Die Hollywood-Heuchelei
Das ökologische Engagement vieler Filmstars dient vor allem der Imagepflege.
Leonardo DiCaprio ist für die Nachhaltigkeit, Sigourney Weaver für den Regenwald und Cate Blanchett für Solarenergie. Wenn wir sonst keinen Grund dafür sähen, unser aller Überleben auf diesem Planeten zu sichern, tun wir Gutes, weil prominente Guttuer uns vorauseilen. Ohne Natalie Portmans Einsatz für die Berggorillas würden wir uns diese wohl als Steaks braten. Unsere Aufmerksamkeit ist durch den Medien-Dauerbeschuss ja auch so zerstreut, dass kaum eine Botschaft bei uns hängen bleibt, wenn sie nicht von einem Megastar mindestens vom Range eines Bully Herbig ausgesandt wird. Auch hier ist jedoch Vorsicht angesagt. Der Umwelt-Moralismus könnte auch ein Fall von geschicktem Selbst-Marketing sein. Und: bei so viel Güte könnte man leicht auf die Idee kommen, alles sei gut und man selbst müsse gar nichts mehr an seinem Leben ändern.
Anfang der siebziger Jahre wurde Bob Dylan von einem Reporter auf einer Pressekonferenz gefragt, ob er sich vorstellen könnte, sich einmal für das Amt des amerikanischen Präsidenten zu bewerben — schließlich sei er für einen Großteil der Jugend der Hoffnungsträger. Dylan lachte kurz auf und antwortete: „Warum sollte ich? In diesem Amt kann man am wenigsten für die Menschen bewirken. Ein amerikanischer Präsident ist wie jeder andere politische Führer lediglich der verlängerte Arm der wahrhaft Mächtigen. Er hat durch seine Unterschrift zu legitimieren, was sich diese an gewinnbringenden Schweinereien ausdenken“.
Wo er recht hat, hat er recht, der Herr Zimmerman. „A Hard Rain‘s a-Gonna Fall“ — daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil: Die „Masters of War“ treiben ihr perverses Spiel inzwischen ungestört auf die Spitze und nichts deutet darauf hin, dass sich die Zeiten ändern werden, wie Dylan in einer frühen Hymne behauptete. Die Friedensbewegung, wenn man denn überhaupt von einer sprechen kann, ist hemmungslos zerstritten. Wenn sich 800 Leute vor dem Kanzleramt versammeln, weil es ihnen „jetzt reicht“, wird das schon als Erfolg gefeiert. Eine Online-Petition mit dem Namen „Frieden mit Russland“ erfuhr gerade mal 16.000 Unterschriften per Klick. Zu jedem Heimspiel des FC St. Pauli strömen doppelt so viele Menschen ins Stadion.
Nein, für die paranoiden Menschenverachter aus Wirtschaft und Politik besteht weiß Gott kein Grund zur Besorgnis. Sie werden ihren Massenmord an Pflanzen, Tieren und Menschen ungestört weiter betreiben können.
Ihr vom Wachstumswahn getriebenes zinsbasiertes Schuldgeldsystem braucht ab und zu einen kleinen Krieg, um zu überleben. Und so brechen sie die Kriege vom Zaun, wann und wo immer es ihnen beliebt. Sollte sich in unserer narkotisierten iPhone-Gesellschaft einmal tatsächlich so etwas wie Widerstand regen, so haben sie diesen schon auf dem Radar, lange bevor er ausbrechen kann.
Während wir auf den Social-Media-Wiesen in den Klick-Wahn verfallen, uns austauschen, empören und anpöbeln, nutzen sie die von uns hinterlegten Daten, um damit ihr in aller Stille installiertes und perfekt funktionierendes Überwachungssystem zu füttern. Dieses wiederum versetzt ihren hochgerüsteten Polizeiapparat in Alarmbereitschaft, der nur heranwachsen konnte, weil sie große Teile der Öffentlichkeit über ihre Medien erfolgreich mit Angst terrorisieren, mit Terrorangst.
Es gehört zu den Paradoxa unserer Zeit, dass es noch nie so einfach war, sich so schnell und — bei geschickter Recherche — auch so zuverlässig jede benötigte Information zu beschaffen, obwohl das derart erlangte Wissen politisch betrachtet kaum zu Buche schlägt. So warnen Wissenschaftler beispielsweise seit Jahrzehnten davor, dass dieses global agierende, Ressourcen fressende Wirtschaftssystem uns allmählich sämtlicher Lebensgrundlagen beraubt — inzwischen ist diese Tatsache in den Köpfen der meisten Menschen auch angekommen.
Die Zahl derer, die die Seele der Gierkultur endgültig satthaben, ist beträchtlich. Geändert hat sich dadurch jedoch nichts.
Die Psychologie hat angesichts der Ratlosigkeit, in der sich die Menschheit zurzeit befindet, den Begriff der kognitiven Dissonanz geprägt. Wir sehen uns einem Übermaß an Problemen gegenüber, während wir gleichzeitig glauben, dass es dafür keine Lösungsmöglichkeiten gibt. Kognitive Dissonanz (1).
Ein unangenehmes Gefühl. Vor allem wenn es sich wie ein schleichendes Gift in die Gesellschaft frisst. Um dieses Gefühl abzumildern und einer kollektiven Depression vorzubeugen, bräuchte es schon einen Einflüsterer der besonderen Art, einen, der die Dinge schonungslos beim Namen nennt und die Massen trotzdem dazu aufmuntern kann, den Mut nicht sinken zu lassen. Eine Art medialer Superman, ein Captain America. Die Politik gibt so eine Person nicht her, das wissen wir spätestens seit Obama. Wirtschaft und Sport? Nein. Bleibt die Kunst. Aber nicht die brotlose, auf die hört keiner. Es müsste schon ganz großes Kino sein, um wahrgenommen zu werden, nach dem Motto „ The entire World needs to hear this!“. Großes Unterhaltungskino à la Hollywood.
Moment mal! Sie sind doch längst unterwegs, unsere Celluloid-Heroes. Blicken sie uns auf Facebook und anderswo nicht regelmäßig mit großer Eindringlichkeit an, um uns auf den Ernst der Lage hinzuweisen und rufen sie dort nicht vehement dazu auf, endlich tätig zu werden? Haben wir sie nicht alle schon einmal „geliked“ und „geteilt“, weil wir ihr Engagement, in welcher Sache auch immer, so löblich fanden? Leonardo DiCabrio, Mat Damon, Robert Redford, Woody Harrelson, Jeff Bridges, Julia Roberts, Harrison Ford, Kevin Spacey, Edward Norton, Penelope Cruz, Reese Witherspoon, Liam Neeson, Salma Hayek — sie alle ergreifen Partei für Mutter Erde, einige leihen unserem Planeten sogar ihre Stimme, damit er uns in angemessener Weise und wohl prononciert von den Schmerzen berichten kann, die wir ihm antun.
Leonardo DiCaprio ist mit Sicherheit der Superstar unter den prominenten Eco-Fightern. 1998 hat er seine eigene Stiftung gegründet, die „Leonardo DiCaprio Foundation“ um andere Initiativen zu unterstützen, die sich für eine nachhaltige Zukunft des Planeten einsetzen.
Das Themenspektrum der Welten-Retter aus Hollywood ist breit gefächert. Sie plädieren für sozialverträglichen Kaffeeanbau, kämpfen gegen die Abschlachtung von Elefanten oder Haien und machen sich für den Schutz der letzten Tiger stark, deren Zahl in hundert Jahren von 100.000 auf nunmehr 3.200 wildlebende Tiere geschrumpft ist. Jeff Bridges beklagt unseren fahrlässigen Umgang mit Plastikmüll. Colin Firth berichtet über das Schicksal der Awa, denen der Urwald unterm Arsch abgefackelt wird und er wird entsprechend wütend dabei. Das ehemalige Supermodell Gisele Bündchen lässt die Welt wissen, dass die Flip-Flops ihrer Kollektion „Ipanema“ ohne Gummi aus dem brasilianischen Regenwald produziert werden. Auf ecowoman.de erfahren wir, dass Cate Blanchett bei ihrem Privathaus voll auf Solar setzt und sich auch sonst für energieeffiziente Gebäude, gegen Atomkraft oder für eine nachhaltige Landwirtschaft stark macht.
Sigourney Weaver engagiert sich für die Rainforest Foundation und Penélope Cruz organisiert seit 2007, zusammen mit dem Kollegen Orlando Bloom und mit Hilfe der Umweltorganisation Global Green USA, eine alternativ angetriebene Fahrzeugflotte, um die Stars bei den Oscar-Verleihungen umweltfreundlich zu den diversen Events zu fahren. „So setzen Penélope Cruz und ihre Kollegen ein Zeichen für eine umweltfreundliche Fortbewegung“, heißt es in einer Presseerklärung. Na bitte.
Die engagierte Tierschützerin Natalie Portman riskierte schon ein wenig mehr, sie ging für eine ‚Animal-Planet‘-Dokumentation auf Trekking-Tour durch Ruandas Regenwälder, die Heimat der bedrohten Berggorillas. Hollywood-Aktrice Jessica Alba kämpft gegen Chemikalien in Konsumgütern. Die Mutter zweier Kinder gründete konsequenterweise eine Firma, die umweltfreundliche Babyartikel herstellt.
Es wären noch Dutzende anderer Beispiele zu nennen und nicht immer ist klar, ob es sich um ein ernsthaftes Anliegen oder um Imagepolitur handelt — denn dass man mit einem umwelt- oder sozialpolitischen Engagement inzwischen eine Menge Pluspunkte sammeln kann, hat sich natürlich auch in der Traumfabrik Hollywood herumgesprochen.
Und so steigen sie denn in die Bütt, ganz privat, und wettern, was das Zeugs hält. Jeremy Irons zum Beispiel:
„Es scheint, als steckten wir in einer Welt, in der wir keine einzige Sache mehr ändern könnten. Jedes Mal, wenn wir die Nachrichten checken, werden wir durch ein Erdbeben oder einen Sturm oder eine finanzielle Katastrophe erschüttert. Wir wissen über die schlimmsten Dinge Bescheid obwohl wir nicht dabei waren. Es sieht so aus, als ob alles überall verrückt spielt. Deswegen gehen wir auch nicht mehr raus, bilden uns aber dennoch ein, dass wir mit allen Menschen in der Welt verbunden sind.
ABER DAS IST NICHT WAHR! Auf der ganzen Welt leiden Menschen an Hunger! An chronischem Hunger! Eine Milliarde von uns… DAS IST MIES! Schlimmer, das ist WAHNSINN! VERDAMMT NOCH MAL! DAS MUSS UNS WÜTEND MACHEN! Ich will, dass Sie wütend werden! Ich will, dass Sie aufstehen! Jetzt! Stecken Sie Ihren Kopf aus dem Fenster und rufen: Ich bin so wahnsinnig wütend und ich werde nicht zulassen, dass eine Milliarde Menschen hungern! Sagen Sie’s denen!“
Ich weiß nicht, ob der gute Jeremy mit diesem Video-Auftritt wirklich gut beraten war. 1976 war es, als der Regisseur Sydney Lumet mit „Network“ einen bemerkenswerten Film drehte, in dem der Fernsehmoderator Howard Beale, gespielt von Peter Finch, vor laufender Kamera ausrastet und den Leuten folgende Sätze entgegen brüllt:
„Ich will, dass ihr wütend werdet. Ich weiß nicht, was man gegen die Depression tun kann, die Inflation und gegen die Verbrechen auf den Straßen. ich weiß, dass ihr erst einmal wütend werden müsst! Ihr müsst sagen ,Ich bin ein menschliches Wesen, verdammt noch mal, mein Leben hat einen Wert!‘ Ich will, dass ihr alle aufsteht, zum Fenster geht, den Kopf raussteckt und schreit: ,Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich lass mir das nicht mehr länger gefallen‘“.
Ist es nicht herrlich zu sehen, wie unverfroren Hollywood bei sich selber klaut? Damals war es pure Unterhaltung, nicht wahr Jeremy, aber jetzt musste es mal ernsthaft gesagt werden, das verstehen wir doch.
Ich betrachte die Warnungen und Mahnungen der Celluloid-Heroes inzwischen mit gemischten Gefühlen. Selbst im Zeichen des Untergangs scheint es der Unterhaltungsindustrie nämlich zu gelingen, uns ruhig zu stellen, in dem sie uns ein paar Glanzlichter der Empörung aufsetzt, die uns den Eindruck vermitteln sollen, dass die Welt endlich zu Bewusstsein gekommen ist.
Verschwörungstheorie? Mag sein. Auf jeden Fall ist plötzlich wieder alles so schön bunt hier, um mit Nina zu sprechen …
Quellen und Anmerkungen:
(1) Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen u. a. die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung, die Imagination, die Argumentation, der Wille, das Glauben und einige mehr. Auch Emotionen haben einen wesentlichen kognitiven Anteil. — Quelle: Wikipedia.