Die Heldenverehrung
Statt Idole anzuhimmeln, sollten wir durch eigenes Nachdenken zu jemandem werden, der Bewunderung verdient.
Zeiten der Krise bringen oft einen besonderen Menschentypus hervor: den Helden. Dieser schreitet mutig voran, setzt sich Gefahren aus, um ein Ziel zu erreichen, und erntet dafür die Achtung und Bewunderung der anderen Menschen. Aus der Masse hervorgegangen, reift der Held schnell zu einem willkommenen Anführer, dessen Willen die Menschen sich unterwerfen und an den sie die Verantwortung für ihr Leben delegieren. Das friedlichere Pendant des Helden ist der Star, der ebenfalls auf ein Podest gehoben wird. Seine Anbetung und Bewunderung durch die Mitmenschen ist jedoch Ausdruck von deren eigenem mangelnden Selbstwertgefühl.
Kriegszeiten sind Zeiten der Heldenverehrung. Auf jeder Seite werden Einzelpersonen zu überlebensgroßen Abziehbildern heroischer Kultfiguren, denen das ganze Heil der Nation, des Heimatlandes, der Demokratie aufgeladen wird. Wie viele mythische Heldenfiguren sind nicht im Laufe der Jahrtausende in die Geschichte eingegangen? Vom antiken Rom über das antike Griechenland, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege — bis heute ist die Geschichte in erster Linie eine Abfolge von Namen. Alexander der Große, noch heute geachtet und geehrt, Gaius Julius Cäsar, ein großer Feldherr, Winston Churchill, der unbeugsame Widersacher Hitlers, dem gemeinsam mit dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt der Sieg über den Nationalsozialismus zugeschrieben wird. Geschichte wird auf Einzelpersonen projiziert, die den Lauf der Dinge im Alleingang bestimmt haben sollen.
Diese Einzelpersonen werden auf ein Podest gestellt, man huldigt ihnen, bewundert ihr Werk und ihre Taten, man blickt zu ihnen auf. Dabei sind diese Helden in der Regel eines: Kriegsverbrecher. Sie haben sich in erster Linie dadurch ausgezeichnet, dass Morde und Massaker ihre Laufbahnen bestimmten. Denn eine Eroberung, der Sieg in einem Krieg, die Kolonialisierung ganzer Landstriche, all das geht nicht ohne gewaltige Opfer. Opfer, die zumeist namenlos und unerwähnt bleiben.
So wird diese dunkle Seite der sogenannten Helden in der Regel ausgeblendet. Einzig der heroische Zug bleibt, die Bewunderung für die Taten, die ihnen zugeschrieben werden und die die Geschichte geprägt haben. Doch schon Bertolt Brecht fragte in seinem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“:
„Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“
Denn in der Regel haben die zu Helden Erhobenen ihre Heldentaten nicht allein oder gar selbst vollbracht. Kriege und Eroberungen, der Bau von gewaltigen Bauwerken, der Sieg über den Nationalsozialismus, all das wurde in der Regel höchstens befohlen. Es war der Befehl des sogenannten Helden, der eine ganze Masse namenloser Arbeiter und Soldaten in Bewegung setzte, die dann die Heldentat des Helden vollbrachten. Nicht ein einziger König baute seinen Palast selbst, allenfalls sah er den eigentlichen Bauarbeitern dabei zu, wie sie Steine schleppten und unter der Last ihrer Arbeit zerstört wurden, um sich anschließend mit den Federn der namenlosen Masse schmücken zu können.
Die vergiftete Belohnung
Jeder Held ist auf Untergebene und Gefolgsleute angewiesen. Selbst derjenige, der tatsächlich im Krieg Heldenmut bewiesen hat, in den Schützengräben ausharrt und eine überlegene Horde heranstürmender Feinde abwehrt, ist meist das Produkt der tatkräftigen Unterstützung seiner Mitmenschen, oder aber des Zufalls und des Glücks. Vor allem hat dieser Soldat mehr mit denjenigen gemein, die er während seiner vorgeblichen Heldentat niedermäht, als mit jenen, die ihn später zum Helden erheben.
Denn in dem Moment, da er an einer Front steht und auf vorgebliche Feinde schießt, ist er lediglich ein armer, unterworfener Untertan, der für die finanziellen oder machtpolitischen Ziele eines ihm unbekannten Herrschers andere Menschen zu töten gezwungen wird, die dasselbe Schicksal teilen.
Die eigentlichen Herren und Herrscher werden sich hüten, ihrerseits in den Krieg zu ziehen und sich für ihre eigenen Interessen selbst die Hände schmutzig zu machen.
In diesem Fall ist das Heldentum nur eine vergiftete Belohnung im Gegenzug für lebenslange Traumatisierung, psychische und oft auch körperliche Schäden. Auch die Gefallenen werden als Helden geehrt.
So sieht man heute noch in vielen deutschen Städten und Dörfern Denkmäler für die im Ersten Weltkrieg „gefallenen Söhne“ des jeweiligen Ortes. Schon an der schieren Menge der Namen kann man erkennen: Ganze Generationen wurden damals in die Vernichtung geschickt. Gedankt wurde es ihnen dadurch, dass ihre Namen in Stein graviert wurden, versehen mit einem salbungsvollen „Sie dienten der Verteidigung der Heimat“ oder dergleichen Kitsch, der Krieg und Soldatentum romantisch verklärt. Nichts davon entspricht der Wahrheit. Nicht der Verteidigung von Heimat und Familie dienten diese Menschen, sondern allenfalls der Mehrung deutschen und fremden Kapitals, der Austragung von Machtkämpfen reicher und mit Macht verklärter Männer und Familien, der Eroberung fremder Länder.
Doch die Menschen lieben Heldenverehrung. Die eigene ungelebte Identität wird in fremde Menschen hineinprojiziert, deren Tun zu großen Taten verklärt, wobei das Leid, die Zerstörung und die Verbrechen einfach ausgeblendet werden. Auch heute, beispielsweise im Krieg in der Ukraine, ist Heldenverehrung wieder voll im Trend. So ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der Held des Westens, der Demokratie, Menschenrechte und das globale Projekt der Völkerverständigung gegen die bösen Invasoren aus den Horden Putins verteidigt. Die Verbrechen des Regimes der Ukraine, das Verbot der Opposition, die Gleichschaltung der Medien, die Verfolgung Andersdenkender und die Zwangsrekrutierung immer jüngerer, aber auch immer älterer Männer und auch Frauen für die Front werden dabei galant ignoriert.
Die Heldenverehrung ist das Pendant zur Verteufelung des Gegners. Während auf der eigenen Seite die negativen Züge der Helden, ihre Verbrechen und ihre Verfehlungen ignoriert oder heldenhaft umgedeutet werden, ist auf der Gegenseite die herausragende Figur stets der größte Verbrecher. Hier werden all seine Verfehlungen, Missetaten und Verbrechen haarklein analysiert und als negativer Wesenszug ausgelegt, und, falls nötig, werden sogar Taten erfunden oder zu Verbrechen erklärt, die bei allzu genauer Betrachtung keine sind. Die Frage, ob Held oder Verbrecher, ist damit immer auch eine Frage der Perspektive.
Die Sterne am Himmel
Der kleine Bruder der Heldenverehrung in Friedenszeiten ist die Verehrung von Stars. Seien es Musiker, Schauspieler, Models oder Aristokraten — ganze Zweige der Medienlandschaft leben von der Bedienung dieses Kultes. Da werden Stars als große Menschen inszeniert, jeder ihrer Schritte verfolgt, jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt. Die öffentlich-rechtlichen Medien übertrugen live den gesamten Tag der Krönung von König Charles.
Das wirft die Frage auf, was die Krönung eines ausländischen Monarchen eigentlich mit der deutschen Demokratie zu tun hat, der diese Medien ja eigentlich verpflichtet sind. Die Menschen stehen Schlange, um diesem Ereignis beizuwohnen, zelten bereits Tage zuvor, um einen guten Platz zu ergattern. Sie trachten danach, ihrem Star die Hand zu schütteln, ein Selfie mit ihm zu machen oder ihn auch nur einmal im realen Leben sehen zu dürfen. Sie erachten es als ein Privileg, wenn diese Person sich auch nur ein einziges Mal dazu herablässt, ihnen Beachtung zu schenken.
Aus all dem spricht oftmals ein geringes Selbstwertgefühl. Ob der Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens müssen diese Menschen ihre Persönlichkeit durch die Nähe zu einer berühmten Person — und sei es nur eine eingebildete Nähe — aufwerten.
Heldenverehrung ist die Unterwerfung unter die eigenen, meist eingebildeten Unzulänglichkeiten und die eigene Bedeutungslosigkeit, während die eigenen Wünsche und Träume auf andere projiziert werden. Diese sollen dann das tun, was man selbst gerne tun würde, sich aber nicht zutraut. Das macht das Leben der Stars auf der einen Seite auch ziemlich schwierig. Denn sobald die Stars von den Erwartungen ihrer Fans abweichen und ihren eigenen Weg gehen, ziehen sie womöglich deren Zorn auf sich. Wenn sich zum Beispiel ein bisher geachteter Schauspieler oder Musiker kritisch zum Thema Corona geäußert hatte, dann folgte in der Regel eine Woge des Unmuts der eigenen Fans. Mit einem Mal stellten diese das gesamte Lebenswerk „ihres Stars“ in Frage und äußerten Fassungslosigkeit darüber, das Werk dieser Person in der Vergangenheit bewundert zu haben. Nie wieder soll ihnen das passieren!
Auf der anderen Seite sind Menschen, die andere als Helden verehren, auch leicht zu steuern und zu manipulieren. Selten widerspricht man dem eigenen Idol, sondern erkennt es als übergeordnete Autorität an, deren Worten man beinahe blindlings glaubt. Auch das war in Coronazeiten zu beobachten. Wie viele berühmte Persönlichkeiten haben sich dafür hergegeben, Lockdowns und die als Impfung fehlbezeichnete Gentherapie anzupreisen oder gegen die sogenannten Coronaleugner und Querdenker Stimmung zu machen. Und weil diese verehrten Persönlichkeiten es gesagt haben, konnte es ja nicht falsch sein. Würde der Held, diese Ausgeburt des moralisch Guten, diese Verkörperung intellektueller Überlegenheit, es sonst sagen?
Der Weg in die Verantwortungslosigkeit
Heldenverehrung führt zu dem, was dem ideologischen Feind an negativen Eigenschaften zugeschrieben wird. So wird behauptet, Putin habe in seinem Umfeld niemanden, der es wage, ihm zu widersprechen, und sei deswegen über die Geschehnisse in der Ukraine vollkommen falsch informiert. Doch in den eigenen Kreisen wird es niemand wagen, dem als Helden Verehrten zu widersprechen. Selbst wenn er eine formale Führungsposition nicht innehat, so kommt ihm zumindest eine ideelle Führungsposition zu. So dürfen sich diese Personen auch mit einem Mal zu Themen äußern, von denen sie keine Ahnung haben, und erfahren dennoch eine gewisse Resonanz. Heldenverehrung ist damit auf jeder Ebene der direkte Weg in die Verantwortungslosigkeit.
Statt das Leben in die eigene Hand und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, wird diese delegiert an jene Helden und Vorbilder, an Bedeutungsträger und Symbolfiguren, die es wagen, sich zu den brisanten Themen zu äußern.
Die Frage „Impfung oder nicht?“ wurde somit an TV-Moderatoren, Musiker und Schauspieler delegiert, die den „Piks“ im Zusammenwirken mit der Regierung als den einzigen Weg aus der „Pandemie“ anpriesen.
Auch in Bezug auf andere Themen schauen die Menschen lieber auf Vorbilder und Helden und machen sich deren Ansichten zu eigen. Das erspart einem die Mühe, den eigenen Kopf einzuschalten, selbst nachzudenken und am Ende vielleicht sogar noch zu Schlussfolgerungen zu gelangen, die dem herrschenden Narrativ widersprechen. Somit ist eine Orientierung an Helden meist auch eine Anpassung an die Massengesellschaft.
Das gilt aber ebenso auch für die andere Seite, die sich eben nicht in der Massengesellschaft wiederfindet. So hielten jene dem Coronanarrativ kritisch gegenüberstehenden Menschen noch mehr zu ihren Idolen, die sich ebenfalls kritisch geäußert hatten, und sahen dabei auch über deren fragwürdige Äußerungen, sofern es welche gab, hinweg. Auch hier wurden symbolträchtige Helden zu Führungsfiguren aufgeblasen, auf deren Worte man hörte, denen man folgte, von deren Vorstellungen man sich abhängig machte, auch wenn diese das unter Umständen überhaupt nicht wollten. Man folgt den Anführern, macht sich ihre Einschätzungen und Sichtweisen zu eigen, und wähnt sich auf der „richtigen“ Seite.
Dennoch führt auch hier die Heldenverehrung in die Unselbstständigkeit. Statt eigene Entscheidungen zu treffen, werden die Entscheidungen der Helden umgesetzt, auch wenn sie vielleicht nicht wirklich im eigenen Interesse sind.
Sie werden in politische Ämter gebracht, sei es durch Wahl oder Revolution. Dadurch jedoch ändert sich an den grundlegenden Verhältnissen nichts. Denn wenn nur die Führungsfiguren ausgetauscht werden, wiederholen sie die Fehler ihrer Vorgänger, ob sie wollen oder nicht. Denn ein Machtsystem, das wenigen Menschen die Herrschaft über viele gibt, ist an sich nicht dazu geeignet, allen Menschen zu dienen. Der einzelne Herrscher oder die Gruppe von Herrschern vermag es selbst dann nicht, allen anderen gerecht zu werden, wenn er tatsächlich moralisch und ethisch unbefleckt ist und nur das Beste im Sinn hat. Denn dieses Beste ist auch immer nur das Beste in der eigenen, notwendigerweise begrenzten Vorstellung.
Selbst denken!
Die Verehrung anderer Menschen ist damit stets der Weg in die eigene, selbstverschuldete Unmündigkeit. Statt auf Stars, Politiker, Wissenschaftler oder andere Persönlichkeiten zu hören, die meinen, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben und ihren Willen durchsetzen zu müssen, wäre es sinnvoller, sich auf sich selbst zu besinnen, sich eigene Gedanken darüber zu machen, wie man leben möchte, was man gesellschaftlich diskutiert haben will, und was eben auch nicht. Sich Diskussionen und Entscheidungen von Helden, Symbolfiguren oder Abgeordneten abnehmen zu lassen ist zwar bequem, führt aber auch dazu, dass diese hauptsächlich ihre eigenen Interessen durchsetzen. Die fortwährenden Korruptionsskandale in Deutschland und anderen Ländern bringen das ganz deutlich zum Ausdruck. Die Vetternwirtschaft und die Bedienung von Kapitalinteressen sind keine Unfälle in einem an sich funktionalen System, sie sind systemimmanent.
Statt Repräsentanz und Delegation ist daher Eigenständigkeit, eigenes Denken und Handeln, Diskutieren und Aushandeln angesagt. Vorausgesetzt natürlich, man stört sich an den derzeitigen Verhältnissen von Krieg, Faschismus, totalitären Zwängen, Verboten, Vetternwirtschaft, Umverteilung und Radikalisierung der sogenannten Mitte. Nur Selbstermächtigung kann aus dieser misslichen Lage herausführen, das radikale Eintreten für das eigene Leben, die eigene Würde und die eigenen Vorstellungen, und das nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Das bedeutet keineswegs, dass man zum gewaltsamen Umsturz ansetzen soll. Dieser bringt in der Regel nur dieselben Verhältnisse erneut hervor. Aber es soll zu einer entschlossenen Weigerung animieren, Verhältnissen zu dienen, die einem nur schaden. Eine klare Abgrenzung, eine klare Grenze setzen, das sind grundlegende Voraussetzungen für die Übernahme der Verantwortung im eigenen Leben.
Darüber hinaus ist es wichtig, sich keine fremden Interessen überstülpen zu lassen, sondern eigene zu finden und zu formulieren. Diese kann man dann im Zusammenwirken mit anderen verfolgen und auf diese Weise eine Gesellschaft entstehen lassen, die dem Leben und der Entfaltung mehr dient als die derzeitige. Dafür muss man sich jedoch auch von der Unterwerfung unter Helden und Vorbilder freimachen. All diese Idole sind bei näherer Betrachtung nur ganz normale Menschen mit Fehlern und blinden Flecken. Niemand ist perfekt, doch im Zusammenwirken mit anderen kann jeder seine positiven Eigenschaften einbringen. So summieren sich diese Eigenschaften zu einem positiven Feld, während die negativen Eigenschaften durch die positiven Pendants anderer aufgewogen werden.
Heldenverehrung steht bei diesem Prozess im Wege. Natürlich kann man Menschen für ihr Tun, ihr Können oder ihr Werk respektieren. Ein begabter Musiker, ein talentierter Maler oder auch jemand, der tatsächlich eine Heldentat vollbracht hat, darf und soll Respekt erfahren für diese Fähigkeiten und Taten. Doch er soll nicht in blinder Verehrung zur Autoritätsperson erhoben werden. Denn damit stellt man sich selbst auf eine Stufe unter diese Person und wertet sich selbst ab. Das wiederum steht einer gedeihlichen, wahrhaft demokratischen Welt im Wege.