Die Illusions-Maschinerie
Die Konzernmedien wollen uns ihrem „Weltbild“ unterwerfen.
Durch ihre Themen- und Nachrichtenauswahl schaffen Medien den Rahmen für unseren Blick auf die Welt. Frei nach Bert Brecht: „Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Wie sehr ein Perspektivwechsel unseren Horizont erweitert und deshalb not- und guttut, beschreibt Jonathan Cook am Beispiel der Berichterstattung über den Nahen Osten.
Die Unabhängigkeit des Journalismus
von Jonathan Cook
Seit mehreren Jahren schreibe ich nun regelmäßig auf meinem Blog und habe dabei ein bestimmtes Ziel im Auge: Ich möchte dabei helfen, den Lesern eine Tür zu öffnen und sie dazu zu ermuntern, durch diese Tür zu gehen. Ich wähle Themen aus – für gewöhnlich jene, die die westliche Berichterstattung dominieren und einen Konsens darstellen, den wir das Große Westliche Narrativ nennen könnten – und versuche zu zeigen, dass dieses Narrativ nicht zum Zwecke der Information und Aufklärung, sondern zur Tarnung und Täuschung konstruiert wurde.
Ich und viele andere Blogger, die das Gleiche tun, sind sicher nicht schlauer als alle anderen. Wir hatten lediglich – früher im Leben – die Chance, selbst durch diese Tür zu treten und zwar aufgrund einer aufrüttelnden Lebenserfahrung, die das Große Westliche Narrativ nicht erklären konnte, oder weil jemand die Tür für uns aufhielt, zumeist aber wegen einer Kombination aus beidem.
Mein persönliches Erwachen
Es fällt mir leicht, meinen eigenen Prozess des Erwachens auszumachen. Er begann mit meinem Umzug nach Nazareth, wo ich in ein anderes Narrativ eintauchte, nämlich das der Palästinenser. Damals stand ich zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Journalist einer undurchdringlichen Mauer des Widerstandes gegenüber, sogar seitens meiner eigenen damaligen Zeitung, dem Guardian, als ich versuchte, dieses Gegennarrativ zu erklären. Ich bemerkte sogar, dass das palästinensische Narrativ stets als Antisemitismus entstellt wurde. Dies waren düstere Jahre der Desillusionierung und des Verlustes eines professionellen und ideologischen Kompasses.
In einem solchen Augenblick des Verlustes, in dem einem der Trost des Großen Westlichen Narrativs entzogen wurde, sucht man nach einer Tür zur Aufklärung. Es kann ein weiter Weg sein, sie zu finden. Meine Tür erschien, als ich über das Propagandamodell von Ed Herman und Noam Chomsky in ihrem Buch ‚Manufacturing Consent‘ las und über eine Website namens ‚Media Lens‘ stolperte. Beides half mir zu verstehen, dass das Problem der Narrative nicht auf Israel-Palästina beschränkt war, sondern dass es sich dabei um ein viel Allgemeineres handelte.
Tatsächlich wurde das Große Westliche Narrativ über Jahrhunderte entwickelt und verfeinert, um die Privilegien einer winzigen Elite zu erhalten und ihre Macht auszubauen. Journalisten wie ich hatten dabei die Rolle, den Lesern diese Illusionen einzuflößen, damit sie ängstlich, passiv und ehrfürchtig dieser Elite gegenüber blieben. Nun lügen Journalisten nicht – jedenfalls die meisten von ihnen nicht – sie sind nur genauso eng mit dem Großen Westlichen Narrativ verbunden wie alle anderen.
Wenn man einmal dazu bereit ist, durch die Tür zu gehen und das alte Drehbuch zu verwerfen, schlägt das neue Narrativ Wurzeln, weil es so hilfreich ist. Denn es erklärt die Welt und das menschliche Verhalten, wie es einem überall begegnet. Es verfügt über wahrhaft hellseherische Kräfte. Und vor allem enthüllt es eine Wahrheit, die alle Figuren spiritueller und intellektueller Aufklärung die ganze Menschheitsgeschichte hindurch verstanden haben:
Dass menschliche Wesen überall gleich menschlich sind, ob es sich nun um Amerikaner, Europäer, Israelis, Palästinenser, Syrer, Russen, Venezolaner oder Iraner handelt, ob es Nord- oder Südkoreaner sind.
Der Begriff ‚menschlich’ ist nicht nur als einfache Beschreibung unserer Spezies oder biologischer Wesen gedacht. Er beschreibt auch, wer wir sind, was uns antreibt, was uns zum Weinen oder zum Lachen bringt, was uns wütend macht und was unser Mitgefühl auslöst. Und in Wahrheit sind wir alle im Wesentlichen gleich. Uns bedrücken die gleichen Dinge, uns amüsieren die gleichen Dinge.
Das Gleiche inspiriert uns, das Gleiche empört uns. Wir streben nach Würde, Freiheit und Sicherheit für uns und unsere Lieben, wir schätzen Schönheit und Wahrheit. Wir fürchten Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Unsicherheit.
Tugendhierarchien
Das Große Westliche Narrativ macht uns etwas ganz Anderes weis. Es unterteilt die Welt in eine Hierarchie von ‚Völkern‘ mit unterschiedlichen, ja gar einander widersprechenden, Tugenden und Lastern. Manche Menschen – die Menschen aus dem Westen – sind rationaler, fürsorglicher, einfühlsamer, kurz: menschlicher. Und die anderen Menschen – der Rest – sind primitiver, emotionaler, brutaler. In diesem System zur Klassifizierung sind wir die Guten und die anderen die Bösen; wir stehen für Ordnung, sie für Chaos. Sie brauchen eine feste Hand, um kontrolliert zu werden und damit sie sich selbst und unserem zivilisierten Teil der Welt keinen allzu großen Schaden zufügen.
Das Große Westliche Narrativ ist nichts wirklich Neues. Es handelt sich dabei lediglich um die ‚Bürde des weißen Mannes‘ in einer Umformulierung für eine andere Epoche.
Der Grund für den Fortbestand des Großen Westlichen Narrativs liegt darin, dass es nützlich ist – und zwar denjenigen, die die Macht innehaben. Wir Menschen mögen grundsätzlich unserer Natur nach und in dem, was uns antreibt, gleich sein. Doch die Macht und ihre moderne Begleiterscheinung, der Reichtum, trennen uns eindeutig voneinander.
Eine winzige Gruppe hat beides, die riesige Mehrheit hat weder noch. Das Große Westliche Narrativ dient dazu, die Macht zu erhalten, indem es sie legitimiert und ihre asymmetrische und ungerechte Verteilung natürlich und unveränderbar erscheinen lässt.
Einst erzählten uns Könige, sie hätten blaues Blut und ein göttliches Recht. Heute brauchen wir eine andere Art Narrativ, das aber gleichwohl dem gleichen Zweck dienen soll. Genauso wie Könige und Barone einst alles besaßen, beherrscht heute eine winzige Unternehmenselite die Welt. Und diesen Umstand muss sie sich selbst und uns gegenüber rechtfertigen.
Der König und die Barone hatten ihre Hofleute, den Klerus und einen größeren Kreis an Claqueuren, die zumeist genug vom System profitierten, um es nicht zu stören. Die Rolle der Geistlichen bestand darin, das krasse Ungleichgewicht der Macht zu sanktionieren, zu behaupten, es sei Gottes Wille. Heute erfüllen die Medien die Funktion des Klerus‘ von früher. Gott mag tot sein, wie Nietzsche bemerkte, doch die Konzernmedien haben seinen Platz eingenommen. Unhinterfragt sagt uns jeder Artikel, wer regieren und wer regiert werden sollte, wer die Guten sind und wer die Bösen.
Um uns dieses System schmackhafter zu machen, es demokratischer erscheinen und uns glauben zu lassen, es bestünde Chancengleichheit und Reichtum sickere nach unten durch, mußte die westliche Elite eine große Mittelklasse in ihrer Heimat aufkommen lassen, ähnlich den Hofleuten von damals. Die Beute aus der Vergewaltigung und Plünderung ferner Gesellschaften wird sparsam mit dieser Klasse geteilt. Deren Mitglieder haben deswegen selten Gewissensbisse, weil die Konzernmedien dazu dienen sicherzustellen, dass sie wenig vom Rest der Welt wissen und sich noch weniger darum scheren, da sie daran glauben, dass jene Fremden weniger verdienstvoll, weniger menschlich sind.
Nicht mehr als Statistik
Würden westliche Leser zum Beispiel verstehen, dass sich ein Palästinenser nicht von einem Israeli unterscheidet – bis auf die Chancenungleichheit und Einkommensunterschiede – hätten sie mit einer trauernden palästinensischen Familie vielleicht genauso Mitgefühl wie mit einer israelischen. Doch exakt dafür gibt es das Große Westliche Narrativ, um sicherzustellen, dass die Leser in beiden Fällen nicht das Gleiche fühlen.
Aus diesem Grund wird über palästinensische Todesfälle immer in Form bloßer Statistik berichtet – weil Palästinenser in großer Zahl sterben, wie Vieh auf dem Schlachthof. Israelis dagegen sterben viel seltener, und wenn sie sterben, wird über jeden Einzelfall berichtet. Sie werden gewürdigt mit Namen, Lebensgeschichten und Fotos.
Selbst wenn der Moment kommt, da der Tod eines einzelnen Palästinensers aus der Masse der Toten herauszuheben wäre, sträuben sich westliche Konzernmedien, ihn oder sie hervorzuheben. Nehmen wir den Fall von Razan al-Najjar, der 21-jährigen palästinensischen Sanitäterin, die durch die Kugel eines Scharfschützen exekutiert wurde, als sie unbewaffnete Demonstranten versorgte, die am Grenzzaun, der sie im Gefängnis Gaza einzwängt, regelmäßig getötet und verletzt werden.
Gaza versinkt allmählich im Meer, doch wen kümmert’s? Jene primitiven Palästinenser hausen wie die Höhlenmenschen mitten im Schutt ihrer Häuser, die Israel immer wieder zerstört. Ihre Frauen tragen Hidschab und sie haben zu viele Kinder. Sie sehen nicht aus wie wir, sie reden nicht wie wir. Zweifellos denken sie auch nicht wie wir. Sie können nicht wie wir sein.
Selbst jene jungen Palästinenser, die ihre Gesichter mit merkwürdigen Schals verhüllen, brennende Drachen steigen lassen und ab und an einen Stein werfen, sehen anders aus. Können wir uns vorstellen, vor einem Scharfschützen zu stehen und so zu protestieren? Natürlich nicht.
Wir können uns nicht vorstellen, in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete des Planeten zu leben, in einem Freiluftgefängnis, über das ein anderes Volk als Aufseher wacht, in dem das Trinkwasser allmählich so salzig wird wie Meerwasser und wo es keine Elektrizität gibt. Wie können wir uns in die Demonstranten hineinversetzen, wie mit ihnen mitfühlen? Es ist so viel einfacher sich vorzustellen, man sei der mächtige Scharfschütze, der die „Grenze“ und seine Heimat schützt.
Doch al-Najjar hat all das untergraben. Eine junge, hübsche Frau mit einem wunderschönen Lächeln – sie könnte unsere Tochter sein. Wie sie selbstlos für die Verletzten sorgte, ohne an sich zu denken, sondern nur an das Wohlergehen anderer, wir wären stolz, sie als Tochter zu haben. Mit ihr identifizieren wir uns viel besser als mit dem Scharfschützen. Sie ist eine Tür und winkt uns hinein, um die Welt von einem anderen Standpunkt aus zu sehen.
Genau darin liegt der Grund, weshalb die Konzernmedien al-Najjars Tod nicht mit der emotionalen, empathischen Berichterstattung bedacht haben, die sie einer hübschen jungen israelischen Sanitäterin hätten angedeihen lassen, wäre sie von einem Palästinenser niedergeschossen worden.
Diese Doppelmoral in seiner eigenen Zeitung, dem Guardian, empörte den Karikaturisten Steve Bell in der letzten Woche. Wie er in seiner Korrespondenz mit dem Herausgeber bemerkte, hatte die Zeitung kaum über al-Najjars Geschichte berichtet. Als er diesem Ungleichgewicht abhelfen wollte, wurde seine Zeichnung, die ihren Tod – und wie über diesen hinweggegangen wurde – hervorhob, zensiert.
Die Herausgeber des Guardian behaupteten, seine Zeichnung sei antisemisch. Doch in Wahrheit stellt al-Najjar eine Gefahr dar. Denn, wer einmal durch jene Tür getreten ist, kommt wahrscheinlich nicht mehr zurück, schenkt dem Großen Westlichen Narrativ höchstwahrscheinlich keinen Glauben mehr.
Die wahre Botschaft Israels
Israel-Palästina hat mir diese Tür geöffnet, so wie vielen anderen. Und das liegt nicht daran, wie Israels Apologeten – und Hüter des Großen Westlichen Narrativs – Ihnen erzählen werden, dass so viele Westler anti-semitisch wären. Es liegt daran, dass Israel in einer Grauzone der Erfahrungen liegt, eine, die westlichen Touristen offensteht, ihnen aber gleichzeitig eine Chance gibt, einen Blick auf die Schattenseiten des westlichen Privilegs zu erhaschen.
Israel wird vom Großen Westlichen Narrativ begeistert angenommen: Es ist scheinbar eine liberale Demokratie, viele seiner Bewohner kleiden sich und klingen wie wir, ihre Städte gleichen unseren, ihre Fernsehshows werden überarbeitet und dann zu Hits auf unseren Fernsehschirmen. Wenn man nicht allzu genau hinschaut, könnte Israel Großbritannien oder die USA sein.
Aber es gibt haufenweise Indizien für jene, die sich die Mühe machen, ein wenig an der Oberfläche zu kratzen, dass an Israel etwas ganz und gar nicht stimmt. Wenige Kilometer von ihrem Zuhause, erproben die Söhne jener Familien mit ihrem westlichen Aussehen regelmäßig ihre Gewehr-Visiere an unbewaffneten Demonstranten, an Kindern, Frauen, Journalisten, Sanitätern und betätigen fast bedenkenlos den Abzug.
Sie handeln nicht so, weil sie Monster wären, sondern weil sie genauso sind wie wird, genauso wie unsere Söhne. Darin liegt der wahre Schrecken Israels. Wir haben die Chance, uns selbst in Israel zu sehen – weil es nicht genauso ist, wie wir selbst, sondern weil die meisten von uns eine gewisse physische und emotionale Distanz dazu haben, weil es immer noch etwas fremd wirkt, trotz der größten Bemühungen der westlichen Medien, und weil sein eigenes lokales Narrativ, mit welchem es sein Handeln rechtfertigt, sogar noch extremer, noch anmaßender, ja sogar noch rassistischer gegenüber den Anderen ist als das Große Westliche Narrativ.
Es ist diese schockierende Erkenntnis – dass wir selbst Israelis sein könnten, dass wir jene Scharfschützen sein könnten – die zwar die Tür öffnet, zugleich aber viele davon abhält, durch die Tür zu treten, um zu sehen, was sich auf der anderen Seite befindet. Oder aber, was noch verstörender ist: Sie bleiben auf der Schwelle stehen und erhaschen einen kurzen Blick auf eine Halbwahrheit, ohne ihre volle Bedeutung zu verstehen.
Gleichermaßen menschlich
Um zu verdeutlichen, was ich meine, lassen Sie uns kurz abschweifen und den gleichnishaften Film ‚The Matrix‘ betrachten.
Neo, dem von Keanu Reeves gespielte Helden, dämmert, dass die Realität nicht so solide ist, wie sie einst auf ihn wirkte. Sie macht einen merkwürdigen, widersprüchlichen, unerklärlichen Eindruck. Sein Mentor Morpheus zeigt ihm die Tür zu einer vollkommen anderen Wirklichkeit.
Neo entdeckt, dass er in Wahrheit in einer finsteren Welt lebt, die computer-generierte Lebewesen übernommen haben, die ihm und dem Rest der Menschheit das Bewusstsein entziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er in einer Traumwelt gelebt, die geschaffen wurde, um ihn und andere Menschen zu beruhigen, während ihnen ihre Energie entzogen wird.
Neo und ein kleiner Kreis anderer, die sich aus diesem falschen Bewusstsein gelöst haben, können nicht darauf hoffen, ihre Gegner direkt zu besiegen. Sie müssen Krieg innerhalb der Matrix führen, einer digitalen Welt, in der die Computer-Lebensformen immer triumphieren. Erst als Neo schließlich durchschaut, dass auch die Matrix nur eine Illusion ist – dass die Lebensformen, die er bekämpft, schlicht binäre Codes sind – erlangt er die nötige Kraft, um zu obsiegen.
Zurück zu uns. Auf der anderen Seite der Tür liegt die Wahrheit, dass alle Menschen gleichermaßen menschlich sind. Von diesem Ausgangspunkt aus ist es möglich zu verstehen, dass ein privilegierter Westler oder Israeli genauso reagieren würde wie ein Palästinenser, müsste er die Erfahrung erdulden, in Gaza zu leben.
Von diesem Ort aus ist es möglich zu verstehen, dass mein Sohn womöglich abdrücken würde, genau wie die meisten israelischen Teenager, wenn er wie sie bombardiert worden wäre, da er ja sein ganzes Leben lang von seinen Medien, der Schule und Politikern einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und Palästinenser als primitiv und brutal dargestellt werden.
Von der anderen Seite der Tür sehen Russlands Wladimir Putin oder Bashar al-Assad genauso rational oder irrational und genauso kriminell wie George W. Bush, Tony Blair, Barack Obama oder Donald Trump aus. Nein, eigentlich sehen sie weniger kriminell aus – nicht, weil sie bessere Menschen als ihre westlichen Amtskollegen sind, sondern weil sie einfach weniger Macht besitzen und ihrem Versuch, ihren Willen durchzusetzen, mehr Beschränkungen auferlegt sind.
Es geht nicht darum, wer besser ist. Sie alle sind dasselbe: Menschen. Es geht darum, wer über mehr Druckmittel verfügt – und über den stärkeren Willen sie auch einzusetzen – um seine Macht aufrechtzuerhalten.
Sklaven der Macht
Die Folgerung aus diesen Überlegungen lautet: Um unsere Gesellschaften grundsätzlich zum Besseren zu verändern, müssen wir zu einem anderen Bewusstsein gelangen, wir müssen uns selbst aus der falschen Perspektive befreien und durch die Tür treten.
Verharren wir in der Welt der Illusionen, der falschen Tugend-Hierarchien und vergessen die Rolle der Macht, werden wir Neo in seiner Traumwelt bleiben.
Und wenn wir nur auf die Schwelle treten und die Schatten auf der anderen Seite erspähen, werden wir genauso im Banne von Illusionen verbleiben, wie Neo seinen Kampf zurück in die Matrix trug, um dort Geister in der Maschine zu bekämpfen, als wären sie aus Fleisch und Blut.
Diese Gefahr kann man auch im Falle von Israel-Palästina sehen, wo die Schrecken, die Israel den Palästinensern antut, mit gutem Grund viele Beobachter radikalisiert. Doch nicht alle treten ganz durch die Tür. Sie bleiben auf der Schwelle stehen, grollen Israel und den Israelis und verklären die Palästinenser zu wenig mehr als Opfer. Manchen gelingt es, dann wieder falschen Trost zu finden, indem sie vorgefertigte Verschwörungen aufgreifen, dass „die Juden“ eigentlich die Fäden ziehen, die solche Gräueltaten – sowie westliche Untätigkeit – ermöglichen.
Auf der Schwelle stehenzubleiben ist genauso schlimm, wie die Weigerung, durch die Tür zu schreiten. Die Illusionen sind genauso gefährlich, das falsche Bewusstsein sitzt ebenso tief.
Unser Planet und die Zukunft unserer Kinder hängen davon ab, dass wir uns selbst befreien und die Gespenster in der Maschine als das sehen, was sie sind. Wir müssen unsere Gesellschaften wieder aufbauen auf der Grundlage, dass wir alle gleichermaßen menschlich sind. Die anderen Menschen sind nicht unsere Feinde, nur diejenigen sind es, die uns unterjochen wollen.
Jonathan Cook ist Journalist und Autor. Er veröffentlicht auf http://www.jonathan-cook.net/.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Independence of Journalism". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.