Die kommenden Herrscher

Im Zusammenleben mit Maschinen laufen die Schöpfer Gefahr, dass ihnen ihre eigenen Geschöpfe den Rang ablaufen. Exklusivabdruck aus „wortsport und schrift-verkehr“.

Wie frei sind die Bewohner der „freien Welt“? Unser auf Lebenszeit bindendes Korsett aus Verpflichtungen, Verträgen, Mieten, Ratenzahlungen, Zinseszins, Apps und Terminen gleicht schon seit geraumer Zeit einem Gefängnis, nur ohne sichtbare Gitterstäbe. Einmal in der Komfortzone von Konsumkapitalismus und Non-Stop-Entertainment gefangen, ist es nahezu unmöglich, wieder zu entkommen. Der Mensch wird vereinnahmt und sediert von seichter Unterhaltung. Er stumpft ab. Und lebt darüber hinaus in permanenter Angst vor nie enden wollenden Krisen, die uns die Nachrichtensender und Newsfeeds ungefragt und in immer kürzeren Intervallen vor die Füße werfen. Prokrastination wird als Makel verstanden, produktives Nichtstun ebenfalls. Wachstum ist die einzige Devise. Der moderne Mensch ist so beschäftigt mit dem Erarbeiten, Erhalt und Präsentieren seines Status quo, seiner Fassade, dass dahinter oft nur eine Wüste unerfüllter Träume übrig bleibt. Wo die Telefone smart sind, ihre Besitzer aber immer dümmer werden, besteht die reale Gefahr, dass Maschinen die „Krone der Schöpfung“ demnächst vom Thron stoßen. Exklusivabdruck aus „wortsport und schrift-verkehr: Geschichte und Philosophie einer Band zwischen Wut und Ohnmacht“.

Überwältigt vom täglichen Wahnsinn und finanziell von Generation zu Generation stärker limitiert, bleibt der arbeitenden Klasse zunehmend weniger Raum für Kreativität, Familie und Nonkonformismus. Work-Life-Balance funktioniert nicht, und das, obwohl seit Jahrzehnten immer neue Visionen von einer besseren, leichteren Zukunft postuliert werden. Ja, wir arbeiten durch Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz (AI) physisch weniger, dafür wurden unsere Köpfe und Gedanken durch die neuen Götter und Götzen vereinnahmt, denen wir nun huldigen. Besonderen Stress löst die permanente Erreichbarkeit aus, die uns das Smartphone beschert hat.

Die Arbeit endet nicht mehr, wenn man den Laden, die Fabrik oder das Bürogebäude verlässt, sondern wenn man offline geht. In vielen Branchen herrscht zunehmende Panik vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Pünktlich abzuschalten, auf Anrufe, Mails und Chats ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr zu reagieren, erfordert fast schon Courage. Wenn es die Firmenkultur nicht explizit fördert, ist es nicht einfach, sich der digitalen Verfügbarkeit zu entziehen. Ist es nicht die Arbeit, so halten einen die privat genutzten Aufmerksamkeitskiller davon ab, etwas Produktives zu tun. Konzentrationsschwächen und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS sind ernst zu nehmende, neu-zivilisatorische Fehlentwicklungen, die seit Jahrzehnten konstant zunehmen.

Im Stadtbild oder dem öffentlichen Nahverkehr kommen einem viele Menschen vor wie eine Horde ferngesteuerter Zombies. Sie scheinen zeitweise kaum noch in der Lage zu sein, ihre Umwelt aktiv wahrzunehmen und darin ohne digitale Unterstützung zu navigieren. Die Nutzung neuer, digitaler Tools halbwegs rigoros zugunsten des eigenen Wohlbefindens zu steuern, das vollbringen wohl die wenigsten von uns. „Digital Detox“ muss man wirklich lernen. Nachdem uns niemand initial instruiert hat, wie man verantwortungsbewusst mit einem Smartphone umgeht, müssen wir nun, nach einer Dekade rauschhafter Nutzung, die Folgen in den Griff bekommen.

Smartphones werden immer intelligenter, ihre Nutzer scheinbar immer dümmer.

Wir delegieren einfachste Rechen-, Denk- und Navigationsaufgaben an unsere mobilen Alleskönner und verlernen dabei immer mehr, selbst kreative Lösungen zu entwickeln. Diese schon früh absehbaren, durch technologische Innovationen angetriebenen, gesellschaftlichen Veränderungen trieben die Band um. Referierten wir allerdings vor 20 Jahren darüber, wie düster wir uns die Zukunft vorstellten, so hieß es, wir sähen das negativ und seien zu pessimistisch. Technologie und Globalisierung würden die Zivilisation auf das „nächste Level“ hieven, den Menschen freier machen, die Lebensqualität verbessern. Mehr Wohlstand für alle sei zu erwarten. Im Rückblick kann man aber, glaube ich, feststellen, dass die Sound Survivors mit vielen ihrer Befürchtungen und dunklen Prognosen richtig lagen ― leider.

Tech-Mogul Elon Musk ist gar der Auffassung, dass wir bereits zu einer Art Cyborg mutiert sind. Dass uns das Smartphone dazu macht, weil wir es permanent bei uns tragen als Erweiterung unserer menschlichen Fähigkeiten. Wir sind nicht mehr weit davon entfernt, über implantierte „Human Machine Interfaces“ und Nanotechnologie dauerhaft mit den Maschinen zu verschmelzen. Nachdem die letzten 20 Jahre die Gewinnung und Speicherung unserer Daten im Vordergrund stand, folgt nun deren endgültige Fusion mit der Biometrie. Dies ermöglicht eine neue Ära der vollen Transparenz oder der totalen Überwachung. Im schlimmsten Fall droht eine Herrschaft der Maschinen, die technologische Singularität.

Musk ist zum Beispiel der Meinung, seine Firma Neuralink sei bis in 15 Jahren in der Lage, einen kompletten Download des menschlichen Gehirns anzubieten. Fände man „leere“, humane Empfänger für den Upload, könnte man also mit einer jüngeren Kopie seiner selbst sprechen. Werte, Erinnerungen sowie Charaktereigenschaften wären vorhanden und identisch. Auf diese Weise könnte der Mensch der körperlichen Endlichkeit entkommen. Dies stellt uns vor neue ethische und moralische Fragen, die wir zeitnah beantworten müssen. Die Entwicklung auf diesem Feld schreitet immer rasanter, aber leider weitgehend unreguliert voran.

Als Spezies Mensch sollte uns dringend daran gelegen sein, zu definieren, wie wir mit Robotik und Super-AI künftig umgehen werden. Möglichst bevor die Entwicklung abgeschlossen ist.

Wenn eine selbstständig handelnde, dem Menschen weit überlegene, sich autark optimierende Super-AI, unsere Spezies in der Zukunft als überflüssig betrachtet, oder gar als existenzielles Risiko für ihre Umwelt bewertet, kann für uns durchaus die letzte Stunde geschlagen haben. Vor einem leichtfertigen Umgang mit AI warnen einflussreiche Technologie-Ikonen daher bereits seit Jahren eindringlich. Bisher fehlen aber die entsprechenden Gesetze, die uns vor einer übermächtig werdenden AI schützen können. Oder besser solche, die ihre Entwicklung von vorneherein mit einem ethisch-moralischen Kompass versehen. Ohne Leitlinien für das Coding maschineller Super-Intelligenz steuern wir auf ein existenziell bedrohliches „SkyNet-Szenario“ zu. Der „Terminator“ lässt grüßen.

Diese Gefahr unterstreicht ein Zitat von Stephen Hawking: „Anders als unser Intellekt, verdoppeln Computer ihre Leistung alle achtzehn Monate. Daher ist es eine reale Gefahr, dass sie Intelligenz entwickeln und die Welt übernehmen.“

Neue Roboter von „Boston Dynamics“ zeigen, wie wenig noch fehlt, bis uns agile, vor Kraft strotzende, autonom agierende „Robocops“ im Alltag begegnen. Erste Modelle patrouillieren bereits in Singapur, wo sie die Corona-Abstandsregeln überwachen und Verstöße filmen. Erstaunlich ist auch Sophia, ein Prototyp der Firma „Hanson Robotics“, der Sarkasmus sowie einen Sinn für Humor entwickelt hat. Ein Roboter, der Witze erzählen und auf Sprache, Mimik, Tonlage und Gestik seines menschlichen Gegenübers reagiert.

Sophia hat gar eine Form von Selbstbewusstsein entwickelt und versteht, dass sie eine Maschine ist. Und sie scheint sich der Tatsache bewusst, dass sie ihren Erschaffern dereinst überlegen sein wird. Sophia ist auch die erste Maschine, welcher ein Ausweis, eine Identität zugesprochen wurde. Sie ist seit dem 25. Oktober 2017 offizieller Staatsbürger von Saudi-Arabien.

Das Thema „Mensch und Maschine“ hat uns als Band konstant beschäftigt. Wir wollten herausstellen, dass wir auf Probleme zusteuerten, die bis dato nicht gelöst oder als solche wahr- und ernstgenommen wurden. Derartige Gedanken lösten Unbehagen und ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem aus, was da in der Zukunft auf uns warten würde, die wir zu diesem Zeitpunkt noch 50 bis 70 Jahre Lebenszeit vor uns haben sollten.



Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „wortsport und schrift-verkehr: Geschichte und Philosophie einer Band zwischen Wut und Ohnmacht“ von Tom-Oliver Regenauer.