Die Kriegsmentalität
Der Frieden kann nicht erreicht werden, solange eine Mentalität der Spaltung in „Wir“ und „Die“ fortbesteht.
Kriegsmentalität ist nicht Gewaltdurst oder Kampfeslust. Kriegsmentalität ist ein Denkmuster und eine Sehgewohnheit. Sie teilt die Welt ein in Wir und Die, Freund und Feind, Held und Schurke. Sie bietet Lösungen im Sinne von Sieg und Erfolg im Sinne von Gewinn. Sie benutzt Bestrafung und Beschuldigung, Abschreckung und Rechtfertigung, richtig und falsch. Sie macht süchtig, denn wenn sie ein Problem nicht lösen kann, besteht die Lösung in der Erhöhung der Dosis. Sie erweitert sich auf neue Feinde und neue Kämpfe. Wenn kein offensichtlicher Gegner zu finden ist, der an der sich verschlimmernden Lage schuld sein könnte, sucht sie intensiver, um einen zu finden, oder sie erschafft stattdessen selber einen. Wichtig ist dabei, festzustellen, dass die Kriegslogik nicht nur die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten betrifft, sondern auch den innenpolitischen Streit, der derzeit in den USA sehr hochkocht. Selbst im Umgang mit den „Feinden“ im eigenen Körper — etwa Viren — finden wir eine fatale Mentalität des Besiegen-Wollens.
Eine liebe Freundin hat sich heute an mich gewandt, eine hochgeschätzte Älteste im Way of Council, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Ich sagte, dass es mir so vorkomme, als beobachte ich einen Zusammenstoß in Zeitlupe, und verspüre dabei dennoch eine eigenartige Heiterkeit, während sich die Katastrophe abspielt. Denn die Zeit, die Fahrer zu beschwören, sie mögen bitte das Lenkrad herumreißen und auf die Bremse treten, ist vorbei. Das haben wir lange Zeit getan, aber sie haben stattdessen beschleunigt, und jetzt ist die schon lang vorausgesehene Kollision unvermeidlich. Tatsächlich passiert sie bereits.
Eines Tages werden alle — Fahrer, Passagiere und Zuschauende — mit einem ernüchterten Blinzeln aus Trümmern und Staub hervorkommen, um die Verletzten zu versorgen und die Toten zu betrauern und zu fragen, was sie nun in ihrer neu gefundenen Freiheit zusammen erschaffen sollen.
Wer weiß, wann dieser Tag kommt. In einer bestimmten Zeitlinie wird es in ungefähr drei Jahren der Fall sein. Diese Zeitlinie hängt davon ab, ob wir als Kollektiv willens sind, eine Information zu akzeptieren und zu integrieren, die alles bisher gemeinsam für wirklich Gehaltene von Grund auf erschüttert. Diese Information wird ein neues Menschheitsdrama unterfüttern, wenn wir uns dafür entscheiden.
Vorhersagen eines beginnenden neuen Kapitels in der Menschheitsgeschichte — wähle ein beliebiges Datum: 2028, oder war das 2012, oder vielleicht die Harmonische Konvergenz 1987 — sind eigentlich keine Vorhersagen, sondern Prophezeiungen. Eine Vorhersage ist objektiv. Sie lässt dem Handeln der Beteiligten keinen Spielraum. Wenn ich den Sieger in einem Fußballspiel vorhersage — das ist mein Nebenjob —, setze ich voraus, dass ich keine Möglichkeit habe, das Ergebnis zu beeinflussen. Ich spiele nicht mit. Dagegen wird eine Prophezeiung nur dann wahr, wenn die Leute ihre Entscheidungen an den davon eröffneten Möglichkeiten ausrichten.
Früher habe ich geglaubt, dass der Kollaps uns retten würde. Dass wir damit aufhören würden, die Natur, einander und unsere eigenen Körper zu zerstören, weil wir damit aufhören müssten. Das glaube ich nicht mehr, genauso wenig wie der Aufprall auf einem Tiefpunkt einen Süchtigen retten kann.
Der „Tiefpunkt“ ist der Augenblick, wo der Süchtige eine andere Entscheidung trifft. Der Kollaps von zunächst einer, dann immer weiteren Dimensionen seines Lebens — Arbeit, Ehe, Familie, Gesundheit, Freiheit — bietet ihm eine ganze Reihe von Einladungen. Dies sind Augenblicke, wo ihm eine Wahlmöglichkeit zur Verfügung steht, wenn die Dynamik innehält und er vor der Frage steht, ob er bereit ist, einen anderen Weg einzuschlagen. Was für den einen Süchtigen der Tiefpunkt ist, ist für einen anderen vielleicht nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Hölle.
Unsere Gesellschaft nähert sich genau solch einem Augenblick, solch einem Entscheidungspunkt.
Von unseren vielen kollektiven und individuellen Süchten ist diejenige, von der ich jetzt sprechen werde, die Anhaftung an den Gepflogenheiten des Krieges.
Kriegsmentalität ist nicht Gewaltdurst oder Kampfeslust. Kriegsmentalität ist ein Denkmuster und eine Sehgewohnheit. Sie teilt die Welt ein in Wir und Die, Freund und Feind, Held und Schurke. Sie bietet Lösungen im Sinne von Sieg und Erfolg im Sinne von Gewinn. Sie benutzt Bestrafung und Beschuldigung, Abschreckung und Rechtfertigung, richtig und falsch. Sie macht süchtig, denn wenn sie ein Problem nicht lösen kann, besteht die Lösung in der Erhöhung der Dosis. Sie erweitert sich auf neue Feinde und neue Kämpfe. Wenn kein offensichtlicher Gegner zu finden ist, der an der sich verschlimmernden Lage schuld sein könnte, sucht sie intensiver, um einen zu finden, oder sie erschafft stattdessen selber einen.
Die Lösung, die die Kriegsmentalität für jedes Problem aufzeigt, ist es, das Schlechte zu finden und auszurotten.
Diese Lösung lässt sich auf unterschiedliche Gebiete menschlichen Handelns anwenden: Landwirtschaft (töte die Schädlinge), Medizin (finde einen Erreger), Sprache (zensiere böse Begriffe), politische Konflikte (töte die Terroristen), öffentliche Sicherheit (sperre die Kriminellen ein). Komplizierte Probleme, wie die in Amerika weit verbreitete Fentanylsucht oder der Niedergang der Industrie, lassen sich auf einfache, wenn auch vergebliche Lösungen reduzieren, sobald man jemanden findet, dem man die Schuld zuweisen kann. Die Chinesen! Die mexikanischen Kartelle! Diese Vorgehensweise bietet eine gewisse Erleichterung, obgleich sie selten Erfolg hat.
Die desaströse Antwort des Gesundheitswesens auf Corona wurde von Kriegsmentalität gespeist. Nach Jahrzehnten nachlassender Gesundheit und einem Anstieg chronischer Erkrankungen, wofür sich kein äußerer Übeltäter ausmachen ließ, hatte man endlich eine Bedrohung, die bestimmt und beherrscht werden konnte. Also wurde die ganze Angst der Bevölkerung auf den neuen schauderhaften, bösen Kerl projiziert. Die Gewohnheit des Finde-den-Feind-Denkens machte die Öffentlichkeit so empfänglich für Strategien, die sich von dumm über absurd bis hin zu tyrannisch erstreckten.
Unsere Führungspersönlichkeiten konstruieren ein Narrativ, das das Böse auf eine bestimmte Person, Nation oder Gruppe festlegt, und das gewohnheitsmäßige Kriegsdenken erledigt den Rest. Schon bald ist die Bevölkerung bereit, Krieg, Zensur, Lockdown, die Aufhebung von bürgerlichen Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit oder gar Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitzutragen.
Dasselbe grundlegende Denkmuster treibt auch Verschwörungserzählungen an. Wenn wir die Ursache aller Ungerechtigkeiten und Schrecken der Welt auf eine verschwiegene Gruppe von miesen Akteuren, eine psychopathische Clique zurückführen, dann sind unsere Probleme theoretisch leicht lösbar (1). Genauso, wie eine Krankheit, die von einem Erreger verursacht wird, durch das Abtöten des Keims geheilt werden soll, könnten wir die Krankheit der Gesellschaft heilen, indem wir die Pathokraten von der Macht fernhielten.
Selbst in Fällen, wo ein Erreger die direkte Ursache ist, müssen wir immer noch fragen, welche Bedingungen den Organismus für diesen Erreger empfänglich machen. Einige in meiner Leserschaft halten mich für naiv, weil ich den Einfluss einer satanischen Clique innerhalb der Machtelite bei der Manipulation des Weltgeschehens unterschätze. Aber für mich ist die wichtigste Frage nicht, ob eine derartige Clique existiert. Es ist das psychosoziale Muster, das es ihr erlaubt, die Oberhand zu behalten — ob sie nun existiert oder nicht.
Dieses Muster ist wiederum die Kriegsmentalität. Es ist die Wir-gegen-Die-Denkweise. Es ist Entmenschlichung und „Othering“, die Aufteilung der Welt in Vollmenschen und Untermenschen. Letztere Kategorie kann die Form von Rassismus, Sexismus, Homophobie und so weiter annehmen, oder schlicht Verachtung für alle, die eine andere Meinung haben.
Sind zwei Seiten erst einmal in die Kriegsmentalität verstrickt, verstärkt sie sich wie eine Sucht, bis alles andere aufgezehrt ist.
Hass und Verachtung sind in der amerikanischen Politik immer mehr außer Kontrolle geraten. Triggerwarnung: Es ist nicht möglich, über dieses Thema zu schreiben und dabei den Narrativen beider Seiten treu zu bleiben. Wenn du vollkommen davon überzeugt bist, dass a) Trump für eine faschistische, oligarchische Vereinnahmung der Demokratie steht, die die übelsten rassistischen, frauen- und fremdenfeindlichen Elemente der amerikanischen Psyche ausnützt, um alles zu zerstören, was in Amerika gut und menschlich ist, oder b) die MAGA(2)-Revolution Freiheit und Gesundheit in ein System zurückbringen wird, das von einem Tiefen Staat vereinnahmt worden war, der Umweltschutz und gesellschaftliche Teilhabe als Vorwände für ein totalitäres Kontrollsystem benutzte, oder c) irgendein anderes Narrativ, das die Welt in Team Gut und Team Böse spaltet, ja, dann wirst du verwirrt den Kopf darüber schütteln, dass Eisenstein von allen guten Geistern verlassen ist. Du bist frustriert, sogar wütend, dass ich argumentiere, ohne dabei die Bösen lauthals anzuprangern. Wenn man dem absolut Bösen gegenübersteht, ist doch keine andere Reaktion zulässig, außer es mit allen erforderlichen Mitteln zu bekämpfen.
Wie einfach wäre dann alles. Wie leicht würde man zum Helden der Geschichte.
Das höchste Kriegsziel ist es natürlich, den Gegner zu schlagen. Der Unterschied zwischen Krieg und Spielen, Sport, Wettbewerb und — in gewöhnlichen Zeiten — der Politik ist, dass in den letztgenannten Bereichen etwas wichtiger ist als das Gewinnen, nämlich die Spielregeln. Fußballmannschaften versuchen normalerweise nicht, ihre Gegner zu vergiften. Das Spiel selbst ist ihnen heiliger, als es zu gewinnen. In einer funktionierenden Demokratie, in der alle Parteien die Verfassung oder einen Kanon von Normen und Werten hochhalten, gibt es bestimmte Tabus, die sie nicht um des Sieges willen verletzen würden. Die Politik in den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern steuert immer näher auf einen Krieg zu — unausweichlich, wenn jede Seite die andere als Verkörperung des Bösen betrachtet. Heute sind in meinem Land sowohl die Linke als auch die Rechte ganz sicher, dass die andere Seite „eine Bedrohung für die Demokratie selbst“ darstellt.
In dieser Gewissheit wird jede Seite zu dem, was die andere fürchtet. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Die alte politische Elite und die Trump’schen Usurpatoren sind in einem Teufelskreis gefangen. Wenn eine Seite in ihrem absoluten Machtstreben nachlässt und dessen Unbarmherzigkeit aus Respekt vor demokratischen Grundsätzen vermindert, wird die andere Seite dies als Schwäche ausnützen.
Sobald eine Seite ihre Skrupel ablegt, müssen das alle Seiten tun. Wenn bei einem Fußballspiel die eine Mannschaft betrügt, kann die andere nur dann gewinnen, wenn sie auch betrügt.
Im Kampf gegen das Böse ist jedes Mittel gerechtfertigt. Man muss womöglich die Demokratie zerstören, um sie zu retten, die freie Rede unterdrücken, um freie Rede zu bewahren, Wahlen streichen, um das Wählen zu verteidigen. Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke. Es genügt inzwischen nicht mehr, die Gegner nur bei einer Wahl zu besiegen; sie müssen auch eingekerkert werden. Die Vereinigten Staaten, die Türkei, Frankreich, Brasilien und Rumänien haben jeweils während des vergangenen Jahres oppositionelle Politiker mit fadenscheinigen Anklagen verfolgt, was eine Rückkehr zum historischen Werkzeug signalisiert.
In den Vereinigten Staaten hat der Oppositionspolitiker, Donald Trump, den Klagekrieg überlebt und die Wahl gewonnen. Es fragt sich: Ist das nun ein Sieg für die Demokratie oder einfach ein Sieg für Donald Trump? Wird er die politische Aufrüstung von Bundesbehörden wie dem Justice Department (Justizministerium), IRS (Bundessteuerbehörde), State Department (Außenministerium), CISA (Bundesbehörde für IT-Sicherheit), CIA (Geheimdienst) und FBI (zentrale Sicherheitsbehörde) beenden oder wird er sie lediglich auf neue Zielobjekte ausrichten? Wird er freie Rede und bürgerliche Freiheiten wiederherstellen oder wird er mit den Werkzeugen Zensur und Überwachung neue Feinde ins Visier nehmen?
Wird Donald Trump den Ring der Macht in die „Schicksalsklüfte“ werfen? Oder ist der „Ring“ nur auf andere Hände übergegangen, wobei die Technologie seine Kräfte, Zensur, Propaganda, Überwachung, Konto-Entzug, noch verstärkt?
Tut mir leid, aber es sieht nicht gut aus. Um nur ein Beispiel auszuwählen: „Antisemitismus“ — definiert als jegliche Kritik am Staat Israel — hat „Desinformation“ als Vorwand, die Redefreiheit, die Versammlungsfreiheit, den Schutz vor unangemessenen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen, Überwachung und das Recht auf einen ordnungsgemäßen Gerichtsprozess zu missachten, ersetzt. Die Festnahmen von Rumeysa Öztürk und Mahmoud Khalil aufgrund von „Unterstützung der Hamas“ — also Widerstand gegen das Abschlachten, Verhungernlassen und die ethnische Säuberung Gazas durch Israel — sowie der Druck auf Universitäten, die Studentenproteste abzustellen, haben einen eiskalten Präzedenzfall geschaffen.
Trump hat das Land immerhin vom Kriegspfad mit Russland abgewandt, aber er bringt das Land nicht vom Pfad des Krieges ab. Die oberen Ränge seiner Regierung sind von Kriegsmentalität durchdrungen. Statt gegen Russland führt der Kriegspfad nun in Richtung Iran und China.
Die Kriegsmentalität benötigt immer einen Feind. Wenn sich kein Feind anbietet, erschafft sie einen. Die Helden-Nation benötigt einen Schurken. Der Sieger benötigt einen Verlierer. Wenn ich erwarte, dass du auf meine Kosten Profit machen willst, und ich dich dementsprechend behandle, dann wirst du vermutlich meiner Erwartung folgen. Erblicke eine Welt voller Feinde, und es werden Legionen von Feinden auftauchen.
Ich will fair bleiben: Donald Trump ist keineswegs auf Abwegen in seinem Glauben, dass jedermann immer das Beste für sich herausschlagen will. Das ist die Grundannahme der klassischen Wirtschaftswissenschaften, selbst der Evolutionsbiologie, wonach wir von unseren Genen dafür programmiert sind, unsere eigene Fortpflanzung zu maximieren. Diese Paradigmen sind jedoch seit Langem überholt. Das eigenständige und vereinzelte Selbst ist ein Prisma, das nur eine Wellenlänge der Regenbogenfarben des Lebens wiedergibt, aber verbirgt, was wir heute dringend erkennen müssen.
Denn die Welt ist so viel mehr als eine Ansammlung von einzeln im Wettbewerb stehenden Wesen; sie besteht aus Vernetzungen und wechselseitigen Abhängigkeiten; Strategien, die sich auf das Wir-gegen-Die-Denken stützen, schaden unweigerlich genauso dem „Wir“ wie dem „Die“. Krieg im Ausland bringt Gewaltherrschaft im Inland. Häusliche Gewalt nimmt zu und spiegelt die auswärtige Gewalt. Umweltzerstörung erzeugt Krankheit bei Menschen. Und jedes Wirtschaftsprogramm, das die Gesamtvernetzung der modernen Ökonomie nicht berücksichtigt, wird auf seinen Urheber zurückfallen.
Gestattet mir eine kurze Abschweifung auf die Ökonomie und Trumps Zölle. Das Konzept hat durchaus eine gewisse Berechtigung. Vorsichtig geplante Zölle, die schrittweise im Tempo der Anpassung des Gewerbes erhoben werden, könnten zu positiven Zielen beitragen: Wiederbelebung lokaler und regionaler Wirtschaft, Abkehr von der Finanzialisierung der Volkswirtschaft und das Ende vom globalen „Rennen in Richtung Tiefpunkt“, bei dem der Freihandel Arbeiter aus der ganzen Welt gegeneinander in den Ring schickt. Leider sind Trumps abrupte Pauschalzölle weder vorsichtig geplant noch angepasst. Sehr wahrscheinlich werden sie Hunderttausende Geschäfte in den Ruin und Millionen Familien in die Armut treiben, sowohl in den USA als auch im Ausland.
Die Zölle werden zunächst sofortige Auslagerungen und langfristig massive Unwirtschaftlichkeit bewirken. Es existieren hier weitere Schwierigkeiten, über die ich noch extra schreiben werde.
Was uns momentan interessieren soll, ist, dass der Fehler in der Zollpolitik einem grundlegenden Missverständnis über die gegenseitige Abhängigkeit in der Wirtschaft entstammt, einem Missverständnis, das jedem, der im Wir-gegen-Die-Denken gefangen ist, ganz selbstverständlich passiert.
Aus Beobachtungen meiner Freunde und Bekannten im „inneren Kreis“ schließe ich, dass Trumps Team ernsthaft daran glaubt, dass es selbst die Rechtsstaatlichkeit hochhält, indem es seine politischen Gegner wegen echter Kriminalität verfolgt und korrupten Nichtregierungs-Organisationen, die zufällig auch von seinen politischen Gegnern geleitet werden, die Finanzierung streicht. In der Tat gibt es bei den bestehenden Institutionen jede Menge Kriminalität. Die Behörden, die Trump abbaut, wie USAID, NED [US-amerikanische Denkfabrik für liberale Demokratie] und USIP [US-Friedens-Akademie], haben dabei mitgewirkt, die neoliberale Weltordnung zu festigen und das neokonservative Programm allumfassender Dominanz zum Einsatz zu bringen. Trumps Team sieht sich selbst als Reformatoren, die die Ehre und den Wohlstand der Nation wiederherstellen. „Den Sumpf trockenlegen“ und „Make America Great Again“ sind keine zynischen Schlagworte.
Betäubt von berauschenden Idealen kann das Team Trump nicht sehen, dass sein Programm genauso auf eine andere Beschreibung passt: Machtergreifung.
Wenn sie mit dieser Einschätzung konfrontiert wären, würden einige in Trumps Umfeld ihr wahrscheinlich zustimmen. Sie könnten antworten: „Was haben wir denn für eine Wahl, wo wir doch einem skrupellosen Tiefen Staat gegenüberstehen?“ Ganz ähnlich könnten seine Gegenspieler in einem ehrlichen Augenblick zugeben, dass sie tatsächlich die Gerichte, das FBI und so weiter gegen Trump und seine Anhänger mobilisiert und alle Arten von Betrug angewandt haben, aber was hatten sie denn für eine Wahl, wo doch eine neofaschistische Bewegung dabei war, das Land zu übernehmen?
Was beide Seiten glauben, ist, dass die andere Seite mehr nach Macht giert, als sie die Demokratie wertschätzt. Damit das Spiel jedoch funktioniert und nicht in Krieg abgleitet, muss jede Seite glauben, dass der anderen das Spiel an sich — faire Wahlen, die Verfassung — wichtiger ist als der Sieg im Spiel. Wenn man überzeugt ist, dass die andere Seite betrügt, muss man auch betrügen.
Zweifellos glauben auf beiden Seiten viele, dass das jetzt „vorübergehende Maßnahmen“ sind; dass sie, wenn sie schließlich über die antidemokratischen Kräfte auf der anderen Seite triumphiert haben, dem Volk die Macht wieder überlassen werden. Doch so läuft das nie. Jede Seite glaubt aus gutem Grund, dass ein Sieg der Gegenseite von Dauer sein wird. Deswegen der eskalierende Kampf auf Leben und Tod, der Teufelskreis, der unausweichliche Zusammenstoß.
Was mich in den letzten zehn Jahren meines Friedensengagements am meisten beunruhigt hat, sind nicht die Aktionen und Einstellungen von Politikern, sondern das Einsickern der Kriegsmentalität in die Gesamtbevölkerung, die anschwellende Flut allgegenwärtigen Hasses.
Der ist die Energie, aus der die psychopathischsten Elemente der Oligarchie schöpfen. Er ist ihr Lebensblut. Er ist ihre Kraftquelle. Er ist ihre Herrschaftsgrundlage — indem sie ihre Untertanen gegen einander wendet. Mit „sie“ meine ich die Oligarchie und nicht die Oligarchen, denn Letztere sind Marionetten der Systemdynamik und damit unabhängig von den Individuen, die ihre Rolle innehaben. Der Haupttrick in ihrem Werkzeugkasten psychopolitischer Taschenspielerei ist es, die primäre Wut der Enteigneten auf ein falsches Zielobjekt auszurichten, in erster Linie Wut umzuwandeln in Hass. Paradoxerweise gedeiht das System, das die Eliten emporhebt, sogar dann, wenn die Eliten selbst die Hassobjekte sind. Eine Elite kann gegen eine andere ausgetauscht werden, neuer Wein in alten Schläuchen.
Als ich diesen Artikel vorbereitete, habe ich nach persönlichen Geschichten über die Auswirkungen der von der DOGE [neue US-Behörde für effiziente Verwaltung] veranlassten Kürzungen gesucht. Ein Freund stellte mich bei einigen Kleinbauern in einer bestimmten, eher linken Zurück-aufs-Land-Gegend vor. Sie wollten nicht mit mir reden. Eine queere Person dort gab ihrer Furcht Ausdruck, dass sie in Gefahr geraten könnten — ich nehme an, durch meine wutschäumende, transphobische MAGA-Leserschaft. Eine andere, die sich im Autismus-Spektrum verortete, machte sich Sorgen wegen meiner Nähe zu Leuten, die abstruse Theorien über Autismus verursachende Impfstoffe verbreiten.
Ich versicherte ihnen, dass sie nichts zu befürchten hätten, selbst wenn vielleicht jemand meinen Essay läse, der Furcht und Hass gegenüber queeren Menschen hegt, weil ich ja keinerlei Grund hätte, sie in einem Gespräch über die Auswirkungen der Mittelkürzungen für nachhaltig wirtschaftende Landwirte namentlich zu nennen oder ihre Geschlechtsidentität zu erwähnen. Was das Impfthema angeht, naja, ok, ich glaube in der Tat, dass die Impfungen im Kindesalter zum Teil für den sprunghaften Anstieg von Autismus und chronischen Erkrankungen bei Kindern verantwortlich sind. Aber es gibt keinen Grund, autistische oder sonstwie neurodivergente Menschen an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil: Diese Menschen haben Begabungen, die für den Wandel unserer Gesellschaft unentbehrlich sind.
Aber ich schweife ab. Was hier eigentlich vorging, war, dass mich meine Verbindungen und Meinungen zu bestimmten politisierten Themen als Mitglied der gegnerischen Seite kennzeichneten, der bösen Seite, der unberührbaren Seite. Es ist gewissermaßen „nicht sicher“, sich mir zu nähern. Ich hab‘ nämlich die Krätze, und alle, die mir nahe sind, könnten sie kriegen. Während der McCarthy-Ära konnte es deine Karriere zerstören, wenn du auch nur in Gesellschaft einer Kommunistin gesehen wurdest. Sich unter Hitler mit Juden gemein zu machen, bedeutete auch für dich selbst das Risiko von Inhaftierung oder Schlimmerem. Wenn ein Weißer in der Jim-Crow-Ära in den Südstaaten nett zu Dunkelhäutigen war, riskierte er, ausgegrenzt oder gar gelyncht zu werden.
Es macht Angst, sich mit den gesellschaftlich nicht Salonfähigen zu verbinden, denn ihr Status ist ansteckend.
Die Tatsache, dass meine Absicht darin bestand, einige Geschichten vorzustellen, die die Leute aus dem Trump-Beweihräucherungs-Syndrom — Gegenteil des Trump-Gestörtheits-Syndroms — aufwecken könnten, zweifellos ein edles Ziel in den Augen meiner Korrespondentinnen, reichte nicht aus, das Tabu gegen die Verbindung mit einer gesellschaftlich unzulässigen Person zu überwinden.
Dieser immer größer werdende Abgrund in unserer Gesellschaft neigt auch dazu, sich selbst zu verstärken. Hat er genügend Schwung, geht er unaufhaltsam in Richtung Bürgerkrieg oder Völkermord. Ich habe die Chauffeure dieser Fahrzeuge viele Jahre lang angefleht, in eine andere Richtung zu lenken. Jetzt habe ich genug vom Anflehen. Das Drama wird sich von selbst abspielen. Warum habe ich genug davon? Ein Gefühl von Vergeblichkeit und Überdruss. Naja, ich glaube, ich habe noch nicht ganz genug — ich schreibe gerade darüber.
Und ich kann mir schon den Hass vorstellen, den ich auslösen werde, indem ich die Narrative beider Seiten verletze: meine „Unfähigkeit, X zu berücksichtigen“, mein „weißes Privileg, das mich gegenüber Y blind macht“, meine „fehlende Bereitschaft, die Realität des Bösen anzuerkennen“, oder dass ich auf Trump hereingefallen bin, oder gekniffen und ihn verraten habe, oder ein feiger Zaungast bin, oder mich dem Luxus des Beidseitismus hingebe … Es geht nicht so weit, dass ich diese Anschuldigungen als persönliche Beleidigung betrachte, aber sie sind ein Alarmsignal dieser Zeit. Wenn ich, ein Friedens-Verkünder, so leicht auf die Stufe des Unberührbaren gestellt werden kann, welche Hoffnung gibt es dann noch für Verständnis oder Versöhnung zwischen den Krieg führenden Blöcken einer Gesellschaft?
Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Letzte Woche habe ich mich von einem weisen Mann beraten lassen, einem meiner spirituellen Führer. Ich verrate seinen Namen nicht, damit ich ihn nicht mit meiner Krätze infiziere. Ich sage nur, dass er aus Afrika stammt und ein hoher Eingeweihter in süd- und westafrikanischen Weisheitsschulen ist, aber auch in der westlichen hermetischen Tradition. Er fixierte mich mit einem durchdringenden, freundlichen Blick und teilte mir mit, dass meine Nebennieren- und Blutzucker-Probleme daher kommen, dass mich meine öffentliche Tätigkeit zu einer Projektionsfigur gemacht hat. Die Angriffe landen auf meinem Körper, sagte er. Ich fragte, was ich tun könne, wenn die Gesellschaft anscheinend verrückt geworden ist. Er antwortete: „Warte ab.“
Diese Anweisung, „Warte ab“, ist kein Aufruf zur Passivität. Es geht darum zu erkennen, wann die Zeit zum Handeln gekommen ist, und wann Handeln vergeblich oder kontraproduktiv wäre. Sie bedeutet ebenso zu erkennen, dass es Kräfte gibt, die weit jenseits unserer eigenen in der Welt wirken.
Und sie bedeutet zu akzeptieren, dass bestimmte Dramen bis zu ihrem Ende durchgespielt werden müssen, bevor ein neuer Akt beginnen kann. Jetzt ist vielleicht — zumindest für mich — nicht der Zeitpunkt, um Krieg führende Parteien zur Versöhnung zu drängen. Das Drängen trifft auf taube Ohren. Wer Frieden vorschlägt, wird von beiden Seiten als Verräter an der Sache gesehen, denn sobald man die andere Seite als menschlich betrachtet oder anerkennt, dass auch sie eine ehrliche Weltsicht hat, die auf ihren eigenen Erfahrungen beruht, dämpft dies das Kriegsfieber. Der Hass ist ein notwendiges Werkzeug für Krieg — und ebenso für Politik, wenn die Politik zu Krieg wird.
Was vergeblich ist, wird schnell aufreibend. Vielleicht kann sich erst, wenn die Kriegsparteien sich selbst auch im Wir-gegen-Die-Drama aufgerieben haben, ein neues Drama entfalten — aus Vergebung, Reue und Versöhnung.
Das ist ein herzzerreißender Vorschlag, weil der Preis für die Menschheit ungeheuerlich ist. Die Art von Gewalt, die an Orten wie Palästina, Ruanda, Jugoslawien, Kongo, Irak, Jemen, Uganda, Kambodscha oder Vietnam erlitten wurde und wird, blieb meinem Heimatland lange Zeit erspart, aber wir sind nicht davor gefeit. Etwas Urtümliches und Schreckliches lauert hinter der dünnen Fassade der Zivilisation. Es braucht nicht viel, dass Mord-Impulse aufbrechen. Sie brodeln bereits in den sozialen Medien. Wir unterscheiden uns als Spezies nicht von den Tätern vergangener oder gegenwärtiger Völkermorde. Ich sage damit nicht, dass es in meinem Land sicher geschehen wird, aber es ist bei Weitem nicht sicher, dass es nicht geschehen wird.
In gewissem Sinne geschieht es seit Langem in verdeckter Form. Wie viele Millionen sind gestorben oder haben unendliches Leid erlitten durch Inhaftierung, Gewalt, Missbrauch, Sucht, Depression und chronische Krankheit? Auf langen und gewundenen Pfaden entstammt all dies derselben Grundursache wie offener Krieg und Völkermord. Es kommt von der Reduzierung menschlicher Wesen auf weniger als etwas Heiliges. Doch das alles geschieht unter der Fassade von Normalität. Diese Fassade wird in den nächsten drei Jahren fallen.
Der Zerfall von Normalität ist letztendlich etwas Gutes. Wenn sich der Staub gelegt hat, werden wir inmitten der Ruinen unseres Gefängnisses stehen und voller neuer Fragen sein.
Dann können wir sehen, dass die Spaltung der Welt in Wir und Die sowie die Schulddiagnose, die diese Spaltung begleitet, gescheitert sind. Wir werden sehen, dass Krieg keinen Frieden gebracht hat, Hass keine Gerechtigkeit, Dominanz keine Sicherheit und Herrschaft keine Freiheit.
Dieses Scheitern von Zielsetzungen wird der Abglanz eines tieferen Scheiterns sein, des Scheiterns von Verständnis. Die Sichtweisen, mit denen wir bisher die Welt mit Sinn erfüllten, werden keinen Sinn mehr ergeben. Werden wir die Stärke aufbringen, lange genug im Staunen zu verharren, bis uns ein neues Verständnis erwächst? Oder werden wir aus Angst in eine neue Variante der alten Geschichte springen und die alten Schurken durch einen Satz neuer Schurken ersetzen, ein neues Wir und ein neues Die, um dasselbe Drama noch einmal auf die Bühne zu bringen?
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „When Politics Becomes War“ auf Substack von Charles Eisenstein. Er wurde von Ingrid Suprayan und Bobby Langer übersetzt sowie korrekturgelesen und anschließend unter dem Titel „Wenn Politik zu Krieg wird“ auf dem deutschen Ableger zweitveröffentlicht.Dieser Artikel ist unter einer Creative-Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 3.0 Deutschland) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen darf er verbreitet und vervielfältigt werden.