, dass ich meine Fahrt zu den „grünen Männchen“ nicht überlebe. Ich konnte sie beruhigen. Das WLAN funktionierte auch perfekt. Am nächsten Morgen ging ich zu Fuß in die Stadt und war neugierig, was mich erwartete.

Auf meinem Weg den Berg hinab Richtung Zentrum stieg mir die Hitze ins Gesicht. Ich begann, Jalta zu mögen, es war russisch, aber zugleich auch mediterran. Diese Mischung gefiel mir sehr. Ich kam an einem geschlossenen Fast-Food-Restaurant vorbei, an ebenfalls geschlossen ehemaligen ukrainischen Telekommunikations-Geschäften, aber auch an neu eröffneten Läden und Banken.

Das Leben in Jalta schien friedlich, banal wie in jeder anderen europäischen mittelgroßen Touristenstadt. Als Folge der Ereignisse ab Februar 2014 waren sicherlich weniger Touristen in der Stadt. Der Krieg der ukrainischen Machthaber in Kiew gegen ihr eigenes Volk im Donbass war gerade auf einem Höhepunkt. Das spielte natürlich eine Rolle. Westliche Pauschal-Touristen blieben daher natürlich auch aus. Dennoch empfand ich die Stadt als lebendig und die Menschen schienen entspannt ihren Dingen nachzugehen. Die nächsten Tage verbrachte ich in der Stadt, buchte eine Tour zu den doch recht weit auseinander liegenden Sehenswürdigkeiten in der Umgebung. Überall traf ich ausschließlich russisch sprechende Menschen und bekam dabei die ersten Eindrücke über die Denkweise der Bürger auf der Krim.

Als ich am Leninplatz diese Tour buchen wollte, erklärte mir die zuständige Dame, diese sei ausgebucht und kein Platz mehr im Bus. Auf ihre Frage, woher ich käme, antwortete ich: aus Deutschland. Daraufhin bat sie mich zu warten und telefonierte. Nach einem kurzen Telefonat lächelte die Dame: „Für Sie ist ein Platz frei. Wir sind glücklich, dass Sie als westlicher Ausländer uns jetzt auf der Krim besuchen und sich nicht von der westlichen Propaganda verängstigen lassen. Respekt.“ Ich bedankte mich und erhielt den Sitz neben dem Busfahrer.

Die Tour leitete eine ältere resolute Frau. Im botanischen Garten nahm sie mich auf die Seite und sagte: „Sie kommen aus Deutschland? Die Menschen dort mögen wir trotz der leidlichen Geschichte sehr.“ Ihre Stimme wurde lauter und bestimmter:

„Sagen Sie bitte Frau Merkel, wir Bürger auf der Krim lassen uns nicht vorschreiben, wie und mit wem wir zusammen leben wollen. Wir sind friedliebende Menschen, wir wollen unseren Weg selber bestimmen.“

Die strenge Touristenführerin sagte dies in einer Art, dass ich mich selbst angesprochen fühlte. Ich antwortete reflexartig, dass ich ja nicht für die deutsche Politik verantwortlich wäre und wenn ich ein Problem mit der Wiedervereinigung der Krim mit Russland hätte, wäre ich auch nicht hierher gefahren. Außerdem hätte ich auf dem Maidan in Kiew Teile der tragischen Ereignisse dort selbst erlebt. Mit meiner Reise auf die Krim wollte ich auch ein Zeichen setzen. Sie lächelte und drückte mich. Das war ein sehr emotionaler Augenblick und ich wusste, dass meine Reise eine richtige Entscheidung gewesen war.

Für meine Rundreise nutzte ich die im ganzen postsowjetischen Raum verbreiteten Kleinbusse, mit denen man preiswert an jeden Ort der Insel gelangt. Dabei konnte ich natürlich vor Ort gute Eindrücke vom Leben der Menschen sammeln. Ich besuchte unter anderen Sewastopol, mit dem Hafen der russischen Flotte, eine interessante Stadt. Die Menschen erzählten mir oft die gleichen Geschichten über ihre Situation. Ausnahmslos hatten alle den Wunsch nach Frieden und dass ihr Leben in geordneten Bahnen verlief. Der Krieg im nahen Donbass tobte damals brutal.

Die Menschen sagten:

„Stellen Sie sich vor, wenn wir nicht zu Russland gekommen wären, dann hätten wir auch hier auf der Krim Krieg. Schon dafür war es die Sache wert. Wir haben alle Verwandte in der Ukraine, im Donbass. Wir verfolgen die Situation genau, wir haben nichts gegen Ukrainer, wir sind ja oft selbst welche. Aber mit den Bandera-Leuten in Kiew wollen wir nicht zusammenleben.

Das ist unvorstellbar, wenn hier die Straßen nach Bandera benannt werden. Jahrzehnte hat Kiew nicht auf der Krim investiert. Das Geld aus dem Tourismus ist nach Kiew geflossen und in die Hände diebischer Oligarchen. Russland ist heute ein geordnetes Land, mit einem guten Gesundheitssystem, mit dem ukrainischen überhaupt nicht zu vergleichen. Es werden Steuern gezahlt und unsere Sicherheit als Bürger ist gewährleistet. Wir erhoffen uns ein besseres Leben.“

Ich glaubte diesen Menschen. Sie äußerten ihre Meinungen so ehrlich und frei, dass ich keinen Zweifel hatte. Hinzu kam, dass sich die Aussagen wiederholten, von den unterschiedlichsten Menschen an verschiedenen Orten.

Während der ganzen Zeit habe ich keinen einzigen Polizisten oder Militär gesehen, egal an welchem Ort ich mich aufhielt, abgesehen von der Straßenpolizei, die Geschwindigkeitskontrollen durchführte.

Bevor ich die Heimreise antrat, besuchte ich Simferopol, die Hauptstadt der Krim, und dort das Parlament. Auf einem Vorplatz erinnert ein Denkmal an die Befreiung der Stadt von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Ein Weltkriegs-Panzer steht auf einem Sockel, daneben schimmern die goldenen Kuppeln einer frisch renovierten orthodoxen Kirche. Ich erinnerte mich an einen Fernsehbericht aus einer Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Februar 2014, in dem eine „russophobe“ deutsche Fernsehjournalistin vor diesem Panzer stand und dem deutschen Zuschauer ihre Sicht der Ereignisse vorstellte.

Als ich vor dem Denkmal stand, dachte ich: Was hat dieses Denkmal mit den Ereignissen im Jahr 2014 zu tun? Warum wählte die Journalistin dieses Denkmal als Kulisse für ihren Bericht? Dieses Mal schämte ich wirklich für die deutsche Politik und die Medien. 27 Millionen sowjetische Bürger kamen im Zweiten Weltkrieg ums Leben. Die Nationalsozialisten, die deutsche Wehrmacht und die Sondereinsatz-Truppen der SS hinterließen ein verwüstetes Land, brachten den Menschen unendliches Leid, auch auf der Krim. Diese provokative und respektlose Wahl der Fernsehbilder, gerade von einem deutschen Sender, dafür schämte ich mich. Am nächsten Tag trat ich mit vielen Eindrücken die Heimreise an.

Oktober 2019

Im Rahmen des Projektes Volksdiplomatie und des Vereins Freunde der Krim e.V. besuchte ich im September 2019 erneut die Krim. Unsere Gruppe bestand aus ungefähr zwanzig Personen aus mindestens sieben westlichen Ländern, unter anderem auch aus den USA. Wir kamen zwar aus unterschiedlichen politischen Lagern, wollten uns aber alle über die Situation auf der Krim informieren. Unsere Partner vor Ort hatten ein wirklich straffes Programm organisiert.

Wir besuchten die föderative Universität in Simferopol, in der uns der Rektor und Studenten begrüßten. Wir konnten uns über die Arbeitsweise der Universität informieren. Wir sprachen mit den Studenten über die Sanktionen, die speziell das Gebiet der Krim betreffen und natürlich auch die Universitäten. Der Rektor erzählte uns, dass zu einem internationalen Treffen europäischer Universitäten in diesem Sommer in einer postsowjetischen Hauptstadt auch eine deutsche Delegation anreisen sollte. Doch als diese erfuhr, dass eine Abordnung von der Krim ebenfalls teilnehmen sollte, hätten die Deutschen ihren Besuch abgesagt. Er empfand es als eine völlig unnötige Geste. Die föderative Universität ist international ausgerichtet und dort studieren Studenten aus allen Teilen der Welt.

Seit meinen letzten Besuch auf der Krim 2018 waren die Sanierungen der Infrastruktur weiter gut vorangekommen. Teile der Straßen, der Verbindungswege zu den großen und kleineren Ort, werden komplett saniert und erweitert, sodass wir nicht selten kilometerlange Baustellen sahen. Wir besuchten die Moscheen der Krimtataren, die ebenfalls saniert oder ganz neu gebaut werden, und Synagogen der jüdischen Bevölkerung.

Der Besuch des legendären ARTEK-Jugendcamps war etwas ganz Besonderes. Das Camp war zu sowjetischer Zeit ein Pionierlager und erstreckt sich über sieben Kilometer am Meer in der Nähe von Jalta. In der ukrainischen Zeit wurde dort kaum etwas investiert und es war kurzzeitig geschlossen. Heute erstrahlt es wieder in neuem Glanz. Jetzt können hier tausende junge Menschen aus Russland, dem postsowjetischen Raum und aus anderen Ländern der Welt eine schöne und interessante Zeit verbringen.

Als mir ein rotes Halstuch umgebunden wurde, fühlte ich mich in meine Kindheit in der DDR zurückversetzt. Natürlich fehlt jetzt der ideologische Überbau. Aber der Geist, die Lust der jungen Menschen, sich auszutauschen, kennen zu lernen, Freundschaften zu schließen, Spaß zu haben, war und ist immer noch lebendig. Wir konnten mit den jungen Menschen ausgiebig sprechen und genossen in einem riesigen Speisesaal das Mittagessen. Dabei erfuhren wir, dass der Aufenthalt für die Jugend Russlands absolut umsonst ist. Wir wurden herzlich zur Feier des 95. Geburtstag Arteks im nächsten Jahr eingeladen.

In Simferopol wurden wir in das Parlament eingeladen und hatten mit dem Parlamentspräsidenten Vladimir Konstantinov und mit Parlamentsabgeordneten der Republik Krim, unter anderen mit Juri Gembel, einen interessanten Erfahrungsaustausch. Die Parlamentarier waren daran interessiert, wie im sogenannten Westen die Meinungs-Narrative bezüglich der Ereignisse sowie der aktuellen Situation auf der Krim lauten.

Es war den Parlamentsvertretern wichtig, uns einen fairen und ehrlichen Blick auf die Krim zu geben und uns zu vermitteln, dass die Menschen friedlich und harmonisch zusammenleben, dass die Wiedervereinigung mit Russland keine Annexion war, sondern auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts des Volkes in einem freien Wahlreferendum zustande gekommen ist.

Heute werden die Bürger der Krim durch die speziellen Sanktionen dafür bestraft. Auch das sei eine Verletzung der Menschenrechte, von denen in Washington und Brüssel ja immer so gerne gesprochen und dabei betont wird, wie sehr man darauf Wert lege. Wenn die Bewohner der Krim ein Schengen-Visum beantragen wollen, ist nicht die Botschaft in Moskau zuständig oder eines der europäischen Konsulate in Russland, sondern Kiew. Aber ist das den Menschen zuzumuten, das Visum über die Ukraine abzuwickeln? Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die westliche Sanktionspolitik die Menschen auf der Krim in Geiselhaft nimmt.

Ebenso können durch das spezielle Handels-Embargo spezielle Produkte auf der Krim teurer sein als im übrigen Russland. Der Banken-Sektor ist davon ebenfalls betroffen, sodass die Menschen zwar Überweisungen ins westliche Ausland, in die EU tätigen können, aber umgedreht kein Geld direkt aus dem Westen auf die Banken auf der Krim transferiert werden darf. Das verteuert natürlich auf der Krim bestimmte Dienstleistungen auch der ganz normalen Bürger.

Die Landwirtschaft der Insel hat in den letzten Jahren durch die Wasserblockade der Ukraine gelitten, da die Krim in vielen Teilen über wenig eigenes Wasser verfügt. Dadurch mussten landwirtschaftliche Produkte über das russische Festland auf die Krim gebracht werden, wodurch bestimmte Waren teurer wurden. Zudem wurden Wasserkanäle aus sowjetischer Zeit, die das Wasser von der ukrainischen Sowjetrepublik auf die Krim transportierten, ab dem Jahr 2014 von der Ukraine blockiert, nach meiner Meinung völkerrechtswidrig.

Ähnliches geschah mit der Stromversorgung, allerdings bekam man das Problem schnell mit Kabeln aus Kernrussland unter dem Meer sowie mit mobilen Kraftwerken schon Anfang 2014 in den Griff. Mit der Fertigstellung der 18 Kilometer langen Brücke vom russischen Festland aus im Jahre 2018 hat sich die Situation weiter verbessert. Aktuell arbeitet man an der Wasserversorgung für die Landwirtschaft. Da hat sich seit meinen letzten Besuch 2018 schon viel getan.

Auf der anderen Seite konnte ich sehen, dass westliche, global agierende Konzerne auf der Insel wieder ihre Filialen betreiben, zum Bespiel die deutsche Metro oder internationale Autohersteller.

In den Donbass-Republiken ist dies nicht möglich, obwohl die Gebäude in vielen Fällen intakt geblieben sind; dort darf auf Druck der Ukraine und der westlichen Sanktionen der Geschäftsbetrieb nicht wieder aufgenommen werden. Wir besuchten unter anderem den tatarischen Ort Bakhchysarai.

Im Hafen von Sewastopol sahen wir durch Zufall den einzigen, aber gigantischen russischen Flugzeugträger ADMIRAL KUSNEZOW, der aus dem Mittelmeer zurückkam. Ein Besuch galt auch dem deutschen Soldatenfriedhof in Gontscharnoje, der immer noch vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. verwaltet wird. Dort sind rund 25.000 deutsche gefallene Soldaten beerdigt. Im Zweiten Weltkrieg tobten auf der Krim sehr harte Kämpfe, in denen viele sowjetische und deutsche Soldaten ihr Leben verloren.

Bis jetzt funktioniert die Finanzierung über den Volksbund noch, nur ist durch die Sanktionen und die politischen Blockaden aus Berlin natürlich alles jetzt schwieriger geworden. Es dürfen keine offiziellen Besuche mehr auf dem Friedhof stattfinden. Einzelne private Besucher aus Deutschland kommen allerdings noch, so die Verwalterin. So werden jetzt sogar noch die Toten bestraft, eigentlich nicht zu glauben. An der zentralen Gedenkstätte legten wir Blumen nieder.

Außerdem fuhren wir in Sewastopol zu einem ebenfalls riesigen Areal aus sowjetischen Zeiten zum Gedenken an die vielen sowjetischen Gefallenen. Auch hier legten wir Blumen nieder. Mario, ein Mann aus unserer Gruppe, kniete dort in der Pose von Willy Brand nieder und erinnerte uns damit an die berühmte Szene aus Warschau. Noch zu erwähnen ist der Besuch der alten, historisch sehr interessanten Stadt Jewpatorija.

Die letzten zwei Tage verbrachten wir im wunderschönen Jalta, wo einige Sehenswürdigkeiten für mich schon „alte Bekannte“ waren. Wegen des Spätsommers war die Stadt nicht mehr so voller Touristen, was ich als angenehm empfand. Seit meinem Besuch im letzten Jahr waren neue schöne Geschäfte und einige interessante Cafés und Bars entstanden, in denen eine ungezwungene Atmosphäre herrschte. Das hatte ich 2018 noch etwas vermisst. Alles in allem ähnelt Jalta jetzt immer mehr dem für die Olympischen Spiele sehr schön hergerichteten Sotschi.

Am letzten Abend genossen wir das herzliche Zusammentreffen aller an der Reise Beteiligten, dazu zählten auch unsere russischen „Betreuer“, die sich im Auftrag der Verwaltung der Republik Krim wirklich sehr gut um uns gekümmert hatten.

Mein Flugzeug nach Moskau ging am nächsten Morgen um 5 Uhr. Um 22 Uhr schlief ich jedoch in meinem Zimmer ungewollt ein. Man wollte mich um 1 Uhr abholen, da die Fahrt von Jalta zum nagelneuen Flughafen in Simferopol zwei Stunden dauert. Zu meinem Schrecken wachte ich um 0.30 Uhr auf und hatte meine Sachen noch nicht gepackt. Meine Abreise gestaltete sich also etwas chaotisch, aber am Ende verlief alles gut und mein Fahrer brachte mich ohne Probleme zum Flughafen. Gegen Mittag landete ich müde, aber zufrieden mit sehr vielen interessanten Eindrücken wieder in Zürich. Das wird sicherlich nicht meine letzte Reise auf die Krim gewesen sein.


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Plakat im Simferopol „Wir bauen die neue Russische“, Krim Sommer 2014, Foto: Marco Leo Samm

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Bus im Zentrum von Simferopol mit Parolen der Wiedervereinigung mit Russland 2014, Foto: Marco Leo Samm

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Hotel Intourist Yalta Sommer 2014, Foto: Marco Leo Samm

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Kiew Maidan Szene mit Angehörigendes rechten Sektors, Foto: Marco Leo Samm

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Schwalbennest bei Yalta bekanntes Wahrzeichen der Krim, Foto: Marco Leo Samm

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Kiew Maidan Demostration Dezember 2014 unter den Fahnen des nationalistischen rechten Sektors, Foto: Marco Leo Samm

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Russische Schwarzmeerflotte 2019, Foto: Marco Leo Samm

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Treffen im Parlament mit Abgeordneten und Präsidenten 2019, Foto: Marco Leo Samm

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Artek 2019, Foto: Marco Leo Samm

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Straßenszene an der Promenade in Yalta 2019, Foto: Marco Leo Samm