Die heilige antifaschistische Brandmauer

In der Absicht, sich radikal vom „Bösen“ abzugrenzen, agieren die vermeintlich Guten pharisäerhaft und schneiden den Gesprächsfaden zu Andersdenkenden ab.

„Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder“, rief Ronald Reagan in Zeiten des kalten Krieges dem sowjetischen Präsidenten zu. Damals standen Mauern noch in einem schlechten Ruf. Heute erfreuen sie sich wieder größter Beliebtheit. Nicht nur in den USA, wo die Grenze nach Mexiko dichtgemacht wird. In Deutschland dient die Mauer vor allem der Abgrenzung von der AfD. Wie bei der Abdichtung eines Deichs gegen die tödliche Flut soll möglichst jedes Loch gestopft werden, werden diejenigen, die das Kontaktverbot aufweichen, als Verräter an der guten Sache gebrandmarkt. Jesus, auf den sich unser Autor, Pfarrer Jürgen Fliege, beruft, war demgegenüber jemand gewesen, der das Verbindende suchte und Grenzen einriss — gerade auch die zwischen Gut und Böse. Der Religionsstifter wandte sich gegen Heuchelei und Selbstgerechtigkeit und forderte, zunächst den „Balken im eigenen Auge“ zu suchen. Ein solcher Impuls tut der derzeitigen aufgeheizten Debatte gut, in der auch die Kirchen gern Steine auf vermeintliche Meinungssünder werfen. So problematisch viele Aussagen der parlamentarischen „Rechten“ auch sein mögen — jeder Versuch, sie weiter auszugrenzen, ist — um eine Zeile der Band Pink Floyd zu variieren — ein weiterer Stein in der Brandmauer.

Was so eine richtige Religion sein will, also eine, die was auf sich hält, die braucht eine ordentliche Mauer. Ob das nun eine alte Klagemauer in Jerusalem ist oder die neue große Mauer rund um Jerusalem herum. Oder die Mauer des Gottgesandten zwischen den USA und Mexiko. Oder, wie bei unsere ehemaligen Schwestern und Brüdern in der DDR, ein solider „Antifaschistischer Schutzwall“ aus Beton mit Stacheldraht, sprich: Mauer. Egal! Wie bei den Sekten. Keine Sekte ohne Mauer!

Solche Mauern färben ab. Sie versteinern die Gemüter ihrer Erbauer unbemerkt. Und sie täuschen ihnen vor, beschützt zu sein. Sie sind zudem der traumatische Rest der Bürgergesellschaft, die sich um eine Burg fest einmauerte, um dort langsam zum Burger zu werden. Mauern sind daher für alle bürgerlichen Sektierer, Schwärmer und sonstwie Eingeschränkten unumstößlich und haben etwas Ewiges. Wenigstens solange man für sie laut genug trommelt und ihnen huldigt. Um in der Stille wahrer Einkehr beizeiten zu merken, dass man sich da selbst eingemauert und umzingelt hat. Scheiße!

Mauern werden bekanntlich von Maurern errichtet! Von wem auch sonst! Das ist immer so. Auch mit der neuesten aller deutschen Mauern. Der berühmt berüchtigten „Brandmauer“ in Berlin. Errichtet in schwerer großer Zeit für alle deutsche Ewigkeit. Sie kann gar nicht hoch und breit genug sein.

Es ist die Brandmauer unserer Überzeugungen, unserer Werte, unseres Glaubens die alleinseligmachenden Guten zu sein.

Nulla salus extra muros! Jeden Abend, jeden Morgen, sogar mitten in der Nacht wird da weiter gemauert. Immer höher! Und wie sie gefeiert wird! Wie ihr gehuldigt wird. Wie sie in allen Polit-Predigten vorkommt und vorkommen muss und dann wie bei den Parteitagen der alten SED üblich auf der Straße von Hunderttausenden als Monstranz der heiligen Werte-Demokratie als Schutzpatronin der deutschen Demokratie angerufen wird. Unverzichtbar! Sinnstiftend! Halleluja! Amen!

Ja, die Heilige Mauer der Resteampel mit ihrem christlich demokratischen Wurmfortsatz wird uns alle schützen! Lasset uns ihr darum über alle Parteigrenzen hinweg ein Loblied singen: Halleluja! Und wehe, da ist einer, der da nicht mit lobsingen oder mit marschieren möchte. Wer sich da nicht rechtzeitig zu ihr bekennt……? Wehe! Er oder sie wird in aller öffentlichen Rechtlichkeit verhöhnt, bespuckt und wo es geht: ausgestoßen: Bei den Banken, Sparkassen, Hotels, Vereinen, Stammtischen und so weiter. Die heilige Inquisition der Verfassungsschützer mit ihren Blocksteinwarten wird sie finden. Die 2-G-Regeln haben nie aufgehört zu wirken: Gteert und Gfedert! Die alten Zeiten würgen sich nach oben. Die Mauer gegen die „Coronaleugner“. Die Mauer gegen die „Putinversteher“! Das Einmauern der „Klimarettungskritiker“!

Der Glaube an die Wirkung der Mauern ist zum neuen Grundgesetz geworden.

Ein Schauer läuft über den Rücken.

Unsere Heilige Brandmauer ist nun nicht mehr aus schnödem Beton und Blocksteinen. Die neue moderne „Brandmauer“ ist tiefer gegründet und darum geistiger und geistlicher Natur. Sie kommt von Herzen!

Aus dort sinnlos herumliegenden alten Werten, die niemand brauchte. Sie ist also eine Herzensangelegenheit, quasi im Religiösen fundamentiert, in der Einstellung der Menschen. Sie gründet auf der ewig gestrigen Losung aller herzensguten Selbstgerechten: Wir Guten sind gegen die Bösen! Die Bürgertöchter und Söhnchen gegen die Schmuddelkinder.

Das aber ist das geistliche Baumaterial aller Sekten und Sektierer: Die Existenzangst der Bürger! Verlustängste. Kein persönlicher Fahrdienst mehr. Sorge um Macht und Einfluss! Wie immer schon und üblich: Immer gegen die Kleinen. Gegen wen denn auch sonst tun sich Angsthasen gern zusammen? Immer gegen das Volk, den großen Lümmel, gegen den Kleinen Mann mit seiner kleinen Frau mit den kleinen Kindern. Gegen die, die im Schweiße ihres Angesichts längst schon die Baukosten berappen müssen. Und noch schlimmer: Gegen die, die kaum noch was haben, um ihnen auch das noch zu nehmen.

Diese neue Mauer der Herzensbürger kommt nun in ihrer Funktion der alten und über 40 Jahre bewährten Berliner Mauer verblüffend gleich daher. Als hätte man sie einfach eins zu eins von der alten Sekten-SED abgekupfert. Die Brandmauer als neuer wiedererrichteter „antifaschistischer Schutzwall“ gegen die Nazis. Da muss man dann nicht mehr lange erklären, warum und wieso. Oder wer oder was Nazi ist oder bleibt. Weiß doch jeder! Die kleinen Kinder auf den Schultern der demonstrierenden Väter tragen schon entsprechende Parolen. Es geht darum, die neuen „Faschisten“ zu isolieren und zu verhauen. Und dazu wird dann eine in die Hunderttausend zählende johlende Masse herbeigekarrt. Von Parteien und willfährigen Medien. Und dann die alte DDR-Parole aus dem Keller der Vergangenheit geholt: „Nie wieder Faschismus“. Allerdings wollten die damals auch „Nie wieder Krieg“. Das hat sich geändert.

Eine neue „antifaschistische Brandmauer“ also, um ein Viertel unseres Volkes mindestens auszugrenzen. Eine „Brandmauer“, ersonnen von Betonköpfen, die nicht sehen können, dass man sich mit solchem Sektenkram einmauert.

Die neue deutsche Religion hat die alte deutsche Religion, das Christentum, aufgegeben. Da war ja auch nicht mehr viel übrig. Ein spirituelles Vakuum entstand. Eine Million Seelen pro Jahr verließen längst das sinkende Schiff, das sich Gemeinde nannte. Kein Interesse mehr für den Typen aus Nazareth, der seine kleinen Schwestern und Brüdern lehrte, das Brett vor dem eigenen Kopf, also die ganz private Brandmauer aller Brandmauern, vor den Existenzängsten dieser Welt einfach abzureißen.

Zu naiv! Zu gefährlich! Eine Einladung quasi für alle dunklen Mächte dieser Welt. Was soll denn ein antiker Meister oder Therapeut gegen modernen Faschisten aufbieten? Wie aus der Zeit gefallen ist denn einer, der ohne wenn und aber lehrt, dass man mit Putin und Co. reden muss? Wie irre ist denn einer, der lehrt, dass dein Nächster verdammt viel Ähnlichkeit mit dir hat. Die gleichen Ängste! Die gleichen Scheuklappen. Die gleiche Aggression. Wer also unter euch voller Ängste ist, der nehme den ersten Stein aus der Mauer: Brick out the wall!

Das war mal unsere Religion. Sie wird sich zurückziehen. Sie hat keine Macht, die Energie aller Ängste der Welt zu stoppen. Sie kämpft eben nicht. Sie kennt in ihrer Geschichte keinen erfolgreichen Kampf Gut gegen Böse. Sie hat eine drei, viertausend Jahre alte vorsintflutartige Erfahrung im Gepäck, dass nicht einmal Gott erfolgreich war, das Gute gegen das Böse zu verteidigen.

Denn es steht geschrieben, als die Arche der Guten landete, war das Böse längst da. Oder das, was man landläufig das Böse nennt, weil es fremd ist.

Darum und seitdem zogen Juden und Christen bis in die Bauernkriege hinein mit einem Himmelszeichen durch das Leben, das alle Extreme versöhnt, Sonne und Regen. Den „Regenbogen“, der die Geduld der Schöpfung preist, weil Regen und Sonne ihre Arbeit tun und auf die Dauer jede Mauer dem Erdboden gleich machen. Aber auch den Regenbogen haben die Neuen Sekten in Medien, Politik und Straße, uns geraubt.

Wir Frieden liebenden Christen ziehen uns daher in den Untergrund zurück, in die Katakomben, zu den Ahnen und Zeugen unseres Glaubens. Das ist unsere Wiege. Von dort kommen wir. Und von dort wird ER kommen. Und von dort wirken wir.

Gelobt sei Jesus Christus, der uns in dieser Zeit beisteht und tröstet.