Die Gehorsams-Probe
Maskenzwang, Impfpflicht und Co. ermöglichen es dem Staat in bisher unvorstellbarem Ausmaß, die Bürger zur Unterwerfung zu nötigen.
„Der, des Verwaltung unauffällig ist, des Volk ist froh. Der, des Verwaltung aufdringlich ist, des Volk ist gebrochen.“ So stand es in einem Flugblatt der Widerstandsbewegung „Weiße Rose“. Ursprünglich stammt der Spruch von dem chinesischen Weisen Laotse. Machthaber, die auf fragwürdigem ethischem Fundament agieren und sich der freiwilligen Loyalität ihrer Bürger nicht sicher sein können, neigen dazu, sich „aufdringlich“ zu verhalten. Immer wieder behelligen sie die Menschen und zwingen sie zu Unterwerfungsgesten. Dadurch wird die Mehrheit der Gehorsamen in die Knie gezwungen, während die Minderheit der „Aufrührer“ leichter zu identifizieren ist. In gelenkten Fassadendemokratien werden diese Unterwerfungsgesten jedoch mit einem akzeptablen Narrativ ideologisch eingekleidet. Die dringende Empfehlung zum — weitgehend nutzlosen — Tragen einer Atemschutzmaske in der Öffentlichkeit erfüllt diesen Zweck bestens. Im Gegensatz zur ersten Phase der Abschaffung unserer Freiheitsrechte werden Kritiker der herrschenden Corona-Hysterie in der zweiten schon auf den ersten Blick zu erkennen sein.
„Das Volk hat aber doch gewisse Rechte“, meint Rudolf, Stallmeister von Hermann Geßler, dem Reichsvogt der Kantone Schwyz und Uri. Der antwortet lakonisch: „Die abzuwägen ist jetzt keine Zeit.“
Geßler, der Verwalter der besetzten Bezirke der Alpenregion, hat in Altdorf auf dem Marktplatz einen Hut auf einen Stock gepflanzt. Daneben steht eine Wache, die jeden abführt, der nicht vor diesem Popanz salutiert. Zur Begründung gibt Geßler an:
Ich hab den Hut nicht aufgesteckt zu Altdorf
Des Scherzes wegen, oder um die Herzen
Des Volks zu prüfen; diese kenn ich längst.
Ich hab ihn aufgesteckt, dass sie den Nacken
Mir lernen zu beugen, den sie aufrecht tragen —
Das Unbequeme hab ich hingepflanzt
Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn müssen,
Dass sie drauf stoßen mit dem Aug‘ und sich
Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen.
Der mittlerweile sprichwörtliche Geßlerhut in Friedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“ wurde also explizit nicht aufgestellt, um die wahre Gesinnung des Volkes zu testen. Diese setzt Geßler als bekannt voraus; er weiß, dass die Menschen ihren Unterdrücker hassen. Vielmehr ist der Hut ein Gehorsamstest. Nicht herzliche Zustimmung wird erwartet, sondern zähneknirschende Unterwerfung. So reagiert der „Landesvater“ auch sehr ungnädig, als der Titelheld dem Hut den Gruß verweigert.
Verachtest du so deinen Kaiser, Tell,
Und mich, der hier an seiner Statt gebietet,
Dass du die Ehr‘ versagst dem Hut, den ich
Zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?
Dein böses Trachten hast du mir verraten.
„Böse“ ist also, wer die inhaltlich völlig absurde, jedoch symbolisch aussagekräftige Geste verweigert. Tell muss in der Folge seinem Sohn einen Apfel vom Kopf schießen und dessen Leben riskieren. Schließlich wird er verhaftet, nachdem er den Reichsvogt bedroht hat…
Symbolische Unterwerfungsrituale
Der „Geßlerhut“ wurde deshalb weithin bekannt, weil er einen typischen Mechanismus der Machtausübung offenlegt. Fast überall, wo Macht ausgeübt wird, gibt es auch symbolische Unterwerfungsrituale. Wo die Unterdrückung ungeschminkt auftreten darf, weil sie auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Gewohnheitsrecht auf seelische Misshandlung der ihr Unterworfenen bauen kann, sind diese Rituale besonders leicht zu durchschauen. Etwa in Gefängnissen oder beim Militär. Man kann dies anhand der unsäglichen Bundeswehr-Werbesoap „Die Rekruten“ auf YouTube sehr gut beobachten.
In der Start-Folge der Serie erklärt ein bulliger Ausbilder die Regeln in Richtung Kamera. Es geht um einen simplen Vorgang: das Eintreten der neuen Rekruten in ein Amtszimmer. „An der Linie sollen die sich einfach bloß aufhalten, und dann: ordentlich anklopfen. Und viele schaffen’s einfach nicht. Die rennen einfach los und sagen ‚hallo, hier bin ich‘. Das gibt’s aber nicht.“ Der Ausbilder erklärt nicht den Sinn der Regel, er sagt nur, was Sache ist. „Es gibt zwei verschiedene Arten, diese Linie zu übertreten: eine richtige und eine falsche.“
Die Filmregie unterstützt diese Regelung visuell — als wolle sie angehende Rekruten im Interesse der Bundeswehr schon präventiv miterziehen. Ein junger Mann bleibt vor einem dick gezogenen Strich am Boden stehen. Ein dicker grüner Schriftzug wird eingeblendet: „richtig“. Ein unsicherer anderer Rekrut schlendert gleich ohne Anklopfen ins Amtszimmer. Dicker roter Schriftzug: „falsch“. Ein dritter verlässt das Zimmer gerade. Er sagt zum Abschied: „Alles klar!“ Jetzt erhebt sich die Stimme des Vorgesetzten drohend: „Nicht ‚alles klar‘, sondern…???“ Sichtlich gequält und eingeschüchtert stößt der Jüngling hervor: „Jawohl!“ Mit diesem Unterwerfungsritual ist das Erziehungsziel erreicht. Nicht nur wird der Rekrut künftig dienstbeflissen die Silbe „…wohl“ anhängen; er hat auch kapiert, wer beim Bund das Sagen hat.
Schikanöse Vorschriften und permanente Herabsetzungen der Rekruten dienen der Brechung des Eigenwillens, sie werden nicht trotz, sondern wegen ihrer Unsinnigkeit konzipiert. Denn nur ein Soldat, der das Nachdenken komplett aufgegeben hat und dessen Gehorsam automatisiert abläuft, ist im Krieg „brauchbar“.
Ein solcher Mensch wird willig in das Gewehrfeuer des „Feindes“ hineinlaufen und ist selbst bereit zu töten. Den Rekruten wird damit ein Teil dessen abtrainiert, was sie als Menschen ausmacht. Durch staatlich legitimierte Strukturen, die den Einzelnen einer Situation absoluter Machtlosigkeit ausliefern, wird letztlich eine Identifikation mit dem Aggressor erzwungen. Das Bewusstsein, sich diesem Irrsinn unterworfen zu haben, führt zu einem latenten Gefühl der Scham, einem Selbstwertverlust, der es den Ausbildern wiederum künftig erleichtert, ohne Gegenwehr über das optimierte Menschenmaterial zu verfügen.
„Geßlerhüte“ in Corona-Zeiten
„Geßlerhüte“ in der erweiterten Bedeutung des Wortes verfolgen stets zwei Zwecke: den offiziellen, der für Ge- und Verbote eine Scheinbegründung liefert, und einen tatsächlichen Grund, der stets in einem symbolischen Unterwerfungsakt beziehungsweise einem Gehorsamstest besteht. Geßlerhüte gibt es praktisch überall, wo es Machtausübung gibt. Sie dienen dem doppelten Zweck der Disziplinierung und Brechung der gehorsamen Mehrheit und der Identifizierung einer eventuell widerspenstigen Minderheit. Anlässlich der Aufrufe zum Ungehorsam im Zusammenhang mit der Volkszählung 1987 bemerkte eine Zeitschrift, der Staat habe nunmehr eine vollständige Liste seiner Gegner in Händen: jener Minderheit nämlich, die die Fragebögen nicht ausfüllte und dafür mitunter auch harte Geldstrafen in Kauf nahm.
Es fällt nun nicht schwer, von hier einen Bogen zu den derzeitigen staatsautoritären Zwangsmaßnahmen „wegen Corona“ zu schlagen. Das österreichische Webmagazin Profil titelte am 9. April 2020: „Die neue Lust am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren“ und erhob gegen die Obrigkeit einen heftigen Vorwurf:
„Innerhalb weniger Wochen mutierte Österreich zu einem Operetten-Polizeistaat, in dem harmlose Bürger nach Gutdünken drangsaliert werden.“
Lassen wir die Operette mal beiseite, dann bleibt: Polizeistaat. Ein Beispiel aus der Praxis:
„Jüngst machte im Internet ein Strafzettel die Runde, mit dem ein Wiener zur Zahlung von 500 Euro Bußgeld aufgefordert wurde. Das rigoros beamtshandelte Delikt im Wortlaut: ‚Sie sind längere Zeit auf einer Parkbank gesessen und haben aufgrund des regen Fußgängeraufkommens nicht den nötigen Mindestabstand von 1 Meter zu anderen Personen eingehalten.‘“
Weitere Beispiele laut „Profil“: Wegen unerlaubten Benutzens eines Spielplatzes werden in Salzburg 1000 Euro Bußgeld verhängt. Eine Frau musste sich an der Kasse eines Drogeriemarkts einer Taschenkontrolle unterziehen und sich eine Rüge anhören, weil sie etwas „nicht unbedingt Nötiges“ gekauft hatte: ein Schulheft für ihre Tochter. Niki Scherak, stellvertretender Klubobmann der Partei NEOS gab zu den Strenge-Exzessen der Ordnungshüter zu Protokoll:
„Für mich ist wirklich erschreckend, dass die Leute fragen müssen, was sie überhaupt noch tun dürfen.“
In der Tat scheinen sich die betroffenen Länder in riesige Kindergärten verwandelt zu haben, in dem die Betreuten ängstlich um sich spähend und demütig die Grenzen des Erlaubten auszuloten versuchen.
Die meisten Presseorgane haben sich ihrer Pflicht zu objektiver oder gar kritischer Berichterstattung mittlerweile ganz entledigt und die Funktion moderner Herolde übernommen. Auf den virtuellen öffentlichen Plätzen verkünden sie die Verlautbarungen des „Königs“: ungefiltert und unkommentiert: Hört ihr Leut‘ und lasst euch sagen: Folgendes ist ab kommenden Montag verboten, folgendes erlaubt…
Wenn sich nun irgendjemand durch das, was hier geschieht, entwürdigt fühlt, dann ist der Betreffende weder überempfindlich, noch erfolgt diese Entwürdigung seitens der Staatsmacht unbeabsichtigt. Viele der jetzt geltenden „Corona-Maßnahmen“ haben den Charakter von Geßler-Hüten — zumindest teilweise. Staatsorgane, von ihrem unverhofften Machtzuwachs angefixt, widerstehen nur selten der Versuchung, Bürger zu erniedrigen und die Verhaltenssteuerung auf sinnfreie Gehorsamstests zu verengen.
Wo eine Vorschrift nicht ohnehin schon diesen Charakter hat, agieren einzelne, besonders eifrige Polizisten gern ihre Machtlust an den ihnen Unterworfenen aus. Schlimmeres als die Rücknahme eines ungerechtfertigten Bußgeldbescheids haben sie dabei ja nicht zu befürchten. Demütigungen sind stets auch kleinere oder mittelschwere Traumata — je nach den Vorerfahrungen der Opfer. Sie führen bei diesen oft zu Gefühlen von Benommenheit und Erstarrung, zu Schamgefühlen, die verdrängt werden und in vielen Fällen nur durch die Identifikation mit dem Aggressor „gelöst“ werden können.
Gehorsamstests mit Scheinbegründungen
Allerdings tritt die Entwürdigung von Bürgern selten in völlig „nackter“ Form auf. Im modernen, „zivilisierten“ System des Despotismus wird um den Geßlerhut herum meist ein ausgefeiltes Narrativ gesponnen. Die Scheinbegründung, mit denen Gehorsamsprüfungen bemäntelt werden, erscheinen in der Regel plausibler, als dies beim ursprünglichen Geßlerhut in Schillers „Wilhelm Tell“ der Fall war. Oder eine Vorschrift stellt eine Mischung aus sinnvoller Regelung und einem Geßlerhut dar. Meist wird den Unterworfenen ein „weil“ mit auf den Weg gegeben, das ihnen hilft, mit einem die Würde verletzenden Befehl ihren Frieden zu schließen.
Frauen müssen in Teilen der muslimischen Welt vollverschleiert auf die Straße gehen, weil dies der Anstand und die Religion verlangten. Christen müssen beim Betreten einer Kirche ihre Hände in das Weihwasserbecken tunken und sich bekreuzigen, weil dies der Respekt vor Gott gebiete. Bewerber um eine Stelle müssen bestimmte Formalitäten einhalten, um in die engere Wahl zu kommen, weil dies das Engagement des Stellensuchenden demonstriere. Alle Bürger müssen Gebühren für ARD und ZDF zahlen, selbst wenn sie diese Sender nicht anschauen, weil dies die Finanzierung des für die Demokratie so eminent wichtigen Öffentlich-Rechtlichen Systems sichere. Soldaten müssen ihre Kleidung im Spind in einer bestimmten Weise falten und „auf Kante“ legen, damit die Kleider im Alarmfall mühelos gefunden werden können. In weltanschaulich homogenen Gruppen sind gewisse Kleidervorschriften, Grußformeln und Rituale obligatorisch. Und so weiter.
In einigen Fällen wird der Gruß vor einem Geßlerhut nur durch mehr oder weniger sanften Gruppendruck kontrolliert; in anderen Fällen zieht eine Weigerung schwerste Sanktionen bis hin zur Tötung nach sich. Ein sehr prägnantes Beispiel für einen Konformitätstest war auch die den Deutschen zwischen 1933 und 1945 auferlegte Pflicht, einander mit „Heil Hitler!“ zu grüßen. Wir wissen aus der Geschichte, dass dies ein besonders perfides Kontrollinstrument darstellte. Die Ideologie beziehungsweise die Respektbezeigung vor dem „Führer“ durchdrang damit jede kleinste Alltagsbegegnung der Menschen. Wer den Gruß verweigerte, war unschwer als Regimegegner zu erkennen. Für Bürger, die für Hitler keine rechte Begeisterung aufbringen konnten, war der Aufenthalt im öffentlichen Raum somit mit beständigem Unbehagen verbunden. Verwende ich einen anderen Gruß oder sage ich um des Friedens willen doch besser „Heil Hitler?“ Wenn überhaupt, wem gegenüber kann ich es wagen zu grüßen, ohne dem Namen des Führers zu huldigen?
Opfer und Stütze des Systems
Der Dichter und spätere tschechische Ministerpräsident Vaclav Havel hat im Jahr 1978 die beiden Dimensionen der Verhaltenssteuerung in seinem Essay „Versuch in der Wahrheit zu leben“ glänzend dargelegt. Vor dem Hintergrund eines damals noch intakten Ostblock-Totalitarismus stellte er die Techniken der Verhaltenskontrolle an einem einfachen Beispiel dar.
„Ein Leiter eines Gemüseladens platzierte im Schaufenster zwischen Zwiebeln und Möhren das Spruchband ‚Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‘“
Warum hat er das getan? Weil er tatsächlich zutiefst der Überzeugung war, die Proletarier sollten sich vereinigen? Eher, weil es „alle“ taten und weil es von ihm erwartet wurde. Auch aus Angst, der Illoyalität bezichtigt zu werden.
„Er hat es deshalb getan, weil es ‚dazu gehört‘, wenn man im Leben durchkommen will; weil das eine von Tausenden ‚Kleinigkeiten‘ ist, die ihm ein relativ ruhiges Leben ‚im Einklang mit der Gesellschaft‘ sichern.“
Indem der Gemüsehändler das Schild aufstellt, wird er zugleich selbst zu einem Teil jener Konformitätskulisse, die andere Menschen dazu motiviert, ihrerseits ein „Proletarier“-Schild aufzustellen. Havel führt dazu aus, dass man in einer Diktatur modernen Anstrichs, nicht mehr klar zwischen Herrschern und Beherrschten, Tätern und Opfern trennen könne.
„In dem posttotalitären System führt diese Linie de facto durch jeden Menschen, denn jeder ist auf seine Art ihr Opfer und ihre Stütze.“
Alle Mitglieder einer gleichgeschalteten Gesellschaft üben aufeinander Gruppendruck aus. Der Gemüsehändler stellt sein Schild auf, weil es der Metzger getan hat — und umgekehrt.
Wichtig an Havels Abhandlung ist nun der Aspekt der moralischen Entlastung von Mitläufern. Der Autor schreibt über das Proletarier-Schild:
„Diese Parole hat die Funktion eines Zeichens.“
Im Klartext könnte die damit verbundene Mitteilung lauten:
„Ich, der Gemüsehändler XY, bin hier und weiß, was ich zu tun habe; ich benehme mich so, wie man es von mir erwartet; auf mich ist Verlass, und man kann mir nichts vorwerfen; ich bin gehorsam und habe deshalb das Recht auf eine ruhiges Leben.“
Im Grunde, so Havel, könne man den Händler ebenso gut zwingen, ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe Angst und bin deshalb bedingungslos gehorsam“ in sein Schaufenster zu stellen. Beide Botschaften meinen im Kern dasselbe.
Das zweite Schild freilich würde er als ein erniedrigendes Eingeständnis von Feigheit empfinden. Es würde sein Gefühl für Würde verletzen.
„Man muss dem Gemüsehändler die Gelegenheit geben, dass er sich sagen kann: ‚Warum sollten sich eigentlich die Proletarier aller Länder nicht vereinigen?‘ (…) Das Zeichen hilft also, die ‚niedrigen‘ Fundamente seines Gehorsams und somit auch die ‚niedrigen‘ Fundamente der Macht vor dem Menschen zu verstecken. Er versteckt sie hinter der Fassade des ‚Höheren‘. Dieses ‚Höhere‘ ist die Ideologie.“
Mit meinen eigenen Worten ausgedrückt: Jedes Mitglied einer totalitär durchstrukturierten Gesellschaft kann sich, wenn es die Fähigkeit zur Selbsttäuschung besitzt, wie ein Gewissensheld im Stadium der Latenz fühlen. Würde die Staatsideologie seinem innersten Glauben widersprechen, so glaubt er, ginge er tapfer in den Widerstand. „Zufällig“ aber stimmt das, was er will, mit dem, was der Staat will überein — dass es nämlich großartig wäre, wenn sich die Proletarier aller Länder vereinigen würden. Auf diese Weise wird seine Charakterveranlagung zum mutigen Widerstandskämpfer nie auf die Probe gestellt. Die Welt ist voller verhinderter Hans und Sophie Scholls.
Das Wesen von Macht
Nun ist es generell schwer, sich in die Position von Machthabern hineinzuversetzen, wenn man selbst diesbezüglich zu wenig Erfahrung hat. Erst recht ist es schwer, deren „geheime“ Absichten mit letzter Sicherheit zu erkennen, so lange keine eindeutigen geleakten Dokumente diese preisgeben. Ich bin aber der Überzeugung: Wir können die Verhaltensweisen der Macht — also der Regierenden und ihrer ausführenden Organe — nicht realistisch einschätzen, wenn wir grundsätzlich positive und wohlwollende Motive unterstellen. Tun wir das, übersehen wir ganz wesentliche Dimensionen der Machtausübung. Ebenso wie wohlwollende Motive natürlich nicht völlig auszuschließen sind. Nach meiner Auffassung und Erfahrung hat Machtausübung mindestens folgende Merkmale, die sich auf „Fälle“ wie das derzeitige Corona-Regime und andere aus der Geschichte bekannte anwenden lassen:
- Macht verlangt danach, sich zu erweitern und möglichst viele Bereiche des Lebens der Bürger zu durchdringen.
- Macht hat Suchtcharakter. Betroffene geben sich selten mit dem zufrieden, was sie schon haben.
- Machtausübung ist lustvoll.
- Macht will auf sich aufmerksam machen und bleibt nicht gern unbemerkt. (Siehe dazu die Aussage des Reichsvogts Geßler: „…und sich erinnern ihres Herrn, den sie vergessen.“)
- Macht will sich stets durch Konfrontation mit den Beherrschten erproben, da sie sonst ihrer selbst nicht sicher sein kann.
- Macht bezieht ihr Identitätsgefühl daraus, dass sie sich gegen den Willen der ihr Unterworfenen durchsetzt. Anderenfalls wäre es keine Macht, sondern nur Überredungskunst.
Um den letzten Punkt noch weiter zu vertiefen: Macht bedient sich dreier abgestufter Strategien der Selbstbehauptung: 1. Überredung und Propaganda, 2. Drohung, 3. Anwendung von Zwang. Undenkbar scheint aus Sicht der Mächtigen nur, dass Menschen handeln, wie sie es selbst für richtig halten. Normalerweise werden die früheren und harmloseren Eskalationsstufen zuerst angewandt, die fortgeschrittenen bleiben jedoch als Drohkulisse im Hintergrund präsent. Die meisten Bürger versuchen, die Phase 3 und möglichst schon Phase 2 zu vermeiden und passen sich bereits in Phase 1 (Propaganda) dienstbeflissen an. „Zivilisierte“, halbwegs befriedete Gesellschaften funktionieren fast nur noch mittels Phase 1 und vermeiden es so, das hässliche Gesicht der Gewalt offen zu zeigen.
In Epochen der fortschreitenden Auflösung von Freiheitsrechten und des Übergangs zur Diktatur treten aber Drohung, Zwang und Gewalt stärker in den Vordergrund. Das Erlebnis des „unterworfen Werdens“ bleibt nicht länger dem kriminellen Milieu vorbehalten, es wird zur allgemeinen Erfahrung fast aller Bürger.
Die Schließung der „Drückebergergasse“
Ideal zur Selbstvergewisserung der Staatsmacht sind somit Geßlerhüte — also Gehorsamsprüfungen —, die möglichst vielen, idealerweise allen Mitgliedern einer Gesellschaft abverlangt werden können. Um zu dem Beispiel aus Schillers „Wilhelm Tell“ zurückzukehren: An nur einem einzigen Platz in der Schweiz einen Hut aufzustellen, ist ein zu punktueller Gehorsamstest. Die Bürger können den Hut und damit den Grußzwang zu leicht vermeiden und einfach einen anderen Weg nehmen.
So einen Fall gab es in der Geschichte tatsächlich. Bei der Feldherrnhalle auf dem Münchener Odeonsplatz, dort wo 1923 Hitlers erster erfolgloser Putschversuch stattfand, war während der Nazi-Diktatur Tag und Nacht eine SS-Ehrenwache postiert. Von den Passanten wurde erwartet, den Gefallenen des Putsches durch den Hitlergruß Reverenz zu erweisen. Ein typischer Geßlerhut also, der die visionäre Kraft Schillers auf das Schönste illustriert. Wer nicht gern salutieren wollte, nahm den Weg über die Viscardigasse zwischen Residenz- und Theatinerstraße. Im Volksmund heißt sie deshalb bis heute die „Drückebergergasse“.
Die Absicht von Machthabern mit totalitärem Anspruch wird es deshalb stets sein, Gehorsamsprüfungen zu erschaffen, die man nicht umgehen kann.
Volkszählungen etwa haben diesen Charakter. Ebenso wie die allgemeine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung. „Drückebergertum“, also ungestrafte Vermeidung, ist in solchen Fällen schwierig. Mir ist natürlich bewusst, dass Vergleiche zwischen der Nazizeit, den Zuständen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und heutigen Verhältnissen in westlichen gelenkten Demokratien ihre Grenzen haben. Speziell auch im „Dritten Reich“ ist noch mehr — Schlimmeres — passiert. Hier aber geht es mir nicht um eine Gesamtwürdigung geschichtlicher Epochen, sondern um die Darstellung spezifischer „Machttechniken“, die einander auch in sehr unterschiedlichen Regimen stark ähneln. Zudem ist es immer wichtig, den Anfängen zu wehren und Fehlentwicklungen früh zu erkennen.
Auch eine allgemeine Impfpflicht — ob sie nun die Masern betrifft oder später ein noch zu findendes allerlösendes Corona-Medikament — hätte den Charakter eines idealen Geßlerhuts ohne Drückebergergasse. Eine solche Maßnahme würde sich für die Selbstpositionierung und Selbstaufblähung der Macht ideal eignen. Folgende Faktoren sorgen quasi für Wind in den Segeln:
- Die Impfpflicht wäre allumfassend.
- Sie könnte mit einem geeigneten, sie stützenden Narrativ aufwarten (Der Schutz aller vor Erkrankungen) und sich gerade deshalb einer großen Bereitschaft zu freiwilliger Unterwerfung sicher sein.
- Sie würde in hohem Maße sozialen Druck auf Abweichler ausüben. Die Staatsmacht könnte sich sicher sein, im Volk ein Heer an Propagandisten, Hilfslehrern und Hilfspolizisten an ihrer Seite zu haben. Denn Verweigerung wäre ja der offiziellen Erzählung von Politik und Schulmedizin nach gleichbedeutend mit der Gefährdung der Gesundheit anderer.
Die Atemmaske als Geßlerhut
Ich möchte zum Schluss noch auf ein Thema eingehen, das mich derzeit sehr beschäftigt und der ursprüngliche Anlass für meinen Artikel gewesen ist: die Maskenpflicht. In diesen Tagen (Stand 15. April 2020) wird viel über Lockerungen der „Corona-Maßnahmen“ gesprochen, die von den Regierenden verhängt wurden. Dabei kommt immer wieder folgende „Kompromisslösung“ ins Spiel: Viele der Beschränkungen könnten aufgehoben werden, im Gegenzug müsste aber eine allgemeine Maskenpflicht eingeführt werden. Seit Mittwoch wissen wir ja, dass in Deutschland zunächst nur eine „dringende Empfehlung“ gilt, die Maske zu tragen. Mindestens an Orten, an denen eine hohe Menschendichte zu erwarten ist wie Supermärkte und U-Bahnen. Der derzeitige „König von Deutschland“, Professor Christian Drosten, sprach sich in einem Interview klar dafür aus: „Das setzt voraus, dass wirklich jeder, jeder, jeder in der Gesellschaft, im öffentlichen Leben diese Masken tragen muss“, sagte Drosten.
Allein diese Aussage („jeder, jeder, jeder“) offenbart eine bedenkliche Neigung zum Totalitarismus. Sie lässt weder Ausnahmen noch auch nur Abstufungen der Maskenpflicht zu. Da derzeit nicht einmal im repressionsfreudigen Österreich Menschen von der Polizei behelligt werden, die ohne Atemschutzmaske allein im Wald spazieren gehen, gehe ich nicht davon aus, dass eine absolute Maskenpflicht demnächst in Deutschland beschlossen wird. Schon eine faktische Maskenpflicht in Lebensmittelläden wirft jedoch einige brisante Fragen auf:
- Wird der Staat beziehungsweise werden die Geschäftsinhaber als dessen verlängerter Arm Menschen Lebensmittel verweigern, sie also im Extremfall hungern lassen, weil diese keine Gesichtsmaske tragen — und dies, obwohl dies bis jetzt völlig legal ist und sich die Läden ohnehin durch allerlei Sicherheitsmaßnahmen (Einkaufswagenpflicht, Abstandsgebot, Plexiglasscheiben an der Kasse) schützen?
- Wer wird dafür verantwortlich gemacht, wenn Gesichtsmasken nicht in ausreichender Anzahl vorhanden sind?
- Würde eine Maskenpflicht jetzt nicht die bisherige Regelung (keine Maskenpflicht) als völlig unverantwortliche Gefährdung der Gesundheit von Menschen entlarven?
Ich konnte mir über dieses Thema nun über einige Wochen ausgiebig Gedanken machen. Auf der Straße und in Läden beobachtete ich immer wieder Maskenträger — übrigens auch bei Spaziergängen allein, auf dem Rad oder gar in geschlossenen Autos. Diese blieben aber in meiner Gegend — in einer ländlichen Kleinstadt in Südbayern — bis heute eine Seltenheit. Meine Schreckensvision, diese würden sich mit der Zeit ausbreiten wie in bestimmten Science-fiction-Filmen, in denen Außerirdische nach und nach die Herrschaft über die Erde übernehmen, wurde nicht Realität. Die Mitbürger in meiner Nachbarschaft bleiben gelassen. Bis jetzt.
Zu befürchten wäre aber für den Fall einer gesetzlichen oder faktischen Maskenpflicht eine Dynamik, wie sie Vaclav Havel hellsichtig dargestellt hat.
Die Maskenpflicht würde einen hohen Konformitätsdruck erzeugen, da der Gehorsam oder Ungehorsam eines Menschen so schon auf den ersten Blick und von weitem von jedermann kontrollierbar wäre. Dissidenten könnten mühelos identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden.
Erinnern wir uns an die Geschichte, die Havel über den Gemüsehändler erzählt hat, der in seinem Schaufenster ein Schild „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ platzierte. In Anlehnung daran könnte der Träger einer Atemschutzmaske in den nächsten Wochen folgende Botschaft aussenden:
„Ich (…) bin hier und weiß, was ich zu tun habe; ich benehme mich so, wie man es von mir erwartet; auf mich ist Verlass, und man kann mir nichts vorwerfen; ich bin gehorsam und habe deshalb das Recht auf eine ruhiges Leben.“ Eigentlich auch: „Ich habe Angst und bin deshalb bedingungslos gehorsam.“
Die Markierung abweichender Weltanschauungen
Im Fall von Corona wäre den Unterwerfungsbereiten jedoch ein besonders verführerisches Beschönigungsnarrativ in die Hand gegeben: „Ich tue es, um mich und andere zu schützen.“ Mit dem unausgesprochenen Zusatz: „Wer keine Maske trägt, dem ist sein eigener Schutz und der seiner Mitmenschen egal.“ Dabei muss dies keineswegs zutreffen. „Dissidenten“ schätzen vielleicht die Gefahrenlage nur nicht so dramatisch ein. Sie sind in einem Land, in dem „eigentlich“ Weltanschauungsfreiheit herrscht, einfach Anhänger einer anderen politischen Weltanschauung und einer von der Mehrheit abweichenden Medizin-Ideologie.
Zur Erinnerung: Die meisten Politiker, Medien und eingebetteten Wissenschaftler geben derzeit die Parole aus: „Das Corona-Virus ist außergewöhnlich gefährlich. Wenn Demokratie und Freiheitsrechte Leben kosten können, müssen sie eben zumindest vorübergehend geopfert werden.“ Ich vertrete mit anderen „Corona-Skeptikern“ dagegen den Standpunkt: „Das Corona-Virus ist nicht außergewöhnlich gefährlich. Die Nachteile von Shutdown und Ausgangsbeschränkung überwiegen. Demokratie und Freiheitsrechte sind so elementar wichtig, dass alles, was jetzt geschieht, nur innerhalb des Rahmens erfolgen darf, den sie vorgeben — das heißt ohne Verletzung dieser Grundrechte.“
Es ergibt sich — oder ergäbe sich vor allem im Fall eines allgemeinen Maskenzwangs — nun folgende Situation: Ich darf das alles zwar weiterhin denken und sogar schreiben. Noch. Aber ich darf meiner Weltanschauung nicht durch mein alltägliches Verhalten Ausdruck geben. Ich muss vor dem Geßlerhut salutieren, den eine abweichende, jedoch dominante Weltanschauung vor mir aufgepflanzt hat. Im Weigerungsfall drohen weitgehende soziale Isolation und Strafen, ja vielleicht die Verunmöglichung von Lebensmitteleinkäufen. Dieser Vorgang ist beziehungsweise wäre äußerst bedenklich. Bisher nämlich gab es ja Ausweichstrategien, um den „Kotau“ zu vermeiden.
Ich beobachtete bei mir selbst in den letzten Tagen ein Ausweichverhalten, da ich mich der direkten Konfrontation mit der Macht nicht gewachsen fühlte — ebenso wie dem geballten Volkszorn der Richtigdenker. Ich nahm quasi den Umweg über „Drückebergergassen“, indem ich überwiegend in abgelegenen Gegenden spazieren ging, in denen Polizeikontrollen unwahrscheinlich schienen, ebenso wie zu große Nähe zu anderen Passanten. Dieses beklemmende Gefühl der sozialen Kontrolle und der Überforderung durch die Situation, einer überwältigenden Übermacht von „Regime-Kollaborateuren“ ausgesetzt zu sein, führt dazu, dass ich bereits dann Vermeidungsverhalten zeige, wenn mein Verhalten durchaus noch im Rahmen des Legalen bleibt.
Diese Psychodynamik an sich selbst zu beobachten, ist nicht sehr ruhmreich, jedoch höchst aufschlussreich, wenn es darum geht einzuschätzen, in welchem Ausmaß wir schon jetzt sozialer Kontrolle und dem medial geschürten Gleichschaltungsdruck unterliegen.
Die Diktatur beginnt, wo wir anfangen, unsere Worte abzuwägen und unser Verhaltensrepertoire vorsorglich einzuschränken, wo sich bisher offene Räume durch unsichtbare Barrieren vor uns verschließen.
Mit dem Maskenzwang — oder dem Impfzwang — würde mir der Staat quasi meine Drückebergergassen verbauen, Unterwerfungsgesten unvermeidbar machen und mir das demütigende Gefühl einer Niederlage zufügen. Ein Gefühl, das er jedem Staatsbürger zugedacht hat, der sich nicht entschließen kann, die Normen der Obrigkeit „freiwillig“ zu seinen eigenen zu machen.
Das Lebensgefühl in einer solchen Situation ist eines der „Entheimatung“, der erzwungenen inneren Emigration in einem Umfeld, das sich schleichend in ein fremdes, bedrohliches verwandelt. Oder wie Wilhelm Tell in Schillers Stück sagt:
Denn hier ist keine Heimat — Jeder treibt
Sich an dem andern rasch und fremd vorüber
Und fraget nicht nach seinem Schmerz.
Noch sind die Masken in meinem Wohnumfeld rar. Jedes nackte, vielleicht lächelnde Gesicht ist eine Ermutigung für Menschen wie mich und alle, deren Widerstand noch latent ist. Ich kann derzeit nur hoffen, dass „die“ es mit der aufdringlichen Verfolgungsbetreuung der Bürger nicht zu weit treiben werden. Für das Regime des Reichsvogts Geßler jedenfalls war die Nummer mit dem Hut der Anfang vom Ende seines Regimes. Die Schweizer taten sich zusammen und schüttelten das Joch der Fremdherrschaft ab.
„Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben.“ — Wilhelm Tell