Die korrupten Eliten
In der Politik gilt dasselbe wie im Krieg: Am Ende siegt, wer das meiste Geld hat. Exklusivabdruck aus „Die Beichte meines Vaters über die Herkunft des Bimbes: Die schwarzen Kassen der CDU“. Teil 1/2.
In welchem Umfang die CDU jahrelang auf Gelder aus schwarzen Kassen zurückgriff, kam vor genau 20 Jahren ans Tageslicht: Helmut Kohl bestätigte die Existenz von „schwarzen Konten“ in der Partei. Im neuen Buch erzählt Karl-Heinz Ebert nun die wahre Geschichte des sogenannten Bimbes.
2015 machte der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble in einem Interview eine eher beiläufige Bemerkung, als er wieder einmal nach den ominösen „vier oder fünf“ anonymen Spendern des Helmut Kohl gefragt wurde: „Es gibt keine (Spender). Weil‘s aus der Zeit von Flick schwarze Kassen gab.“ Auch wenn Schäuble diese kategorische Aussage später relativierte („Vielleicht gab es auch Spender.“) — seine Bemerkung löste 15 Jahre nach Kohls Rücktritt vom Ehrenvorsitz der CDU erneute intensive Recherchen der Filmjournalisten Stephan Lamby und Egmont R. Koch sowie des Spiegel aus. Die Ergebnisse präsentierten das Magazin und die ARD dann Anfang Dezember 2017 — ein halbes Jahr nach Helmut Kohls Tod. Es war ihm also gelungen, sein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen.
Blenden wir kurz zurück in die Zeit der Jahrtausendwende. Es begann im November 1999 mit dem Haftbefehl der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Bundesschatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, wegen Steuerhinterziehung — und schien zunächst „nur“ ein Fall persönlicher Bereicherung zu sein: Kiep habe eine 1991 auf einem Parkplatz in der Schweiz erhaltene Barspende nicht versteuert. Um sich zu retten, musste Kiep mit der Wahrheit herausrücken: Die Million war für die CDU bestimmt, stammte von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber, der im Auftrag der Firma Thyssen agierte, und sei auf ein Anderkonto eingezahlt worden, das nicht in den offiziellen Büchern der CDU auftauche. Beteiligt an der Transaktion seien auch der Frankfurter Wirtschaftsberater Horst Weyrauch und der Bevollmächtigte der Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, gewesen. (Besonders bemerkenswert übrigens: Kiep nahm die Schreiber-Million entgegen, während der Prozess gegen ihn wegen seiner Verstrickung in den Flick-Skandal noch lief!)
In der Öffentlichkeit kamen nun schnell Fragen auf: eine so hohe Spende ohne Gegenleistung? Bald richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien, das die Bundesregierung der Firma Thyssen just 1991 genehmigt hatte. Und wieso Bargeld? Wieso in der Schweiz? Ende November 1999 räumte der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ein, dass die CDU unter Helmut Kohl ein System schwarzer Kassen betrieben habe. Nun rückte Kohl selbst ins Zentrum des Interesses. Und wenige Tage nach dem Hinweis seines langjährigen Vertrauten und späteren Intimfeinds Geißler übernahm Kohl scheinbar Verantwortung: Am 16. Dezember 1999 sagte er in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Kohl?“, er habe von 1993 bis 1998 insgesamt „zwischen anderthalb und zwei Millionen Mark“ an Spenden in bar entgegengenommen und unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften verwendet, ohne dass das in den Kassenbüchern aufgetaucht sei. (Später gab er an, er habe das Geld vor allem für den Aufbau der CDU in den neuen Ländern verwendet — was sich einige Monate danach als Lüge erwies. In Wirklichkeit war es für Wahlkämpfe und Meinungsumfragen verwendet worden, also zur Stabilisierung der bröckelnden Macht der Kohl-CDU.) Die Namen der Spender gedenke er aber keinesfalls zu nennen, weil er ihnen sein Wort gegeben habe, ihre Anonymität zu wahren.
Nun brach ein Sturm der Entrüstung los. Kohls Verhalten widersprach allen verfassungs- und zivilrechtlichen Vorschriften über die Offenlegung der Herkunft von Spenden. Aber schwerer noch als die juristische Seite seines Verhaltens wog die moralische: Ein Ex-Bundeskanzler maßte sich an, sein persönliches Empfinden dessen, was angemessen und richtig sei, über die Gesetze des Staates zu stellen, den er keine zwei Jahre vorher noch repräsentiert und geführt hatte. In der Aufregung über Kohls Chuzpe und Arroganz ging weitgehend unter, was an seiner Aussage noch merkwürdig gewesen war: Warum hatte er sich dem ZDF überhaupt freiwillig gestellt? Warum hatte er sich in dem Interview auf einen kurzen Zeitraum von nur fünf Jahren beschränkt (obwohl er 25 Jahre lang CDU-Vorsitzender gewesen war)? Und warum blieb er sowohl beim Betrag als auch bei der Anzahl der Spender merkwürdig vage? 2003 antwortete Kohl in einem Interview mit Stephan Lamby und Michael Rutz auf eine Nachfrage im für ihn typischen, selbstgerecht-gereizten Ton, das seien „vier oder fünf Leute“ gewesen, und mehr sage er bekanntlich nicht dazu. Und er betonte auf merkwürdige Weise, dass ja nie ein anderer Betrag als die 2 Millionen genannt worden sei. Aber all dies fiel, wie gesagt, für lange Zeit niemandem auf.
Der Druck auf Kohl auch aus seiner eigenen Partei wurde so groß, dass er im Januar 2000 den Ehrenvorsitz niederlegte. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Spendenaffäre blieb er bei seiner überheblichen Haltung und verweigerte jegliche Angaben. Gegenüber dem damaligen Bundesgeschäftsführer der CDU, Willi Hausmann, räumte Kohl zwar ein, dass es geheime Konten gegeben habe; dies sei notwendig gewesen, um parteiinterne Vorgänge zu finanzieren. Ein Unrechtsbewusstsein schien er aber weiterhin nicht an den Tag zu legen.
Fragen nach der Käuflichkeit von Entscheidungen seines Kabinetts wies er mit pathetischer Entrüstung zurück. Dies konnte er vermutlich auch deshalb tun, weil vor der Übergabe der Regierungsgeschäfte an Gerhard Schröder möglicherweise große Mengen von Akten im Kanzleramt gezielt vernichtet worden waren — etwa jene über den Verdacht, bei der Übergabe des DDR-Tankstellensystems an die französische Gesellschaft Elf Aquitaine seien Schmiergelder im Spiel gewesen.
Auch die Akten zu den Spürpanzer-Lieferungen an Saudi-Arabien, die Korrespondenz des Kanzleramts mit Karlheinz Schreiber und andere Vorgänge, die in Verbindung mit großzügigen Spenden an die CDU standen, waren nach den „Bundeslöschtagen“ nicht mehr auffindbar. Rechtlich betrachtet ist der Vorwurf der Aktenvernichtung aber nie belegt worden — die Staatsanwaltschaft sah keine ausreichenden Belege, um Anklage zu erheben. Kein Wunder: Schon einige Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Aktenvernichtung hatten einen „kollektiven Gedächtnisschwund“ bei den relevanten Zeugen konstatiert.
Zum organisierten Gedächtnisverlust trug auch bei, dass der maßgebliche Ermittler bei der Augsburger Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jörg Hillinger, der seit 1995 gegen den Willen seines Vorgesetzten den Finanztransaktionen Karlheinz Schreibers auf der Spur gewesen war, im April 1999 praktischerweise einem Verkehrsunfall zum Opfer fiel — und dass seine Aktennotizen auf Anordnung seines Nachfolgers teilweise geschwärzt wurden.
Jeder von Kohls Auftritten vor dem Untersuchungsausschuss im Jahr 2000 zeigte, dass er sich weiterhin als unantastbarer, „ewiger“ Kanzler fühlte, obwohl seine Regierung über ein Jahr zuvor abgewählt worden war. Und er nahm stoisch in Kauf, dass seine Partei großen finanziellen und politischen Schaden nahm — und dass sein persönlicher Ruf als international respektierter „Kanzler der Einheit“ erheblich litt und alte Zweifel an seinem Charakter neue Nahrung erhielten. Die Frage, warum Kohl bereit war, einen so hohen Preis zu bezahlen, anstatt die Spender zu nennen, wurde damals zwar gestellt, blieb aber unbeantwortet.
Der finanzielle Schaden für die CDU war erheblich — zumal nach und nach immer mehr ungeklärte Geldbeträge in den Unterlagen der CDU auftauchten. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche Schattenkonten und Briefkastenfirmen wie zum Beispiel die Schweizer Stiftung „Norfolk“ der Geldwäsche für Beträge dienten, die der CDU zugute kamen, aber nie in deren Büchern und Rechenschaftsberichten aufgetaucht waren.
Kohls Versuch, durch die Akquise privater Spenden von über 6 Millionen DM den Schaden für seine Partei zu begrenzen, bewies zwar seine große Nähe zu wohlhabenden Unternehmern wie dem Filmhändler und Fernsehunternehmer Leo Kirch und dem Zeitungsverleger Erich Schumann und zeigte, wie sehr ihm diese für seine Politik gewogen waren, war aber angesichts einer Strafe von 41,3 Mio. DM, die Bundestagspräsident Thierse im Februar 2000 über die CDU verhängte, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bald geriet auch Kohls Nachfolger im Parteivorsitz, Wolfgang Schäuble, in den Strudel der Affäre. Ihm wurde der Umgang mit einer 1994 übergebenen Barspende von 100.000 DM zum Verhängnis — sie stammte vom bereits genannten Waffenhändler Karlheinz Schreiber. Weil Schäuble und die CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister sich widersprechende Angaben zum Umgang mit dieser Spende machten und der Betrag niemals in den Büchern der CDU auftauchte, verzichtete Schäuble im Februar 2000 auf eine erneute Kandidatur für den Fraktions- und Parteivorsitz, womit der Weg für Angela Merkel (Partei) und Friedrich Merz (Fraktion) frei war.
Eine besonders unappetitliche Rolle in der Affäre spielte die hessische CDU. Sie war ohnehin ein Schlüsselverband in der Kette von Spendenskandalen, die die CDU seit der weiter unten zu behandelnden Flick-Affäre Anfang der 80er begleiteten, weil der Schwarzgeldstratege Horst Weyrauch seine Wirtschaftsprüfungsfirma in Frankfurt am Main hatte und als Mitglied der hessischen CDU deren Finanzberater war. Lukrativ für den Landesverband war seine große Nähe zum Ferrero-Konzern, die der CDU vermutlich circa 1 Million DM an Schwarzgeld-Barspenden einbrachte. Für besondere Empörung sorgte im Jahr 2000, dass der hessische CDU-Funktionär Sayn-Wittgenstein behauptete, die illegalen Einnahmen stammten aus „Vermächtnissen jüdischer Emigranten“.
Der Versuch, das aus kriminellen Machenschaften stammende Geld ausgerechnet mit der Aura von Opfern des Nationalsozialismus zu verklären, war an moralischer Verkommenheit kaum noch zu überbieten. Er bildete den Höhepunkt der Skrupellosigkeit, die dieser Landesverband der Union gerne an den Tag legte — beispielsweise auch im Zuge der Kampagne gegen die von Rot-Grün geplante Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft während des Landtagswahlkampfs 1999 unter Roland Koch. Dessen Ankündigung einer „brutalstmöglichen Aufklärung“ aller Schwarzgeld-Vorgänge, von denen er selbstverständlich keinerlei Ahnung gehabt habe, gehört seither zum ironischen Zitatenschatz der deutschen politischen Kultur. Und sie wurde selbstverständlich nie eingelöst.
Die 1999 und 2000 nur teilweise enthüllten Vorgänge führten zu einer Verschärfung des Parteiengesetzes, vor allem im Hinblick auf die Transparenz von Spenden. Und sie legten den Verdacht nahe, dass Politik manchmal tatsächlich so funktioniert, wie Klein-Fritzchen-Marxisten sie sich seit jeher generell vorstellen: Die Reichen kaufen sich die Gesetze, die sie brauchen, und die Demokratie ist nur ein Schein. Was aber wirklich zählt, sind Scheine.
Reptilienfonds und schwarze Kassen
Dass es überhaupt schwarze Kassen gibt, mit denen die Mächtigen heimlich das finanzieren, was ihnen zum Machterhalt notwendig scheint, ist eine historisch vergleichsweise neue Entwicklung. Ihr Ursprung liegt ausgerechnet im Absolutismus. Dabei ist für das „L’état — c’est moi“ ja gerade typisch, dass der absolute Herrscher nach Gutdünken, ohne jegliche Kontrolle und mit maximaler persönlicher Willkür über das Geld verfügen kann, das er sich angeeignet hat, also Einnahmen aus seinen Gütern sowie Abgaben, Steuern, Zölle et cetera. Unter diesen Bedingungen brauchte es keine separate schwarze Kasse, weil ohnehin niemand in Frage stellen durfte, wofür das Geld aus der „weißen Kasse“ verwendet wurde.
Aber genau dieses unkontrollierte Ausgeben von Geld, oft für prachtvoll-repräsentative, aber unproduktive Residenzen wie zum Beispiel Versailles, oder auch für Eroberungskriege, erzwang irgendwann eine Kontrolle der staatlichen Ausgaben durch Parlamente. Denn vieles, was die Monarchen ins Werk setzten, ließ sich aus ihren Einnahmen allein nicht finanzieren. Sie benötigten Kredite des allmählich entstehenden und wohlhabenden Kaufleute- und Bürgerstands und deren Bankiers. Die aber waren nach diversen ruinösen Staatsbankrotten irgendwann nicht mehr bereit, ohne Mitsprache- und Kontrollrechte Kredite an den Hof zu vergeben. Und so entstand allmählich das bis heute vornehmste und stärkste Recht der Parlamentarier, nämlich das Budgetrecht.
Es etablierte sich eine erste Form „öffentlicher“ Kontrolle der staatlichen (damals noch: höfischen) Ausgaben. Und die Fürsten stimmten dieser Entwicklung nolens volens zu — weil sie ihre Kreditwürdigkeit erhöhte, also den finanziellen Spielraum vergrößerte. Wenn wohlhabende Kaufleute und Bankiers wussten, dass ihresgleichen ein Auge hatte auf die Staatsfinanzen, waren sie eher bereit, dem Monarchen Geld zu leihen.
Erst durch diese Entwicklung — die Kontrolle und Beobachtung der Staatsfinanzen durch eine (zunächst noch sehr eng gefasste) „Öffentlichkeit“ — entstand die Notwendigkeit schwarzer Kassen. Denn wer Macht hatte, konnte und wollte weiterhin nicht darauf verzichten, Aktionen zu veranlassen und zu finanzieren, die das Licht der Öffentlichkeit nicht vertragen hätten.
Zunächst lag die Macht noch bei den Fürsten oder bei einzelnen Personen mit mehr oder weniger autokratischer Macht. Ein bekanntes Beispiel ist Otto von Bismarck und sein „Reptilienfonds“ — so der Name seiner versteckten Finanzreserve für Schweinereien aller Art wie die Beeinflussung der Presse durch Geldgeschenke an willfährige Journalisten.
Parteienfinanzierung
Ab dem 20. Jahrhundert waren es mehr und mehr die Parteien, bei denen sich die Macht bündelte. Und sie brauchten Geld — für ihre legale Tätigkeit ebenso wie für illegale Aktionen. Dabei stehen Demokratien immer vor einem Dilemma: Überlässt man die Finanzierung der Parteien dem „freien Markt“ — was letztlich der Käuflichkeit politischer Entscheidungen Tür und Tor öffnet? Oder sollen Parteien staatlich subventioniert werden — womit man faktisch eine Art Selbstbedienungsladen für sie errichtet, weil es ja Parteivertreter sind, die im Parlament über den Staatshaushalt und damit auch über die Höhe der Parteienfinanzierung entscheiden? (Wobei die Erfahrung gezeigt hat: Auch eine großzügige staatliche Parteienfinanzierung ist nicht automatisch ein Mittel gegen das Erkaufen von Einfluss durch Spenden …)
In der Bundesrepublik setzte sich ab 1949 eher ein Modell der staatlichen Finanzierung der Parteien und ihrer steuerlichen Begünstigung in Form der Absetzbarkeit von Beiträgen und Spenden durch. Allerdings wurde die Parteienfinanzierung im Verlauf der Geschichte mehrfach neu geregelt und landete bisher dreimal vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Finanzjongleure in den Parteien stellten sich stets schnell auf die Lage ein und (er)fanden lange Zeit immer neue Schlupflöcher und Konstruktionen zum Akquirieren von Schwarzgeld. Diese illegalen und verdeckten Spenden hatten den Vorteil, dass sie nicht in den vom Grundgesetz (Art. 21 GG) geforderten, aber erst seit 1968 gesetzlich verlangten Rechenschaftsberichten der Partei auftauchten, der mit diesen Spenden erkaufte politische Einfluss also nicht öffentlich diskutiert werden konnte. Solange nichts herauskam jedenfalls.
Von 1949 bis 1958 finanzierten sich die Parteien durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Diese konnten in beliebiger Höhe von der Steuer abgesetzt werden. Und eine Veröffentlichungspflicht gab es wie erwähnt nicht — ein klarer Verstoß gegen die Verfassungsvorgabe, wonach die Parteien „über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben“ müssen (Art. 21 GG).
1958 beendete das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis, indem es die steuerlich absetzbaren Beträge deckelte. Die Begründung lautete: Wegen der Steuerprogression würden die Bezieher höherer Einkommen und deren Spenden zur Beeinflussung der politischen Willensbildung begünstigt — ihr Steuervorteil sei größer als der von Geringverdienern. Von nun an konnten wohlhabende Bürger und Unternehmen also nur noch sehr begrenzt Parteispenden von der Steuer absetzen und sich so in einem Zuge sowohl Einfluss als auch Steuervorteile verschaffen.
Dieses Urteil hatten die Regierungsparteien bereits seit 1954 vorausgeahnt, weil das Land Hessen Klage gegen die damals verabschiedete Fassung des Einkommensteuergesetzes eingereicht hatte. Deshalb hatte man sich Gedanken gemacht, wie weitere, indirekte Möglichkeiten zur finanziellen Förderung der Ziele und Interessen der Parteien aussehen könnten. Von 1954 bis 1958 entstanden die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, die (erst seit 1964 so genannte) Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU und die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP. Diese parteinahen Stiftungen wurden und werden aus Steuermitteln finanziert und dienen — unter der Überschrift „politische Bildungsarbeit“ — direkt und indirekt den Interessen der jeweiligen Partei.
Ebenfalls 1954 wurde festgelegt, dass man Spenden für „staatspolitische Zwecke“ steuerlich geltend machen könne. Im selben Jahr gründeten die CDU und verschiedene Unternehmer die später so unrühmlich bekannt gewordene „Staatsbürgerliche Vereinigung“ — eine 1-A-Geldwaschanlage für verdeckte und steuerbegünstigte Parteispenden.
Im Urteil der Karlsruher Richter von 1958 wurde aber auch die Tür zur direkten staatlichen Finanzierung der Parteien geöffnet, die man als gerechter betrachtete. Es sei zwar nicht die Aufgabe des Staates, den gesamten Finanzbedarf der Parteien zu decken, aber es stehe ihm frei, Steuermittel zur Verfügung zu stellen, um die Aufgaben der Parteien zu fördern. Von da an enthielt der Bundeshaushalt einen Posten (anfangs: 5 Millionen DM) zur direkten Parteienfinanzierung. Das Geld wurde ausschließlich unter den im Bundestag vertretenen Parteien verteilt. (Von 1961 bis 1980 gab es durchgehend nur die drei Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP.)
Interessant sind in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen, die Konrad Adenauers 1923 geborener Sohn Paul, der selbst CDU-Mitglied war, in seinem erst 2015 posthum veröffentlichen Tagebuch über die Zeit des erzwungenen Abschieds seines Vaters, des Patriarchen, von der Macht in Staat und Partei gemacht hat. 1961 machte er sich Notizen über sein Gespräch zum Zustand der CDU, an dem unter anderem der junge, von einem anderen Teilnehmer als „streberhaft“ und „eitel“ beschriebene Rainer Barzel teilnahm.
Auf das Ansinnen eines Gesprächsteilnehmers, die CDU müsse „Unabhängigkeit erzwingen und demonstrieren“, antwortete unter anderem der Fraktionsvorsitzende Heinrich Krone, ein sofortiger Umbau sei nicht möglich, weil die CDU zu 98 Prozent abhängig sei von ihren aktuellen Geldgebern. Der einzige Ausweg sei die Staatsfinanzierung der Parteien.
Gegenüber der SPD, machten andere Teilnehmer geltend, sei man im Nachteil, weil diese sowohl Arbeiter als auch Intellektuelle erreiche. Und wörtlich fährt Paul Adenauer fort:
„Über (den) Versuch, Mitgliederpartei zu werden, wird gar nicht gesprochen! Sehr trübes Bild. Man verlangt wenigstens, dass MdBs unter anderem der Partei gegenüber ihre Mittel offen legen und Rechenschaft geben. Das wird auch nicht zugesagt. Ich schlage vor, Partei müsse sich zeitig vor Interessendruck auf von unabhängiger Seite zu Einzelproblemen erstellte Linie festlegen und damit innere Unabhängigkeit demonstrieren. Von Parteileuten wird darauf kaum reagiert.“
Bereits 1961 also sah man keine Möglichkeit mehr, die Position der Regierungspartei CDU streng nach inhaltlichen Kriterien auszurichten. Der Einfluss der Geldgeber war bereits viel zu groß. Da erschien der Griff in die Staatskasse manchen als Ausweg — und anderen als lukrative Ergänzung der Finanzquellen.
Schnell entwickelte sich die absehbar gewesene Selbstbedienungsmentalität. 1965 betrug der Posten im Budget des Innenministeriums „für die Aufgaben der Parteien“ bereits 38 Millionen DM. Aus dem dürren Satz des Grundgesetz-Artikels 21, wonach die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes „mitwirken“, leiteten diese einen zunehmend uferlosen Macht- und Finanzierungsanspruch ab. Sie setzten sich — entgegen der Verfassung — mehr und mehr mit dem Staat gleich, schufen immer größere Apparate und entwickelten einen entsprechenden finanziellen Appetit. Insofern war das erneute Verfassungsgerichtsurteil zur Parteienfinanzierung 1966 für die Schatzmeister ein Schock.
Das Gericht schob der ausufernden Subventionierung der Parteien aus Steuermitteln einen Riegel vor und beschränkte die staatlichen Zuwendungen auf eine Erstattung „angemessener“ Wahlkampfkosten. Damit griffen die Karlsruher Richter ihre bereits im Urteil von 1958 vertretene Auffassung auf, dass Parteien in erster Linie „Wahlvorbereitungsorganisationen“ seien und deshalb auch vor allem für diesen Zweck Geld benötigten. Die Aufblähung der Parteien zu dauerhaften Großorganisationen mit entsprechenden Verwaltungsapparaten sah das Gericht nicht als so schützenswertes verfassungsrechtliches Gut an, dass dafür Steuergelder eingesetzt werden sollten. Die Richter schrieben den regierenden und staatliches Geld beanspruchenden Parteipolitikern Folgendes ins Stammbuch:
In einer Demokratie muss sich die(se) Willensbildung aber vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Die Staatsorgane werden durch den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes, der in die Wahlen einmündet, erst hervorgebracht (Art. 20 Abs. 2 GG). Das bedeutet, dass es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt ist, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen, dass dieser Prozess also grundsätzlich „staatsfrei“ bleiben muss.
Zudem monierte das Gericht die Beschränkung der Staatszuschüsse auf die im Bundestag vertretenen Parteien als Verletzung der Chancengleichheit. Als Reaktion auf dieses Urteil verabschiedete der Bundestag 1967 erstmals ein Parteiengesetz. Es sah vor, allen Parteien, die bei einer Bundes- oder Landtagswahlen mindestens 2,5 Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten hatten, eine Pauschale von DM 2,50 pro Stimme zu erstatten. Nach einer weiteren Klage wurde die Schwelle auf 0,5 Prozent gesenkt. Dass es überhaupt eine Schwelle gab, hatte das Verfassungsgericht gestattet beziehungsweise sogar angeregt: Maßnahmen gegen eine übermäßige Zersplitterung der Parteienlandschaft seien zulässig. Die Erfahrung der Weimarer Republik mit ihren zunehmend handlungsunfähigen Viel-Parteien-Reichstagen wirkte hier erkennbar nach.
Erst mit dem Parteiengesetz wurden den Parteien auch die Rechenschaftsberichte abverlangt, die sie laut Verfassung seit jeher hätten vorlegen müssen. Die Mütter und Väter der Verfassung hatten 1948 sicher nicht für möglich gehalten, dass „Das Nähere regeln Bundesgesetze“ fast 20 Jahre würde auf sich warten lassen …
Faktisch stellte das neue Parteiengesetz die Parteien nicht unbedingt schlechter als vorher. Die 15,5 Millionen Stimmen, die die Unionsparteien bei der Bundestagswahl 1965 erhalten hatten, entsprachen nach der neuen Formel einer Erstattung von 38,75 Mio. DM — also mehr, als das gesamte (verfassungsgerichtlich verworfene) Parteienbudget des Bundeshaushalts 1965 betragen hätte. Rechnet man die Landtagswahlen hinzu, kommt man über einen Vierjahreszeitraum auf ähnliche Beträge, wie sie auch vorher geflossen sein dürften. Dennoch herrschte bei den Schatzmeistern Alarmstimmung.
Allein die Kopplung an den Erfolg bei Wahlen und die Aussicht, nicht mehr alle Kosten durch einen einvernehmlichen Haushaltsbeschluss des Bundestags decken zu können, machte sie nervös und ließ sie nach neuen Geldquellen Ausschau halten. Und die Beschränkung der Zuschüsse auf Wahlkampfkosten warf die Frage auf, wie in Nicht-Wahljahren die laufenden, also wahlkampfunabhängigen Kosten gedeckt werden sollten, die ständig stiegen.
Die Abgrenzung von Wahlkampfkosten gegenüber allen anderen Aufwendungen der Parteien erwies sich sowieso bald als künstlich. Wundersamerweise wiesen die Rechenschaftsberichte von nun an allem, was dies auch nur im Entferntesten hergab, den Verwendungszweck „Wahlkampf“ zu. So rechtfertigte sich die allmähliche Steigerung der Wahlkampfkostenpauschale auf 5 DM. Außerdem wurde 1983 ein „Chancenausgleich“ geschaffen, der einer ähnlichen Philosophie folgte wie der Länderfinanzausgleich: Parteien, die weniger Spenden und Mitgliedsbeiträge erhielten als andere, bekamen Ausgleichszahlungen aus Steuermitteln.
Nach einer Klage der Grünen, die damals noch im „Antiparteien-Modus“ waren, kehrte das Verfassungsgericht in einem weiteren Urteil 1992 wieder zu seiner Linie zurück, die es schon 1958 vertreten (und zwischendurch, 1966, klar verworfen) hatte: Der Staat finanziert die gesamte Tätigkeit der Parteien mit. In gewisser Weise bedeutete dies die Kapitulation der höchsten Richter vor der Tatsache, dass die Parteien die politische Willensbildung nach und nach monopolisiert hatten, anstatt lediglich dabei mitzuwirken.
Aufgrund der vom Gericht formulierten Anforderungen wurde das Parteiengesetz 1994 und 2002 novelliert. Die Wahlkampfkostenpauschale wurde abgeschafft, die Regelungen für Bargeld-Spenden verschärft und einiges mehr. Die staatliche Parteienfinanzierung folgt seither dem Prinzip, dass keine Partei mehr Zuschüsse bekommt, als sie selbst an Geld erwirtschaftet. Umgekehrt formuliert: Für jeden Spenden-Euro bekommen die Parteien einen Steuer-Euro obendrauf. Die Gesamtaufwendungen für die Parteien wurden allerdings gedeckelt, indem man den 1994 für die letztmals erfolgte Wahlkampfkostenerstattung aufgewendeten Betrag von umgerechnet 133 Mio. Euro zugrunde legte und mit einem Inflationsausgleich versah. 2017 wurden infolgedessen 161,8 Millionen Euro an die Parteien ausgeschüttet.