Die Gewaltenfusion

Durch die Bündelung von Meinungsmacht und Entscheidungsbefugnissen in den Händen weniger wurde die ursprüngliche Absicht des Grundgesetzes ausgehöhlt.

Machtbegrenzung ist ein wertvolles Gut, weil wir mit Machtkonzentration historisch schlechte Erfahrung gemacht haben. „Checks and Balances“ heißt das Prinzip, wonach es zu Machtzentren immer Gegengewichte geben muss, die als Kontrollinstanzen dienen können. Wer aber kontrolliert und begrenzt heute noch den Einfluss der Bundesregierung? Das Parlament? Wird meist von den Parteien dominiert, die auch auf der Regierungsbank sitzen. Die Gerichte? Haben speziell in der Coronapolitik alles mitgetragen, was politisch entschieden wurde. Der Bundespräsident? Schweigen wir lieber darüber. Die Presse? Wurde wirksam eingehegt. Die Wissenschaft? Bezieht ihr Ansehen bis heute aus der Fiktion, sie sei objektiv und rein faktenorientiert, lässt sich aber für politische Agenden bestens instrumentalisieren, wie wieder vor allem Corona zeigte. Sich gegen dieses Phalanx zu stellen, erscheint im fortgeschrittenen Stadium der Gewaltenfusion schwierig, und die Misere zeigt sich national und international auf ganz verschiedenen Ebenen. Der Autor denkt in diesem Artikel darüber nach, wie Abhilfe geschafft werden könnte.

Am 19. Dezember 2024 haben der Bundestag und am 20. Dezember 2024 der Bundesrat eine Änderung des Grundgesetzes (GG) beschlossen, die die Rechte des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ausweitet. Das Gesetz wurde am 27. Dezember 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist damit am 28. Dezember 2024 in Kraft getreten. Darin wurde unter anderem Artikel 94 Absatz 4 GG eingefügt:

„Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Ein Bundesgesetz bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben.“

Nun regelt aber Artikel 79 Absatz 3 GG:

„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche (…) die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

Dazu zählen auch der Grundsatz der Volkssouveränität nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“) und die Gewaltenteilung nach Artikel 20 Absatz 3 GG.

Wurde Artikel 79 Absatz 3 GG verletzt?

Hat jemand vorher geprüft, ob der Grundsatz der Volkssouveränität verletzt wird, wenn ein Teil der Staatsgewalt nicht vom Volk, sondern vom BVerfG ausgeht und sich die Volksvertretung nach ihm zu richten hat? Hat jemand vorher geprüft, ob der Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt wird, wenn ein Gericht in die Gesetzgebung eingreift und das Volk über die Volksvertretung nicht mehr das letzte Wort hat?

Nach Artikel 20 Absatz 3 GG soll das Parlament die Regierung kontrollieren, und unabhängige Gerichte sollten die Bürger vor einem übergriffigen Staat schützen. Der Verfasser verkennt nicht, dass diese Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland noch nie so richtig funktioniert hat.

Schon unter Konrad Adenauer wurde die parlamentarische Demokratie zu einer Kanzlerdemokratie, die von Kritikern auch als demokratische Diktatur bezeichnet wurde. Vielleicht hat sich Adenauer am ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck orientiert, der nicht dem Parlament, aber dem Kaiser zumindest formal unterstellt war. Wilhelm I. soll sich aber auf seinem Sterbebett bei Bismarck bedankt haben, dass er unter ihm Kaiser sein durfte. Adenauer hat nach dem gleichen Geist die CDU von einer Partei zu einem Kanzlerwahlverein mit Postenvergabeeinrichtung umgebaut. Wenn die Volksvertretung nicht das Volk, sondern die Macht vertritt, droht aus dieser Richtung keine Gefahr mehr.

Die Kanzler Ludwig Erhard, Helmut Kohl und Angela Merkel haben diese Tradition fortgesetzt: Seit den 1950er-Jahren kontrolliert also nicht das Parlament die Regierung, die Regierung kontrolliert das Parlament. Und die nach dem Krieg aus dem Nazireich übernommen Richter haben ihre Aufgabe schon immer darin gesehen, den Staatsapparat vor kritischen Bürgern zu schützen. Das beanstandete Gesetz entmachtet das Parlament nun auch ganz offiziell. Die in Hinterzimmern ausgekungelten und nach politischer Zuverlässigkeit ausgewählten Verfassungsrichter können nach dem neuen Artikel 94 Absatz 4 GG willkürlich festlegen, was das Parlament noch beschließen darf, und sie unterliegen dabei keiner demokratischen Kontrolle. Diese Machtfülle hat Ähnlichkeiten mit der des Wächterrats in der Islamischen Republik Iran.

Vierte und fünfte Gewalt

Die Gewaltenteilung nach Artikel 20 Absatz 3 GG wird durch die Pressefreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 und 3 GG und die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 GG erweitert. Eine freie Presse soll die Staatsmacht kritisieren, die Öffentlichkeit informieren und so dafür sorgen, dass das Volk keine Mehrheit von Jasagern in die Volksvertretung wählt. Die Medien werden deshalb auch als „vierte Gewalt“ bezeichnet. Die Wissenschaft soll herrschende Meinungen ständig hinterfragen. Religionen verkünden einen Glauben, die Wissenschaft verbreitet Zweifel. Die Wissenschaft sucht nach der Wahrheit. Religionen glauben, sie gefunden zu haben. Eine freie Wissenschaft soll die Menschen zum Nachdenken statt zum Nachplappern motivieren; man könnte sie dann als „fünfte Gewalt“ bezeichnen. Eine Wissenschaft, die sich einig ist und die Botschaft der Mächtigen verbreitet, kann keine freie Wissenschaft sein; sie wird zur Religion.

Auch die vierte und die fünfte Gewalt funktionieren nicht mehr. Die Verlage und Sender verkaufen keine Informationen oder Unterhaltung mehr, sondern Werbeflächen. Sie müssen konkrete Zielgruppen ansprechen, die dann mit der passenden Werbung berieselt werden können.

Senioren sind eine unbeliebte Zielgruppe; sie kaufen, was sie schon immer gekauft haben, und lassen sich nicht von der Werbung beeinflussen. Unbeliebt sind auch kritisch denkende Menschen, die ebenfalls die Werbung hinterfragen. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind auf diesen Zug aufgesprungen, nur dass sie keine Waschmittelwerbung, sondern regierungstreue politische Botschaften verbreiten. Die werden dann auch von den werbefinanzierten Medien verbreitet; man will ja seine gutgläubigen Werbe-Zielgruppen nicht verunsichern. Die aktuelle Medienlandschaft fördert deshalb die Volksverdummung, bei der die Menschen jeden Unsinn glauben sollen.

Die Wissenschaftsfreiheit wurde vor circa 20 Jahren mit der Einführung der W-Besoldung langsam abgeschafft. Darin erhalten die Professoren neben einem niedrigen Grundgehalt sogenannte Leistungszulagen, die aber in Wirklichkeit Prämien für angepasstes Verhalten sind. Das fördert auch die Drittmittelforschung, bei der Forschungsprojekte von Unternehmen finanziert werden, und die dann auch zu den Ergebnissen kommt, die sich die Auftraggeber wünschen. Wer als Wissenschaftler nicht die herrschende Meinung vertritt, bekommt natürlich keine Drittmittel und dann auch keine Zulagen. Diese gekaufte Wissenschaft kann also ihren verfassungsmäßigen Auftrag nicht erfüllen.

Während der Corona-Hysterie wurden von den Medien und der Politik nur „Experten“ präsentiert, die durch ihre Drittmittelforschung ihre Verbundenheit mit Pharmaindustrie unter Beweis gestellt hatten.

Wissenschaftler mit der Fähigkeit, aus eigenem Antrieb — selbst ernannt — in alle Richtungen — kreuz und quer — zu denken, wurden diffamiert. In den offiziellen Medien gab es nur noch eine Meinung. Nach § 2 Absatz 1 des Heimtückegesetzes vom 20. Dezember 1934 wurde die Untergrabung des Vertrauens in die Staatsführung durch hetzerische Äußerungen mit Gefängnis bestraft. Seit 2020 wird dies vom Verfassungsschutz als „Delegitimierung des Staates“ beobachtet, und mit der Verschärfung der §§ 130 und 188 im Strafgesetzbuch (StGB) wird ein Teil solcher Äußerungen auch wieder strafrechtlich verfolgt. In einem demokratischen Staat sollte dagegen ein gesundes Misstrauen des Volkes gegenüber der Führung zum guten Ton gehören.

Verkommene parlamentarische Sitten

Auch parlamentarische Sitten sind seit 2017 kein Thema mehr. Der AfD werden die ihnen nach Proporz zustehenden Sitze in den Parlamentspräsidien und die Vorsitze von Parlamentsausschüssen verweigert. Ihre Abgeordneten werden bei Reden im Parlament von den selbst ernannten Demokraten niedergebrüllt, ohne dass die Parlamentspräsidenten eingreifen würden. Die Partei wird von den Mainstreammedien diffamiert und ihre Repräsentanten ignoriert.

Ein Teil des Erfolgs der AfD mag auch aus einer Opfersolidarisierung resultieren. Menschen neigen dazu, Opfern ungerechtfertigter Angriffe beizustehen, auch wenn sie mit ihnen nicht freundschaftlich verbunden sind.

Als sich einst Grüne und Linke aus dem Wählerpotenzial der SPD verselbstständigten, hat die Sozialdemokratie den Verlust nach ein paar Jahren akzeptiert und ist zu einer konstruktiven Haltung übergegangen. Die Brandmauer-Politik der CDU/CSU ist aber inzwischen so stark eskaliert, dass, wie einst in Italien, eine Neuordnung der Parteienlandschaft nur nach dem Untergang der Christdemokraten realistisch wäre.

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Auflösung des Bundestags warnte der Bundespräsident vor äußerer Einmischung in den Bundestagswahlkampf, und er verwies auf das Beispiel Rumänien. Dort wurde, nachdem es der Kandidat der Regierung nicht in die Stichwahl geschafft hatte, die Wahl vom regierungstreuen Verfassungsgericht wegen einer angeblichen Einflussnahme Russlands für ungültig erklärt. Wie sagte einst Walter Ulbricht:

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Aktuell dürfte eine Annullierung der Wahl auch bei einem AfD-Wahlsieg als unwahrscheinlich erscheinen. Aber was wäre, wenn zwischen dem 20. Januar 2025 und dem 23. Februar 2025 sich die USA und Russland auf ein Kriegsende in der Ukraine einigen würden, der als nachtragend bekannte neue US-Präsident aus Rache wegen der Einmischung der Europäer in die US-Wahl den Rückzug aus der NATO erklärte, die Rest-NATO diese Bedingungen nicht akzeptieren und beschließen würde, die Ukraine weiter zu unterstützen?

Dem CDU-Kanzlerkandidaten, der wegen seines Vornamens und seiner Körpergröße auch „Friedrich der Große“ genannt werden könnte, könnte sein Gerede von einem Ultimatum an Russland auf die Füße fallen. Viele CDU-Wähler könnten zu dem Ergebnis kommen, dass eine Kanzlerin, die in Washington und Moskau als Gesprächspartnerin respektiert würde, besser wäre als ein Kanzler, der es sich mit dem neuen US-Präsidenten verscherzt hat und vom russischen Präsidenten als Kriegstreiber bezeichnet wurde.

Die Aussage von Elon Musk, nur die AfD könne Deutschland retten, bekäme eine ganz neue Bedeutung. Ein Wahlergebnis, bei dem noch nicht einmal eine „Kenia-Koalition“ aus Union, SPD und Grünen eine Mehrheit hätte, würde mit Sicherheit annulliert, und anschließend würde die AfD im Eilverfahren verboten. Rechtsstaatlichkeit wäre kein Thema mehr!

Grund zum Pessimismus?

Trotz allem Pessimismus dieser Analyse legte der Verfasser dieses Artikels am 30. Dezember 2024 Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ein. Er ist sich dessen bewusst, dass sie, wie die Verfassungsbeschwerden aller nicht prominenten Normalbürger, nicht zur Entscheidung angenommen werden wird. Eine Begründung wird sich finden — oder auch nicht. Dazu kann eine konkrete Erfahrung angeführt werden.

Der Verfasser hatte am 13. Juni 2023 gegen die Wahlrechtsreform vom 8. Juni 2023 Verfassungsbeschwerde eingelegt und nicht nur die 5-Prozent-Klausel angegriffen, sondern auch das Parteienprivileg des § 18 Absatz 1 Bundeswahlgesetz (BWahlG), das mit dem Gesetz neu formuliert wurde. Danach dürfen nur Parteien Landeslisten aufstellen, wodurch sich der Verfasser in seinem passiven Wahlrecht behindert sah. Insgesamt sind die CSU, die Partei Die Linke, die ehemalige Bundestagsfraktion Die Linke, die Bayerische Staatsregierung, 195 Mitglieder des Bundestags, der Verein „Mehr Demokratie e. V.“ mit 4.242 gesammelten Unterschriften, 202 Mitglieder der Partei Die Linke und 12 einzelne Bürger gegen die Reform vorgegangen. Nur die Beschwerde des Verfassers hatte das Parteienprivileg beanstandet. Eine genaue Darstellung des Vorgangs ist hier zu finden. Auf dieser Seite und auf dieser wird ebenfalls berichtet. Der Beschluss des BVerfG ist auf der Seite nachzulesen.

Der auch in der Pressemitteilung Nr. 68/2024 vom 27. August 2024, „Beschlüsse vom 30. Juli 2024“, zitierte Beschluss in der Sache 2 BvR 790/23 behauptete, § 18 Absatz 1 BWahlG sei durch das Gesetz vom 8. Juni 2023 nicht geändert worden. Im Widerspruch zu dieser alternativen Wahrheit regelte Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. Juni 2023 ausdrücklich: „Das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, Seiten 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I, Seite 1482) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: (…) 5. § 18 Absatz 1 wird wie folgt gefasst: (…)“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Der Gesetzgeber sagte also, das Gesetz wird geändert — das BVerfG behauptete das Gegenteil! Stärker konnte die Missachtung des Parlaments nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Andererseits haben die Bürgerproteste gegen die Volkszählung 1983 aber dazu geführt, dass das BVerfG das Volkszählungsgesetz für verfassungswidrig erklärte und ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einführte; also per Urteil und nicht per Verfassungsänderung! Neben der Friedensbewegung wollte die Politik keine weitere Oppositionsbewegung provozieren und machte also einen Rückzieher. Daraus kann die Hoffnung abgeleitet werden, dass vor dem Hintergrund des Unmuts über die Coronapolitik, das Heizungsgesetz, das Gendern, die LGBTQXYZ-Propaganda und der Sorge um eine Verwicklung Deutschlands in den Ukrainekrieg es nicht im Interesse der Herrschenden liegt, einen neuen Protest zu provozieren. Würden sich wie bei der Wahlrechtsreform über 4.000 Bürger der Beschwerde anschließen, könnte das Eindruck machen.

Sinnvoller als eine reine Unterschriftensammlung wäre aber, wenn die Bürger den Text des Verfassers zur Vorlage nehmen und als eigene Beschwerde per Brief an das BVerfG schicken würden. Dann müssten über 4.000 eigene Aktenzeichen vergeben und 4.000 Beschlüsse gefasst werden. Dafür muss die Information über diese Initiative aber verbreitet werden.

Eine Diskussion über den Zustand der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung ließe sich dann nicht mehr verhindern. Die Mächtigen könnten sich dann vielleicht doch genötigt fühlen, dem Volk im Sinne von Martin Luther „aufs Maul zu schauen“, statt ihm ständig „aufs Maul zu hauen“!